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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 20.09.2007
Aktenzeichen: C-371/06
Rechtsgebiete: Richtlinie 89/104/EWG
Vorschriften:
Richtlinie 89/104/EWG Art. 3 Abs. 1 Buchst. e dritter Gedankenstrich | |
Richtlinie 89/104/EWG Art. 3 Abs. 3 |
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)
20. September 2007
"Marken - Richtlinie 89/104/EWG - Art. 3 Abs. 1 Buchst. e dritter Gedankenstrich und Abs. 3 - Zeichen - Form, die der Ware einen wesentlichen Wert verleiht - Benutzung - Werbekampagnen -Anziehungskraft der Form, die durch deren Bekanntheit als Unterscheidungsmerkmal vor der Anmeldung erworben wurde"
Parteien:
In der Rechtssache C-371/06
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) mit Entscheidung vom 8. September 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 12. September 2006, in dem Verfahren
Benetton Group SpA
gegen
G-Star International BV
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Kuris sowie der Richter K. Schiemann und L. Bay Larsen (Berichterstatter),
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Benetton Group SpA, vertreten durch N. W. Mulder, advocaat,
- der G-Star International BV, vertreten durch G. van der Wal, advocaat,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von S. Fiorentino, avvocato dello Stato,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch W. Wils als Bevollmächtigten,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe:
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1, im Folgenden: Richtlinie).
2 Das Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der Benetton Group SpA (im Folgenden: Benetton) und der G-Star International BV (im Folgenden: G-Star) wegen des Vertriebs eines Kleidungsstücks durch Benetton, das durch seine Form zwei von G-Star angemeldete Formmarken verletzen soll.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 Art. 2 ("Markenformen") der Richtlinie bestimmt:
"Marken können alle Zeichen sein, die sich grafisch darstellen lassen, insbesondere Wörter einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen und die Form oder Aufmachung der Ware, soweit solche Zeichen geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden."
4 Art. 3 ("Eintragungshindernisse - Ungültigkeitsgründe") der Richtlinie lautet:
"(1) Folgende Zeichen oder Marken sind von der Eintragung ausgeschlossen oder unterliegen im Falle der Eintragung der Ungültigerklärung:
a) Zeichen, die nicht als Marke eintragungsfähig sind,
b) Marken, die keine Unterscheidungskraft haben,
c) Marken, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, welche im Verkehr zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Menge, der Bestimmung, des Wertes, der geografischen Herkunft oder der Zeit der Herstellung der Ware oder der Erbringung der Dienstleistung oder zur Bezeichnung sonstiger Merkmale der Ware oder Dienstleistung dienen können,
d) Marken, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, die im allgemeinen Sprachgebrauch oder in den redlichen und ständigen Verkehrsgepflogenheiten üblich sind,
e) Zeichen, die ausschließlich bestehen
- aus der Form, die durch die Art der Ware selbst bedingt ist, oder
- aus der Form der Ware, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist, oder
- aus der Form, die der Ware einen wesentlichen Wert verleiht,
...
(3) Eine Marke wird nicht gemäß Absatz 1 Buchstabe b), c) oder d) von der Eintragung ausgeschlossen oder für ungültig erklärt, wenn sie vor der Anmeldung infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erworben hat. Die Mitgliedstaaten können darüber hinaus vorsehen, dass die vorliegende Bestimmung auch dann gilt, wenn die Unterscheidungskraft erst nach der Anmeldung oder Eintragung erworben wurde.
..."
Nationales Recht
5 Art. 1 des Einheitlichen Benelux-Markengesetzes vom 19. März 1962 (Trb. 1962, 58) in der zur Zeit der im Ausgangsverfahren maßgebenden Ereignisse geltenden Fassung bestimmt:
"Als Individualmarken gelten Bezeichnungen, Abbildungen, Abdrücke, Stempel, Buchstaben, Ziffern und Formen von Waren oder Aufmachungen und alle anderen Zeichen, die zur Unterscheidung der Waren eines Unternehmens dienen.
Nicht als Marken betrachtet werden können hingegen Formen, die durch die Art der Ware selbst bedingt sind, den wesentlichen Wert der Ware beeinflussen oder gewerbliche Ergebnisse hervorbringen."
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
6 G-Star entwirft, lässt herstellen und vertreibt Kleidung, insbesondere Jeans, unter gleichnamiger Marke.
7 Sie ist Inhaberin zweier Formmarken für Waren der Klasse 25 nach dem Abkommen von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in seiner revidierten und geänderten Fassung, also für Kleidung. Diese beiden Marken wurden am 7. August 1997 und am 24. November 1999 angemeldet.
8 Für beide wurde der Schutz jeweils anhand folgender Unterscheidungsmerkmale beantragt:
- diagonal verlaufende Stickereien von der Hüfthöhe bis zur Kreuznaht, Kniestücke, Einsatz am Hosenboden, horizontal verlaufende Stickereien in Kniehöhe auf der Hinterseite, Streifen von kontrastierender Farbe oder aus anderem Stoff auf der Hinterseite unten am Hosenbein, kombinierte Verwendung dieser Elemente;
- Nähte, Stickereien und Einkerbungen des Kniestücks, Kniestück ein wenig ausgebeult.
9 Benetton betreibt Textilhandelsunternehmen. In den Niederlanden verkauft sie ihre Erzeugnisse über Franchisenehmer.
10 Am 25. Mai 2000 erhob G-Star bei der Rechtbank te Amsterdam Klage gegen Benetton, um gegen die Herstellung, das Inverkehrbringen und/oder den Vertrieb einer Hose der Marke Benetton in den Niederlanden vorzugehen. Sie stützte ihre Klage auf das Vorbringen, dieses Unternehmen habe ihre Markenrechte an ihrer Hose des Modells Elwood dadurch verletzt, dass es im Sommer 1999 eine Hose hergestellt und auf den Markt gebracht habe, die u. a. ein ovales Kniestück und zwei diagonal von der Hüfthöhe bis zur Kreuznaht verlaufende Stickereien aufgewiesen habe.
11 Benetton trat dieser Klage entgegen und beantragte im Wege der Widerklage, gemäß Art. 1 Abs. 2 des Einheitlichen Benelux-Markengesetzes die eingetragenen Marken für ungültig zu erklären, weil die betreffenden Formen durch ihre Schönheit oder ihren originären Charakter weitgehend den Marktwert der Waren bestimmten.
12 Das erstinstanzliche Gericht gab den auf eine Verletzung ihrer Markenrechte gestützten Anträgen von G-Star nicht statt und wies die Widerklage von Benetton ab.
13 Beide Parteien legten Berufung beim Gerechtshof te Amsterdam ein, der der Berufung von G-Star stattgab und den von Benetton gestellten Antrag auf Ungültigerklärung zurückwies.
14 Der Gerechtshof entschied, dass die Rechtbank u. a. zu Recht angenommen habe, dass die Elwood-Hose ein großer Verkaufserfolg sei, dass G-Star intensive Werbekampagnen durchgeführt habe, um diese Hose mit spezifischen Merkmalen als ein Erzeugnis von G-Star bekannt zu machen, und dass folglich die Beliebtheit der Elwood-Hose zu einem großen Teil nicht auf die ästhetische Attraktivität der Form, sondern auf die mit der Bekanntheit der Marke zusammenhängende Anziehungskraft zurückzuführen sei.
15 Durch die umfangreich betriebene Werbung habe G-Star nachhaltig auf die Unterscheidungsmerkmale der Hose und des Kniestücks aufmerksam gemacht.
16 Benetton legte Kassationsbeschwerde beim Hoge Raad der Nederlanden ein, mit der sie diese Beurteilung durch den Gerechtshof beanstandet.
17 Der Hoge Raad führt aus, den angegriffenen Erwägungen in der Entscheidung des Gerechtshofs liege die Auffassung zugrunde, dass der Ausschluss nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Richtlinie einer rechtsgültigen Markeneintragung nicht im Wege stehen dürfe, wenn irgendwann vor der Anmeldung die Attraktivität der Form eine Folge der mit der Bekanntheit der Form als Marke zusammenhängenden Anziehungskraft geworden sei.
18 Der Hoge Raad verweist darauf, dass der Gerichtshof im Urteil vom 18. Juni 2002, Philips (C-299/99, Slg. 2002, I-5475), entschieden habe, dass Zeichen, die gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie von der Eintragung ausgeschlossen seien, nach Art. 3 Abs. 3 dieser Richtlinie durch ihre Benutzung keine Unterscheidungskraft erwerben könnten.
19 Nach Auffassung des Hoge Raad hat der Gerichtshof damit jedoch nicht die sich im Ausgangsverfahren stellende Frage beantwortet, die nicht die Unterscheidungskraft der angegriffenen Marken betreffe.
20 Der Hoge Raad hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen vorgelegt:
1. Ist Art. 3 Abs. 1 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Richtlinie dahin auszulegen, dass der darin enthaltene Ausschlussgrund der Eintragung einer Form als Marke dauerhaft entgegensteht, wenn die Ware von solcher Art ist, dass ihr äußeres Erscheinungsbild und ihre Formgebung durch deren Schönheit oder originären Charakter ausschließlich oder in erheblichem Maße ihren Marktwert bestimmen, oder gilt dieser Ausschlussgrund nicht, wenn vor der Anmeldung die Anziehungskraft der betreffenden Form auf das Publikum überwiegend durch deren Bekanntheit als Unterscheidungsmerkmal bestimmt wurde?
2. Falls Frage 1 im letztgenannten Sinne beantwortet wird: In welchem Ausmaß muss die Anziehungskraft vorherrschend geworden sein, damit der Ausschlussgrund nicht länger gilt?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
21 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 3 Abs. 1 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die Form einer Ware, die dieser einen wesentlichen Wert verleiht, gemäß Art. 3 Abs. 3 dieser Richtlinie gleichwohl als Marke eintragungsfähig ist, wenn sie vor der Anmeldung aufgrund von Werbekampagnen, bei denen die spezifischen Merkmale der betreffenden Ware herausgestellt wurden, durch ihre Bekanntheit als Unterscheidungsmerkmal Anziehungskraft erworben hat.
22 Diese Frage betrifft somit einen Fall, in dem ein Zeichen, das ursprünglich ausschließlich aus einer Form bestand, die der Ware einen wesentlichen Wert verlieh, anschließend und vor der Anmeldung infolge von Werbekampagnen, d. h. aufgrund ihrer Benutzung, Bekanntheit erlangt hat.
23 Sie läuft mit anderen Worten darauf hinaus, ob die vor der Anmeldung liegende Benutzung eines Zeichens im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Richtlinie seine Eintragung als Marke ermöglichen oder - wenn das Zeichen eingetragen ist - deren Ungültigerklärung entgegenstehen kann.
24 Hierzu ist zunächst festzustellen, dass Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie an den Begriff "Unterscheidungskraft eines Zeichens" im Sinne des Art. 2 der Richtlinie anknüpft. Er lässt nämlich seinem Wortlaut nach die Eintragung oder Gültigkeit von Marken im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Buchst. b, c oder d infolge ihrer Benutzung zu, wenn die Marke aufgrund dieser Benutzung vor der Anmeldung "Unterscheidungskraft erworben hat".
25 Sodann verweist Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie bei der Festlegung des Umfangs der darin vorgesehenen Ausnahme nicht auf die Zeichen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. e.
26 Schließlich hat der Gerichtshof in dem erwähnten Urteil Philips bereits entschieden, dass
- eine Form, die nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie von der Eintragung ausgeschlossen ist, in keinem Fall gemäß Abs. 3 dieser Vorschrift eingetragen werden kann (Randnr. 57);
- ein Zeichen, das gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. e von der Eintragung ausgeschlossen ist, nie durch seine Benutzung Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 3 Abs. 3 erlangen kann (Randnr. 75);
- Art. 3 Abs. 1 Buchst. e somit bestimmte Zeichen betrifft, die keine Marke sein können, und von vornherein der Eintragung eines ausschließlich aus der Form einer Ware bestehenden Zeichens entgegensteht, so dass dann, wenn auch nur eines der in dieser Vorschrift genannten Kriterien erfüllt ist, das Zeichen, das ausschließlich aus der Form der Ware besteht, nicht als Marke eingetragen werden kann (Randnr. 76).
27 In einem Fall, wie ihn das vorlegende Gericht darstellt, lässt demnach die Benutzung eines Zeichens im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie durch Werbekampagnen nicht die Anwendung des Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie auf dieses Zeichen zu.
28 Somit ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die Form einer Ware, die dieser einen wesentlichen Wert verleiht, nicht gemäß Art. 3 Abs. 3 dieser Richtlinie als Marke eintragungsfähig ist, wenn sie vor der Anmeldung aufgrund von Werbekampagnen, bei denen die spezifischen Merkmale der betreffenden Ware herausgestellt wurden, durch ihre Bekanntheit als Unterscheidungsmerkmal Anziehungskraft erworben hat.
Zur zweiten Frage
29 In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.
Kostenentscheidung:
Kosten
30 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Tenor:
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 3 Abs. 1 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken ist dahin auszulegen, dass die Form einer Ware, die dieser einen wesentlichen Wert verleiht, nicht gemäß Art. 3 Abs. 3 dieser Richtlinie als Marke eintragungsfähig ist, wenn sie vor der Anmeldung aufgrund von Werbekampagnen, bei denen die spezifischen Merkmale der betreffenden Ware herausgestellt wurden, durch ihre Bekanntheit als Unterscheidungsmerkmal Anziehungskraft erworben hat.
Ende der Entscheidung
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