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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 07.07.2005
Aktenzeichen: C-373/03
Rechtsgebiete: Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980


Vorschriften:

Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 Art. 6
Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 Art. 7
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 7. Juli 2005. - Ceyhun Aydinli gegen Land Baden-Württemberg. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Verwaltungsgericht Freiburg - Deutschland. - Assoziierungsabkommen EWG-Türkei - Freizügigkeit der Arbeitnehmer - Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates - Artikel 6 und 7 - Strafrechtliche Verurteilung - Freiheitsstrafe - Auswirkung auf das Aufenthaltsrecht. - Rechtssache C-373/03.

Parteien:

In der Rechtssache C-373/03

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Verwaltungsgericht Freiburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 12. März 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 5. September 2003, in dem Verfahren

Ceyhun Aydinli

gegen

Land Baden-Württemberg

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter R. Schintgen (Berichterstatter) und P. Kris,

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- des Landes Baden-Württemberg, vertreten durch I. Karrais als Bevollmächtigte,

- der deutschen Regierung, vertreten durch A. Tiemann als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch G. Rozet und H. Kreppel als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 6 und 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: Beschluss Nr. 1/80). Der Assoziationsrat wurde durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichtet, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnet und durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde.

2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem türkischen Staatsangehörigen Aydinli und dem Land Baden-Württemberg wegen eines Verfahrens zur Ausweisung aus Deutschland.

Rechtlicher Rahmen

3. Artikel 6 Absätze 1 und 2 des Beschlusses Nr. 1/80 bestimmt:

(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat

- nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

- nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaats eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;

- nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.

4. Artikel 7 des Beschlusses lautet:

Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,

- haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;

- haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.

Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war.

5. Artikel 14 Absatz 1 des Beschlusses bestimmt:

Dieser Abschnitt gilt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

6. Nach den Verfahrensakten wurde Herr Aydinli 1974 in Deutschland geboren. Von 1980 bis 1989 lebte er bei seinen Großeltern in der Türkei, wo er die Schule besuchte. Im September 1989 erhielt er die Genehmigung, zu seinen Eltern nach Deutschland zu ziehen, wo er eine Berufsausbildung absolvierte. Von Januar 1995 bis September 2000 war er dort bei demselben Arbeitgeber beschäftigt, und seit Juni 1995 ist er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis für diesen Mitgliedstaat.

7. Wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge wurde der Betroffene am 27. September 2000 vorläufig festgenommen, in Untersuchungshaft genommen und am 31. Mai 2001 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, auf die die Untersuchungshaft angerechnet wurde.

8. Nachdem Herr Aydinli einen Teil seiner Strafe verbüßt hatte, wurde die Vollstreckung vom 2. Oktober 2001 an zurückgestellt, damit er eine Langzeitdrogentherapie absolvieren konnte, die er am 16. Juli 2002 erfolgreich beendete. Mit Gerichtsbeschluss vom 6. November 2002 wurde die Zeit der Drogentherapie auf die Freiheitsstrafe angerechnet und die Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt.

9. Seit der Beendigung der Drogentherapie arbeitet Herr Aydinli bei seinem Vater in Deutschland.

10. Mit Bescheid vom 16. August 2001 wiesen die deutschen Behörden Herrn Aydinli aus. Gegen diesen Bescheid erhob der Betroffene am 20. September 2001 Anfechtungsklage.

11. Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass die Ausweisungsverfügung nach nationalem Recht rechtmäßig sei, wonach ein Ausländer, der wegen einer Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, zwingend auszuweisen ist; das Gericht fragt sich aber, ob diese Ausweisungsmaßnahme mit dem Beschluss Nr. 1/80 im Einklang stehe.

12. Nach ständiger Rechtsprechung stehe nämlich Artikel 14 Absatz 1 dieses Beschlusses der Regelausweisung eines türkischen Staatsangehörigen entgegen, die aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung zum Zweck der Abschreckung anderer Ausländer verfügt werde, ohne dass das persönliche Verhalten des Betroffenen konkreten Anlass zu der Annahme gebe, dass er weitere schwere Straftaten begehen werde, die die öffentliche Ordnung im Aufnahmestaat stören könnten (Urteil vom 10. Februar 2000 in der Rechtssache C340/97, Nazli, Slg. 2000, I957).

13. Das vorlegende Gericht ist insoweit überzeugt davon, dass von Herr Aydinli bei Erlass der Ausweisungsverfügung keine konkrete Gefahr mehr ausgegangen sei, dass er auch zukünftig wieder Straftaten begehen werde.

14. Bevor jedoch Artikel 14 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 im Ausgangsverfahren Anwendung finden könne, müsse geklärt werden, inwieweit sich der Betroffene auf ein Recht berufen könne, das ihm durch eine Bestimmung dieses Beschlusses und insbesondere durch dessen Artikel 6 oder 7 eingeräumt werde.

15. Zwar habe Herr Aydinli als türkischer Arbeitnehmer, der mehr als vier aufeinander folgende Jahre ordnungsgemäß beschäftigt gewesen sei, den in Artikel 6 Absatz 1 dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 vorgesehenen Status erworben. Außerdem habe er als Kind eines dem regulären Arbeitsmarkt in einem Mitgliedstaat angehörenden türkischen Arbeitnehmers, bei dem er mindestens fünf Jahre lang seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz gehabt habe, und weil er in diesem Staat eine Berufsausbildung abgeschlossen habe, die Rechte aus Artikel 7 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich und Absatz 2 des Beschlusses gehabt.

16. Fraglich sei aber, ob Herr Aydinli diese Rechte zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung aufgrund seiner langen Abwesenheit vom Arbeitsmarkt verloren habe, die zunächst durch seine Untersuchungshaft vom 27. September 2000 bis 3. Juli 2001, dann durch die Vollstreckung seiner Freiheitsstrafe vom 4. Juli 2001 bis 1. Oktober 2001 und schließlich durch seine Drogentherapie vom 2. Oktober 2001 bis 16. Juli 2002 verursacht worden sei.

17. Da das Verwaltungsgericht Freiburg der Auffassung ist, dass die Entscheidung des Rechtsstreits eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts erforderlich mache, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Kann die durch die Vollstreckung einer zeitigen Freiheitsstrafe begründete Abwesenheit eines türkischen Arbeitnehmers vom regulären Arbeitsmarkt dazu führen, dass er aus diesem ausscheidet und dadurch seine durch die langjährige Beschäftigung im Mitgliedstaat nach Artikel 6 Absatz 1 3. Spiegelstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.9.1980 über die Entwicklung der Assoziation - Beschluss Nr. 1/80 - erworbenen Rechte verliert?

2. Wie bestimmt sich gegebenenfalls der Zeitraum der anspruchsvernichtenden Abwesenheit vom Arbeitsmarkt aufgrund der Vollstreckung der Freiheitsstrafe?

3. Kann bei der Bestimmung dieses Zeitraums auch die Zeit der Abwesenheit des türkischen Arbeitnehmers berücksichtigt werden, die durch die Anordnung der unmittelbar der Vollstreckung der Freiheitsstrafe vorangegangenen Untersuchungshaft verursacht war?

4. Kann bei der Bestimmung dieses Zeitraums auch berücksichtigt werden, dass der Kläger im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung voraussichtlich noch für längere Zeit vom Arbeitsmarkt fernbleiben wird, weil er ohne die Ausweisungsentscheidung mit hoher Wahrscheinlichkeit - unter Zurückstellung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe - eine seiner sozialen und beruflichen Rehabilitation dienende Langzeitdrogentherapie antreten kann und insoweit auch hinreichende Erfolgsaussichten bestehen?

5. Bedarf es für den Wegfall der Rechtsstellung eines Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers nach Artikel 7 Satz 1 2. Spiegelstrich des Beschlusses Nr. 1/80 sowohl der Auflösung einer familiären Gemeinschaft des Familienangehörigen mit dem türkischen Arbeitnehmer, von dem er sein Aufenthaltsrecht ursprünglich abgeleitet hat, als auch eines endgültigen Ausscheidens dieses Familienangehörigen aus dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedstaats, in welchem beide leben?

6. Ist eine in diesem Sinne relevante Auflösung der familiären Gemeinschaft regelmäßig in den Fällen gegeben, in denen das volljährige Kind des türkischen Arbeitnehmers dauerhaft aus dessen Wohnung auszieht und weder er noch der türkische Arbeitnehmer einer besonderen Nähe und Fürsorge mehr bedürfen?

7. Ist ein in Bezug auf die Rechtsstellung eines Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers nach Artikel 7 Satz 1 2. Spiegelstrich des Beschlusses Nr. 1/80 relevantes Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt nach den gleichen Kriterien zu bestimmen wie im Zusammenhang mit dem Verlust der Rechte aus Artikel 6 Absatz 1 3. Spiegelstrich dieses Beschlusses?

8. Verliert das Kind eines türkischen Arbeitnehmers, das im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen hat, sein Recht nach Artikel 7 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80, sich in dem betreffenden Mitgliedstaat auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn es bereits durch die dauerhafte Aufnahme einer Beschäftigung in den dortigen Arbeitsmarkt eingetreten war?

9. Geht dieses Recht aus Artikel 7 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 verloren, wenn der Berechtigte in einer Weise aus dem regulären Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaates ausgeschieden ist, die zu einem Verlust der Rechtsposition eines türkischen Arbeitnehmers nach Artikel 6 Absatz 1 3. Spiegelstrich dieses Beschlusses führen würde?

Zu den Vorlagefragen

Vorbemerkung

18. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Ausgangsverfahren den Fall eines türkischen Staatsangehörigen betrifft, der als Kind zugewanderter türkischer Eheleute, von denen zumindest einer dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, nach Artikel 7 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 die Genehmigung erhalten hatte, zum Zweck der Familienzusammenführung zu ihnen in diesen Staat zu ziehen. Das vorlegende Gericht hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass der Betroffene nach dem zweiten Gedankenstrich dieser Bestimmung ein Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis habe, weil er mindestens fünf Jahre lang seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat gehabt habe.

19. Ferner gilt Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen [eines türkischen Arbeitnehmers] zur Beschäftigung. Diese Bestimmungen sind somit lex specialis im Verhältnis zu den nach Maßgabe der Dauer der Ausübung einer ordnungsgemäßen Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis schrittweise erweiterten Rechte, die unter den drei Gedankenstrichen des Artikels 6 Absatz 1 festgelegt sind.

20. Zu prüfen sind daher zunächst die fünfte, die sechste und die siebte Frage nach der Auslegung von Artikel 7 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80.

Zur fünften, zur sechsten und zur siebten Frage

21. Diese Fragen gehen alle dahin, ob ein türkischer Staatsangehöriger wie Herr Aydinli, der nach Artikel 7 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 im Aufnahmemitgliedstaat ein Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis erworben hat, dieses Recht verlieren kann, weil er zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, deren Vollstreckung ursprünglich nicht zur Bewährung ausgesetzt war, zum Teil aber durch die Verpflichtung ersetzt wurde, eine Langzeitdrogentherapie zu absolvieren.

22. Um hierauf eine sachdienliche Antwort zu geben, ist erstens an die Rechtsprechung zu erinnern, nach der Artikel 7 Absatz 1 den Fall eines türkischen Staatsangehörigen erfasst, der als Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats angehört oder angehört hat, entweder die Genehmigung erhalten hat, zum Zweck der Familienzusammenführung dorthin zu diesem Arbeitnehmer zu ziehen, oder der im Aufnahmemitgliedstaat geboren ist und stets dort gelebt hat. Der Anwendbarkeit dieser Bestimmung auf diese Art von Fällen steht nicht entgegen, dass der Betroffene zum streitigen Zeitpunkt volljährig ist und nicht mehr in häuslicher Gemeinschaft mit seiner Familie zusammenlebt, sondern im betreffenden Mitgliedstaat ein vom Arbeitnehmer unabhängiges Leben führt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. März 2000 in der Rechtssache C329/97, Ergat, Slg. 2000, I1487, Randnrn. 26 und 27, sowie vom 11. November 2004 in der Rechtssache C467/02, Cetinkaya, Slg. 2004, I-0000, Randnr. 34).

23. Ein solcher türkischer Staatsangehöriger verliert daher ein nach dieser Bestimmung erworbenes Recht nicht deshalb, weil Umstände der in der vorstehenden Randnummer genannten Art eintreten. Zudem soll das Recht der Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers, nach einer gewissen Zeit Zugang zu einer Beschäftigung im Aufnahmemitgliedstaat zu haben, gerade ihre Stellung in diesem Staat festigen, indem ihnen die Möglichkeit gegeben wird, unabhängig zu werden.

24. Darüber hinaus verlangt zwar Artikel 7 Absatz 1 erster Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 grundsätzlich, dass der Familienangehörige eines türkischen Arbeitnehmers mit diesem während des Zeitraums von drei Jahren, in denen der Betroffene selbst nicht die Voraussetzungen für einen Zugang zum Arbeitsmarkt im Aufnahmemitgliedstaat erfüllt, eine tatsächliche Lebensgemeinschaft führt (vgl. Urteile vom 17. April 1997 in der Rechtssache C351/95, Kadiman, Slg. 1997, I2133, Randnrn. 33, 37, 40, 41 und 44, sowie Cetinkaya, Randnr. 30), doch sind die Mitgliedstaaten nicht befugt, den Aufenthalt eines Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers auch noch nach Ablauf dieses Dreijahreszeitraums von Voraussetzungen abhängig zu machen; das gilt erst recht für einen türkischen Migranten, der die Voraussetzungen des Artikels 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich erfüllt (vgl. Urteile Ergat, Randnrn. 37 bis 39, und Cetinkaya, Randnr. 30).

25. Der Gerichtshof hat insoweit bezüglich der in Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 genannten Familienangehörigen, die wie Herr Aydinli nach fünfjährigem ordnungsgemäßem Wohnsitz gemäß dem zweiten Gedankenstrich dieser Bestimmung ein Recht auf freien Zugang zur Beschäftigung im Aufnahmemitgliedstaat erworben haben, entschieden, dass aus der unmittelbaren Wirkung dieser Bestimmung nicht nur folgt, dass die Betroffenen hinsichtlich der Beschäftigung ein individuelles Recht unmittelbar aus dem Beschluss Nr. 1/80 herleiten können, sondern dass die praktische Wirksamkeit dieses Rechts außerdem zwangsläufig die Existenz eines entsprechenden Aufenthaltsrechts voraussetzt, das vom Fortbestehen der Voraussetzungen für den Zugang zu diesen Rechten unabhängig ist (vgl. Urteile Ergat, Randnr. 40, und Cetinkaya, Randnr. 31, sowie entsprechend Urteil vom heutigen Tag in der Rechtssache C383/03, Dogan, Slg. 2005, I-0000, Randnr. 14).

26. Folglich kann der Umstand, dass die Voraussetzung für die Gewährung des fraglichen Rechts, im vorliegenden Fall die während einer gewissen Dauer bestehende Lebensgemeinschaft mit dem türkischen Arbeitnehmer, nicht mehr vorliegt, nachdem der Familienangehörige dieses Arbeitnehmers das in Rede stehende Recht erworben hat, dieses Recht nicht in Frage stellen.

27. Zweitens ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass das Aufenthaltsrecht als Folge des Rechts auf Zugang zum Arbeitsmarkt und auf die tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung, das den Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers zusteht, die die Voraussetzungen des Artikels 7 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 erfüllen, in zwei Fällen Beschränkungen unterliegt. Entweder gefährdet gemäß Artikel 14 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 der Aufenthalt des türkischen Migranten im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats durch das persönliche Verhalten des Betroffenen die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit tatsächlich und schwerwiegend, oder der Betroffene hat das Hoheitsgebiet dieses Staates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen (vgl. in diesem Sinne Urteile Ergat, Randnrn. 45, 46 und 48, sowie Cetinkaya, Randnr. 36).

28. Dagegen lässt es Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 nicht zu, dass die Rechte, die einem türkischen Staatsangehörigen in der Lage von Herrn Aydinli durch diese Bestimmung verliehen werden, nach einer Verurteilung zu einer - auch mehrjährigen - Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zunächst nicht zur Bewährung ausgesetzt war und an die eine Langzeitdrogentherapie anschließt, wegen der längeren Abwesenheit dieses Staatsangehörigen vom Arbeitsmarkt beschränkt werden (vgl. entsprechend Urteil Cetinkaya, Randnr. 39).

29. Die in der vorstehenden Randnummer dargestellte Auslegung ist insbesondere deswegen geboten, weil im Unterschied zu Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80, der die türkischen Arbeitnehmer betrifft, die Entstehung der Beschäftigungsrechte der Familienangehörigen eines solchen Arbeitnehmers nach Artikel 7 Absatz 1 dieses Beschlusses nicht davon abhängt, dass diese Familienangehörigen dem regulären Arbeitsmarkt des betreffenden Staates angehören und während einer bestimmten Dauer eine Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausüben, sondern lediglich davon, dass die Betroffenen während einer Anfangszeit von drei Jahren ihren Wohnsitz tatsächlich bei dem Arbeitnehmer haben, von dem sie ihre Rechte ableiten. Zudem gewährt Artikel 7 Absatz 1 erster und zweiter Gedankenstrich den Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers Zugang zu einer Beschäftigung, erlegt ihnen jedoch keine Verpflichtung auf, eine Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis auszuüben, wie sie in Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses vorgesehen ist.

30. Daraus folgt zum einen, dass die Bestimmungen von Artikel 6 Absatz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 im Rahmen des Artikels 7 des Beschlusses auf keinen Fall anwendbar sind. Nur für die Zwecke der Berechnung der für die Entstehung der Rechte aus Artikel 6 Absatz 1 erforderlichen Beschäftigungszeiten sieht nämlich Artikel 6 Absatz 2 vor, dass sich verschiedene Fälle der Unterbrechung der Arbeit auf diese Berechnung auswirken (vgl. Urteil Dogan, Randnr. 15).

31. Zum anderen ergibt sich daraus, dass der Familienangehörige eines türkischen Arbeitnehmers, der die Voraussetzungen des Artikels 7 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 erfüllt und eine Beschäftigung im Aufnahmemitgliedstaat ausüben möchte, nicht verpflichtet ist, die strengeren Voraussetzungen zu erfüllen, die insoweit in Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses aufgestellt sind (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 19. November 1998 in der Rechtssache C210/97, Akman, Slg. 1998, I7519, Randnrn. 48 bis 50).

32. Nach alledem ist auf die fünfte, die sechste und die siebte Frage zu antworten, dass ein türkischer Staatsangehöriger, der nach Artikel 7 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 im Aufnahmemitgliedstaat ein Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis erworben hat, dieses Recht weder deswegen verliert, weil er aufgrund einer - auch mehrjährigen - Inhaftierung und anschließenden Langzeitdrogentherapie länger vom Arbeitsmarkt abwesend ist, noch deswegen, weil er zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung volljährig war und seinen Wohnsitz nicht mehr bei dem türkischen Arbeitnehmer hatte, von dem er sein Aufenthaltsrecht ursprünglich abgeleitet hat, sondern ein von diesem unabhängiges Leben führte.

Zur ersten bis vierten Frage sowie zur achten und neunten Frage

33. Angesichts der Antwort auf die fünfte, die sechste und die siebte Frage sind die übrigen Fragen nicht mehr zu beantworten.

Kosten

34. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

Ein türkischer Staatsangehöriger, der nach Artikel 7 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation, der von dem aufgrund des Abkommens über eine Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei eingesetzten Assoziationsrat erlassen wurde, im Aufnahmemitgliedstaat ein Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis hat, verliert dieses Recht weder deswegen, weil er aufgrund einer - auch mehrjährigen - Inhaftierung und anschließenden Langzeitdrogentherapie länger vom Arbeitsmarkt abwesend ist, noch deswegen, weil er zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung volljährig war und seinen Wohnsitz nicht mehr bei dem türkischen Arbeitnehmer hatte, von dem er sein Aufenthaltsrecht ursprünglich abgeleitet hat, sondern ein von diesem unabhängiges Leben führte.

Ende der Entscheidung

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