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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 09.09.1999
Aktenzeichen: C-374/97
Rechtsgebiete: Richtlinie 85/73/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 85/73/EWG Art. 2 Abs. 3
Richtlinie 85/73/EWG Anhang Kapitel I Nr. 1
Richtlinie 85/73/EWG Anhang Kapitel I Nr. 4 Buchst. b
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Hat ein Mitgliedstaat die Richtlinie 85/73 über die Finanzierung der Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch und Gefluegelfleisch in der Fassung der Richtlinie 93/118 innerhalb der vorgeschriebenen Frist nicht umgesetzt, so kann ein einzelner sich der Erhebung von höheren Gebühren als den im Anhang Kapitel I Nummer 1 festgesetzten Pauschalbeträgen nicht widersetzen, sofern diese Gebühren die tatsächlich entstandenen Kosten nicht überschreiten.

Ein Mitgliedstaat kann von der ihm durch den Anhang Kapitel I Nummer 4 Buchstabe b der Richtlinie eingeräumten Befugnis, eine spezifische Gebühr zu erheben, die die in Kapitel I Nummer 1 festgelegten Pauschalbeträge übersteigt, ohne weitere Voraussetzungen unter dem alleinigen Vorbehalt Gebrauch machen, daß die spezifische Gebühr die tatsächlich entstandenen Kosten nicht überschreitet.

Hat ein Mitgliedstaat die Befugnis zur Erhebung der Gebühren für Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch den kommunalen Behörden übertragen, so darf er nach Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie bis zur Höhe der der zuständigen kommunalen Behörde tatsächlich entstandenen Untersuchungskosten höhere Gebühren als die Gemeinschaftsgebühren erheben.


Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 9. September 1999. - Anton Feyrer gegen Landkreis Rottal-Inn. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof - Deutschland. - Richtlinie 85/73/EWG - Gebühren für Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch - Unmittelbare Wirkung. - Rechtssache C-374/97.

Entscheidungsgründe:

1 Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluß vom 20. Oktober 1997, beim Gerichtshof eingegangen am 3. November 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) drei Fragen nach der Auslegung des Artikels 2 Absatz 3 sowie des Anhangs Kapitel I Nummern 1 und 4 Buchstabe b der Richtlinie 85/73/EWG des Rates vom 29. Januar 1985 über die Finanzierung der Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch und Gefluegelfleisch (ABl. L 32, S. 14) in der Fassung der Richtlinie 93/118/EG des Rates vom 22. Dezember 1993 (ABl. L 340, S. 15, Berichtigung ABl. 1994, L 280, S. 91; im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Anton Feyrer (im folgenden: Kläger) und dem Landkreis Rottal-Inn (im folgenden: Landkreis) über die Höhe der Gebühren, die der Landkreis gegenüber dem Kläger für Untersuchungen und Hygienekontrollen festgesetzt hat, die 1995 von den Dienststellen des Landkreises in der von dem Kläger betriebenen Metzgerei durchgeführt worden waren.

Der gemeinschaftsrechtliche Rahmen

3 Nach Artikel 1 Absatz 1 erster Gedankenstrich der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen, daß für die Kosten, die durch die von verschiedenen Gemeinschaftsrichtlinien erfassten veterinär- und hygienerechtlichen Kontrollen entstehen, eine Gemeinschaftsgebühr erhoben wird.

4 Artikel 1 Absatz 2 bestimmt: "Die Gebühren gemäß Absatz 1 werden in der Weise festgelegt, daß sie die Kosten decken, die die zuständige Behörde in Form von

- Löhnen und Gehältern einschließlich Sozialabgaben,

- Verwaltungskosten, denen noch die Kosten der Fortbildung des Untersuchungspersonals hinzugerechnet werden können,

für die Durchführung der Kontrollen im Sinne des Absatzes 1 zu tragen hat."

5 Artikel 2 der Richtlinie sieht vor:

"(1) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, daß zur Finanzierung der von den zuständigen Behörden durchgeführten Kontrollen gemäß den in Artikel 1 genannten Richtlinien und nur zu diesem Zweck folgende Gebühren erhoben werden:

- für Fleisch gemäß den Richtlinien 64/433/EWG, 71/118/EWG und 72/462/EWG ab 1. Januar 1994 die Gemeinschaftsgebühren gemäß den im Anhang festgelegten Modalitäten;

-...

...

(3) Die Mitgliedstaaten können einen höheren Betrag als die Gemeinschaftsgebühren erheben, sofern die erhobene Gesamtgebühr die tatsächlichen Untersuchungskosten nicht überschreitet.

(4) Die Gemeinschaftsgebühren treten an die Stelle jeder anderen Abgabe oder Gebühr, die von den staatlichen, regionalen oder kommunalen Behörden der Mitgliedstaaten für die Untersuchungen und Kontrollen gemäß Artikel 1 und die Ausstellung der entsprechenden Bescheinigung erhoben wird...

..."

6 Im Anhang der Richtlinie ist in Kapitel I ("Fleisch im Sinne der Richtlinien 64/433/EWG und 71/118/EWG") Nummer 1 vorgesehen, daß die Mitgliedstaaten unbeschadet der Anwendung der Nummern 4 und 5 für Untersuchungskosten im Zusammenhang mit Schlachttätigkeiten die in dieser Nummer 1 festgesetzten Pauschalbeträge sowie einen Gebührenanteil für Verwaltungsgebühren und für die Rückstandsuntersuchung erheben.

7 In Kapitel I Nummer 4 des Anhangs der Richtlinie wird bestimmt:

"Die Mitgliedstaaten können zur Deckung höherer Kosten

a) die unter Nummer 1 und Nummer 2 Buchstabe a) vorgesehenen Pauschalbeträge für bestimmte Betriebe anheben.

Als Voraussetzungen hierfür können - ausser der in Nummer 5 Buchstabe a) genannten Voraussetzung - gelten:

- erhöhter Untersuchungsaufwand durch besondere Uneinheitlichkeit der Schlachttiere hinsichtlich Alter, Grösse, Gewicht und Gesundheitszustand;

- erhöhte Warte- und sonstige Ausfallzeiten für das Untersuchungspersonal infolge unzureichender betrieblicher Vorausplanung der Schlachttieranlieferungen oder wegen technischer Unzulänglichkeiten und Ausfälle, z. B. in älteren Betrieben;

- häufige Verzögerungen bei der Durchführung der Schlachtungen, z. B. infolge nicht ausreichenden Schlachtpersonals und dadurch verminderter Auslastung des Untersuchungspersonals;

- Mehraufwand durch besondere Wegezeiten;

- zeitlicher Mehraufwand durch häufig wechselnde, vom Untersuchungspersonal nicht beeinflußbare Schlachtzeiten;

- häufige Unterbrechungen des Schlachtablaufs durch erforderliche Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen;

- Untersuchung der Tiere, die auf Verlangen des Eigentümers ausserhalb der normalen Schlachtzeiten geschlachtet werden.

Die Höhe der Aufschläge auf die pauschale Leitgebühr ist abhängig von der Höhe der zu deckenden Kosten;

b) oder eine spezifische Gebühr erheben, die die tatsächlichen Kosten deckt."

8 Durch Artikel 2 der Richtlinie 93/118 wurde die Entscheidung 88/408/EWG des Rates vom 15. Juni 1988 über die Beträge der für die Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch zu erhebenden Gebühren gemäß der Richtlinie 85/73 (ABl. L 194, S. 24), die der Rat aufgrund von Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 85/73 erlassen hatte, mit Wirkung vom 1. Januar 1994 aufgehoben.

9 Durch Artikel 2 Absatz 1 der genannten Entscheidung waren durchschnittliche Pauschalbeträge für die Gebühren für die verschiedenen betroffenen Tierarten festgelegt worden. Jedoch hatten nach Artikel 2 Absatz 2 Unterabsatz 1 "die Mitgliedstaaten, in denen die Lohnkosten, die Struktur der Betriebe und das Verhältnis zwischen Tierärzten und Fleischbeschauern von dem Gemeinschaftsdurchschnitt, der für die Berechnung der in Absatz 1 festgesetzten Pauschalbeträge festgelegt wurde, abweichen, die Pauschalbeträge auf den Stand der tatsächlichen Untersuchungskosten senken bzw. anheben" können.

10 Nach Artikel 2 Absatz 2 Unterabsatz 2 hatten die Mitgliedstaaten, die die in Unterabsatz 1 vorgesehenen Ausnahmeregelung in Anspruch nahmen, von den im Anhang der Entscheidung 88/408 genannten Grundsätzen auszugehen. In diesem Anhang war in Nummer 2 Absatz 1 bestimmt, daß die Mitgliedstaaten nach Artikel 2 Absatz 2 der Entscheidung zur Deckung höherer Kosten die pauschale Leitgebühr anheben können. Die beispielshalber in dieser Nummer 2 Absatz 2 genannten Voraussetzungen waren im wesentlichen mit den in Nummer 4 Buchstabe a des Anhangs der Richtlinie genannten identisch.

11 Gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 93/118 haben die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, um der Richtlinie spätestens am 31. Dezember 1993 hinsichtlich der Anforderungen des Anhangs und des Artikels 5 und spätestens am 31. Dezember 1994 hinsichtlich der anderen Bestimmungen nachzukommen.

Der nationale rechtliche Rahmen

12 In Deutschland werden für Amtshandlungen nach dem Fleischhygienegesetz (FlHG) kostendeckende Gebühren und Auslagen erhoben. Die Amtshandlungen werden durch Landesrecht bestimmt, im vorliegenden Fall durch das Bayerische Gesetz zur Ausführung des Fleischhygienegesetzes (AGFlHG) vom 24. August 1990 (GVBl. S. 336). Durch das AGFlHG werden u. a. die Landkreise dazu ermächtigt, die kostenpflichtigen Tatbestände für ihr Gebiet durch Satzung zu bestimmen. Darauf gestützt hat der Landkreis Rottal-Inn die Satzung über die Erhebung von Gebühren und Auslagen für Amtshandlungen im Vollzug fleischhygienischer Vorschriften vom 20. August 1997 (ABl. des Landkreises Rottal-Inn 1997, S. 123) (im folgenden: Satzung) erlassen, die rückwirkend zum 1. Januar 1994 in Kraft getreten ist.

13 § 24 FlHG in der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung vom 18. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2022) bestimmt in § 24:

"(1) Für die Amtshandlungen nach diesem Gesetz und den zur Durchführung dieses Gesetzes erlassenen Rechtsvorschriften werden kostendeckende Gebühren und Auslagen erhoben.

(2) Die nach Abs. 1 kostenpflichtigen Tatbestände werden durch Landesrecht bestimmt. Die Gebühren sind nach Maßgabe der Richtlinie 85/73/EWG des Rates vom 29. Januar 1985 über die Finanzierung der Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch und Gefluegelfleisch (ABl. EG Nr. L 32, S. 14) und der aufgrund dieser Richtlinie erlassenen Rechtsakte der Organe der Europäischen Gemeinschaften zu bemessen..."

14 Artikel 3 AGFlGH sieht folgendes vor:

"(1) Die Landkreise, kreisfreien Gemeinden und kreisangehörigen Gemeinden tragen die Aufwendungen, die in Erfuellung der Aufgaben anfallen, die ihnen durch eine Verordnung aufgrund von Artikel 1 Abs. 2 Nr. 2 dieses Gesetzes übertragen wurden; dies gilt auch, wenn diese Gebietskörperschaften Einfuhruntersuchungsstellen betreiben.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 bestimmen die Landkreise, kreisfreien Gemeinden und kreisangehörigen Gemeinden durch Satzung für ihr Gebiet einheitlich die kostenpflichtigen Tatbestände für Amtshandlungen im Sinne von § 24 Abs. 1 FlHG sowie für ihr Gebiet einheitlich und gesondert von den Gebühren für die Schlachthofbenutzung die kostendeckenden Gebühren nach Maßgabe des § 24 Absatz 2 FlHG.

..."

15 § 1 der Satzung, der die Überschrift "Gebührenpflichtige Tatbestände" trägt, bestimmt:

"(1) Für die Amtshandlungen nach dem Fleischhygienegesetz... und der Fleischhygiene-Verordnung... werden Gebühren nach dieser Satzung erhoben. Die festgelegten Gebühren umfassen auch die Auslagen.

(2) Eine Gebührenpflicht entsteht für 1. die Durchführung der amtlichen Untersuchungen, 2. die Überwachung im Zerlegungsbetrieb, 3. die Überwachung im Fleischverarbeitungsbetrieb, 4. die Überwachung in einem Kühl- oder Gefrierhaus.

Eine Gebührenpflicht entsteht ferner für

1. die Aufsicht über eine zugelassene Kältebehandlung, 2. das Ausstellen einer Genusstauglichkeitsbescheinigung.

(3) Eine gesonderte Gebühr fällt für die endgültige Beurteilung und Kennzeichnung nicht an."

16 In § 2 der Satzung wird die Höhe der Gebühren festgesetzt.

Sachverhalt und Ausgangsverfahren

17 Gegenüber dem Kläger, der im Bereich des Landkreises eine Metzgerei betreibt und selbst Schlachtungen durchführt, wurde für die von den Dienststellen des Landkreises 1995 durchgeführten Untersuchungen und Hygienekontrollen von Fleisch ein aufgrund der Satzung berechneter Bescheid über die Zahlung von Gebühren erlassen, die über die im Anhang Kapitel I Nummer 1 der Richtlinie festgelegten Pauschalbeträge hinausgingen. Der Kläger bestritt zwar nicht, daß die ihm auferlegten Gebühren den dem Landkreis tatsächlich entstandenen Untersuchungskosten entsprechen, er machte aber geltend, daß sie dem Gemeinschaftsrecht widersprächen, und forderte ihre Herabsetzung auf die durch die Richtlinie festgelegten Pauschalbeträge.

18 Der Landkreis entgegnete, die Richtlinie lasse die Erhebung von Gebühren zu, die den tatsächlichen Kosten der Untersuchungen entsprächen, wenn die Pauschalbeträge unter den den betreffenden Behörden tatsächlich entstandenen Kosten blieben. Er machte insbesondere geltend, daß durch die Richtlinie keine möglichst weitgehende Vereinheitlichung der in der Europäischen Gemeinschaft für Untersuchungen erhobenen Gebühren hätte erreicht, sondern Wettbewerbsverzerrungen durch zu niedrig angesetzte Gebühren hätten verhindert werden sollen.

19 Der Rechtsstreit zwischen den beiden Parteien ist in der Berufung beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof anhängig. Da dieser der Auffassung ist, daß das Verfahren Fragen der Auslegung des Gemeinschaftsrechts aufwerfe, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende drei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Kann sich ein einzelner der Erhebung von höheren Gebühren als den Pauschalbeträgen der Nummer 1 des Anhangs zu Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 85/73/EWG des Rates in der Fassung der Richtlinie 93/118/EG des Rates widersetzen, wenn der Mitgliedstaat die Richtlinie 93/118/EWG nicht innerhalb der Umsetzungsfrist umgesetzt hat?

2. Kann ein Mitgliedstaat ohne weitere Voraussetzungen unter Berufung auf Nummer 4 Buchstabe b des Anhangs zu Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 85/73/EWG des Rates in der Fassung der Richtlinie 93/118/EG höhere Gebühren als die Pauschalbeträge erheben, solange die erhobenen Gebühren die tatsächlichen Kosten nicht überschreiten?

3. Ist die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Erhebung eines höheren Betrages als die Gemeinschaftsgebühren gemäß Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie 85/73/EWG des Rates in der Fassung der Richtlinie 93/118/EG von der im gesamten Mitgliedstaat erhobenen Gesamtgebühr und den im gesamten Mitgliedstaat tatsächlich entstehenden Untersuchungskosten abhängig, oder reicht es, wenn der Mitgliedstaat den kommunalen Behörden die Befugnis zur Erhebung der Gebühren übertragen hat, aus, daß die von der jeweiligen kommunalen Behörde erhobene Gesamtgebühr die tatsächlichen Untersuchungskosten dieser Behörde nicht überschreitet?

Zur ersten Frage

20 Die erste Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob ein einzelner sich der Erhebung von höheren Gebühren als den Pauschalbeträgen des Anhangs Kapitel I Nummer 1 der Richtlinie widersetzen kann.

21 Nach ständiger Rechtsprechung (siehe u. a. Urteil vom 24. September 1998 in der Rechtssache C-76/97, Tögel, Slg. 1998, I-5357, Randnr. 42) kann sich der einzelne in all den Fällen, in denen Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen, wenn der Staat die Richtlinie nicht fristgemäß oder nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umsetzt.

22 In diesem Zusammenhang ist vorab darauf hinzuweisen, daß das nationale Gericht in seinem Vorlagebeschluß ausdrücklich festgestellt hat, daß die Richtlinie zu der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit noch nicht in deutsches Recht umgesetzt gewesen sei und daß weder § 24 Absatz 2 FlHG in seiner zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung noch Artikel 3 Absatz 2 AGFlHG als eine solche Umsetzung angesehen werden könnten.

23 Es ist folglich zu prüfen, ob die streitigen Vorschriften der Richtlinie inhaltlich als unbedingt und als so genau erscheinen, daß ein einzelner sich gegenüber dem Staat auf sie berufen kann.

24 Der Gerichtshof hat in bezug auf die Entscheidung 88/408, an deren Stelle die Richtlinie getreten ist, bereits entschieden, daß die Tatsache allein, daß eine Entscheidung es den Mitgliedstaaten, an die sie gerichtet ist, erlaubt, von klaren und genauen Bestimmungen dieser Entscheidung abzuweichen, diesen Bestimmungen nicht die unmittelbare Wirkung nehmen kann und daß insbesondere derartige Bestimmungen unmittelbare Wirkung haben können, wenn die Inanspruchnahme der insoweit eingeräumten Abweichungsmöglichkeiten einer gerichtlichen Nachprüfung zugänglich ist (Urteil vom 10. November 1992 in der Rechtssache C-156/91, Hansa Fleisch Ernst Mundt, Slg. 1992, I-5567, Randnr. 15).

25 Unter diesen Voraussetzungen hat der Gerichtshof entschieden, daß die Tatsache, daß den Mitgliedstaaten durch Artikel 2 Absatz 2 der Entscheidung 88/408 die Möglichkeit eingeräumt worden war, unter dem Vorbehalt, daß die im Anhang der Entscheidung genannten Voraussetzungen beachtet werden, von den in Artikel 2 Absatz 1 der Entscheidung festgesetzten Pauschalbeträge der Gebühr nach oben abzuweichen, der letztgenannten Bestimmung nicht die unmittelbare Wirkung nehmen kann (Urteil Hansa Fleisch Ernst Mundt, Randnrn. 16 und 17).

26 Anhang Kapitel I Nummer 4 der Richtlinie ermächtigt die Mitgliedstaaten zur Deckung höherer Kosten. Er räumt ihnen die Befugnis ein, für einen bestimmten Betrieb unter bestimmten Voraussetzungen, die im wesentlichen mit den im Anhang der Entscheidung 88/408 vorgesehenen identisch sind, nicht nur die festgesetzten Pauschalbeträge anzuheben (Nummer 4 Buchstabe a), sondern auch eine spezifische Gebühr zu erheben, die die tatsächlichen Kosten deckt (Nummer 4 Buchstabe b). Im übrigen ermächtigt Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie die Mitgliedstaaten allgemein dazu, einen höheren Betrag als die Gemeinschaftsgebühren zu erheben, sofern die erhobene Gesamtgebühr die tatsächlichen Untersuchungskosten nicht überschreitet.

27 Somit stellt sich zwar die den Mitgliedstaaten durch den Anhang Kapitel I Nummer 4 Buchstabe a eingeräumte Befugnis zur Anhebung der Pauschalbeträge als eine Möglichkeit dar, für einen bestimmten Betrieb unter bestimmten Voraussetzungen, die einer gerichtlichen Nachprüfung zugänglich sind, der Höhe nach von den Gemeinschaftsgebühren abzuweichen; die ihnen in Nummer 4 Buchstabe b eröffnete Möglichkeit zur Erhebung einer spezifischen Gebühr, die die tatsächlichen Kosten deckt, ist dagegen eine Befugnis, von der sie unter der einzigen Voraussetzung, daß die Gebühr die tatsächlichen Kosten nicht überschreitet, allgemein nach ihrem Ermessen Gebrauch machen können.

28 Die Befugnis der Mitgliedstaaten, Beträge zu erheben, die die tatsächlichen Kosten decken, wenn diese höher als die im Anhang Kapitel I Nummer 1 der Richtlinie festgesetzten Pauschalbeträge sind, unterliegt somit nicht Voraussetzungen, deren Beachtung einer gerichtlichen Nachprüfung zugänglich ist. Daraus ist zu folgern, daß Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie für die Mitgliedstaaten keine unbedingte Verpflichtung begründet, auf die sich der einzelne vor den nationalen Gerichten berufen kann.

29 Auf die erste Frage ist folglich zu antworten, daß ein einzelner dann, wenn ein Mitgliedstaat die Richtlinie innerhalb der vorgeschriebenen Frist nicht umgesetzt hat, sich der Erhebung von höheren Gebühren als den im Anhang Kapitel I Nummer 1 festgesetzten Pauschalbeträgen nicht widersetzen kann, sofern diese Gebühren die tatsächlich entstandenen Kosten nicht überschreiten.

Zur zweiten Frage

30 Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob ein Mitgliedstaat von der ihm durch Anhang Kapitel I Nummer 4 Buchstabe b der Richtlinie eingeräumten Befugnis, eine spezifische Gebühr zu erheben, die die in Kapitel I Nummer 1 festgesetzten Pauschalbeträge übersteigt, ohne weitere Voraussetzungen unter dem alleinigen Vorbehalt Gebrauch machen kann, daß die spezifische Gebühr die tatsächlich entstandenen Kosten nicht überschreitet.

31 In diesem Zusammenhang genügt der Hinweis, daß die den Mitgliedstaaten durch Anhang Kapitel I Nummer 4 Buchstabe b der Richtlinie eröffnete Möglichkeit - wie in Randnummer 27 dieses Urteils ausgeführt worden ist - eine Befugnis darstellt, von der sie unter der einzigen Voraussetzung, daß die spezifische Gebühr die tatsächlich entstandenen Kosten nicht überschreitet, allgemein nach ihrem Ermessen Gebrauch machen können.

32 Auf die zweite Frage ist folglich zu antworten, daß ein Mitgliedstaat von der ihm durch Anhang Kapitel I Nummer 4 Buchstabe b der Richtlinie eingeräumten Befugnis, eine spezifische Gebühr zu erheben, die die in Kapitel I Nummer 1 festgelegten Pauschalbeträge übersteigt, ohne weitere Voraussetzungen unter dem alleinigen Vorbehalt Gebrauch machen kann, daß die spezifische Gebühr die tatsächlich entstandenen Kosten nicht überschreitet.

Zur dritten Frage

33 Die dritte Frage des vorlegenden Gerichts geht im wesentlichen dahin, ob ein Mitgliedstaat, wenn er die Befugnis zur Erhebung der Gebühren für Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch den kommunalen Behörden übertragen hat, nach Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie bis zur Höhe der im gesamten Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats tatsächlich entstehenden Untersuchungskosten oder bis zur Höhe der tatsächlichen Untersuchungskosten der zuständigen kommunalen Behörde höhere Gebühren als die Gemeinschaftsgebühren erheben darf.

34 In diesem Zusammenhang ergibt sich zunächst aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, daß es jedem Mitgliedstaat freisteht, die Zuständigkeiten auf innerstaatlicher Ebene zu verteilen und die nicht unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechtsakte mittels Maßnahmen regionaler oder örtlicher Behörden durchzuführen, sofern diese Zuständigkeitsverteilung eine ordnungsgemässe Durchführung der betreffenden Gemeinschaftsrechtsakte ermöglicht (Urteil Hansa Fleisch Ernst Mundt, Randnr. 23).

35 Sodann hat der Gerichtshof in Randnummer 24 des Urteils Hansa Fleisch Ernst Mundt entschieden, daß keine Bestimmung der Entscheidung 88/408 den Mitgliedstaaten verbietet, regionalen oder örtlichen Behörden die Befugnis zu übertragen, unter den Voraussetzungen und in den Grenzen des Artikels 2 Absatz 2 dieser Entscheidung von den Pauschalbeträgen der Gebühr abzuweichen.

36 Dies gilt auch für die Richtlinie, die an die Stelle der Entscheidung 88/408 getreten ist. Im übrigen bestätigt die Richtlinie dadurch, daß sie in Artikel 2 Absatz 4 wie diese Entscheidung vorschreibt, daß die Gemeinschaftsgebühren an die Stelle jeder anderen Abgabe oder Gebühr treten, die von den staatlichen, regionalen oder kommunalen Behörden der Mitgliedstaaten für die Untersuchungen und Kontrollen gemäß Artikel 1 erhoben wird, daß die Erhebung der einschlägigen Gebühren sowohl auf nationaler als auch auf regionaler oder lokaler Ebene erfolgen kann.

37 Was schließlich die Frage angeht, bis zu welcher Höhe der tatsächlichen Untersuchungskosten ein Mitgliedstaat von den Pauschalbeträgen der Gemeinschaftsgebühren abweichen kann, wenn er die Befugnis zur Erhebung der Gemeinschaftsgebühren den kommunalen Behörden übertragen hat, werden zum einen die Gebühren gemäß Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie grundsätzlich in der Weise festgelegt, daß sie die Kosten decken, die die zuständige Behörde für die Durchführung der betreffenden Untersuchungen und Hygienekontrollen zu tragen hat.

38 Zum anderen können die Mitgliedstaaten nach Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie bis zur Höhe der tatsächlichen Untersuchungskosten einen höheren Betrag als die Gemeinschaftsgebühren erheben.

39 Daraus folgt, daß ein Mitgliedstaat, wenn er die Befugnis zur Erhebung der Gebühren gemäß der Richtlinie wie im Ausgangsverfahren den kommunalen Behörden übertragen hat, von den in der Richtlinie festgesetzten Pauschalbeträgen bis zur Höhe der diesen Behörden tatsächlich entstandenen Kosten nach oben abweichen kann.

40 Diese Schlußfolgerung lässt sich nicht durch Erwägungen entkräften, die aus dem Ziel der Richtlinie hergeleitet wurden. Die Richtlinie lässt nämlich ausser der Erhebung von pauschalierten Gebühren die Erhebung von höheren Gebühren zu, die die tatsächlich entstandenen Untersuchungskosten decken, und soll keine Gebühren in einheitlicher Höhe für die gesamte Gemeinschaft einführen, sondern, wie sich aus ihrer sechsten und ihrer siebten Begründungserwägung ergibt, Wettbewerbsverzerrungen verhindern, die sich aus der Anwendung von je nach Mitgliedstaat unterschiedlichen Regeln für die Finanzierung der durch das Gemeinschaftsrecht eingeführten Untersuchungen und Hygienekontrollen ergeben könnten.

41 Auf die dritte Frage ist daher zu antworten, daß ein Mitgliedstaat, wenn er die Befugnis zur Erhebung der Gebühren für Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch den kommunalen Behörden übertragen hat, nach Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie bis zur Höhe der der zuständigen kommunalen Behörde tatsächlich entstandenen Untersuchungskosten höhere Gebühren als die Gemeinschaftsgebühren erheben darf.

Kostenentscheidung:

Kosten

42 Die Auslagen der deutschen, der niederländischen und der finnischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Zweite Kammer)

auf die ihm vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit Beschluß vom 20. Oktober 1997 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Hat ein Mitgliedstaat die Richtlinie 85/73/EWG des Rates vom 29. Januar 1985 über die Finanzierung der Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch und Gefluegelfleisch in der Fassung der Richtlinie 93/118/EG des Rates vom 22. Dezember 1993 innerhalb der vorgeschriebenen Frist nicht umgesetzt, so kann ein einzelner sich der Erhebung von höheren Gebühren als den im Anhang Kapitel I Nummer 1 festgesetzten Pauschalbeträgen nicht widersetzen, sofern diese Gebühren die tatsächlich entstandenen Kosten nicht überschreiten.

2. Ein Mitgliedstaat kann von der ihm durch den Anhang Kapitel I Nummer 4 Buchstabe b der Richtlinie 85/73 in der Fassung der Richtlinie 93/118 eingeräumten Befugnis, eine spezifische Gebühr zu erheben, die die in Kapitel I Nummer 1 festgelegten Pauschalbeträge übersteigt, ohne weitere Voraussetzungen unter dem alleinigen Vorbehalt Gebrauch machen, daß die spezifische Gebühr die tatsächlich entstandenen Kosten nicht überschreitet.

3. Hat ein Mitgliedstaat die Befugnis zur Erhebung der Gebühren für Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch den kommunalen Behörden übertragen, so darf er nach Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie 85/73 in der Fassung der Richtlinie 93/118 bis zur Höhe der der zuständigen kommunalen Behörde tatsächlich entstandenen Untersuchungskosten höhere Gebühren als die Gemeinschaftsgebühren erheben.

Ende der Entscheidung

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