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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.01.1994
Aktenzeichen: C-376/92
Rechtsgebiete: EG-Vertrag


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 85 Abs. 1
EG-Vertrag Art. 85 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Einer die Anwendung des Artikels 85 Absätze 1 und 2 EWG-Vertrag ausschließenden EG-Vertriebsbindung für Produkte des gehobenen Bedarfs (Uhren der gehobenen Preisklasse und Luxusklasse) ist die Anerkennung nicht schon aus dem Grund zu versagen, daß in Ländern ausserhalb der Europäischen Gemeinschaft eine Vertriebsbindung durch entsprechende Vertragsgestaltungen nicht oder nicht vollkommen besteht, so daß dort die in der Europäischen Gemeinschaft gebundenen Waren von Systemfremden frei erworben und legitim auf den Gemeinsamen Markt gebracht werden können.

2. Erfuellt ein selektives Vertriebssystem die in der Rechtsprechung des Gerichtshofes aufgestellten Kriterien für seine Rechtswirksamkeit nach Artikel 85 EWG-Vertrag, so ist auch die Beschränkung der Herstellergarantie auf bei zugelassenen Händlern erworbene Vertragserzeugnisse als zulässig anzusehen.

Wenn nämlich Vertragsklauseln, durch die sich der Hersteller verpflichtet, nur über zugelassene Vertragshändler zu verkaufen, und durch die sich diese verpflichten, nur an andere zugelassene Händler oder an Verbraucher zu verkaufen, zulässig sind, so gibt es keinen Grund, die vertragliche Beschränkung der Garantie auf Erzeugnisse, die von zugelassenen Vertragshändlern verkauft werden, strenger zu behandeln, da durch verschiedene Mittel immer derselbe Zweck angestrebt wird, nämlich zu verhindern, daß Systemfremde vertriebsgebundene Waren in den Handel bringen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 13. JANUAR 1994. - METRO SB-GROSSMAERKTE GMBH & CO. KG GEGEN CARTIER SA. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: OBERLANDESGERICHT DUESSELDORF - DEUTSCHLAND. - SELEKTIVES VERTRIEBSSYSTEM - ARTIKEL 85 EWG-VERTRAG - LUECKENLOSIGKEIT ALS VORAUSSETZUNG FUER DIE RECHTSWIRKSAMKEIT. - RECHTSSACHE C-376/92.

Entscheidungsgründe:

1 Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat mit Beschluß vom 22. September 1992, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Oktober 1992, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Lückenlosigkeit eines selektiven Vertriebssystems als Voraussetzung für dessen Rechtswirksamkeit nach Artikel 85 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in dem Rechtsstreit der Metro SB-Großmärkte GmbH & Co. KG (im folgenden: Metro) gegen die Cartier SA, in dem Metro die Feststellung begehrt, daß letztere verpflichtet ist, kostenlos ihre Garantie für die von Metro vertriebenen Cartier-Uhren zu gewähren.

3 Die in Düsseldorf ansässige Metro ist eine Tochtergesellschaft des Metro-Konzerns, der in der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten eine Vielzahl von Selbstbedienungs-Großhandelsgeschäften betreibt.

4 Die Cartier SA (diese Firma und der Cartier-Konzern werden im folgenden als Cartier bezeichnet) mit Sitz in Paris ist die Vertriebsgesellschaft der Firma Cartier Monde mit Sitz in Luxemburg, die in zahlreichen Ländern ähnliche Vertriebsgesellschaften besitzt. Cartier-Erzeugnisse gelten allgemein als Luxuserzeugnisse.

5 Cartier stellt die Uhren nicht selbst her, sondern bezieht sie von einem in der Schweiz ansässigen Hersteller. Sie vertreibt sie durch ein selektives Vertriebssystem. Dieses beruht innerhalb des Gemeinsamen Marktes auf Verträgen, die die Tochtergesellschaften von Cartier oder, falls solche nicht existieren, von der Muttergesellschaft ausgewählte Großhändler/Importeure in den verschiedenen Mitgliedstaaten mit nach qualitativen Gesichtspunkten ausgewählten Einzelhändlern, den "Konzessionären", schließen. Grundlage dieser Verträge ist ein Muster-Konzessionärsvertrag.

6 Der Muster-Konzessionärsvertrag wurde 1983 bei der Kommission angemeldet. Diese prüfte ihn auf seine Vereinbarkeit mit Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag und beanstandete bestimmte darin enthaltene Klauseln. Nachdem Cartier diese Klauseln aufgehoben und der Kommission den geänderten Vertrag übermittelt hatte, teilte diese ihr mit Verwaltungsschreiben vom 21. Dezember 1988 mit, daß die Akte geschlossen werden könne.

7 In diesem Vertrag verpflichtet sich Cartier, innerhalb der Gemeinschaft nur zugelassene Vertragshändler mit ihren Markenprodukten zu beliefern. Diese verpflichten sich ihrerseits, diese Erzeugnisse innerhalb der Gemeinschaft nur an Endverbraucher oder an andere in der Gemeinschaft ansässige zugelassene Vertragshändler zu verkaufen.

8 Metro gehört dem Vertriebsnetz der Cartier-Konzessionäre nicht an. Dennoch gelingt es ihr seit Jahren, Cartier-Uhren auf dem Markt von Drittstaaten wie der Schweiz, wo im selektiven Vertriebssystem von Cartier Lücken bestehen, rechtmässig zu erwerben. Sie erwirbt die Uhren dort von unabhängigen Zwischenhändlern, die ihrerseits anscheinend von Konzessionären beliefert werden, die zum internationalen Cartier-Vertriebsnetz gehören und die nach Schweizer Recht nicht verpflichtet werden können, nur an Cartier-Konzessionäre zu verkaufen. Die so erworbenen Uhren verkauft Metro innerhalb des Gemeinsamen Marktes weiter.

9 Cartier-Uhren werden mit einer Herstellergarantie verkauft. Diese wird in einer Garantiekarte dokumentiert, die beim Kauf auszufuellen ist. Aufgrund einer Klausel in der jeder Uhr beigefügten internationalen Garantieerklärung macht Cartier ihr Garantieversprechen davon abhängig, daß die Garantiekarte von einem Konzessionär mit seinem Stempel versehen und unterschrieben ist.

10 Cartier hat gleichwohl während einer bestimmten Zeit Garantieleistungen für von Metro verkaufte Uhren erbracht. Seit 1984 lehnt sie es ausnahmslos ab, kostenlos ihre Garantie für Uhren zu gewähren, die nicht bei ihren zugelassenen Vertragshändlern gekauft wurden. Deshalb beschloß Metro, ein eigenes Metro-Garantiesystem aufzubauen, was jedoch eine erhebliche Kostenbelastung mit sich brachte.

11 Da Metro der Auffassung war, daß die Beschränkung der Garantie mit Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag unvereinbar sei, erhob sie 1984 beim Landgericht Düsseldorf Klage auf Feststellung, daß Cartier verpflichtet sei, für Cartier-Uhren, denen eine von Metro ausgefuellte und unterzeichnete Garantiekarte beigefügt war, ihre Garantie zu gewähren.

12 Im ersten Rechtszug wies das Landgericht Düsseldorf die Feststellungsklage von Metro als unbegründet ab.

13 Gegen dieses Urteil wurde Berufung beim OLG Düsseldorf eingelegt, das die Klageabweisung bestätigte. Es erachtete insbesondere die Frage einer Verletzung von Artikel 85 EWG-Vertrag durch die Beschränkung der Cartier-Garantie für nicht entscheidungserheblich.

14 Dieses Urteil hob der Bundesgerichtshof durch Spruch vom 10. November 1987 mit der Begründung auf, daß das OLG Düsseldorf die Tatsachen unzureichend aufgeklärt habe. Er führte insbesondere aus, die Frage der Zulässigkeit der Cartier-Vertriebsbindung dürfe nicht offenbleiben, denn ohne Einbindung in ein zulässiges selektives Vertriebssystem würde das isoliert gehandhabte Garantiesystem von Cartier gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verstossen.

15 Im zweiten Verfahren vor dem Berufungsgericht gab das OLG Düsseldorf der Feststellungsklage von Metro statt. Es nahm bei dieser Gelegenheit zu bestimmten Vorschriften des Muster-Konzessionärsvertrags Stellung, die seiner Meinung nach Querlieferungen zwischen Vertragshändlern unabhängig davon, ob sie innerhalb desselben Staates stattfinden oder grenzueberschreitenden Charakter haben, von einer besonderen Genehmigung seitens der Cartier-Filialen abhängig machen. Wegen dieser Vorschriften verstosse das selektive Vertriebssystem von Cartier gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag. Da das System unzulässig sei, könne auch die Beschränkung der Garantie nicht gerechtfertigt werden.

16 Der BGH hob dieses zweite Urteil des OLG Düsseldorf in einem weiteren Revisionsverfahren am 19. Dezember 1989 auf. Er vertrat die Auffassung, daß das OLG Düsseldorf die Klauseln über Querlieferungen zwischen zugelassenen Vertragshändlern falsch ausgelegt habe und daß diese Klauseln Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag nicht verletzten. Der BGH bestätigte im übrigen, daß die Beschränkung der Cartier-Garantie die Folge einer vertraglichen Absprache von Cartier mit ihren Wiederverkäufern sei und somit unter Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag falle. Schließlich und vor allem führte er aus, die Beschränkung der Garantie sei nur zulässig, wenn das selektive Vertriebssystem für Cartier-Uhren im Gemeinsamen Markt lückenlos sei. Deshalb wies der BGH die Sache an das OLG Düsseldorf zur Entscheidung darüber zurück, ob Cartier über ein lückenloses Vertriebssystem im Bereich des Gemeinsamen Marktes verfügt.

17 Im dritten Berufungsverfahren vor dem OLG Düsseldorf konzentrierte sich die Diskussion im wesentlichen auf die Frage der Lückenlosigkeit des selektiven Vertriebssystem von Cartier. Das OLG Düsseldorf geht in seinem Vorlagebeschluß davon aus, daß in Drittländern eine vertraglich abgesicherte und praktisch auch eingehaltene Vertriebsbindung für Cartier-Uhren fehle und daß diese somit in grossem Umfang legal auf den Markt der Gemeinschaft kommen könnten, wo Metro sie frei verkaufen könne. Komme man - wie das Urteil des Bundesgerichtshofes nahelege - zu dem Ergebnis, daß der Umstand, daß Dritte sich die Ware tatsächlich beschaffen und sie sodann frei verkaufen könnten, und sogar die blosse Tatsache, daß sie einer solchen Tätigkeit nachgehen könnten, genüge, um die Vertriebsbindung zu Fall zu bringen, dann müsste bzw. könnte der Klage von Metro stattgegeben werden. Komme es hingegen auf Importe aus Drittländern, in denen eine Vertriebsbindung schon theoretisch oder wenigstens praktisch nicht bestehe, nicht an, so sei die Klage von Metro abzuweisen, auch wenn das Vertragswerk von Cartier auch in bezug auf die Auswahl der Konzessionäre den von der Kommission und vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften aufgestellten Grundsätzen entspreche.

18 Das OLG Düsseldorf hat in seinem Beschluß vom 22. September 1992 die Frage aufgeworfen, ob die Lückenlosigkeit des selektiven Vertriebssystems in den Ländern ausserhalb der Gemeinschaft eine Voraussetzung für die Rechtswirksamkeit des Systems innerhalb der EWG sei. Es hat dem Gerichtshof deshalb folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist einer die Anwendung des Artikels 85 Absätze 1 und 2 EWG-Vertrag ausschließenden EG-Vertriebsbindung für Produkte des gehobenen Bedarfs (Uhren der gehobenen Preisklasse und Luxusklasse) die Anerkennung schon aus dem Grund zu versagen, daß in Ländern ausserhalb der Europäischen Gemeinschaft eine Vertriebsbindung durch entsprechende Vertragsgestaltungen nicht oder nicht vollkommen besteht, so daß dort die in der EG gebundenen Waren von Systemfremden frei erworben und legitim auf den Gemeinsamen Markt gebracht werden können?

19 Wie die Kommission ausführt, wird erst vor dem Hintergrund des deutschen Rechts verständlich, weshalb das vorlegende Gericht sich fragt, ob Voraussetzung für die Rechtswirksamkeit eines in der Gemeinschaft errichteten selektiven Vertriebssystems seine weltweite Lückenlosigkeit ist.

20 Das Konzept der Lückenlosigkeit ist in der Bundesrepublik Deutschland bei Klagen wegen unlauteren Wettbewerbs (Unterlassungs- und Schadensersatzklagen) gegen Dritte entwickelt worden, die Erzeugnisse vertreiben, die Gegenstand einer Alleinvertriebsvereinbarung sind, oder zu Preisen verkaufen, die unterhalb der vom Hersteller vertraglich vorgeschriebenen Preise liegen. Es wurde in der Folgezeit auf Klagen gegen Aussenseiter eines selektiven Vertriebssystems ausgedehnt.

21 Die Lückenlosigkeit eines selektiven Vertriebssystems bedeutet, daß sich ein nicht gebundener Händler vertriebsgebundene Waren nur durch Beteiligung an einem Vertragsbruch eines gebundenen Händlers beschaffen kann. Die Lückenlosigkeit muß sowohl theoretisch als auch praktisch bestehen. Die theoretische Lückenlosigkeit setzt voraus, daß der Hersteller mit den von ihm ausgewählten Händlern Verträge geschlossen hat, die sicherstellen, daß die gebundenen Waren nur durch gebundene Händler an die Verbraucher abgegeben werden. Die praktische Lückenlosigkeit impliziert, daß der Hersteller beweist, daß er seine Vertriebsbindung durchsetzt, indem er gegen seine vertragsbrüchigen Partner oder gegen Dritte vorgeht, die sich die Waren bei vertragsbrüchigen Händlern beschaffen.

22 Diese Theorie hat zunächst Bedeutung für die Beweislast. Dem Hersteller, der gegen Aussenseiter wegen unlauteren Wettbewerbs vorgeht, kommt eine Umkehr der Beweislast zugute, wenn er die theoretische und praktische Lückenlosigkeit seines Vertriebssystems beweist: Die Aussenseiter handeln dann unlauter, weil sie sich die streitigen Waren nur durch sogenannten "Schleichbezug", durch Verleitung eines gebundenen Händlers zum Vertragsbruch oder durch blosse Ausnutzung eines Vertragsbruchs beschafft haben könnten.

23 Die Lückenlosigkeit hat weiterhin eine materiell-rechtliche Bedeutung. Sie ist nämlich nach deutschem Recht die Voraussetzung für die Durchsetzbarkeit des selektiven Vertriebssystems gegenüber denen, die vertragliche Verpflichtungen eingegangen sind. Nur wenn das System lückenlos ist, kann der Hersteller gegen den gebundenen Händler vorgehen, um ihn zur Einhaltung seiner vertraglichen Verpflichtungen zu zwingen. Führen Lücken im System dazu, daß freie Händler in Wettbewerb mit den gebundenen Händlern treten, so kann der Hersteller von den Mitgliedern seines Vertriebsnetzes nicht mehr die Einhaltung der Verträge verlangen.

24 In Beantwortung der auf diese Weise in ihren Zusammenhang gestellten Vorabentscheidungsfrage ist zunächst darauf hinzuweisen, daß das Konzept der Lückenlosigkeit bei Klagen wegen unlauteren Wettbewerbs entwickelt wurde, die gegen Aussenseiter von Alleinvertriebs-, Preisbindungs- oder selektiven Vertriebsbindungsvereinbarungen erhoben wurden. In diesen Verfahren wegen unlauteren Wettbewerbs ist die Wirksamkeit des Vertrags nach Artikel 85 EWG-Vertrag eine vorrangige Frage, denn ein Hersteller kann einem Aussenseiter nur dann vorwerfen, an einem Verstoß gegen eine vertragliche Verpflichtung teilgenommen zu haben, wenn diese selbst gemäß Artikel 85 EWG-Vertrag wirksam ist. Dies bedeutet nicht, daß umgekehrt bei der Beurteilung der Rechtmässigkeit einer Vereinbarung nach Artikel 85 EWG-Vertrag zu prüfen wäre, ob die Voraussetzungen dafür erfuellt sind, daß diese Vereinbarung Aussenseitern im Wege einer Klage wegen unlauteren Wettbewerbs entgegengehalten werden kann.

25 Die Durchsetzung des gemeinschaftsrechtlichen Verbots von Wettbewerbsvereinbarungen kann auch nicht von einer einem nationalen Recht eigenen Voraussetzung abhängen. Wie die Kommission zutreffend vorträgt, ist die im deutschen Recht entwickelte Voraussetzung der Lückenlosigkeit den Rechtsordnungen fast aller übrigen Mitgliedstaaten fremd. So hat die französische Cour de cassation entschieden, daß der Verkauf von Erzeugnissen, deren Verpackung die Aufschrift "Alleinverkauf durch Vertragshändler" trägt, durch einen nicht zugelassenen Händler schon in sich eine Handlung unlauteren Wettbewerbs darstelle (Cour de cassation, Kammer für Handelssachen, Urteil Rochas vom 27. Oktober 1992, in: Dalloz 1992, Jurisprudence 505). Nach französischem Recht ist somit nicht einmal der Nachweis erforderlich, daß der nicht zugelassene Händler durch einen vertragsbrüchigen zugelassenen Händler beliefert wurde und an dessen Vertragsbruch beteiligt war.

26 Wollte man die Rechtswirksamkeit eines selektiven Vertriebssystems nach Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag von seiner Lückenlosigkeit abhängig machen, so hätte dies, wie die Kommission zu Recht geltend macht, die paradoxe Folge, daß die starrsten und geschlossensten Vertriebssysteme nach Artikel 85 günstiger behandelt würden als die flexibleren und dem Parallelhandel stärker geöffneten Vertriebssysteme.

27 Schließlich kann die Anerkennung der Rechtswirksamkeit eines selektiven Vertriebsnetzes im Gemeinsamen Markt schon deshalb nicht davon abhängen, daß der Hersteller imstande ist, die Lückenlosigkeit des Netzes überall zu gewährleisten, weil die Rechtsvorschriften bestimmter Drittstaaten die Erreichung dieses Ziels behindern oder unmöglich machen können.

28 Die Lückenlosigkeit eines selektiven Vertriebssystems ist somit nach dem Gemeinschaftsrecht keine Voraussetzung für seine Rechtswirksamkeit.

29 Aufgrund all dieser Erwägungen ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, daß einer die Anwendung des Artikels 85 Absätze 1 und 2 EWG-Vertrag ausschließenden EG-Vertriebsbindung für Produkte des gehobenen Bedarfs (Uhren der gehobenen Preisklasse und Luxusklasse) die Anerkennung nicht schon aus dem Grund zu versagen ist, daß in Ländern ausserhalb der Europäischen Gemeinschaft eine Vertriebsbindung durch entsprechende Vertragsgestaltungen nicht oder nicht vollkommen besteht, so daß dort die in der Europäischen Gemeinschaft gebundenen Waren von Systemfremden frei erworben und legitim auf den Gemeinsamen Markt gebracht werden können.

30 Wie bereits dargelegt (siehe Randnr. 17), hat das OLG Düsseldorf in seinem Vorlagebeschluß ausgeführt, daß eine Beantwortung der Frage nach der Lückenlosigkeit es ihm ermöglichen würde, den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden. Falls die Lückenhaftigkeit des Systems dieses nach Artikel 85 EWG-Vertrag unwirksam machen würde, wäre die Beschränkung der Garantie rechtswidrig und die Klage der Firma Metro müsste für begründet erklärt werden. Hätte dagegen die Lückenhaftigkeit nicht diese Folge, so wäre die Beschränkung der Garantie rechtmässig und die Klage von Metro abzuweisen.

31 Nachdem die Antwort auf die Vorabentscheidungsfrage ergeben hat, daß die Lückenlosigkeit eines selektiven Vertriebssystems keine Voraussetzung für seine Rechtswirksamkeit ist, bleibt zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen die Beschränkung der Garantie auf von zugelassenen Händlern erworbene Uhren nach Artikel 85 EWG-Vertrag zulässig ist. Das OLG Düsseldorf hat in einem Beschluß vom 9. November 1992 auf eine schriftliche Anregung von Metro, die Vorabentscheidungsfrage in diesem Sinne zu verdeutlichen, erklärt, daß "diese Frage bereits Gegenstand des Vorlagebeschlusses" sei. Die Beteiligten haben diese Frage vor dem Gerichtshof sowohl in ihren schriftlichen Erklärungen als auch in der mündlichen Verhandlung ausführlich erörtert.

32 Eine vertragliche Verpflichtung, die Garantie auf Händler zu beschränken, die dem Vertriebsnetz angehören, und sie für von Aussenseitern vertriebene Waren zu verweigern, führt zu demselben Ergebnis und hat dieselben Wirkungen wie Vertragsklauseln, die den Verkauf den Mitgliedern des Vertriebsnetzes vorbehalten. Ebenso wie diese Vertragsklauseln ist die Beschränkung der Garantie ein Mittel für den Hersteller, um zu verhindern, daß Systemfremde vertriebsgebundene Waren in den Handel bringen.

33 Wenn aber Vertragsklauseln, durch die sich der Hersteller verpflichtet, nur über zugelassene Vertragshändler zu verkaufen, und durch die sich diese verpflichten, nur an andere zugelassene Händler oder an Verbraucher zu verkaufen, zulässig sind, so gibt es keinen Grund, die vertragliche Beschränkung der Garantie auf Erzeugnisse, die von zugelassenen Vertragshändlern verkauft werden, strenger zu behandeln. Für Artikel 85 EWG-Vertrag kommt es allein auf Zweck und Wirkung dieser Beschränkung an.

34 Demnach ist zu dem vor dem vorlegenden Gericht aufgeworfenen Problem festzustellen, daß, sofern ein selektives Vertriebssystem die in der Rechtsprechung des Gerichtshofes (vgl. Urteil vom 11. Dezember 1980 in der Rechtssache 31/80, L' Oréal, Slg. 1980, 3775) aufgestellten Kriterien für seine Rechtswirksamkeit nach Artikel 85 EWG-Vertrag erfuellt, auch die Beschränkung der Herstellergarantie auf bei zugelassenen Händlern erworbene Vertragserzeugnisse als zulässig anzusehen ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

35 Die Auslagen der Regierungen der Griechischen Republik und der Französischen Republik sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Oberlandesgericht Düsseldorf durch Beschluß vom 22. September 1992 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

1) Einer die Anwendung des Artikels 85 Absätze 1 und 2 EWG-Vertrag ausschließenden EG-Vertriebsbindung für Produkte des gehobenen Bedarfs (Uhren der gehobenen Preisklasse und Luxusklasse) ist die Anerkennung nicht schon aus dem Grund zu versagen, daß in Ländern ausserhalb der Europäischen Gemeinschaft eine Vertriebsbindung durch entsprechende Vertragsgestaltungen nicht oder nicht vollkommen besteht, so daß dort die in der Europäischen Gemeinschaft gebundenen Waren von Systemfremden frei erworben und legitim auf den Gemeinsamen Markt gebracht werden können.

2) Erfuellt ein selektives Vertriebssystem die in der Rechtsprechung des Gerichtshofes aufgestellten Kriterien für seine Rechtswirksamkeit nach Artikel 85 EWG-Vertrag, so ist auch die Beschränkung der Herstellergarantie auf bei zugelassenen Händlern erworbene Vertragserzeugnisse als zulässig anzusehen.

Ende der Entscheidung

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