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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 29.06.1995
Aktenzeichen: C-391/92
Rechtsgebiete: EG-Vertrag


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 30
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten ist nicht geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren. Sind diese Voraussetzungen nämlich erfuellt, ist die Anwendung derartiger Regelungen auf den Verkauf von Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedstaat, die den von diesem Staat aufgestellten Bestimmungen entsprechen, nicht geeignet, den Marktzugang für diese Erzeugnisse zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tut. Diese Regelungen fallen daher nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 30 des Vertrages.

Diese Voraussetzungen sind bei einer nationalen Regelung erfuellt, die den Verkauf von verarbeiteter Milch für Säuglinge grundsätzlich den Apotheken vorbehält, so daß diese Regelung nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 30 fällt. Eine solche Regelung, die eine Beschränkung der kommerziellen Freiheit der Wirtschaftsteilnehmer bewirkt, ohne sich auf die Merkmale der erfassten Erzeugnisse selbst zu erstrecken, betrifft nämlich die Modalitäten des Absatzes bestimmter Waren insoweit, als sie den Vertrieb von verarbeiteter Milch für Säuglinge ausserhalb von Apotheken verbietet und somit allgemein die Verkaufsstellen bestimmt, wo diese Erzeugnisse abgesetzt werden können. Da sie darüber hinaus, ohne nach dem Ursprung der betroffenen Erzeugnisse zu unterscheiden, für alle Wirtschaftsteilnehmer gilt, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, berührt sie den Vertrieb der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht anders als den der inländischen Erzeugnisse.

Diese Feststellungen werden auch in keiner Weise durch den Umstand in Frage gestellt, daß in dem betroffenen Mitgliedstaat selbst keine verarbeitete Milch für Säuglinge hergestellt wird. Die Anwendbarkeit von Artikel 30 auf eine nationale Maßnahme der allgemeinen Aufsicht über das Handelsgewerbe, die alle betroffenen Erzeugnisse ohne Unterscheidung nach ihrem Ursprung erfasst, kann nicht von einem solchen tatsächlichen Umstand abhängen, der rein zufällig ist und sich darüber hinaus auch noch im Laufe der Zeit verändern kann, wenn man nicht zu dem unlogischen Ergebnis gelangen will, daß eine Regelung, die identische Auswirkungen entfaltet, in bestimmten Mitgliedstaaten unter Artikel 30, in anderen Mitgliedstaaten aber nicht in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift fiele. Etwas anderes würde nur gelten, wenn sich ergäbe, daß die betreffende Regelung eine nationale Produktion schützt, die ähnliche Erzeugnisse wie die aus anderen Mitgliedstaaten stammende verarbeitete Milch für Säuglinge oder mit derartigen Milcherzeugnissen im Wettbewerb stehende Erzeugnisse herstellt.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 29. JUNI 1995. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN REPUBLIK GRIECHENLAND. - FREIER WARENVERKEHR - VERARBEITETE MILCH FUER SAEUGLINGE - VERBOT DES VERTRIEBS AUSSERHALB VON APOTHEKEN. - RECHTSSACHE C-391/92.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 6. November 1992 beim Gerichtshof eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage auf Feststellung erhoben, daß die Griechische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EWG-Vertrag verstossen hat, daß sie in Artikel 10 der Verordnung Nr. A2/oik.361 vom 29. Januar 1988 vorgeschrieben hat, daß verarbeitete Milch für Säuglinge nur in Apotheken verkauft werden darf.

2 In der Griechischen Republik schreibt Artikel 10 der Verordnung Nr. A2/oik.361 des Gesundheitsministers vom 29. Januar 1988 über den Verkauf von Säuglingsnahrung und Milch für Kleinkinder vor, daß verarbeitete Milch für Säuglinge nur in Apotheken vertrieben werden darf, und zwar mit Ausnahme von Gemeinden, in denen es keine Apotheke gibt; in diesem Fall dürfen diese Erzeugnisse in anderen Geschäften vertrieben werden.

3 Aufgrund einer im April 1988 vom griechischen Verband der Unternehmen für Kindernahrung eingereichten Beschwerde gelangte die Kommission zu der Auffassung, daß die beschriebene griechische Regelung eine nach Artikel 30 des Vertrages verbotene Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Einfuhrbeschränkung darstelle und über das hinausgehe, was erforderlich sei, um die Ziele des Schutzes der Säuglingsgesundheit und der Förderung des Stillens durch die Mütter zu erreichen. Mit Schreiben vom 10. August 1989 forderte die Kommission die Griechische Republik daher gemäß Artikel 169 des Vertrages auf, sich binnen eines Monats zu der ihr vorgeworfenen Vertragsverletzung zu äussern.

4 Die griechische Regierung erwiderte mit Schreiben vom 5. März 1990, daß der Verkauf von Milch für Säuglinge ausschließlich in Apotheken sich auf die Einfuhren dieser Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht auswirke und daher keine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Artikel 30 des Vertrages darstelle. Ausserdem sei diese Maßnahme nach Artikel 36 EWG-Vertrag gerechtfertigt, da sie zum Schutz der Gesundheit und des Lebens der Säuglinge in den kritischen ersten fünf Monaten ihres Lebens erforderlich und geeignet sei.

5 Die Kommission war der Auffassung, daß die griechische Regelung eine schwerwiegende Beschränkung des freien Warenverkehrs innerhalb der Gemeinschaft bewirke und nicht gemäß Artikel 36 des Vertrages zum Schutze der Gesundheit gerechtfertigt sei, und gab am 28. Oktober 1991 eine mit Gründen versehene Stellungnahme gemäß Artikel 169 des Vertrages ab. In dieser Stellungnahme vertrat sie die Auffassung, daß die Griechische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 des Vertrages verstossen habe, daß sie den Verkauf von verarbeiteter Milch für Säuglinge ausserhalb von Apotheken verboten habe, und forderte sie auf, binnen zwei Monaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um dieser Stellungnahme nachzukommen.

6 Da die griechische Regierung weder auf diese mit Gründen versehene Stellungnahme geantwortet noch die von der Kommission beanstandete Regelung geändert hat, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.

7 Zur Begründung ihrer Klage macht die Kommission geltend, eine nationale Regelung, die den Verkauf einer bestimmten Gruppe von Erzeugnissen grundsätzlich den Apotheken vorbehalte, stelle eine nach Artikel 30 des Vertrages verbotene Maßnahme gleicher Wirkung dar, weil das Verbot bestimmter Vertriebsformen den Absatz kanalisiere und daher geeignet sei, den innergemeinschaftlichen Handel mit den betroffenen Erzeugnissen, sei es auch nur mittelbar, zu behindern. Auf eine Frage des Gerichtshofes hat die Kommission vorgetragen, daß die streitige Regelung nicht nur eine Beschränkung bestimmter Verkaufsmodalitäten im Sinne des Urteils vom 24. November 1993 in den verbundenen Rechtssachen C-267/91 und C-268/91 (Keck und Mithouard, Slg. 1993, I-6097) darstelle, sondern dadurch den Handel beschränkende Auswirkungen habe, daß sie die Einfuhr der betroffenen Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten erschwere und verteuere: Könnten diese Erzeugnisse nämlich in den Verbrauchermärkten vertrieben werden, so würde ihr Preis sinken, was zu einer Steigerung der Nachfrage und damit des Einfuhrvolumens führen würde.

8 Die griechische Regierung bestreitet, daß ihre Regelung eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Artikel 30 des Vertrages darstelle. Die von der Kommission beanstandete Maßnahme bewirke lediglich, daß die kommerzielle Freiheit der Wirtschaftsteilnehmer beschränkt werde, und erfuelle die Voraussetzungen, die der Gerichtshof im Urteil Keck und Mithouard dafür aufgestellt habe, daß eine Maßnahme nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 30 falle. Im übrigen habe die streitige Maßnahme weder zu einem Rückgang des Verbrauchs von Säuglingsmilch im Jahr der Einführung der streitigen Maßnahme gegenüber dem Vorjahr noch zu einer Erhöhung der Preise der betroffenen Erzeugnisse, noch zu Beschaffungsschwierigkeiten für die Verbraucher geführt.

9 Nach Artikel 30 des Vertrages sind mengenmässige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten.

10 Nach ständiger Rechtsprechung ist jede Maßnahme, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung (Urteil vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74, Dassonville, Slg. 1974, 837, Randnr. 5).

11 Eine nationale Regelung, die den Verkauf von verarbeiteter Milch für Säuglinge den Apotheken vorbehält, soll nicht den Handel mit Waren zwischen den Mitgliedstaaten regeln.

12 Zwar ist eine solche Regelung geeignet, das Absatzvolumen und damit das Volumen des Absatzes von verarbeiteter Säuglingsmilch aus anderen Mitgliedstaaten insoweit einzuschränken, als es anderen Wirtschaftsteilnehmern als den Apothekern die Möglichkeit nimmt, diese Erzeugnisse zu vertreiben. Es ist jedoch fraglich, ob diese Möglichkeit ausreicht, um die streitige Regelung als Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Einfuhrbeschränkung im Sinne von Artikel 30 des Vertrages zu qualifizieren.

13 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne des zitierten Urteils Dassonville unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren. Sind diese Voraussetzungen nämlich erfuellt, so ist die Anwendung derartiger Regelungen auf den Verkauf von Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedstaat, die den von diesem Staat aufgestellten Bestimmungen entsprechen, nicht geeignet, den Marktzugang für diese Erzeugnisse zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tut. Diese Regelungen fallen daher nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 30 des Vertrages (vgl. Urteil Keck und Mithouard, a. a. O., Randnrn. 16 und 17, Urteile vom 15. Dezember 1993 in der Rechtssache C-292/92, Hünermund u. a., Slg. 1993, I-6787, Randnr. 21, und vom 9. Februar 1995 in der Rechtssache C-412/93, Sociéte d' importation Édouard Leclerc-Siplec, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 21).

14 Bei der im vorliegenden Fall von der Kommission beanstandeten griechischen Regelung sind diese Voraussetzungen aber erfuellt.

15 Diese Regelung, die eine Beschränkung der kommerziellen Freiheit der Wirtschaftsteilnehmer bewirkt, ohne sich auf die Merkmale der erfassten Erzeugnisse selbst zu erstrecken, betrifft nämlich die Modalitäten des Absatzes bestimmter Waren insoweit, als sie den Vertrieb von verarbeiteter Milch für Säuglinge ausserhalb von Apotheken verbietet und somit allgemein die Verkaufsstellen bestimmt, wo diese Erzeugnisse abgesetzt werden können.

16 Darüber hinaus berührt die von der Kommission beanstandete Regelung, die, ohne nach dem Ursprung der betroffenen Erzeugnisse zu unterscheiden, für alle Wirtschaftsteilnehmer gilt, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, den Vertrieb der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht anders als den der inländischen Erzeugnisse.

17 Diese Feststellungen werden auch in keiner Weise durch den von der Kommission angeführten Umstand in Frage gestellt, daß in der Griechischen Republik selbst keine verarbeitete Milch für Säuglinge hergestellt wird. Die Anwendbarkeit von Artikel 30 des Vertrages auf eine nationale Maßnahme der allgemeinen Aufsicht über das Handelsgewerbe, die alle betroffenen Erzeugnisse ohne Unterscheidung nach ihrem Ursprung erfasst, kann nicht von einem solchen tatsächlichen Umstand abhängen, der rein zufällig ist und sich darüber hinaus auch noch im Laufe der Zeit verändern kann, wenn man nicht zu dem unlogischen Ergebnis gelangen will, daß eine Regelung, die identische Auswirkungen entfaltet, in bestimmten Staaten unter Artikel 30, in anderen Mitgliedstaaten aber nicht in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift fiele.

18 Etwas anderes würde nur gelten, wenn sich ergäbe, daß die streitige Verordnung eine nationale Produktion schützt, die ähnliche Erzeugnisse wie die aus anderen Mitgliedstaaten stammende verarbeitete Milch für Säuglinge oder mit derartigen Milcherzeugnissen im Wettbewerb stehende Erzeugnisse herstellt.

19 Im vorliegenden Fall hat die Kommission aber nicht nachgewiesen, daß dies der Fall war.

20 Nach alledem beschränkt die von der Kommission beanstandete griechische Regelung lediglich die Orte, an denen die betroffenen Erzeugnisse vertrieben werden dürfen, indem sie die Vermarktung dieser Erzeugnisse regelt, ohne dadurch den Marktzugang für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten zu behindern oder diese Erzeugnisse spezifisch zu benachteiligen.

21 Die griechische Regelung, die den Verkauf von verarbeiteter Milch für Säuglinge grundsätzlich den Apotheken vorbehält, fällt somit nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 30 des Vertrages; die Klage der Kommission ist daher abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

22 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrer Klage unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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