Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 09.08.1994
Aktenzeichen: C-393/93
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Der Gemeinsame Zolltarif ist dahin auszulegen, daß, soweit es sich um Einfuhren aus Bulgarien in den Jahren 1983 bis 1985 handelt, das Fleisch von Tieren, die nach ihren zoologischen und genetischen Merkmalen zu den Hausschweinen gehören, auch dann nicht unter die Tarifstelle 02.01 A III b in der Fassung der Verordnung Nr. 3000/82 zur Änderung der Verordnung Nr. 950/68 über den Gemeinsamen Zolltarif (Fleisch von anderen Schweinen als Hausschweinen) fällt, wenn für dieses Fleisch von den zuständigen Behörden Bulgariens bescheinigt wird, daß es von in Bulgarien wildlebenden Schweinen (Wildschweinen Typ B) stammt.

Da sich nämlich aus den verschiedenen Tarifstellen, denen das Schweinefleisch zugewiesen werden kann, ergibt, daß das Kriterium für die bei der Tarifierung zu treffende Unterscheidung zwischen Fleisch von Tieren, die zu den Hausschweinen gehören, und Fleisch, das von anderen als Hausschweinen stammt, im Begriff der Art liegt, der eine Kategorie bezeichnet, die auf der Grundlage objektiver Kriterien zoologischer und genetischer Art und nicht auf der Grundlage der besonderen Art der Tierhaltung bestimmt wird, kann die Tarifstelle 02.01 A III b nur Fleisch von Schweinearten erfassen, die sich von den Hausschweinarten durch ihre zoologischen und genetischen Merkmale unterscheiden.

Diese Auslegung kann nicht durch eine 1992 vorgenommene Änderung der Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur widerlegt werden, nach der Fleisch von Schweinen, für das von den zuständigen Behörden Australiens bescheinigt wird, daß es sich um Fleisch von in Australien wildlebenden Schweinen handelt, als Fleisch von anderen als Hausschweinen gilt, da diese Erläuterung mehrere Jahre nach den betreffenden Einfuhren und für die Anwendung einer anderen Nomenklatur verabschiedet wurde, da die Erläuterung den besonderen Fall Australiens betrifft und da keine gleichartige Erläuterung für das aus Bulgarien eingeführte Fleisch verabschiedet wurde.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (VIERTE KAMMER) VOM 9. AUGUST 1994. - WALTER STANNER GMBH & CO. KG GEGEN HAUPTZOLLAMT BOCHUM. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: FINANZGERICHT DUESSELDORF - DEUTSCHLAND. - GEMEINSAMER ZOLLTARIF - AUS BULGARIEN EINGEFUEHRTES SCHWEINEFLEISCH. - RECHTSSACHE C-393/93.

Entscheidungsgründe:

1 Das Finanzgericht Düsseldorf hat mit Beschluß vom 12. August 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 27. August 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Tarifstelle 02.01 A III b des Gemeinsamen Zolltarifs in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 3000/82 des Rates vom 19. Oktober 1982 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 950/68 über den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 318, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Walter Stanner GmbH & Co. KG (im folgenden: Firma Stanner) und dem Hauptzollamt Bochum über die Tarifierung mehrerer aus Bulgarien eingeführter Schweinefleischsendungen.

3 Aus den Akten geht hervor, daß die Firma Stanner, die in Füssen ein Import- und Exportunternehmen für Wild betreibt, vom 21. November 1983 bis zum 8. März 1985 aus Bulgarien mehrere Sendungen Schweinefleisch mit der Bezeichnung "Wildschwein Typ B" einführte und diese zur Tarifstelle 02.01 A III b anmeldete, die für Fleisch von anderen als Hausschweinen gilt. Die Zollämter fertigten diese Sendungen gemäß der Anmeldung ab und erhoben neben der Einfuhrumsatzsteuer auch Zoll.

4 Im Rahmen einer später durchgeführten Prüfung ließen die deutschen Zollbehörden Proben aus diesen Sendungen von verschiedenen Sachverständigen untersuchen. Die Sachverständigen gelangten zu dem Ergebnis, daß dieses Fleisch aus zoologischer und genetischer Sicht von Tieren einer Hausschweinart stammte. Das Hauptzollamt Bochum änderte daraufhin die ursprüngliche Tarifierung, wies die eingeführten Waren als "Fleisch von Hausschweinen" der Tarifstelle 02.01 A III a zu und erhob anschließend zusätzliche Eingangsabgaben.

5 Die Firma Stanner wandte sich vor dem Finanzgericht Düsseldorf gegen diese Einstufung und machte geltend, daß das fragliche Fleisch von Wildschweinen oder jedenfalls nicht von einer Hausschweinart stamme, da die fraglichen Schweine seit unvordenklichen Zeiten im Nordosten von Bulgarien in freier Wildbahn lebten. Es handele sich also um Fleisch von anderen Schweinen als Hausschweinen im Sinne der Tarifstelle 02.01 A III b.

6 Dagegen ist das Hauptzollamt Bochum der Ansicht, daß allein Schweine einer anderen zoologischen Art im Sinne der Tarifstelle 02.01 A III b andere als Hausschweine sein könnten; dies habe zur Folge, daß das fragliche Fleisch als Fleisch von Hausschweinen der Tarifstelle 02.01 A III a zugewiesen werden müsse.

7 In seinem Vorlagebeschluß vertritt das vorlegende Gericht die Auffassung, daß die Unterscheidung zwischen Fleisch von Hausschweinen und Fleisch von anderen Schweinen nach objektiven Kriterien, die aus den zoologischen und genetischen Merkmalen der Arten herzuleiten seien, und nicht nach Kriterien wie der Art der Tierhaltung getroffen werden müsse.

8 Es führt aus, daß die im vorliegenden Fall von der Klägerin aus Bulgarien eingeführten "Wildschweine Typ B" zoologische Merkmale aufwiesen, die für Hausschweine typisch seien, und daß sie infolgedessen der Tarifstelle 02.01 A III a hätten zugewiesen werden müssen. Das Finanzgericht Düsseldorf äussert jedoch wegen einer 1992 vorgenommenen Änderung der Erläuterungen zu Position 02.03 (Fleisch von Schweinen, frisch, gekühlt oder gefroren) der Kombinierten Nomenklatur Zweifel an dieser Tarifierung. Nach der betreffenden Erläuterung "[gilt] Fleisch von Schweinen, für das von den zuständigen Behörden Australiens bescheinigt wird, daß es sich um Fleisch von in Australien wildlebenden Schweinen handelt,... als Fleisch von anderen als Hausschweinen" (ABl. 1992, C 34, S. 2).

9 Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts legt der Umstand, daß das von der Firma Stanner eingeführte Schweinefleisch nach den Ergebnissen der durchgeführten Untersuchungen mehr echtem Wildschweinfleisch ähnelt als das australische Wildschweinfleisch, den Gedanken nahe, Fleisch von Schweinen, für das von den zuständigen Behörden Bulgariens bescheinigt wird, daß es sich um Fleisch von in Bulgarien wildlebenden Schweinen handelt, ebenfalls als Fleisch von anderen als Hausschweinen anzusehen.

10 Auf der Grundlage dieser Überlegungen hat das Finanzgericht Düsseldorf das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist die Tarifstelle 02.01 A III b des Gemeinsamen Zolltarifs in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 3000/82 vom 19. Oktober 1982 (ABl. L 318 vom 15. November 1982, S. 1) dahin auszulegen, daß Fleisch von Schweinen, für das von den zuständigen Behörden Bulgariens bescheinigt wird, daß es sich um Fleisch von in Bulgarien wildlebenden Schweinen (Wildschweinen Typ B) handelt, als Fleisch von anderen als Hausschweinen zu tarifieren ist?

11 Mit seiner Vorabentscheidungsfrage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob der Gemeinsame Zolltarif dahin auszulegen ist, daß Fleisch von nach ihren zoologischen und genetischen Merkmalen zu den Schweinen gehörenden Tieren, für das von den zuständigen Behörden Bulgariens bescheinigt wird, daß es von in Bulgarien wildlebenden Schweinen (Wildschweinen Typ B) stammt, unter die Tarifstelle 02.01 A III b fällt.

12 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Tarifstelle 02.01 A III (Fleisch von Schweinen) "Fleisch von Hausschweinen" (Tarifstelle 02.01 A III a) und "anderes" Schweinefleisch (Tarifstelle 02.01 A III b) unterscheidet. Diese Unterscheidung entspricht derjenigen für lebende Schweine in der Tarifnummer 01.03, wo in gleicher Weise "Hausschweine" (01.03 A) und "andere" (01.03 B) unterschieden werden.

13 Sodann sehen die Erläuterungen zur Tarifstelle 02.01 A III b vor, daß zu dieser nur Fleisch von den in der Tarifstelle 01.03 B erfassten Tieren gehört. Die Erläuterungen zur letztgenannten Tarifstelle stellten in ihrer Fassung im hier maßgeblichen Zeitpunkt aber klar, daß zu dieser nur lebende Schweine gehörten, die nicht Haustiere sind, und zwar z. B. das Wildschwein, das Warzenschwein, der Celebes-Hirscheber und das Pekari.

14 Nach ständiger Rechtsprechung ist das entscheidende Kriterium für die Tarifierung von Waren grundsätzlich in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen des Gemeinsamen Zolltarifs festgelegt sind (Urteile vom 14. Januar 1993 in der Rechtssache C-177/91, Bioforce, Slg. 1993, I-45, Randnr. 8, und vom 19. Mai 1994 in der Rechtssache C-11/93, Siemens Nixdorf, Randnr. 11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht).

15 Ferner sind die Erläuterungen zur Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens wie auch die Tarifentscheide des Ausschusses für das Schema des Gemeinsamen Zolltarifs nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes wichtige Hilfsmittel für die Gewährleistung einer einheitlichen Anwendung dieses Tarifs; als solche geben sie wertvolle Hinweise für dessen Auslegung (Urteile vom 10. Oktober 1985 in der Rechtssache 200/84, Daiber, Slg. 1985, 3363, Randnr. 14, und vom 26. September 1985 in der Rechtssache 166/84, Thomasdünger, Slg. 1985, 3001, Randnr. 14). Bei der Auslegung der genannten Tarifpositionen sind daher nicht nur der Wortlaut und die Systematik des Gemeinsamen Zolltarifs, sondern auch der Inhalt dieser Erläuterungen zu berücksichtigen.

16 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den betreffenden Tarifstellen, daß das Kriterium für die bei der Tarifierung zu treffende Unterscheidung zwischen Fleisch von Tieren, die zu den Hausschweinen gehören, und Fleisch, das von anderen als Hausschweinen stammt, im Begriff der Art liegt, der eine Kategorie bezeichnet, die auf der Grundlage objektiver Kriterien zoologischer und genetischer Art und nicht auf der Grundlage der besonderen Art der Tierhaltung bestimmt wird.

17 Diese Auslegung wird durch die Aufzählung in den erwähnten Erläuterungen bestätigt, in der, wenn auch nicht erschöpfend, nur Arten aufgeführt sind, die aus zoologischer und genetischer Sicht eine gewisse Eigentümlichkeit aufweisen, ohne daß dabei auf ihre Lebensweise oder die Art ihrer Haltung Bezug genommen würde.

18 Daraus folgt, daß die Tarifstelle 02.01 A III b nur Fleisch von Schweinearten erfassen kann, die sich von den Hausschweinarten durch ihre zoologischen und genetischen Merkmale unterscheiden.

19 Diese Auslegung kann nicht durch die oben in Randnummer 8 erwähnte Erläuterung zu den in Australien wildlebenden Schweinen widerlegt werden. Denn diese Erläuterung wurde 1992, d. h. mehrere Jahre nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt, verabschiedet und betraf die Anwendung einer anderen als der zur Zeit der im Ausgangsverfahren streitigen Vorgänge geltenden Nomenklatur. Ausserdem zeigt der Wortlaut dieser Erläuterung an, daß sie einen Sonderfall bildet, der allein in Australien wildlebende Schweine betrifft, so daß man aus ihr kein allgemeines Tarifierungskriterium herleiten kann. Schließlich ist keine gleichartige Erläuterung für aus Bulgarien eingeführtes Fleisch von "Wildschweinen Typ B" verabschiedet worden.

20 Daher ist auf die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage zu antworten, daß der Gemeinsame Zolltarif dahin auszulegen ist, daß Fleisch von nach ihren zoologischen und genetischen Merkmalen zu den Schweinen gehörenden Tieren, für das von den zuständigen Behörden Bulgariens bescheinigt wird, daß es von in Bulgarien wildlebenden Schweinen (Wildschweinen Typ B) stammt, nicht unter die Tarifstelle 02.01 A III b fällt.

Kostenentscheidung:

Kosten

21 Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

auf die ihm vom Finanzgericht Düsseldorf mit Beschluß vom 12. August 1993 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Der Gemeinsame Zolltarif ist dahin auszulegen, daß Fleisch von nach ihren zoologischen und genetischen Merkmalen zu den Schweinen gehörenden Tieren, für das von den zuständigen Behörden Bulgariens bescheinigt wird, daß es von in Bulgarien wildlebenden Schweinen (Wildschweinen Typ B) stammt, nicht unter die Tarifstelle 02.01 A III b in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 3000/82 des Rates vom 19. Oktober 1982 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 950/68 über den Gemeinsamen Zolltarif fällt.

Ende der Entscheidung

Zurück