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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 15.06.1999
Aktenzeichen: C-394/97
Rechtsgebiete: Verordnung Nr. 918/83/EWG, Richtlinie 69/169/EWG


Vorschriften:

Verordnung Nr. 918/83/EWG
Richtlinie 69/169/EWG
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Verordnung Nr. 918/83 über das gemeinschaftliche System der Zollbefreiungen und die Richtlinie 69/169 über die Befreiung von den Umsatzsteuern und Sonderverbrauchsteuern bei der Einfuhr im grenzueberschreitenden Reiseverkehr stehen weder einer nationalen Regelung entgegen, die aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen die Einfuhr bestimmter Waren durch Reisende aus Drittländern untersagt oder beschränkt, noch verbieten sie, daß eine solche Regelung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung die Einfuhr alkoholischer Getränke durch diese Reisenden beschränkt. Die Verordnung und die Richtlinie stehen auch einer nationalen Regelung nicht entgegen, die zur Bekämpfung von Störungen der öffentlichen Ordnung, die mit dem Alkoholkonsum zusammenhängen, die Einfuhr alkoholischer Getränke durch Reisende aus Drittländern nach Maßgabe der Reisedauer beschränkt.

Weder die Verordnung noch die Richtlinie, die die Beseitigung der Unterschiede auf dem Gebiet der Zollbefreiungen und eine Harmonisierung der Befreiung von den Umsatzsteuern und Sonderverbrauchsteuern bei der Einfuhr im grenzueberschreitenden Reiseverkehr bezwecken, schließen nämlich aus, daß die Mitgliedstaaten Einfuhr- oder Ausfuhrverbote bzw. -beschränkungen verfügen, die aus den oben genannten Gründen gerechtfertigt sind. Soweit es insbesondere um Einfuhrbeschränkungen nach Maßgabe der Reisedauer geht, entspricht eine solche Regelung dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit, sofern sie angemessen ist, weil sie nur eine beschränkte Abweichung vom gemeinschaftlichen System der Zoll- und Steuerbefreiungen für Reisende enthält, und sofern sie erforderlich ist, weil Alternativmaßnahmen nicht wirksam genug erscheinen, um das verfolgte Ziel zu erreichen.


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 15. Juni 1999. - Strafverfahren gegen Sami Heinonen. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Helsingin käräjäoikeus - Finnland. - Waren im persönlichen Gepäck der Reisenden - Reisende aus Drittländern - Befreiungen - Mit einer Mindestdauer des Auslandsaufenthalts verbundenes Einfuhrverbot. - Rechtssache C-394/97.

Entscheidungsgründe:

1 Das Helsingin käräjäoikeus hat mit Beschluß vom 5. November 1997, beim Gerichtshof eingegangen am 25. November 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) drei Fragen nach der Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 918/83 des Rates vom 28. März 1983 über das gemeinschaftliche System der Zollbefreiungen (ABl. L 105, S. 1) und der Richtlinie 69/169/EWG des Rates vom 28. Mai 1969 zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Befreiung von den Umsatzsteuern und Sonderverbrauchsteuern bei der Einfuhr im grenzueberschreitenden Reiseverkehr (ABl. L 133, S. 6) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich im Rahmen eines Strafverfahrens gegen Herrn Heinonen wegen Verstosses gegen § 10 des alkoholilaki (im folgenden: Alkoholgesetz) in der Fassung des Gesetzes Nr. 287/96 und gegen § 8 Absatz 1 des alkoholijuomista ja väkiviinasta annettu asetus (Verordnung über alkoholische Getränke und Alkohol in der Fassung der Verordnung Nr. 288/96; im folgenden: Verordnung).

Das Gemeinschaftsrecht

3 Die Verordnung (EG) Nr. 3285/94 des Rates vom 22. Dezember 1994 über die gemeinsame Einfuhrregelung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 518/94 (ABl. L 349, S. 53), die nach ihrem Artikel 1 "für die Einfuhren der Waren mit Ursprung in Drittländern, mit Ausnahme... der Waren mit Ursprung in bestimmten Drittländern [gilt], die in der Verordnung (EG) Nr. 519/94 über die gemeinsame Regelung der Einfuhren aus bestimmten Drittländern aufgeführt sind", bestimmt in Artikel 24 Absatz 2 Buchstabe a Ziffer i:

"(2) a) Unbeschadet anderslautender Gemeinschaftsvorschriften steht diese Verordnung dem Erlaß oder der Anwendung folgender einzelstaatlicher Maßnahmen nicht entgegen:

i) Verbote, mengenmässige Beschränkungen oder Überwachungsmaßnahmen, die aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen oder Tieren oder des Schutzes von Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder des gewerblichen oder kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind".

4 Die Verordnung (EG) Nr. 519/94 des Rates vom 7. März 1994 über die gemeinsame Regelung der Einfuhren aus bestimmten Drittländern und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nrn. 1765/82, 1766/82 und 3420/83 (ABl. L 67, S. 89) enthält in Artikel 19 Absatz 2 Buchstabe a Ziffer i eine gleichlautende Bestimmung.

5 Die Verordnung Nr. 918/83 legt gemäß ihrem Artikel 1 "die Fälle fest, in denen aufgrund besonderer Umstände... Befreiung von Eingangsabgaben... oder... Befreiung von Ausfuhrabgaben gewährt wird". Nach der zweiten Begründungserwägung dieser Verordnung handelt es sich um Umstände, unter denen"die besonderen Bedingungen der Einfuhr keine Anwendung der üblichen Maßnahmen zum Schutz der Wirtschaft erfordern".

6 Nach ihrer neunten Begründungserwägung schließt die Verordnung Nr. 918/83 "nicht aus, daß die Mitgliedstaaten Einfuhr- oder Ausfuhrverbote bzw. -beschränkungen verfügen, die aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen und Tieren oder zur Erhaltung von Pflanzen, zum Schutz des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder zum Schutz des gewerblichen oder kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind".

7 Artikel 45 der Verordnung Nr. 918/83 bestimmt:

"(1) Von den Eingangsabgaben befreit sind vorbehaltlich der Artikel 46 bis 49 die aus einem Drittland eingeführten Waren im persönlichen Gepäck von Reisenden, sofern es sich um Einfuhren ohne kommerziellen Charakter handelt.

(2) Im Sinne von Absatz 1 gelten als

a)...

b) "Einfuhren ohne kommerziellen Charakter": Einfuhren, die

- gelegentlich erfolgen und

- sich ausschließlich aus Waren zusammensetzen, die zum persönlichen Ge- oder Verbrauch von Reisenden oder den Angehörigen ihres Haushalts oder als Geschenk bestimmt sind; dabei dürfen diese Waren weder ihrer Art noch ihrer Menge nach zu der Besorgnis Anlaß geben, daß die Einfuhr aus geschäftlichen Gründen erfolgt."

8 Artikel 46 dieser Verordnung legt die Hoechstmengen fest, auf die die Befreiung nach Artikel 45 Absatz 1 bei bestimmten Waren beschränkt ist. Er legt keine Hoechstmenge für Bier fest.

9 Für andere als die in Artikel 46 genannten Waren beschränkt Artikel 47 Absatz 1 der Verordnung Nr. 918/83 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 355/94 des Rates vom 14. Februar 1994 (ABl. L 46, S. 5) die Befreiung je Reisenden auf einen Gesamtwert von 175 ECU.

10 Artikel 49 Absatz 1 der Verordnung Nr. 918/83 sieht vor:

"(1) Die Mitgliedstaaten können Wert und/oder Menge der von den Eingangsabgaben zu befreienden Waren niedriger festsetzen, wenn diese Waren eingeführt werden von

- Bewohnern des Grenzgebiets,

- Grenzarbeitnehmern,

- dem Personal von im Verkehr zwischen Drittländern und der Gemeinschaft eingesetzten Verkehrsmitteln.

..."

11 Artikel 1 der Richtlinie 69/169 in der Fassung der Vierten Richtlinie 78/1033/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 (ABl. L 366, S. 31) und der Richtlinie 94/4/EG des Rates vom 14. Februar 1994 zur Änderung der Richtlinien 69/169/EWG und 77/388/EWG sowie zur Erhöhung der Freibeträge für Reisende aus Drittländern und der Hoechstgrenzen für steuerfreie Käufe im innergemeinschaftlichen Reiseverkehr (ABl. L 60, S. 14) sieht vor:

"(1) Waren, die im persönlichen Gepäck der aus Drittländern kommenden Reisenden eingeführt werden, sind von den Umsatzsteuern und den Sonderverbrauchsteuern bei der Einfuhr befreit, sofern die Einfuhr keinen kommerziellen Charakter hat und der Gesamtwert dieser Waren je Person 175 ECU nicht übersteigt."

12 Nach Artikel 4 der Richtlinie 69/169 setzt jeder Mitgliedstaat für die Befreiung bei der Einfuhr der in diesem Artikel bezeichneten Waren bestimmte mengenmässige Begrenzungen fest. Diese Vorschrift bestimmt keine mengenmässige Begrenzung für die Einfuhr von Bier und beschränkt auch nicht die Einfuhr alkoholischer Getränke nach Maßgabe der Reisedauer.

13 Artikel 3 der Richtlinie 69/169 enthält für Einfuhren ohne kommerziellen Charakter die gleiche Definition wie Artikel 45 der Verordnung Nr. 918/83.

14 Artikel 5 der Richtlinie 69/169 verleiht den Mitgliedstaaten die Befugnis, Wert und/oder Menge der zu befreienden Waren unter den gleichen Voraussetzungen wie nach Artikel 49 der Verordnung Nr. 918/83 niedriger festzusetzen.

Die nationale Regelung

15 Die Republik Finnland geht im Rahmen ihrer Alkoholpolitik seit langem restriktiv vor. So konnte nach der vom 1. Juli 1992 bis zum 31. Dezember 1994 geltenden Regelung Alkohol nach einer Auslandsreise grundsätzlich nur dann eingeführt werden, wenn die Reise länger als 24 Stunden dauerte und es sich um sehr geringe Alkoholmengen handelte. Diese Regelung wurde im Hinblick auf den Beitritt zur Europäischen Union geändert. Anfang 1995 wurden die mit der Reisedauer zusammenhängenden Beschränkungen abgeschafft.

16 1996 wurden jedoch erneut Einfuhrbeschränkungen für Alkohol eingeführt. Das Alkoholgesetz wurde mit Wirkung vom 1. Mai 1996 durch das Gesetz Nr. 287/96 geändert. Dessen § 10 bestimmt:

"Das Recht, alkoholische Getränke für den eigenen Bedarf einzuführen, kann für Personen, die nach einer Reise von kurzer Dauer aus einem Land ausserhalb des Europäischen Wirtschaftsraums einreisen, zum Schutz der allgemeinen Sicherheit und Ordnung sowie der menschlichen Gesundheit durch Verordnung eingeschränkt werden."

17 § 8 Absatz 1 der Verordnung in der mit Wirkung vom gleichen Tag geänderten Fassung sieht vor:

"Wer in Finnland ansässig ist und auf andere Weise als mit dem Flugzeug aus einem Land ausserhalb des Europäischen Wirtschaftsraums nach Finnland einreist, darf, wenn die Reise nicht länger als 20 Stunden gedauert hat, keine alkoholischen Getränke einführen."

18 Die Änderung des Alkoholgesetzes wurde in den Vorarbeiten folgendermassen begründet:

- Die Preise für alkoholische Getränke seien in Finnland erheblich höher als in nahegelegenen Ländern wie Rußland oder Estland;

- die Durchführung der Gemeinschaftsvorschriften über die Einfuhr von Waren durch Reisende aus Drittländern habe in Finnland zu grossen Problemen im sozialen und gesundheitlichen Bereich sowie bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung geführt;

- während dieses Zeitraums sei die Zahl der Reisenden, die alkoholische Getränke und Tabakerzeugnisse aus Rußland mitbrächten, so sehr angestiegen, daß der grenzueberschreitende Verkehr mit Nutzfahrzeugen und der Grenzgängerverkehr erheblich erschwert worden seien;

- im russischen Grenzgebiet seien Geschäfte speziell für den steuerfreien Verkauf von alkoholischen Getränken und Tabakerzeugnissen eröffnet worden;

- der Alkoholkonsum sei 1995 in Finnland insgesamt um etwa 10 % gestiegen, was zu einer Zunahme der gesundheitlichen und sozialen Probleme geführt habe;

- die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Finnland seien beeinträchtigt worden (immer häufigere Trunkenheit am Steuer, Zunahme und Verschärfung von Gewalt, insbesondere in bestimmten Grenzgebieten und in den Häfen bei der Ankunft von Schiffen aus Estland, Entstehen und Verbreitung von Schwarzmärkten u. a. in der Nähe von Schulen, Strassenverkauf alkoholischer Getränke an Minderjährige und Betrunkene, wobei alle diese Störungen den Einsatz von Polizeikräften erforderlich machten, die dadurch bei der Wahrnehmung ihrer anderen Aufgaben behindert würden);

- der Verkauf in den Läden des finnischen Alkoholmonopolunternehmens sei spürbar zurückgegangen;

- der Republik Finnland seien ungefähr 400 Mio. FIM Steuereinnahmen entgangen.

Das Ausgangsverfahren

19 Am 14. Juni 1997 fuhr Herr Heinonen, der in Finnland wohnt, auf einem Linienschiff nach Tallin (Estland). Er kehrte am gleichen Tag nach einer Reise von weniger als 20 Stunden auf dem Seeweg zurück.

20 Bei seiner Rückkehr wurde Herr Heinonen routinemässig vom Zoll kontrolliert, der 19 Flaschen Bier zu je 0,33 l bei ihm fand. Die Zollbehörden beantragten die Festsetzung einer Geldbusse wegen betrügerischer Einfuhr eines Stoffes mit geringem Alkoholgehalt in das finnische Hoheitsgebiet und die Einziehung des Stoffes.

21 Gegen diesen Antrag legte Herr Heinonen am 16. Juni 1997 Einspruch bei der Staatsanwaltschaft ein. Diese rief daraufhin das Helsingin käräjäoikeus an und beantragte die Verurteilung von Herrn Heinonen. Dieser ließ sich dahin gehend ein, daß er für seine Handlung nicht zu einer Strafe verurteilt werden dürfe, da das Gemeinschaftsrecht es ihm erlaube, zumindest die in Rede stehende Menge Bier frei einzuführen.

22 Das Helsingin käräjäoikeus hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Vorabentscheidungsfragen vorgelegt:

1. Können die Zollbefreiungsverordnung und die Reiseverkehrsrichtlinie dahin ausgelegt werden, daß eine nationale Regelung eines Mitgliedstaats, die die Einfuhr von Bier und anderen alkoholischen Getränken durch Reisende begrenzt und sich hierfür auf die neunte Begründungserwägung der Zollbefreiungsverordnung und die in Artikel 36 EG-Vertrag genannten Gründe oder andere zwingende Erfordernisse des Gemeinwohls stützt, mit den Bestimmungen der Verordnung und der Richtlinie vereinbar ist?

2. Stellen die in Abschnitt IV unter Nummer 6 Buchstaben a bis h des Vorabentscheidungsersuchens aufgeführten Tatsachen [Randnr. 18 des vorliegenden Urteils] Gründe dar, die bewirken, daß auf sie gestützte nationale Beschränkungen eines Mitgliedstaats mit den Bestimmungen der Zollbefreiungsverordnung und der Reiseverkehrsrichtlinie vereinbar sind?

3. Kann eine Regelung, die die Einfuhr alkoholischer Getränke, worunter in dieser Frage auch Bier zu verstehen ist, durch Reisende aufgrund des Kriteriums der Reisedauer begrenzt, als mit der Zollbefreiungsverordnung und der Reiseverkehrsrichtlinie vereinbar angesehen werden?

Zur ersten Frage

23 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob die Verordnung Nr. 918/83 und die Richtlinie 69/169 einer nationalen Regelung entgegenstehen, die aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen die Einfuhr bestimmter Waren durch Reisende aus Drittländern untersagt oder beschränkt.

24 Die Verordnung Nr. 918/83 hat nach ihrer vierten Begründungserwägung zum Ziel, entsprechend den Erfordernissen der Zollunion die Unterschiede auf dem Gebiet der Zollbefreiungen zu beseitigen. Insbesondere sollen die Artikel 45 bis 49 die Zollabfertigung von Waren erleichtern, die im persönlichen Gepäck der aus Drittländern kommenden Reisenden eingeführt werden (in diesem Sinne Urteil vom 7. Juli 1981 in der Rechtssache 158/80, Rewe, Slg. 1981, 1805, Randnr. 11), und dadurch den Reiseverkehr erleichtern.

25 Die Richtlinie 69/169 bezweckt, wie aus ihrem Titel hervorgeht, eine Harmonisierung der Befreiung von den Umsatzsteuern und Sonderverbrauchsteuern bei der Einfuhr im grenzueberschreitenden Reiseverkehr. Nach ihren Begründungserwägungen und denen der später zu ihrer Änderung ergangenen Richtlinien soll die Einfuhrbesteuerung im Reiseverkehr weitergehend liberalisiert und der Reiseverkehr dadurch erleichtert werden.

26 Die Verordnung Nr. 918/83 schließt jedoch nach ihrer neunten Begründungserwägung nicht aus, daß die Mitgliedstaaten Einfuhr- oder Ausfuhrverbote bzw. -beschränkungen verfügen, die aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit oder zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt sind, d. h. aus Gründen, die selbst im innergemeinschaftlichen Handel gemäß Artikel 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 30 EG) Beschränkungen des freien Warenverkehrs rechtfertigen können.

27 Diese Auslegung hat auch für die Richtlinie 69/169 zu gelten, die sich wie die Verordnung Nr. 918/83 darauf beschränkt, ein System von Befreiungen für Waren vorzusehen, deren Einfuhr nicht aus einem der in Randnummer 26 genannten Gründe untersagt ist.

28 Artikel 24 Absatz 2 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 3285/94 sieht ebenso wie Artikel 19 Absatz 2 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 519/94 ausdrücklich vor, daß die Verordnungen nicht dem Erlaß oder der Anwendung von Verboten, mengenmässigen Beschränkungen oder Überwachungsmaßnahmen durch die Mitgliedstaaten entgegenstehen, sofern sie aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt sind.

29 Folglich sollen die Verordnung Nr. 918/83 und die Richtlinie 69/169 zwar das Zoll- und Steuersystem für Einfuhren ohne kommerziellen Charakter durch Reisende aus Drittstaaten festlegen, doch zielt diese Harmonisierungsregelung nicht darauf ab, speziell den Schutz der in Artikel 24 Absatz 2 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 3285/94 und in Artikel 19 Absatz 2 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 519/94 genannten Erfordernisse des Gemeinwohls zu regeln; die Mitgliedstaaten behalten daher ihre Zuständigkeit für den Erlaß der zum Schutz dieser Erfordernisse notwendigen Maßnahmen.

30 Auf die erste Frage ist demnach zu antworten, daß die Verordnung Nr. 918/83 und die Richtlinie 69/169 einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen die Einfuhr bestimmter Waren durch Reisende aus Drittländern untersagt oder beschränkt.

Zur zweiten Frage

31 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob die in Randnummer 18 des vorliegenden Urteils beschriebenen Umstände eine Beschränkung der Einfuhr alkoholischer Getränke durch Reisende aus Drittländern rechtfertigen können.

32 Wirtschaftliche Erwägungen wie die letzten beiden in Randnummer 18 des vorliegenden Urteils genannten Umstände gehören nicht zu den Gründen, die nach Artikel 24 Absatz 2 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 3285/94 eine Beschränkung der Einfuhr von Erzeugnissen aus Drittländern rechtfertigen können (vgl. analog - in bezug auf Artikel 36 des Vertrages - Urteil vom 9. Juni 1982 in der Rechtssache 95/81, Kommission/Italien, Slg. 1982, 2187, Randnr. 27).

33 Dagegen nehmen die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der inneren Sicherheit eine Vorrangstellung unter den in Artikel 24 Absatz 2 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 3285/94 und in Artikel 19 Absatz 2 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 519/94 genannten Belangen ein. Dasselbe gilt für den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, zu dem der Kampf gegen den Alkoholismus beiträgt (vgl. im Zusammenhang mit Artikel 36 des Vertrages Urteil vom 23. Oktober 1997 in der Rechtssache C-189/95, Franzén, Slg. 1997, I-5909, Randnr. 76).

34 Auf die zweite Frage ist daher zu antworten, daß die Verordnung Nr. 918/83 und die Richtlinie 69/169 grundsätzlich einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung die Einfuhr alkoholischer Getränke durch Reisende aus Drittländern beschränkt.

Zur dritten Frage

35 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob die Verordnung Nr. 918/83 und die Richtlinie 69/169 einer nationalen Regelung entgegenstehen, die zur Bekämpfung von Störungen der öffentlichen Ordnung, die mit dem Alkoholkonsum zusammenhängen, die Einfuhr alkoholischer Getränke, auch solcher mit geringem Alkoholgehalt, durch Reisende aus Drittländern nach Maßgabe der Reisedauer beschränkt.

36 Um den Sinn dieser Frage zu ermitteln, ist daran zu erinnern, daß der Gerichtshof im Zusammenhang mit den Artikeln 30 des Vertrages (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) und 36 des Vertrages festgestellt hat, daß die Mitgliedstaaten zwar darüber zu entscheiden haben, in welchem Maß sie den Schutz der in Artikel 36 des Vertrages genannten Belangen gewährleisten wollen und wie dieses Maß zu erreichen ist, daß sie dies jedoch nur in den Grenzen des Vertrages und insbesondere unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit tun können (Urteil Franzén, Randnr. 75).

37 Wie der Generalanwalt in Nummer 28 seiner Schlussanträge festgestellt hat, ist also zu prüfen, ob die vom finnischen Gesetzgeber erlassene Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Ziel steht.

38 Ziel der Artikel 30 des Vertrages (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) und 36 des Vertrages ist es, die Beachtung der Grundfreiheit, die der freie Warenverkehr im Binnenmarkt darstellt, zu gewährleisten, während die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden gemeinschaftlichen Zoll- und Steuervorschriften ein engeres Ziel verfolgen, nämlich die Erleichterung des Reiseverkehrs von Personen aus Drittländern unter Beachtung der Erfordernisse der Zollunion.

39 Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen ist zu prüfen, ob die Regelung, um die es im Ausgangsverfahren geht, angemessen und erforderlich ist.

40 Was die Angemessenheit der Regelung betrifft, so enthält diese nur eine beschränkte Abweichung vom gemeinschaftlichen System der Zoll- und Steuerbefreiungen für Reisende, da sie sich nur auf eine bestimmte Warengruppe, die alkoholischen Getränke, bezieht. Die Abweichung wird zusätzlich dadurch eingeschränkt, daß sie nur Reisen betrifft, die bestimmten Kriterien entsprechen, nämlich auf dem Land- oder Seeweg unternommene Reisen von weniger als 20 Stunden Dauer.

41 Diese Beschränkungen decken sich mit den typischen Umständen, die die finnischen Behörden als Hauptursache der sozialen und gesundheitlichen Probleme ausgemacht haben, mit denen sie konfrontiert worden sind. Die finnische Regierung hebt übrigens hervor, daß mit Durchführung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung eine Verbesserung der Lage habe festgestellt werden können. Diese Umstände lassen darauf schließen, daß die Regelung angemessen ist.

42 Was die Erforderlichkeit einer Regelung wie der des Ausgangsverfahrens angeht, so macht die Kommission geltend, daß die finnischen Behörden durch Einführung dichterer Kontrollen der Reiseströme die in der Gemeinschaftsregelung vorgesehenen Möglichkeiten besser hätten nutzen können, wie eine strikte Anwendung des Begriffes "Einfuhren ohne kommerziellen Charakter", eine Senkung der Freibeträge für Grenzarbeitnehmer und das Personal von Verkehrsmitteln und die Verweigerung von Befreiungen für Reisende, deren Aufenthalt in einem anderen Land nur symbolischen Charakter habe. Die finnische Regierung entgegnet, daß die Nutzung dieser Möglichkeiten nur eine unzulängliche Reaktion auf die zu lösenden Probleme dargestellt hätte. Ausserdem hätte sie Sachmittel, insbesondere der Informatik, vorausgesetzt, die nicht oder zumindest nicht sofort verfügbar gewesen seien, während die Behörden mit schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hätten fertig werden müssen, die mit einem drastischen Anstieg des Alkoholkonsums verbunden gewesen seien.

43 Die Mitgliedstaaten, die für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit allein zuständig bleiben (Urteil vom 9. Dezember 1997 in der Rechtssache C-265/95, Kommission/Frankreich, Slg. 1997, I-6959, Randnr. 33), verfügen über einen Ermessensspielraum, um unter Berücksichtigung der Besonderheit der sozialen Umstände und der Bedeutung, die sie einem im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht berechtigten Ziel wie der Bekämpfung der verschiedenen mit dem Alkoholkonsum zusammenhängenden Kriminalitätsformen beimessen, zu bestimmen, welche Maßnahmen geeignet sind, konkrete Ergebnisse herbeizuführen.

44 Unter den in Randnummer 18 des vorliegenden Urteils beschriebenen Umständen erscheint die Einführung einer Beschränkung für die Einfuhr alkoholischer Getränke durch Reisende aus Drittländern nach Maßgabe der Reisedauer erforderlich, da die von der Kommission vorgeschlagenen Alternativmaßnahmen nicht wirksam genug erscheinen, um das verfolgte Ziel zu erreichen.

45 Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, daß die Verordnung Nr. 918/83 und die Richtlinie 69/169 einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die zur Bekämpfung von Störungen der öffentlichen Ordnung, die mit dem Alkoholkonsum zusammenhängen, die Einfuhr alkoholischer Getränke durch Reisende aus Drittländern nach Maßgabe der Reisedauer beschränkt.

Kostenentscheidung:

Kosten

46 Die Auslagen der finnischen Regierung und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Helsingin käräjäoikeus mit Beschluß vom 5. November 1997 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Die Verordnung (EWG) Nr. 918/83 des Rates vom 28. März 1983 über das gemeinschaftliche System der Zollbefreiungen und die Richtlinie 69/169/EWG des Rates vom 28. Mai 1969 zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Befreiung von den Umsatzsteuern und Sonderverbrauchsteuern bei der Einfuhr im grenzueberschreitenden Reiseverkehr stehen einer nationalen Regelung nicht entgegen, die aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen die Einfuhr bestimmter Waren durch Reisende aus Drittländern untersagt oder beschränkt.

2. Die Verordnung Nr. 918/83 und die Richtlinie 69/169 stehen grundsätzlich einer nationalen Regelung nicht entgegen, die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung die Einfuhr alkoholischer Getränke durch Reisende aus Drittländern beschränkt.

3. Die Verordnung Nr. 918/83 und die Richtlinie 69/169 stehen einer nationalen Regelung nicht entgegen, die zur Bekämpfung von Störungen der öffentlichen Ordnung, die mit dem Alkoholkonsum zusammenhängen, die Einfuhr alkoholischer Getränke durch Reisende aus Drittländern nach Maßgabe der Reisedauer beschränkt.

Ende der Entscheidung

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