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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 09.08.1994
Aktenzeichen: C-395/93
Rechtsgebiete: Verordnung Nr. 2658/87, Verordnung Nr. 3174/88


Vorschriften:

Verordnung Nr. 2658/87
Verordnung Nr. 3174/88
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Schlafanzuege im Sinne der Position 6108 (Schlafanzuege... aus Gewirken oder Gestricken... für Frauen oder Mädchen) der Kombinierten Nomenklatur des Gemeinsamen Zolltarifs in der Fassung der Verordnung Nr. 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif und der Verordnung Nr. 3174/88 zur Änderung von deren Anhang I sind nicht nur solche Zusammenstellungen von zwei Kleidungsstücken aus Gewirken oder Gestricken, die nach ihrem äusseren Erscheinungsbild ausschließlich zum Tragen im Bett bestimmt sind, sondern auch solche, die im wesentlichen hierfür verwendet werden. Dagegen ist allein die nach der im Abfertigungsmitgliedstaat zum Zeitpunkt der Abfertigung allgemein vorherrschenden Verkehrsanschauung bestehende Möglichkeit, eine Zusammenstellung von zwei Kleidungsstücken aus Gewirken oder Gestricken im Bett zu tragen, nicht ausreichend, um eine Einreihung in diese Position zu ermöglichen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ERSTE KAMMER) VOM 9. AUGUST 1994. - NECKERMANN VERSAND AG GEGEN HAUPTZOLLAMT FRANKFURT/MAIN-OST. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: HESSISCHES FINANZGERICHT - DEUTSCHLAND. - GEMEINSAMER ZOLLTARIF - TARIFPOSITION 6108 DER KOMBINIERTEN NOMENKLATUR - TARIFIERUNG VON KLEIDUNGSSTUECKEN AUS GEWIRKEN ODER GESTRICKEN FUER FRAUEN UND MAEDCHEN - SCHLAFANZUEGE. - RECHTSSACHE C-395/93.

Entscheidungsgründe:

1 Das Hessische Finanzgericht (Deutschland) hat mit Beschluß vom 28. Juli 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 3. September 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Position 6108 des Gemeinsamen Zolltarifs in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) und der Verordnung (EWG) Nr. 3174/88 der Kommission vom 21. September 1988 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 298, S. 1) und insbesondere nach der Tarifierung von Kleidungsstücken aus Gewirken und Gestricken für Frauen und Mädchen (Schlafanzuegen) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Neckermann Versand AG (im folgenden: Klägerin) und dem Hauptzollamt Frankfurt am Main-Ost (im folgenden: Beklagter) über Abgabennachforderungen für die Einfuhr bestimmter Kleidungsstücke in den Jahren 1988 und 1989. Diese als Schlafanzuege angemeldeten Kleidungsstücke sind von den deutschen Behörden neu als Oberteile und Hosen, in einem Fall als Kombination, eingereiht worden, was zur Anwendung eines höheren Zollsatzes führte.

3 Die Klägerin focht die Entscheidung, mit der die Tarifierung der Waren geändert wurde, vor dem Hessischen Finanzgericht an, das dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:

1) Ist die Position 6108 der Kombinierten Nomenklatur dahin auszulegen, daß unter Schlafanzuegen nur solche Zusammenstellungen von zwei Kleidungsstücken aus Gewirken oder Gestricken zu verstehen sind, die nach ihrem äusseren Erscheinungsbild ausschließlich zum Tragen im Bett bestimmt sind?

2) Bei Verneinung der Frage zu 1:

Genügt allein die nach der in dem betreffenden EG-Mitgliedsstaat im Zeitpunkt der Abfertigung allgemein vorherrschenden Verkehrsanschauung bestehende Möglichkeit, eine Zusammenstellung der genannten Art jedenfalls auch im Bett zu tragen, um diese als Schlafanzug z. B. der Codenummer 6108 3190 0000 zuzuordnen?

Zur ersten Frage

4 Für die Einreihung von Waren in die Kombinierte Nomenklatur galten 1988 und 1989 die Fassungen des Gemeinsamen Zolltarifs, die sich aus den Verordnungen Nr. 2658/87 und Nr. 3174/88 ergeben.

5 Nach ständiger Rechtsprechung ist im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren grundsätzlich in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Tarifpositionen des Gemeinsamen Zolltarifs und der Vorschriften zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (Urteil vom 25. Mai 1989 in der Rechtssache 40/88, Weber, Slg. 1989, 1395, Randnr. 13). Es ist weiter ständige Rechtsprechung, daß bei der Auslegung des Gemeinsamen Zolltarifs sowohl die Vorschriften zu den Kapiteln des Gemeinsamen Zolltarifs als auch die Erläuterungen zur Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens wichtige Hilfsmittel sind, um eine einheitliche Anwendung des Zolltarifs zu gewährleisten, und deshalb als wertvolle Erkenntnismittel für die Auslegung des Tarifs angesehen werden können (Urteil vom 10. Oktober 1985 in der Rechtssache 200/84, Daiber, Slg. 1985, 3363, Randnr. 14).

6 Der Wortlaut von Position 6108 des Gemeinsamen Zolltarifs: "Schlafanzuege... aus Gewirken oder Gestricken... für Frauen oder Mädchen" enthält keine Definition. Auch in den Erläuterungen zum Gemeinsamen Zolltarif und in den Erläuterungen zur Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens wird keine Definition des Schlafanzugs gegeben.

7 Da eine solche Definition fehlt, sind die objektiven Merkmale eines Schlafanzugs, die ihn von anderen Zusammenstellungen unterscheiden, in dessen Zweckbestimmung zu suchen, nämlich im Bett als Nachtkleidung getragen zu werden.

8 Lässt sich dieses objektive Merkmal bei der Zollabfertigung feststellen, so steht der Umstand, daß auch eine andere Verwendung des Kleidungsstücks denkbar ist, seiner rechtlichen Qualifizierung als Schlafanzug nicht entgegen.

9 Demnach ist es für die zollrechtliche Tarifierung eines Kleidungsstücks als Schlafanzug nicht erforderlich, daß dieses dazu bestimmt ist, ausschließlich im Bett getragen zu werden. Ausreichend ist, daß dies seine wesentliche Zweckbestimmung ist.

10 Diese Auslegung wird durch mehrere von der Kommission in ihren Erklärungen vorgetragene Gesichtspunkte bestätigt.

11 Erstens werden in den Erläuterungen des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens zu Position 6112 ("Trainingsanzuege") diese Waren definiert als zweiteilige Waren aus Gewirken oder Gestricken, ungefüttert, manchmal auf der Innenseite gerauht, deren allgemeines Aussehen und Stoffbeschaffenheit erkennen lassen, daß sie dazu bestimmt sind, ausschließlich oder im wesentlichen bei der Ausübung eines Sports getragen zu werden. Dieses Kriterium kann bei der Tarifierung von Schlafanzuegen analog herangezogen werden.

12 Zweitens lassen die von der Kommission in verschiedenen die Tarifierung von Schlafanzuegen betreffenden Einreihungsverordnungen ° insbesondere die Verordnungen (EWG) Nrn. 1176/91 der Kommission vom 6. Mai 1991 über die Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur (ABl. L 114, S. 27), 1911/92 der Kommission vom 9. Juli 1992 über die Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur (ABl. L 192, S. 23) und 893/93 der Kommission vom 13. April 1993 über die Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur (ABl. L 93, S. 5) ° angewendeten Kriterien erkennen, daß als Schlafanzuege nur Waren tarifiert werden können, die nach ihrem allgemeinen Aussehen und ihrer Stoffbeschaffenheit dazu bestimmt sind, ausschließlich oder im wesentlichen als Nachtkleidung getragen zu werden.

13 Drittens hat der Ausschuß für die Nomenklatur (Bereich Textilien) der Kommission in seiner Sitzung vom 12. und 13. Oktober 1993 eine Definition in die Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur aufgenommen, mit der die genannten Kriterien übernommen werden. Er hat nämlich beschlossen, daß zu Position 6108 Schlafanzuege für Frauen oder Mädchen aus Gewirken oder Gestricken gehören, deren allgemeines Aussehen und Stoffbeschaffenheit erkennen lassen, daß sie dazu bestimmt sind, ausschließlich oder im wesentlichen als Nachtkleidung getragen zu werden.

14 Die erste Vorlagefrage ist daher dahin zu beantworten, daß Schlafanzuege im Sinne der Position 6108 der Kombinierten Nomenklatur des Gemeinsamen Zolltarifs in der Fassung der Verordnung Nr. 2658/87 und der Verordnung Nr. 3174/88 nicht nur solche Zusammenstellungen von zwei Kleidungsstücken aus Gewirken oder Gestricken sind, die nach ihrem äusseren Erscheinungsbild ausschließlich zum Tragen im Bett bestimmt sind, sondern auch solche, die im wesentlichen hierfür verwendet werden.

Zur zweiten Frage

15 Aus der Antwort auf die erste Frage ergibt sich, daß eine Zusammenstellung aus Gewirken oder Gestricken als Schlafanzug zu tarifieren ist, wenn sie dazu bestimmt ist, ausschließlich oder im wesentlichen im Bett getragen zu werden. Allein die Möglichkeit, ein Kleidungsstück im Bett zu tragen, ist also nicht ausreichend.

16 Die zweite Vorlagefrage ist folglich dahin zu beantworten, daß allein die nach der im betreffenden Mitgliedstaat im Zeitpunkt der Abfertigung allgemein vorherrschenden Verkehrsanschauung bestehende Möglichkeit, eine Zusammenstellung von zwei Kleidungsstücken aus Gewirken oder Gestricken auch im Bett zu tragen, nicht genügt, um diese als Schlafanzug zu tarifieren.

Kostenentscheidung:

Kosten

17 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

auf die ihm vom Hessischen Finanzgericht mit Beschluß vom 28. Juli 1993 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Schlafanzuege im Sinne der Position 6108 der Kombinierten Nomenklatur des Gemeinsamen Zolltarifs in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif und der Verordnung (EWG) Nr. 3174/88 der Kommission vom 21. September 1988 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif sind nicht nur solche Zusammenstellungen von zwei Kleidungsstücken aus Gewirken oder Gestricken, die nach ihrem äusseren Erscheinungsbild ausschließlich zum Tragen im Bett bestimmt sind, sondern auch solche, die im wesentlichen hierfür verwendet werden.

2) Allein die nach der im betreffenden Mitgliedstaat im Zeitpunkt der Abfertigung allgemein vorherrschenden Verkehrsanschauung bestehende Möglichkeit, eine Zusammenstellung von zwei Kleidungsstücken aus Gewirken oder Gestricken auch im Bett zu tragen, genügt nicht, um diese als Schlafanzug zu tarifieren.

Ende der Entscheidung

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