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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 27.11.2008
Aktenzeichen: C-396/07
Rechtsgebiete: Richtlinie 2001/23/EG


Vorschriften:

Richtlinie 2001/23/EG Art. 4 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

27. November 2008

"Sozialpolitik - Richtlinie 2001/23/EG - Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer - Betriebsübergang - Art. 4 Abs. 2 - Wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen bei einem Betriebsübergang - Kollektivvertrag - Beendigung des Arbeitsvertrags durch den Arbeitnehmer - Beendigung, bei der davon auszugehen ist, dass sie durch den Arbeitgeber erfolgt ist - Folgen - Finanzielle Entschädigung durch den Arbeitgeber"

Parteien:

In der Rechtssache C-396/07

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Korkein oikeus (Finnland) mit Entscheidung vom 24. August 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 27. August 2007, in dem Verfahren

Mirja Juuri

gegen

Fazer Amica Oy

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts sowie der Richter T. von Danwitz, E. Juhász, G. Arestis und J. Malenovský (Berichterstatter),

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der finnischen Regierung, vertreten durch J. Himmanen als Bevollmächtigte,

- der ungarischen Regierung, vertreten durch J. Fazekas, R. Somssich und K. Borvölgyi als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Huttunen und J. Enegren als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. September 2008

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (ABl. L 82, S. 16).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Juuri und ihrem ehemaligen Arbeitgeber, Fazer Amica Oy (im Folgenden: Amica), wegen dessen Weigerung, Frau Juuri im Anschluss an die Beendigung ihres Arbeitsvertrags nach einem Betriebsübergang verschiedene Entschädigungen zu gewähren.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Mit der Richtlinie 2001/23 wurde die Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (ABl. L 61, S. 26) in der durch die Richtlinie 98/50/EG des Rates vom 29. Juni 1998 (ABl. L 201, S. 88) geänderten Fassung kodifiziert.

4 In Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23 heißt es:

"Nach dem Übergang erhält der Erwerber die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen bis zur Kündigung oder zum Ablauf des Kollektivvertrags bzw. bis zum Inkrafttreten oder bis zur Anwendung eines anderen Kollektivvertrags in dem gleichen Maße aufrecht, wie sie in dem Kollektivvertrag für den Veräußerer vorgesehen waren.

..."

5 Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie lautet:

"Kommt es zu einer Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses, weil der Übergang eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen zum Nachteil des Arbeitnehmers zur Folge hat, so ist davon auszugehen, dass die Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber erfolgt ist."

6 Dieser Wortlaut stimmt mit dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 77/187 in der durch die Richtlinie 98/50 geänderten Fassung überein.

Nationales Recht

7 In Kapitel 7 § 6 des Gesetzes 55/2001 über den Arbeitsvertrag (Työsopimuslaki [55/2001]) vom 26. Januar 2001 (im Folgenden: Arbeitsvertragsgesetz), mit dem Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/23 in das finnische Recht umgesetzt wurde, heißt es:

"Wenn der Arbeitsvertrag wegen der infolge des Betriebsübergangs wesentlich verschlechterten Arbeitsbedingungen des Arbeitnehmers beendet worden ist, ist davon auszugehen, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber erfolgt ist."

8 Kapitel 12 § 2 dieses Gesetzes gewährt Arbeitnehmern im Fall der ungerechtfertigten Beendigung des Arbeitsvertrags einen Anspruch auf eine Entschädigung durch den Arbeitgeber. Danach wird der Arbeitgeber zur Zahlung einer Entschädigung verurteilt, wenn er den Arbeitsvertrag unter Missachtung der in diesem Gesetz geregelten Gründe beendet hat. Er kann außerdem zur Zahlung einer Entschädigung verurteilt werden, wenn der Arbeitnehmer als berechtigt anzusehen war, selbst den Arbeitsvertrag zu beenden.

9 Der Arbeitnehmer hat jedoch keinen Anspruch auf eine Entschädigung nach Kapitel 12 § 2 des Arbeitsvertragsgesetzes, wenn der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag aus sachlichen und wichtigen Gründen gekündigt hat. Doch auch dann erhält der Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist seinen Arbeitslohn und andere Vergünstigungen.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

10 Frau Juuri war seit dem 5. April 1994 als Arbeitnehmerin in der Betriebskantine der Rautaruukki Oyj (im Folgenden: Rautaruukki) in Hämeenlinna beschäftigt. Für ihr Arbeitsverhältnis galt der Kollektivvertrag der Metallindustrie.

11 Am 31. Januar 2003, dem letzten Tag der Gültigkeit dieses Kollektivvertrags, ging der Betrieb der Kantineneinheit in Hämeenlinna von Rautaruukki auf Amica über. Amica teilte Frau Juuri mit, dass ihr Arbeitsverhältnis ab dem 1. Februar 2003 unter den für Amica verbindlichen Kollektivvertrag des Beherbergungs- und Gaststättengewerbes falle. Frau Juuri verlangte jedoch, dass für sie weiterhin der Kollektivvertrag der Metallindustrie gelte. Da Amica dem nicht zustimmte, kündigte Frau Juuri am 19. Februar 2003 ihren Arbeitsvertrag fristlos.

12 Sie erhob daraufhin Klage beim Helsingin käräjäoikeus (Gericht erster Instanz Helsinki), mit der sie von Amica eine dem Lohn während der Kündigungsfrist entsprechende Entschädigung für vier Monate, eine Urlaubsentschädigung für den Kündigungszeitraum sowie eine Entschädigung in Höhe von 14 Monatslöhnen für die rechtswidrige Beendigung des Arbeitsvertrags verlangte.

13 Sie berief sich hierfür auf Kapitel 12 § 2 des Arbeitsvertragsgesetzes und machte geltend, dass sich ihr Einkommen wegen der Anwendung des Kollektivvertrags des Beherbergungs- und Gaststättengewerbes um 300 Euro im Monat verringert habe. Außerdem hätte sie zu anderen Arbeitsstellen von Amica wechseln müssen. Die Bedingungen ihres Arbeitsverhältnisses hätten sich wegen des Betriebsübergangs wesentlich verschlechtert. Daher sei Amica nach Kapitel 7 § 6 des Arbeitsvertragsgesetzes für die Beendigung des Arbeitsvertrags verantwortlich.

14 Amica wies die Forderungen von Frau Juuri zurück. Sie sei weder für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses von Frau Juuri verantwortlich noch habe sie fahrlässig oder vorsätzlich gegen den Arbeitsvertrag oder das Arbeitsvertragsgesetz verstoßen. Sie sei daher nicht für den durch die Vertragsbeendigung entstandenen Schaden verantwortlich.

15 Das Helsingin käräjäoikeus wies die Klage von Frau Juuri am 11. Februar 2005 ab. Es vertrat die Auffassung, dass Kapitel 7 § 6 des Arbeitsvertragsgesetzes nicht dahin auszulegen sei, dass er die Schadensersatzregelung dieses Gesetzes um eine neue Rechtsgrundlage für eine Schadensersatzforderung des Arbeitnehmers ergänze. Frau Juuri sei somit nicht berechtigt gewesen, auf der Grundlage dieser Bestimmung eine Entschädigung zu fordern. Außerdem habe Amica keine ihrer Pflichten verletzt.

16 Nachdem das Helsingin hovioikeus (Berufungsgericht Helsinki) diese Entscheidung bestätigt hatte, legte Frau Juuri ein Rechtsmittel beim Korkein oikeus ein. Sie trug vor, dass die Richtlinie 2001/23 zum Ziel habe, eine Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer einzuführen, wenn das Arbeitsverhältnis wegen wesentlicher Änderungen beendet werde, und zwar auch für den im Ausgangsverfahren vorliegenden Fall, dass der Arbeitgeber gemäß Art. 3 Abs. 3 dieser Richtlinie den für den Veräußerer verbindlichen Kollektivvertrag, der dem Arbeitnehmer bessere Arbeitsbedingungen gesichert habe, nur bis zum Ende seiner Gültigkeit eingehalten habe.

17 Das Korkein oikeus stellt fest, dass eine solche Auslegung bedeuten würde, dass der Arbeitgeber selbst dann gegenüber dem kündigenden Arbeitnehmer entschädigungspflichtig sein könnte, wenn er vollständig im Einklang mit der anwendbaren Regelung und dem jeweils verbindlichen Kollektivvertrag gehandelt habe.

18 Falls dieser Auslegung der Richtlinie zu folgen wäre, sei dann noch zu entscheiden, ob die Entschädigung des Arbeitnehmers nach Kapitel 12 § 2 des Arbeitsvertragsgesetzes festzusetzen sei, d. h. auf einen Betrag von höchstens 24 Monatslöhnen, oder ob sie höchstens der Entschädigung entsprechen sollte, die ein Arbeitgeber schulde, der einen sachlichen und wichtigen Grund für die Beendigung des Arbeitsvertrags habe, so dass sie dem Lohn während der viermonatigen Kündigungsfrist und der damit verbundenen Urlaubsentschädigung für diesen Zeitraum entsprechen würde.

19 Unter diesen Umständen hat das Korkein oikeus das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/23 dahin auszulegen, dass der Mitgliedstaat in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer wegen der infolge des Betriebsübergangs wesentlich verschlechterten Arbeitsbedingungen selbst seinen Arbeitsvertrag kündigt, unter Berücksichtigung dessen, dass der Arbeitgeber gemäß Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie den für den Veräußerer verbindlichen Kollektivvertrag, der dem Arbeitnehmer bessere Arbeitsbedingungen sichert, nur bis zum Ende seiner Gültigkeit eingehalten hat und dadurch die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen eingetreten ist, verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer gesetzlich das Recht zu garantieren, in derselben Weise eine finanzielle Entschädigung von seinem Arbeitgeber zu erhalten wie im Fall der rechtswidrigen Beendigung des Arbeitsvertrags?

2. Ist die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers im Sinne der Richtlinie 2001/23, wenn sie nicht so umfassend ist, wie in Frage 1 beschrieben, dennoch in der Weise umzusetzen, dass z. B. der Lohn und die sonstigen Leistungen für den vom Arbeitgeber einzuhaltenden Kündigungszeitraum zu ersetzen sind?

Zu den Vorlagefragen

20 Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/23 dahin auszulegen ist, dass er die Mitgliedstaaten im Fall der Beendigung eines Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses im Anwendungsbereich dieser Bestimmung verpflichtet, dem Arbeitnehmer gegen seinen Arbeitgeber einen Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung zu denselben Bedingungen zu garantieren, wie sie für den Anspruch gelten, der dem Arbeitnehmer zusteht, wenn der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis rechtswidrig beendet, oder zumindest zu solchen Bedingungen, wie sie für den Anspruch gelten, der dem Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist zusteht, die der Arbeitgeber nach dem anwendbaren nationalen Recht im Fall der Beendigung des Arbeitsvertrags aus einem sachlichen und wichtigen Grund einzuhalten hat.

21 In diesem Zusammenhang möchte das vorlegende Gericht zudem wissen, wie es sich auswirkt, dass der Arbeitgeber gemäß Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23 den für den Veräußerer verbindlichen Kollektivvertrag, der dem Arbeitnehmer bessere Arbeitsbedingungen sichert, nur bis zum Ende seiner Gültigkeit eingehalten hat und dadurch - nach Ansicht des vorlegenden Gerichts - die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen verursacht hat.

Zum Grundsatz der finanziellen Entschädigung durch den Arbeitgeber

22 Nach seinem Wortlaut sieht Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/23 eine Regelung vor, nach der dem Arbeitgeber die Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses unabhängig davon zugerechnet wird, welche Partei die Beendigung formell herbeigeführt hat. Die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen regelt er hingegen nicht. Er begründet also keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Arbeitnehmern eine bestimmte Entschädigungsregelung zu garantieren, und folglich auch nicht die Verpflichtung, sicherzustellen, dass die Modalitäten dieser Regelung den Modalitäten derjenigen Regelung entsprechen, die für Arbeitnehmer gilt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag rechtswidrig beendet, oder die für sie während der vom Arbeitgeber zu beachtenden Kündigungsfrist gilt.

23 Das stimmt mit dem Zweck der Richtlinie 2001/23 überein, die nur eine teilweise Harmonisierung auf dem betreffenden Gebiet vornimmt, indem sie hauptsächlich den Schutz, der den Arbeitnehmern durch die Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten selbst bereits gewährt wird, auch auf den Fall des Unternehmensübergangs ausdehnt. Sie will kein für die gesamte Europäische Gemeinschaft aufgrund gemeinsamer Kriterien einheitliches Schutzniveau schaffen. Die Richtlinie 2001/23 kann daher nur in Anspruch genommen werden, um sicherzustellen, dass der betroffene Arbeitnehmer in seinen Rechtsbeziehungen zum Erwerber in gleicher Weise geschützt ist, wie er es nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats in seinen Beziehungen zum Veräußerer war (Urteil vom 6. November 2003, Martin u. a., C-4/01, Slg. 2003, I-12859, Randnr. 41).

24 Zudem ergibt sich aus der Begründung des Vorschlags der Richtlinie 77/187 (KOM[74] 351) ausdrücklich, dass in den Fällen, in denen davon auszugehen ist, dass die Beendigung des Arbeitsvertrags durch den Arbeitnehmer aus einem Grund veranlasst ist, den der Arbeitgeber zu vertreten hat, die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen wie Abfindungen oder Schadensersatz nach den Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zu beurteilen sind.

25 Unter diesen Umständen kann Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/23 nicht dahin verstanden werden, dass er implizit über die in ihm vorgesehene Zurechnungsregel hinaus ein einheitliches Schutzniveau für Arbeitnehmer geschaffen hat. Daraus folgt insbesondere, dass er nicht bestimmt, welche wirtschaftlichen Folgen es hat, wenn dem Arbeitgeber unter den genannten Umständen die Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses zugerechnet wird. Diese Folgen sind deshalb in jedem Mitgliedstaat nach den einschlägigen nationalen Vorschriften festzulegen.

26 Jedoch ist daran zu erinnern, dass die Freiheit bei der Wahl der Mittel und Wege zur Durchführung einer Richtlinie die Verpflichtung der einzelnen Mitgliedstaaten unberührt lässt, im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnung alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung zu gewährleisten (vgl. Urteile vom 10. April 1984, von Colson und Kamann, 14/83, Slg. 1984, 1891, Randnr. 15, und vom 15. April 2008, Impact, C-268/06, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 40).

27 Die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in dieser Richtlinie vorgesehene Ziel zu erreichen, sowie die Pflicht der Mitgliedstaaten gemäß Art. 10 EG, alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, obliegen allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, und zwar im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten (Urteile von Colson und Kamann, Randnr. 26, und Impact, Randnr. 41).

28 Die Richtlinie 2001/23 soll die Wahrung der Ansprüche der Arbeitnehmer bei einem Wechsel des Inhabers des Unternehmens dadurch gewährleisten, dass sie ihnen die Möglichkeit gibt, ihr Beschäftigungsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber zu eben den Bedingungen fortzusetzen, die mit dem Veräußerer vereinbart waren (vgl. u. a. Urteile vom 10. Februar 1988, Tellerup ["Daddy's Dance Hall"], 324/86, Slg. 1988, 739, Randnr. 9, und vom 9. März 2006, Werhof, C-499/04, Slg. 2006, I-2397, Randnr. 25).

29 Dieser Zweck wird von der Richtlinie 2001/23 auch im weiteren Verlauf verfolgt, da sie, wenn der Betriebsübergang zu einer wesentlichen Änderung der Arbeitsbedingungen führt, die Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses dem Erwerber zurechnet, wobei die Folgen dieser Zurechnung dem anwendbaren nationalen Recht unterliegen.

30 Nach alledem ist Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/23 dahin auszulegen, dass er im Fall einer Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses, in dem - unabhängig von einem Verstoß des Erwerbers gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie - die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung erfüllt sind, die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer gegen den Erwerber einen Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung zu denselben Bedingungen zu garantieren, wie sie für den Anspruch gelten, der dem Arbeitnehmer zusteht, wenn sein Arbeitgeber den Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis rechtswidrig beendet. Das nationale Gericht hat jedoch im Rahmen seiner Zuständigkeiten sicherzustellen, dass der Erwerber in einem solchen Fall zumindest die Folgen trägt, die das anwendbare nationale Recht an die Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber knüpft wie die Zahlung des Arbeitslohns und die Gewährung anderer Vergünstigungen während der vom Arbeitgeber einzuhaltenden Kündigungsfrist.

Zur Bedeutung von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23

31 Wie in Randnr. 21 des vorliegenden Urteils ausgeführt, wirft das vorlegende Gericht im Ausgangsverfahren vor dem Hintergrund, dass der Erwerber den Kollektivvertrag der Metallindustrie nur bis zum Ende seiner Gültigkeit eingehalten hat und dieser Zeitpunkt mit dem Betriebsübergang zusammenfiel, die Frage nach dessen Verhalten im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23 auf.

32 Nach Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23 muss der Erwerber nach dem Betriebsübergang die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen bis zur Kündigung oder zum Ablauf des Kollektivvertrags bzw. bis zum Inkrafttreten oder bis zur Anwendung eines anderen Kollektivvertrags in dem gleichen Maße aufrechterhalten, wie sie in dem Kollektivvertrag für den Veräußerer vorgesehen waren.

33 Diese Bestimmung soll demnach gewährleisten, dass trotz des Betriebsübergangs alle Arbeitsbedingungen so aufrechterhalten werden, wie sie von den Parteien des Kollektivvertrags gewollt waren. Sie kann aber keine Grundlage für eine Abweichung von dem Willen dieser Parteien sein, wie er im Kollektivvertrag seinen Ausdruck gefunden hat. Sind die Vertragsparteien übereingekommen, gewisse Arbeitsbedingungen nicht über einen bestimmten Zeitpunkt hinaus zu gewährleisten, kann Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23 den Erwerber folglich nicht verpflichten, sie nach dem vereinbarten Ablaufdatum des Kollektivvertrags einzuhalten, weil dieser nach diesem Zeitpunkt nicht mehr in Kraft ist.

34 Somit verpflichtet Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23 den Erwerber nicht, die Aufrechterhaltung der mit dem Veräußerer vereinbarten Arbeitsbedingungen über das Ablaufdatum des Kollektivvertrags hinaus zu garantieren, auch wenn dieses Datum mit dem Betriebsübergang zusammenfällt.

35 Unter diesen Umständen ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/23 dahin auszulegen ist, dass er im Fall einer Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses, in dem - unabhängig von einem Verstoß des Erwerbers gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie - die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung erfüllt sind, die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer gegen den Erwerber einen Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung zu denselben Bedingungen zu garantieren, wie sie für den Anspruch gelten, der dem Arbeitnehmer zusteht, wenn sein Arbeitgeber den Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis rechtswidrig beendet. Das nationale Gericht hat jedoch im Rahmen seiner Zuständigkeiten sicherzustellen, dass der Erwerber in einem solchen Fall zumindest die Folgen trägt, die das anwendbare nationale Recht an die Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber knüpft wie die Zahlung des Arbeitslohns und die Gewährung anderer Vergünstigungen während der vom Arbeitgeber einzuhaltenden Kündigungsfrist.

36 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens unter Berücksichtigung der Auslegung von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23 zu würdigen, wonach die Aufrechterhaltung der Arbeitsbedingungen, die in einem Kollektivvertrag vereinbart sind, der im Zeitpunkt des Betriebsübergangs ausläuft, nicht über diesen Zeitpunkt hinaus garantiert wird.

Kostenentscheidung:

Kosten

37 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen ist dahin auszulegen, dass er im Fall einer Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses, in dem - unabhängig von einem Verstoß des Erwerbers gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie - die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung erfüllt sind, die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer gegen den Erwerber einen Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung zu denselben Bedingungen zu garantieren, wie sie für den Anspruch gelten, der dem Arbeitnehmer zusteht, wenn sein Arbeitgeber den Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis rechtswidrig beendet. Das nationale Gericht hat jedoch im Rahmen seiner Zuständigkeiten sicherzustellen, dass der Erwerber in einem solchen Fall zumindest die Folgen trägt, die das anwendbare nationale Recht an die Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber knüpft wie die Zahlung des Arbeitslohns und die Gewährung anderer Vergünstigungen während der vom Arbeitgeber einzuhaltenden Kündigungsfrist.

Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens unter Berücksichtigung der Auslegung von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23 zu würdigen, wonach die Aufrechterhaltung der Arbeitsbedingungen, die in einem Kollektivvertrag vereinbart sind, der im Zeitpunkt des Betriebsübergangs ausläuft, nicht über diesen Zeitpunkt hinaus garantiert wird.

Ende der Entscheidung

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