Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 06.12.2007
Aktenzeichen: C-401/06
Rechtsgebiete: 6. Richtlinie 77/388/EWG


Vorschriften:

6. Richtlinie 77/388/EWG Art. 9 Abs. 2 Buchst. e
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

6. Dezember 2007(*)

"Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Steuerrecht - Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie - Dienstleistungen - Testamentsvollstrecker - Ort der Leistungserbringung - Art. 9 Abs. 1 und 2 Buchst. e"

Parteien:

In der Rechtssache C-401/06

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 26. September 2006,

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Triantafyllou als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch M. Lumma als Bevollmächtigten,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas, der Richter J. N. Cunha Rodrigues und J. Klucka, der Richterin P. Lindh sowie des Richters A. Arabadjiev (Berichterstatter),

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. September 2007

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Mit ihrer Klageschrift beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie) verstoßen hat, dass sich nach deutschem Recht der Ort der Dienstleistungen eines Testamentsvollstreckers nicht nach dieser Vorschrift bestimmt, wenn die Dienstleistungen an außerhalb der Europäischen Gemeinschaft ansässige Empfänger oder an innerhalb der Gemeinschaft, jedoch außerhalb des Staates des Dienstleistenden ansässige Steuerpflichtige erbracht werden.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

2 Nach Art. 2 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen Dienstleistungen, "die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt", der Mehrwertsteuer.

3 Nach Art. 9 Abs. 1 gilt "[a]ls Ort einer Dienstleistung ... der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird".

4 Nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie gilt jedoch

"als Ort der folgenden Dienstleistungen, die an außerhalb der Gemeinschaft ansässige Empfänger oder an innerhalb der Gemeinschaft, jedoch außerhalb des Landes des Dienstleistenden ansässige Steuerpflichtige erbracht werden, der Ort, an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, für welche die Dienstleistung erbracht worden ist, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort:

...

- Leistungen von Beratern, Ingenieuren, Studienbüros, Anwälten, Buchprüfern und sonstige ähnliche Leistungen sowie die Datenverarbeitung und die Überlassung von Informationen".

Nationales Recht

5 § 3a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) vom 26. November 1979 (BGBl. I S. 1953) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Februar 2005 (BGBl. I S. 386) bestimmt:

"(1) Eine sonstige Leistung wird vorbehaltlich der §§ 3b und 3f an dem Ort ausgeführt, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt. ...

...

(3) Ist der Empfänger einer der in Absatz 4 bezeichneten sonstigen Leistungen ein Unternehmer, so wird die sonstige Leistung abweichend von Absatz 1 dort ausgeführt, wo der Empfänger sein Unternehmen betreibt. ...

...

(4) Sonstige Leistungen im Sinne des Absatzes 3 sind ... die sonstigen Leistungen aus der Tätigkeit als Rechtsanwalt, ... Steuerberater, ... insbesondere die rechtliche, wirtschaftliche und technische Beratung".

6 Der Bundesfinanzhof hat dazu in einem Urteil vom 5. Juni 2003 (V R 25/02, BStBl. II, 2003, 734) festgestellt, dass § 3a Abs. 1 UStG auf die Leistungen des Testamentsvollstreckers anwendbar sei, während die Leistungen, die für den Anwalts- und den Steuerberaterberuf spezifisch seien, unter § 3a Abs. 4 Nr. 3 UStG fielen.

7 Das Fünfte Buch, Dritter Abschnitt, Sechster Titel des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ist dem Testamentsvollstrecker gewidmet.

8 Nach § 2221 BGB kann der Testamentsvollstrecker für die Führung seines Amtes eine angemessene Vergütung verlangen, sofern nicht der Erblasser ein anderes bestimmt hat.

Vorverfahren

9 In ihrem am 19. April 2005 notifizierten Aufforderungsschreiben vom 12. April 2005 teilte die Kommission den deutschen Behörden mit, dass ihrer Ansicht nach die genannten nationalen Steuervorschriften mit Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie unvereinbar seien, und forderte sie auf, sich binnen zwei Monaten nach dieser Notifizierung zu äußern. Die Bundesrepublik Deutschland antwortete mit Schreiben vom 21. Juni 2005, dass die Dienstleistungen eines Testamentsvollstreckers nicht mit denen eines Rechtsanwalts vergleichbar seien und nicht in den Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie fielen.

10 Unter Aufrechterhaltung ihres Standpunkts richtete deshalb die Kommission an die Bundesrepublik Deutschland am 13. Dezember 2005 eine mit Gründen versehene Stellungnahme, die am 19. Dezember 2005 notifiziert wurde und in der sie diesen Mitgliedstaat aufforderte, der Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrem Eingang nachzukommen. Die Bundesrepublik Deutschland lehnte es ab, der mit Gründen versehenen Stellungnahme nachzukommen, woraufhin die Kommission beschloss, die vorliegende Klage zu erheben. Zur Klage

Vorbringen der Parteien

11 Nach Ansicht der Kommission ergibt sich aus den genannten Bestimmungen des deutschen Rechts sowie ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte und ihrer Anwendung durch die Verwaltung, dass die Leistungen eines Testamentsvollstreckers stets als an dem Ort ausgeführt gälten, an dem er seine Tätigkeit entfalte. Gleiches gelte, wenn diese Tätigkeit von Rechtsanwälten, Steuerberatern oder Wirtschaftsprüfern ausgeübt werde. Diese Praxis verstoße gegen den Wortlaut von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie, wonach für den Ort der Erbringung der Dienstleistungen dann, wenn der Empfänger außerhalb der Gemeinschaft oder außerhalb des Staates des Dienstleistenden ansässig sei, auf den Ort des Dienstleistungsempfängers abzustellen sei.

12 Zunächst sei in der Rechtsprechung des Gerichtshofs kein Vorrang des Art. 9 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie, wonach der Ort der Dienstleistungen grundsätzlich nach dem Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit des Dienstleistenden zu bestimmen sei, gegenüber Abs. 2 dieses Artikels anerkannt worden. Da Abs. 2 Buchst. e somit keinen Ausnahmecharakter habe, sei er auch nicht eng auszulegen (vgl. Urteil vom 15. März 2001, SPI, C-108/00, Slg. 2001, I-2361, Randnr. 17).

13 Die Leistungen eines Testamentsvollstreckers gehörten zu den Leistungen, die hauptsächlich und gewöhnlich von einem Rechtsanwalt ausgeführt würden. Für die Bestimmung, ob die Tätigkeit eines Testamentsvollstreckers unter Art. 9 Abs. 1 oder aber Abs. 2 der Sechsten Richtlinie falle, sei daher nicht auf die Berufsbezeichnung des Erbringers der betreffenden Leistungen abzustellen, sondern auf die Natur dieser Leistungen. Die in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie aufgeführten Berufsbezeichnungen dienten nur der Veranschaulichung; tatsächlich solle diese Bestimmung nur die Arten der betreffenden Dienstleistungen beschreiben.

14 Aufgabe des Testamentsvollstreckers sei es, die Interessen eines Mandanten zu verteidigen, diesen zu vertreten und konkrete fremde Rechtsverhältnisse zu gestalten. Dies bestätige, dass sich die Tätigkeit von Rechtsanwälten mit der von Testamentsvollstreckern überschneide; dass bei der Testamentsvollstreckung wirtschaftliche und rechtliche Aspekte miteinander verknüpft seien, stehe dem nicht entgegen. Wirtschaftliche Belange spielten nämlich auch bei der üblichen Tätigkeit eines Rechtsanwalts eine Rolle, und die Abwicklung eines Erbfalls weise insoweit keine Besonderheiten auf.

15 Dass die Leistungen an die Erben als Leistungsempfänger erbracht würden, sei unerheblich, da die Leistungserbringung mit Rücksicht auf den Willen des Erblassers erfolge.

16 Die Entwicklung des Anwaltsberufs führe - auch in Deutschland - zu Spezialisierungen, insbesondere im Erbrecht, was dort den "Fachanwalt für Erbrecht" hervorgebracht habe; dabei setze jede Spezialisierung praktische Erfahrungen im betreffenden Bereich sowie die für den Fachbereich erforderlichen theoretischen Kenntnisse voraus.

17 Auch sei der Erblasser keineswegs darauf angewiesen, einen Spezialisten heranzuziehen, seine Wahl sollte vielmehr vor allem auf eine Person seines Vertrauens fallen; ein solches Vertrauensverhältnis kennzeichne sowohl die Beziehungen zu einem Rechtsanwalt im Allgemeinen als auch diejenigen zu einem Testamentsvollstrecker.

18 Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass zwar die Leitlinien des Mehrwertsteuerausschusses (53. Sitzung vom 4. und 5. November 1997, Dokument XXI/97/1.658), wonach der Leistungsort eines Erbenermittlers nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie zu bestimmen sei, nicht bindend seien; in ihnen komme jedoch im Hinblick auf den vorliegenden Fall der Wille des Gemeinschaftsgesetzgebers zum Ausdruck, die Erbenermittlung dieser Bestimmung zu unterwerfen. Es sei daher angebracht, sich für die Regelung der Tätigkeit von Testamentsvollstreckern ungeachtet etwaiger praktischer Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Ortes der Dienstleistungen von den auf dem Gebiet der Erbenermittlung anwendbaren Regeln leiten zu lassen.

19 Die Bundesrepublik Deutschland beantragt, die Klage abzuweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

20 Sie macht geltend, die Dienstleistungen eines Testamentsvollstreckers seien mit den üblichen Dienstleistungen eines Rechtsanwalts nicht vergleichbar und unterschieden sich auch von den anderen in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie aufgeführten Leistungen.

21 Jede geschäftsfähige Person könne zum Testamentsvollstrecker ernannt werden. Die Tätigkeit des Testamentsvollstreckers hänge von den Anordnungen des Erblassers ab und erstrecke sich auf verschiedenartige tatsächliche Situationen. Zwar setze die Umsetzung des Willens des Erblassers bei der Nachlassabwicklung rechtliche Kenntnisse voraus, weshalb oft ein Rechtsanwalt in Anspruch genommen werde, jedoch gehe es dabei nicht um Beratungstätigkeit.

22 Aus dem Urteil vom 16. September 1997, von Hoffmann (C-145/96, Slg. 1997, I-4857), ergebe sich, dass vom Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie nur Leistungen erfasst würden, die hauptsächlich und gewöhnlich im Rahmen der in dieser Bestimmung aufgeführten Berufe ausgeführt würden. Das sei bei Leistungen eines Testamentsvollstreckers nicht der Fall, da dieser keinen Mandanten zu verteidigen habe. Es gehe um Interessenausgleich und nicht um parteiische Vertretung.

23 Überdies dienten die Leistungen eines Rechtsanwalts und die eines Testamentsvollstreckers - auch wenn dieser Rechtsanwalt sei - unterschiedlichen Zwecken: rechtlichen und Rechtsberatungszwecken bei Ersterem, wirtschaftlichen und Verwaltungszwecken bei Letzterem.

24 Nach Ansicht der Bundesrepublik Deutschland ist auch die Zielsetzung der Sechsten Richtlinie zu berücksichtigen. So müsse die Besteuerung der Dienstleistung nach dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität möglichst dort erfolgen, wo sie bewirkt werde bzw. ihre Nutzung oder Auswertung stattfinde. Während sich ein örtlicher Zusammenhang zwischen einem Rechtsanwalt und seinem Mandanten herstellen lasse, fehle ein solcher Zusammenhang in den Beziehungen zwischen dem Testamentsvollstrecker und dem Erben, da die Testamentsvollstreckung eine Verbindung vor allem zum Ort des Nachlasses aufweise. Zudem seien bei einer Verwaltung von Grundstücken Schwierigkeiten zu befürchten, da dann gemäß Art. 9 Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie die Besteuerung am Ort der Belegenheit der Grundstücke erfolgen müsse. Ein weiteres Problem entstehe in diesem Zusammenhang dann, wenn die Erben in anderen Mitgliedstaaten oder außerhalb der Gemeinschaft ansässig seien.

25 Schließlich gehe es auch nicht um "sonstige ähnliche Leistungen" im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie. Insbesondere verbiete sich ein Vergleich mit der Tätigkeit eines Erbenermittlers.

Würdigung durch den Gerichtshof

26 Einleitend ist Folgendes zu bemerken.

27 Erstens ist es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen eines nach Art. 226 EG eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens Sache der Kommission, das Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzung nachzuweisen. Die Kommission muss dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte liefern, anhand deren er das Vorliegen dieser Vertragsverletzung prüfen kann, wobei sie sich nicht auf Vermutungen stützen kann (Urteile vom 20. März 1990, Kommission/Frankreich, C-62/89, Slg. 1990, I-925, Randnr. 37, und vom 14. April 2005, Kommission/Deutschland, C-341/02, Slg. 2005, I-2733, Randnr. 35).

28 Zweitens kann sich im vorliegenden Fall die Vertragsverletzungsklage nur auf den Fall beziehen, dass die Dienstleistung des Testamentsvollstreckers zum einen gegen Entgelt erbracht wird, wie es § 2221 BGB zulässt, und zum anderen im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie von einem Steuerpflichtigen als solchem ausgeführt wird, weil andernfalls die betreffende Leistung nicht mehrwertsteuerpflichtig wäre.

29 Drittens hat der Gerichtshof zum Verhältnis zwischen den Abs. 1 und 2 des Art. 9 der Sechsten Richtlinie wiederholt festgestellt, dass Art. 9 Abs. 2 eine Reihe besonderer Anknüpfungspunkte enthält, während in Abs. 1 insoweit eine allgemeine Regel niedergelegt ist. Durch diese Bestimmungen sollen Kompetenzkonflikte, die zu einer Doppelbesteuerung führen könnten, sowie die Nichtbesteuerung von Einnahmen verhindert werden (vgl. u. a. Urteile vom 4. Juli 1985, Berkholz, 168/84, Slg. 1985, 2251, Randnr. 14, vom 26. September 1996, Dudda, C-327/94, Slg. 1996, I-4595, Randnr. 20, und SPI, Randnr. 15).

30 Die Auslegung von Art. 9 in der Sechsten Richtlinie ergibt somit keinen Vorrang des Abs. 1 gegenüber Abs. 2. Vielmehr stellt sich in jedem Einzelfall die Frage, ob eine der Bestimmungen des Art. 9 Abs. 2 einschlägig ist. Andernfalls gilt Art. 9 Abs. 1 (vgl. u. a. Urteile Dudda, Randnr. 21, und SPI, Randnr. 16).

31 Hierbei ist zu beachten, dass sich Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Richtlinie nicht auf Berufe, wie die des Rechtsanwalts, Beraters, Buchprüfers oder Ingenieurs, bezieht, sondern auf Leistungen. Der Gemeinschaftsgesetzgeber zieht die in dieser Bestimmung aufgeführten Berufe heran, um die dort angesprochenen Arten von Leistungen zu definieren (vgl. Urteil von Hoffmann, Randnr. 15). Die Worte "sonstige ähnliche Leistungen" beziehen sich nicht auf ein Element, das den in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich aufgeführten unterschiedlichen Tätigkeiten gemeinsam ist, sondern auf Leistungen, die irgendeiner dieser Tätigkeiten, gesondert betrachtet, ähnlich sind. Eine Leistung ist dann einer in dieser Vorschrift aufgeführten Tätigkeit ähnlich, wenn beide Tätigkeiten dem gleichen Zweck dienen (vgl. Urteile vom 6. März 1997, Linthorst, Pouwels en Scheres, C-167/95, Slg. 1997, I-1195, Randnrn. 19 bis 22, und von Hoffmann, Randnrn. 20 und 21).

32 Die vorliegende Vertragsverletzungsklage ist unter Berücksichtigung dieser Erwägungen zu prüfen.

33 Die Kommission rügt im vorliegenden Fall, die Bundesrepublik Deutschland sei in ihren Rechtsvorschriften davon ausgegangen, dass die im Rahmen der Testamentsvollstreckung ausgeführten Leistungen unter Art. 9 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie fielen; sie fielen aber entweder als hauptsächlich und gewöhnlich von einem Rechtsanwalt erbrachte Leistungen oder als solche, die eine Ähnlichkeit mit denjenigen anwaltlicher Tätigkeit aufwiesen, unter Art. 9 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie.

34 Somit ist zunächst zu prüfen, ob die Leistungen eines Testamentsvollstreckers zu den hauptsächlich und gewöhnlich im Rahmen des Anwaltsberufs ausgeführten Leistungen gehören.

35 Die Leistung der Testamentsvollstreckung wurzelt im Willen des Erblassers, seine letztwilligen Verfügungen von einer oder mehreren Personen vollstrecken zu lassen. Nach dem BGB kann die Person des Testamentsvollstreckers unmittelbar vom Erblasser oder von einem von diesem benannten Dritten oder in einigen Fällen vom Nachlassgericht bestimmt werden. Natur und Dauer der vom Testamentsvollstrecker gegebenenfalls auszuübenden Tätigkeiten hängen von dem ihm übertragenen Auftrag ab.

36 Zu den hauptsächlich und gewöhnlich im Rahmen des Anwaltsberufs erbrachten Leistungen hat der Gerichtshof festgestellt, dass sie die Vertretung und Verteidigung der Interessen eines Mandanten zum Gegenstand haben (Urteil von Hoffmann, Randnr. 17). 37 Wegen ihrer Rechtskenntnisse und des Umstands, dass Rechtskenntnisse bei jedem Erbfall eine Rolle spielen, werden zwar, insbesondere in Deutschland, oftmals Rechtsanwälte zu Testamentsvollstreckern ernannt; der Testamentsvollstrecker vertritt jedoch nicht den Erblasser, sondern beschränkt sich darauf, dessen letzten Willen zu vollstrecken, wobei er gegenüber den Empfängern der Testamentsvollstreckungsleistung neutral bleibt. Der Testamentsvollstrecker vertritt nicht die Interessen des Erblassers im eigentlichen Sinne, sondern vollzieht einen festgelegten Willen, dessen Interpret er ist, während der Rechtsanwalt im Rahmen seines Verhältnisses zum Mandanten so weit wie möglich dessen Interessen wahrzunehmen hat, was im Allgemeinen in einem Kontext der Auseinandersetzung und in Gegenwart widerstreitender Interessen stattfindet. Daraus folgt, dass die Leistung der Testamentsvollstreckung besonderen Charakter hat, durch den sie sich von den Leistungen unterscheidet, die hauptsächlich und gewöhnlich von einem Rechtsanwalt erbracht werden.

38 Sodann ist zu prüfen, ob die Leistungen eines Testamentsvollstreckers als denen eines Rechtsanwalts im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie ähnlich angesehen werden können.

39 Aufgrund der beträchtlichen Verschiedenartigkeit der Aufgaben, mit denen ein Testamentsvollstrecker betraut sein kann - von der Verwaltung eines Vermögens über die bloße Verteilung von Beträgen oder beweglichen oder unbeweglichen Sachen bis hin zur Wahrung immaterieller Interessen -, lässt sich nur schwer eine typische Form der Testamentsvollstreckungsleistung ausmachen. Der Auftrag des Testamentsvollstreckers ist es nämlich, den Willen des Erblassers umzusetzen, was Verwaltungstätigkeiten, Rechtshandlungen und einen großen Fächer tatsächlicher oder rechtlicher Vorgänge umfassen kann. Die Leistung der Testamentsvollstreckung entspricht jedoch, wie die Bundesrepublik Deutschland zu Recht meint, überwiegend einer wirtschaftlichen Tätigkeit, da es für den Testamentsvollstrecker in den meisten Fällen um die Bewertung und Verteilung des Vermögens des Erblassers zugunsten der Empfänger der Leistung, bisweilen auch, insbesondere im Rahmen der Verwaltung von Vermögensgegenständen minderjähriger Kinder, um den Schutz dieses Vermögens und die Fruchtziehung daraus geht. Dagegen dienen die Leistungen eines Rechtsanwalts vor allem der Rechtspflege, auch wenn der Anwaltstätigkeit wirtschaftliche Erwägungen natürlich nicht fremd sind.

40 Unter diesen Umständen können die Leistungen eines Testamentsvollstreckers und diejenigen eines Rechtsanwalts nicht als ähnlich angesehen werden.

41 Daraus ist zu schließen, dass die Leistung der Testamentsvollstreckung weder eine hauptsächlich und gewöhnlich von einem Rechtsanwalt erbrachte Leistung noch eine Leistung darstellt, die denjenigen von Rechtsanwälten ähnlich ist.

42 Infolgedessen ist festzustellen, dass die Kommission nicht nachgewiesen hat, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen die Bestimmungen aus der Sechsten Richtlinie verstoßen hat, dass sie Rechtsvorschriften beibehalten hat, wonach der Ort der von einem Testamentsvollstrecker ausgeführten Dienstleistungen nach dem Ort zu bestimmen ist, an dem der Dienstleistende seine Tätigkeit ausübt.

43 Die vorliegende Vertragsverletzungsklage ist daher abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

44 Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Bundesrepublik Deutschland die Verurteilung der Kommission beantragt hat und die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind dieser auf den entsprechenden Antrag der Bundesrepublik Deutschland die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt außer ihren eigenen Kosten die Kosten der Bundesrepublik Deutschland.

Ende der Entscheidung

Zurück