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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 05.07.1994
Aktenzeichen: C-411/92
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Artikel 173 Absatz 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Angesichts des mit der Mitverantwortungsabgabe im Getreidesektor verfolgten Zwecks, die strukturellen Überschüsse auf dem Markt zu begrenzen, besteht das Kriterium für die Unterscheidung der Wirtschaftsteilnehmer im Hinblick darauf, ob sie die Abgabe entrichten müssen, darin, ob die Erzeugnisse vermarktet werden. Eine Vermarktung liegt vor, sobald ein Erzeuger das Getreide, das er zum Verkauf an einen beliebigen Verarbeiter erzeugt hat, abgibt, selbst wenn dieser Erzeuger das Getreide später von dem Verarbeiter in Form von Verarbeitungserzeugnissen zurückkauft.

In einem System des Verkaufs mit Rückkaufsvorbehalt gelangt das Getreide zum Zeitpunkt des vom Erzeuger vorgenommenen Verkaufs auf den Markt. Auch wenn die Ausübung des Rückkaufsrechts nach dem nationalen Recht die Lage, die vor dem Verkauf bestand, wiederherstellt, so beseitigt sie doch nicht die Wirkung, die dieser Verkauf durch die Erhöhung des Umfangs der angebotenen Mengen auf den Markt und das Preisniveau gehabt hat. Daraus ergibt sich, daß ein solches System eine Erstattung der Abgabe aufgrund der Verordnung Nr. 3779/88 über die Erstattung der Abgabe im Fall der ersten Verarbeitung auf Rechnung eines Erzeugers nicht rechtfertigt.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 5. JULI 1994. - FRANZOESISCHE REPUBLIK GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - EAGFL - GETREIDE - VERKAUF MIT RUECKKAUFSVORBEHALT - MITVERANTWORTUNGSABGABE. - RECHTSSACHE C-411/92.

Entscheidungsgründe:

1 Die Französische Republik hat mit Klageschrift, die am 10. Dezember 1992 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 1 EWG-Vertrag die teilweise Nichtigerklärung der Entscheidung 92/491/EWG der Kommission vom 23. September 1992 über den Rechnungsabschluß der Mitgliedstaaten für die vom Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL), Abteilung Garantie, im Haushaltsjahr 1989 finanzierten Ausgaben (ABl. L 298, S. 23) beantragt, soweit in dieser Entscheidung festgestellt wird, daß bestimmte Ausgaben im Zusammenhang mit der Mitverantwortungsabgabe im Getreidesektor nicht von der Gemeinschaft finanziert werden können.

2 Um den strukturellen Überschüssen zu begegnen, die den Getreidemarkt kennzeichnen, sieht die Verordnung (EWG) Nr. 2727/75 des Rates vom 29. Oktober 1975 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide (ABl. L 281, S. 1) in ihrer geänderten Fassung eine Mitverantwortungsabgabe vor, die durch eine zusätzliche Mitverantwortungsabgabe ergänzt wird, wobei diese Abgaben insbesondere auf Getreide erhoben werden, das einer ersten Verarbeitung unterzogen wird.

3 Artikel 1 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2040/86 der Kommission vom 30. Juni 1986 mit Durchführungsbestimmungen für die Mitverantwortungsabgabe im Getreidesektor (ABl. L 173, S. 65) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 2572/86 der Kommission vom 12. August 1986 (ABl. L 229, S. 25) befreite die von einem Landwirt auf seinem landwirtschaftlichen Betrieb vorgenommene erste Verarbeitung von der Mitverantwortungsabgabe, sofern das gewonnene Erzeugnis auf diesem Betrieb verfüttert wurde und bestimmte andere Bedingungen erfuellt waren.

4 Mit Urteil vom 29. Juni 1988 in der Rechtssache 300/86 (Van Landschoot, Slg. 1988, 3443) erklärte der Gerichtshof Artikel 1 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 2040/86 in seiner geänderten Fassung für ungültig, soweit er keine Befreiung für die erste Verarbeitung von Getreide vorsah, wenn diese ausserhalb des Erzeugerbetriebs oder mit Anlagen, die nicht zum Inventar dieses Betriebs gehören, vorgenommen wird, auch wenn das Verarbeitungsprodukt in diesem Betrieb verbraucht wird.

5 Mit Rücksicht auf dieses Urteil änderte die Kommission durch die Verordnung (EWG) Nr. 2324/88 vom 26. Juli 1988 (ABl. L 202, S. 39) die Verordnung (EWG) Nr. 1432/88 vom 26. Mai 1988 mit Durchführungsbestimmungen für die Mitverantwortungsabgabe auf Getreide (ABl. L 131, S. 37), durch die sie die Verordnung Nr. 2040/86 ersetzt hatte.

6 Nach Artikel 1 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 1432/88 in ihrer durch die Verordnung Nr. 2324/88 geänderten Fassung

"... bedeutet 'vermarktet' oder 'Vermarktung' der von den Erzeugern vorgenommene Verkauf (einschließlich Tauschgeschäfte) der... genannten Erzeugnisse an Erfassungs-, Handels- und Verarbeitungsbetriebe, an andere Erzeuger und an die Interventionsstelle entweder in unverändertem Zustand oder in Form von Verarbeitungserzeugnissen mit Ausnahme von Maiskolben zur Verkleinerung zwecks Einsilierung in einem landwirtschaftlichen Betrieb".

7 Die Verordnung (EWG) Nr. 3779/88 der Kommission vom 2. Dezember 1988 über die Rückerstattung der mit den Verordnungen (EWG) Nr. 2040/86 und (EWG) Nr. 1432/88 vorgesehenen Mitverantwortungsabgabe im Fall der ersten Verarbeitung von Getreide auf Rechnung eines Erzeugers (ABl. L 332, S. 17) bestimmt in Artikel 1 Absatz 1:

"Die von den Mitgliedstaaten bezeichneten zuständigen Stellen erstatten den Erzeugern auf Antrag vor dem 30. Juni 1989 die berücksichtigten Mitverantwortungsabgaben

°...

° für die bis 26. Juli 1988 im Rahmen von Artikel 1 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1432/88 durchgeführte Verarbeitung des von einem Erzeuger zur späteren Wiederverwendung des erhaltenen Erzeugnisses auf dem Erzeugerbetrieb gelieferten oder einem Unternehmen zur Verfügung gestellten Getreides (Lohnarbeit)."

8 Die französische Steuerregelung, die in Anwendung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) eingeführt wurde, geht von einer engeren Bedeutung der Lohnarbeit als die Verordnung Nr. 3779/88 aus, da nur eine Verarbeitung des Getreides mit Rücknahme derselben Sache als Lohnarbeit angesehen wird, während eine Verarbeitung mit Rücknahme einer gleichwertigen Sache als doppelter Verkauf betrachtet wird, der demgemäß keine Befreiung von der Abgabe erlaubt.

9 Um zu gewährleisten, daß bei einer Verarbeitung mit Rücknahme einer gleichwertigen Sache den französischen Wirtschaftsteilnehmern unter denselben Bedingungen wie den Wirtschaftsteilnehmern der anderen Mitgliedstaaten die Befreiung von den Abgaben zugute kommt, führte das Office national interprofessionnel des céréales ein Verfahren des Verkaufs mit Rückkaufsvorbehalt im Sinne des Artikels 1659 des französischen Code civil ein. Die Ausübung des Rückkaufsrechts durch den Verkäufer bewirkt die Aufhebung des Verkaufs und versetzt die Parteien wieder in die Lage, in der sie sich vor dem Verkauf befanden, ohne eine weitere Änderung herbeizuführen.

10 Nach dem in Frankreich errichteten System verkauft der Erzeuger, der meint, daß ihm eine bestimmte Menge Getreide entweder für den Eigenverbrauch oder für eine spätere Verarbeitung vorbehalten bleiben muß, diese Menge mit Rückkaufsvorbehalt, d. h. unter einer auflösenden Bedingung, an den Erfassungs- oder den Verarbeitungsbetrieb zu dem am Tag dieses Verkaufs geltenden Preis, jedoch unter Entrichtung der Mitverantwortungsabgabe. Die Rückkaufsabrede hat lediglich die Wirkung, daß es dem Erfassungs- oder dem Verarbeitungsbetrieb, wenigstens ohne Zustimmung des Verkäufers, untersagt ist, die Mengen, über die er auf diese Weise verfügt, zugunsten eines Dritten zu verwenden. Nur falls der Erzeuger nicht die gesamten, auf diese Weise unter Rückkaufsvorbehalt gestellten Mengen benötigt, werden diese auf dem Markt verkauft, wofür die Abgabe vorab entrichtet worden ist. Für die an den Erzeuger zurückgegebenen Mengen werden dann aufgrund des Eigenverbrauchs die Abgaben erstattet.

11 In der angefochtenen Entscheidung vom 23. September 1992 lehnte es die Kommission ab, die Vereinbarkeit der von den französischen Behörden vorgenommenen Abgabenerstattung mit dem Gemeinschaftsrecht anzuerkennen. In dem zusammenfassenden Bericht vom 27. Juli 1992 über die Ergebnisse der Untersuchung des Rechnungsabschlusses des EAGFL, Abteilung Garantie, im Haushaltsjahr 1989 legte die Kommission insbesondere dar, daß die Verordnung Nr. 1432/88 durch die Bezugnahme auf den Verkauf das Getreide bereits bei seiner Vermarktung der Abgabe habe unterwerfen wollen und daß die Verordnung Nr. 3779/88 als einzigen Fall der Befreiung von der Abgabe die Lohnarbeit festgelegt habe, weil es dabei weder einen Verkauf noch eine Vermarktung gebe und infolgedessen auch keinen Preis, der das Gleichgewicht des Marktes hätte beeinflussen können.

12 Zur Begründung ihrer Nichtigkeitsklage trägt die Französische Republik im wesentlichen vor, daß das System des Verkaufs mit Rückkaufsklausel das einzige sei, das es ermögliche, die für Rechnung eines Erzeugers ausserhalb seines Betriebs vorgenommene Verarbeitung von Getreide von den Abgaben zu befreien und zugleich die französischen Steuervorschriften einzuhalten. Das Verfahren des Verkaufs mit Rückkaufsvorbehalt bringe keine tatsächliche Vermarktung des verkauften Erzeugnisses mit sich und beeinträchtige deshalb nicht das Ziel des Mitverantwortungssystems, nämlich die Sanierung des Getreidesektors.

13 Die Kommission entgegnet, daß das mit Rückkaufsklausel verkaufte Getreide zum Zeitpunkt des Verkaufs auf den Markt gelange und zur Festlegung und Zahlung eines Preises Anlaß gebe, was die Erhebung der Abgaben rechtfertige. Die Aufhebung des Verkaufs infolge der Ausübung des Rückkaufsrechts sei nicht geeignet, im nachhinein die durch den Verkauf auf das Gleichgewicht des Marktes ausgeuebte Wirkung zu neutralisieren und demgemäß die Erstattung der Abgaben zu rechtfertigen.

14 Für die Entscheidung über die Begründetheit der Klage ist daran zu erinnern, daß die Gemeinschaftsregelung auf dem Gebiet der Mitverantwortungsabgabe den Zweck hat, die strukturellen Getreideueberschüsse auf dem Markt zu begrenzen, und daß es dieser Zweck rechtfertigt, nur die auf den Markt gelangenden Verarbeitungserzeugnisse von Getreide der Abgabe zu unterwerfen, da die in geschlossenen Kreisläufen verbrauchten Getreidemengen nicht zur Entstehung von Überschüssen beitragen (vgl. Urteile vom 29. Juni 1988, a. a. O., Randnr. 11, und vom 20. September 1990 in der Rechtssache C-203/89, Van Landschoot, Slg. 1990, I-3525, Randnr. 22).

15 In seinem erwähnten Urteil vom 20. September 1990 hat der Gerichtshof festgestellt (Randnr. 24), daß das Kriterium für die Unterscheidung der Wirtschaftsteilnehmer im Hinblick darauf, ob sie die Mitverantwortungsabgabe entrichten müssen, unter Berücksichtigung des mit der Mitverantwortungsabgabe verfolgten Zwecks darin besteht, ob die Erzeugnisse vermarktet werden oder nicht.

16 Er hat entschieden (Randnr. 25), daß eine Vermarktung vorliegt, sobald ein Erzeuger das Getreide, das er zum Verkauf an einen beliebigen Verarbeiter erzeugt hat, abgibt, selbst wenn dieser Erzeuger das Getreide später von dem Verarbeiter in Form von Verarbeitungserzeugnissen zurückkauft.

17 Es ist aber festzustellen, daß in dem von den französischen Behörden eingeführten System des Verkaufs mit Rückkaufsvorbehalt das Getreide zum Zeitpunkt des vom Erzeuger vorgenommenen Verkaufs auf den Markt gelangt. Denn dieser Verkauf wirkt sich dadurch, daß er den Umfang der auf dem Markt angebotenen Mengen erhöht, auf die Preise aus und versetzt den Erzeuger/Verkäufer mit Rückkaufsrecht in die gleiche Lage wie einen beliebigen anderen Verkäufer.

18 Auch wenn die Ausübung des Rückkaufsrechts nach dem französischen Zivilrecht die Lage, die vor dem Verkauf bestand, wiederherstellt, so beseitigt sie doch nicht die Wirkung, die dieser Verkauf auf den Markt und das Preisniveau gehabt hat, und erfuellt deshalb nicht den Zweck, die Überschüsse im Getreidesektor zu verringern. Daraus ergibt sich, daß in diesem Fall eine Erstattung der Abgabe nicht gerechtfertigt ist.

19 Unter diesen Umständen ist die Nichtigkeitsklage abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

20 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Französische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Die Französische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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