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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 09.02.1995
Aktenzeichen: C-412/93
Rechtsgebiete: EG-Vertrag, Richtlinie 89/552 des


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 177
EG-Vertrag Art. 3 Buchst. f
EG-Vertrag Art. 5
EG-Vertrag Art. 30
EG-Vertrag Art. 85
EG-Vertrag Art. 86
Richtlinie 89/552 Art. 3 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Im Rahmen des in Artikel 177 des Vertrages vorgesehenen Verfahrens besitzt das vorlegende Gericht, das allein über eine unmittelbare Kenntnis des Sachverhalts verfügt, die besten Voraussetzungen, um unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Rechtssache die Notwendigkeit einer Vorabentscheidung für den Erlaß seines Urteils zu beurteilen. Wenn die von den nationalen Gerichten gestellten Fragen die Auslegung einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts betreffen, ist der Gerichtshof daher grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden.

Es obliegt jedoch dem Gerichtshof, zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände zu untersuchen, unter denen er angerufen worden ist. Denn der Geist der Zusammenarbeit, in dem das Vorabentscheidungsverfahren durchzuführen ist, verlangt, daß das vorlegende Gericht auf die dem Gerichtshof übertragene Aufgabe Rücksicht nimmt, zur Rechtspflege in den Mitgliedstaaten beizutragen, nicht aber Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben.

In diesem Zusammenhang wird durch den Umstand, daß die Parteien über das angestrebte Ergebnis einig sind, nicht in Frage gestellt, daß im Ausgangsverfahren tatsächlich darüber gestritten wird, ob eine ablehnende Entscheidung, die die eine Partei gegenüber der anderen aufgrund einer nationalen Rechtsvorschrift ausgesprochen hat, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.

2. Die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten ist nicht geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren. Sind diese Voraussetzungen erfuellt, so ist die Anwendung derartiger Regelungen auf den Verkauf von Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedstaat, die den von diesem Staat aufgestellten Bestimmungen entsprechen, nämlich nicht geeignet, den Marktzugang für diese Erzeugnisse zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tut. Diese Regelungen fallen daher nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 30 des Vertrages.

Artikel 30 ist folglich dahin auszulegen, daß er nicht für den Fall gilt, daß ein Mitgliedstaat durch Gesetz oder Verordnung die Ausstrahlung von Fernsehwerbemitteilungen zugunsten des Wirtschaftssektors des Vertriebs verbietet. Eine solche Maßnahme betrifft nämlich die Verkaufsmodalitäten insoweit, als sie eine bestimmte Form der Förderung einer bestimmten Methode des Absatzes von Erzeugnissen verbietet, und berührt den Absatz der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht in anderer Weise als den der inländischen Erzeugnisse, da sie, ohne nach Erzeugnissen zu unterscheiden, für alle Wirtschaftsteilnehmer im Sektor des Vertriebs gilt.

Die Artikel 85 und 86 in Verbindung mit den Artikeln 3 Buchstabe f und 5 des Vertrages sind auf eine solche Maßnahme nicht anwendbar.

3. Die Richtlinie 89/522, die die freie Ausstrahlung von Fernsehsendungen, die den in ihr vorgesehenen Mindestnormen entsprechen, sicherstellen soll und die Mitgliedstaaten, in denen die Sendungen ihren Ursprung haben, zur Beachtung der Vorschriften der Richtlinie und die Empfangsmitgliedstaaten dazu verpflichtet, die Freiheit des Empfangs und der Weiterverbreitung zu gewährleisten, räumt den Mitgliedstaaten in Artikel 3 Absatz 1 das Recht ein, für Fernsehveranstalter, die ihrer Rechtshoheit unterstehen, in den von der Richtlinie erfassten Bereichen strengere oder ausführlichere Bestimmungen vorzusehen. Dieses durch eine allgemeine Bestimmung der Richtlinie eingeräumte Recht, dessen Ausübung nicht geeignet ist, die freie Ausstrahlung von ° den Mindestnormen der Richtlinie entsprechenden ° Sendungen, die die Richtlinie sicherstellen will, zu gefährden, ist im Bereich der Werbung nicht auf die in den Artikeln 19 und 20 festgelegten Umstände beschränkt.

Die Richtlinie ist deshalb dahin auszulegen, daß sie es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, die Ausstrahlung von Werbemitteilungen zugunsten des Wirtschaftssektors des Vertriebs durch in seinem Hoheitsgebiet niedergelassene Fernsehveranstalter durch Gesetz oder Verordnung zu verbieten.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 9. FEBRUAR 1995. - SOCIETE D'IMPORTATION EDOUARD LECLERC-SIPLEC GEGEN TF1 PUBLICITE SA UND M6 PUBLICITE SA. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TRIBUNAL DE COMMERCE DE PARIS - FRANKREICH. - FERNSEHWERBUNG - FREIER WAREN- UND DIENSTLEISTUNGSVERKEHR. - RECHTSSACHE C-412/93.

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunal de commerce Paris hat mit Urteil vom 27. September 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Oktober 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Artikel 30, 85, 86, 5 und 3 Buchstabe f EWG-Vertrag sowie der Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (ABl. L 298, S. 23, im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Société d' importation Édouard Leclerc-Siplec (im folgenden: Firma Leclerc-Siplec) und den Firmen TF1 Publicité (im folgenden: TF1) und M6 Publicité (im folgenden: M6) über die Weigerung der letztgenannten Firmen, eine Werbemitteilung über den Vertrieb von Kraftstoffen in den Leclerc-Supermärkten auszustrahlen, und zwar mit der Begründung, daß Artikel 8 des aufgrund von Artikel 27 Absatz 1 des Gesetzes vom 30. September 1986 über die Freiheit der Nachrichtenübermittlung und zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze der für die Werbung und das Sponsoring geltenden Regelung erlassenen Dekrets Nr. 92-280 vom 27. März 1992 (JORF vom 28. März 1992, S. 4313, im folgenden: Dekret) den Sektor des Vertriebs von der Fernsehwerbung ausschließe.

3 Die Firma Leclerc-Siplec verklagte die Firmen TF1 und M6 beim Tribunal de commerce Paris. Sie vertrat die Auffassung, Artikel 8 des Dekrets verstosse gegen mehrere Bestimmungen des Vertrages und der Richtlinie, und schlug dem Gericht vor, hierzu den Gerichtshof zu befragen. Die Firmen TF1 und M6 vertraten, obwohl sie Beklagte sind, die gleiche Auffassung wie die Firma Leclerc-Siplec. Darüber hinaus führte die Firma TF1 aus, die Stellungnahme des Gerichtshofes müsse allgemeiner Art sein und sich nicht nur auf den Vertrieb, sondern auf alle Sektoren beziehen, denen durch das Dekret Sendezeit verwehrt werde.

4 Das vorlegende Gericht hat zunächst festgestellt, daß verschiedene konsultierte Stellen wie das Secrétariat d' État à la Communication, der Conseil supérieur de l' audiovisül (im folgenden: CSA) und das Bureau de vérification de la publicité die Auslegung der Firmen TF1 und M6 bestätigt hätten, daß die streitige Mitteilung unter das Verbot des Artikels 8 des Dekrets falle; es hat sodann das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind die Artikel 30, 85, 86, 5 und 3 Buchstabe f des Vertrages sowie die Richtlinie 89/552/EWG vom 3. Oktober 1989 dahin auszulegen, daß sie es einem Mitgliedstaat verbieten, durch Gesetz oder Verordnung Sektoren der Wirtschaftstätigkeit, insbesondere den Sektor des Vertriebs, von der Fernsehwerbung auszuschließen, und ist allgemein Artikel 8 des Dekrets vom 27. März 1992 als mit den genannten Vorschriften vereinbar anzusehen?

5 Artikel 8 des Dekrets verbietet "Werbung, die Erzeugnisse betrifft, für die ein gesetzliches Fernsehwerbeverbot besteht, und Werbung, die sich auf folgende Erzeugnisse und Wirtschaftssektoren bezieht:

° Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 %;

° Literaturverlagswesen;

° Filmindustrie;

° Presse;

° Vertrieb, ausser in den Überseedepartements und -territorien sowie in den Gebietskörperschaften Mayotte und Saint-Pierre-et-Miquelon".

6 Nach Artikel 21 des Dekrets wird die Einhaltung seiner Bestimmungen vom CSA überwacht.

7 Aus den Entscheidungen des CSA geht hervor, daß in den Werbemitteilungen der "Hersteller/Vertriebshändler", für die das Verbot der Fernsehwerbung für den Wirtschaftssektor des Vertriebs nicht gilt, nicht auf die Absatzwege der Erzeugnisse hingewiesen werden darf.

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofes

8 Die Kommission trägt vorab vor, das Vorabentscheidungsersuchen sei unzulässig. Aus dem Vorlageurteil ergebe sich, daß bei dem vorlegenden Gericht kein Rechtsstreit anhängig sei, da der Antrag der Firma Leclerc-Siplec sich lediglich darauf richte, eine Vorabentscheidung zu erwirken. Als es auf Anregung der Firma TF1 die von der Firma Leclerc-Siplec vorgeschlagene Frage auf andere Sektoren der Wirtschaftstätigkeit als den des Vertriebs ausgedehnt habe, der Gegenstand der vorgeschlagenen Frage gewesen sei, habe das vorlegende Gericht jedenfalls eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, die sich auf einen Rechtsstreit beziehe, der zwischen den Parteien nicht ° nicht einmal latent ° bestehe.

9 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß ein nationales Gericht eines Mitgliedstaats, dem eine Frage nach der Auslegung des Vertrages oder abgeleiteter Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane gestellt wird, den Gerichtshof gemäß Artikel 177 des Vertrages darum ersuchen kann, über diese Frage zu befinden, wenn es eine Entscheidung darüber zum Erlaß seines Urteils für erforderlich hält.

10 Im Rahmen dieses Vorlageverfahrens besitzt das vorlegende Gericht, das allein über eine unmittelbare Kenntnis des Sachverhalts verfügt, die besten Voraussetzungen, um unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Rechtssache die Notwendigkeit einer Vorabentscheidung für den Erlaß seines Urteils zu beurteilen (vgl. Urteile vom 29. November 1978 in der Rechtssache 83/78, Pigs Marketing Board, Slg. 1978, 2347, vom 28. November 1991 in der Rechtssache C-186/90, Durighello, Slg. 1991, I-5773, und vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-83/91, Meilicke, Slg. 1992, I-4871, Randnr. 23).

11 Wenn die von den nationalen Gerichten gestellten Fragen die Auslegung einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts betreffen, ist der Gerichtshof daher grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (siehe Urteil vom 8. November 1990 in der Rechtssache C-231/89, Gmurzynska-Bscher, Slg. 1990, I-4003, Randnr. 20).

12 Der Gerichtshof hat jedoch darauf hingewiesen, daß es ihm obliegt, zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände zu untersuchen, unter denen er von dem vorlegenden Gericht angerufen worden ist. Denn der Geist der Zusammenarbeit, in dem das Vorabentscheidungsverfahren durchzuführen ist, verlangt, daß das vorlegende Gericht auf die dem Gerichtshof übertragene Aufgabe Rücksicht nimmt, zur Rechtspflege in den Mitgliedstaaten beizutragen, nicht aber Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben (Urteil vom 3. Februar 1983 in der Rechtssache 149/82, Robards, Slg. 1983, 171, und Urteil Meilicke, a. a. O., Randnr. 25).

13 In Anbetracht dieser Aufgabe hat sich der Gerichtshof nicht für befugt gehalten, über eine vor einem nationalen Gericht aufgeworfene Vorabentscheidungsfrage zu befinden, wenn die Auslegung des Gemeinschaftsrechts in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht.

14 In der vorliegenden Rechtssache lässt sich kaum bestreiten, daß der Gegenstand des Ausgangsverfahrens, wie die französische Regierung vorgetragen hat, für die Firma Leclerc-Siplec darin besteht, durch das vorlegende Gericht feststellen zu lassen, daß die auf Artikel 8 des Dekrets gestützte Weigerung der Firmen TF1 und M6, eine Werbemitteilung über den Vertrieb von Kraftstoffen auszustrahlen, mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar ist. Der Umstand, daß die Parteien des Ausgangsverfahrens über das angestrebte Ergebnis einig sind, ändert nichts daran, daß dieser Rechtsstreit tatsächlich besteht.

15 Die Vorlagefrage entspricht folglich insoweit, als sie sich auf diesen Gegenstand bezieht, einem mit der Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits zusammenhängenden objektiven Bedürfnis. Was das Verbot der Ausstrahlung von Fernsehwerbung zugunsten anderer Erzeugnisse oder Wirtschaftssektoren angeht, ist dies dagegen nicht der Fall.

16 Nach alledem ist die Vorlagefrage insoweit zu beantworten, als sie sich auf den Ausschluß des Wirtschaftssektors des Vertriebs von der Fernsehwerbung bezieht.

Zur Auslegung der in der Vorabentscheidungsfrage genannten Bestimmungen

17 Die so eingegrenzte Vorlagefrage geht lediglich dahin, ob Artikel 30, die Artikel 85 und 86 in Verbindung mit den Artikeln 3 Buchstabe f und 5 des Vertrages sowie die Richtlinie dahin auszulegen sind, daß sie es einem Mitgliedstaat verwehren, durch Gesetz oder Verordnung die Ausstrahlung von Werbemitteilungen zugunsten des Wirtschaftssektors des Vertriebs durch in seinem Hoheitsgebiet niedergelassene Fernsehveranstalter zu verbieten.

Zu Artikel 30 des Vertrages

18 Nach ständiger Rechtsprechung stellt jede Maßnahme, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung dar (Urteil vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74, Dassonville, Slg. 1974, 837, Randnr. 5).

19 Eine durch Gesetz oder Verordnung getroffene Maßnahme wie die im Ausgangsverfahren streitige, die die Fernsehwerbung im Sektor des Vertriebs verbietet, bezweckt keine Regelung des Warenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten. Im übrigen lässt dieses Verbot die den Vertriebshändlern offenstehende Möglichkeit unberührt, andere Formen der Werbung einzusetzen.

20 Zwar kann ein solches Verbot das Absatzvolumen und folglich auch das Absatzvolumen der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten insoweit einschränken, als es den Vertriebshändlern eine bestimmte Form der Förderung des Absatzes der vertriebenen Erzeugnisse nimmt. Es ist jedoch fraglich, ob diese Möglichkeit ausreicht, um das streitige Verbot als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Einfuhrbeschränkung im Sinne von Artikel 30 des Vertrages zu qualifizieren.

21 Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne des Urteils Dassonville (a. a. O.) unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren. Sind diese Voraussetzungen erfuellt, so ist die Anwendung derartiger Regelungen auf den Verkauf von Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedstaat, die den von diesem Staat aufgestellten Bestimmungen entsprechen, nicht geeignet, den Marktzugang für diese Erzeugnisse zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tut. Diese Regelungen fallen daher nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 30 des Vertrages (vgl. Urteile vom 24. November 1993 in den verbundenen Rechtssachen C-267/91 und C-268/91, Keck und Mithouard, Slg. 1993, I-6097, Randnrn. 16 und 17, und vom 15. Dezember 1993 in der Rechtssache C-292/92, Hünermund, Slg. 1993, I-6787, Randnr. 21).

22 Eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren streitige betrifft aber die Verkaufsmodalitäten insoweit, als sie eine bestimmte Form der Förderung (Fernsehwerbung) einer bestimmten Methode des Absatzes (Vertrieb) von Erzeugnissen verbietet.

23 Darüber hinaus berühren diese Vorschriften, die, ohne nach Erzeugnissen zu unterscheiden, für alle Wirtschaftsteilnehmer im Sektor des Vertriebs gelten, auch wenn sie gleichzeitig Erzeuger und Vertriebshändler sind, den Absatz der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht in anderer Weise als den der inländischen Erzeugnisse.

24 Somit ist zu antworten, daß Artikel 30 des Vertrages dahin auszulegen ist, daß er nicht für den Fall gilt, daß ein Mitgliedstaat durch Gesetz oder Verordnung die Ausstrahlung von Fernsehwerbemitteilungen zugunsten des Wirtschaftssektors des Vertriebs verbietet.

Zu den Artikeln 85 und 86 in Verbindung mit den Artikeln 3 Buchstabe f und 5 des Vertrages

25 Hierzu ist festzustellen, daß die Artikel 85 und 86 des Vertrages an sich nur das Verhalten von Unternehmen, nicht aber durch Gesetz oder Verordnung getroffene Maßnahmen der Mitgliedstaaten betreffen. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes dürfen die Mitgliedstaaten jedoch aufgrund der Artikel 85 und 86 in Verbindung mit Artikel 5 des Vertrages keine Maßnahmen, und zwar auch nicht in Form von Gesetzen oder Verordnungen, treffen oder beibehalten, die die praktische Wirksamkeit der für die Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln aufheben könnten. Nach der Rechtsprechung ist ein solcher Fall dann gegeben, wenn ein Mitgliedstaat gegen Artikel 85 verstossende Kartelle vorschreibt oder erleichtert oder deren Auswirkungen verstärkt oder wenn er der eigenen Regelung dadurch ihren staatlichen Charakter nimmt, daß er die Verantwortung für in die Wirtschaft eingreifende Entscheidungen privaten Wirtschaftsteilnehmern überträgt (vgl. Urteil vom 21. September 1988 in der Rechtssache 267/86, Van Eycke, Slg. 1988, 4769, Randnr. 16, und zuletzt Urteil vom 2. Juni 1994 in den verbundenen Rechtssachen C-401/92 und C-402/92, Tankstation 't Heukske und Börmans, Slg. 1994, I-2199, Randnr. 16).

26 In der vorliegenden Rechtssache lässt sich den Akten nichts entnehmen, was den Schluß zuließe, daß die streitigen nationalen Vorschriften wettbewerbswidrige Verhaltensweisen vorschreiben oder erleichtern oder die Auswirkungen eines bestehenden Kartells verstärken.

27 Daher ist zu antworten, daß die Artikel 85 und 86 in Verbindung mit den Artikeln 3 Buchstabe f und 5 des Vertrages auf derartige nationale Vorschriften nicht anwendbar sind.

Zur Richtlinie 89/552

28 Das Hauptziel der Richtlinie, die auf der Grundlage der Artikel 57 Absatz 2 und 66 des Vertrages erlassen worden ist, besteht darin, die freie Ausstrahlung von Fernsehsendungen sicherzustellen.

29 Zu diesem Zweck sieht sie, wie sich aus der dreizehnten und der vierzehnten Begründungserwägung ergibt, Mindestnormen vor, denen Fernsehsendungen, die ihren Ursprung in der Gemeinschaft haben und für den Empfang in der Gemeinschaft bestimmt sind, insbesondere die Sendungen, die für den Empfang in einem anderen Mitgliedstaat bestimmt sind, entsprechen müssen.

30 Um dieses Ziel zu erreichen, verpflichtet die Richtlinie im Rahmen des allgemeine Bestimmungen enthaltenden Kapitels II zum einen die Mitgliedstaaten, in denen die Sendungen ihren Ursprung haben, dafür zu sorgen, daß die ihrer Rechtshoheit unterstehenden Fernsehveranstalter die Vorschriften der Richtlinie beachten (Artikel 3 Absatz 2), und zum anderen die Empfangsmitgliedstaaten, den freien Empfang zu gewährleisten und die Weiterverbreitung von Fernsehsendungen aus anderen Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet nicht aus Gründen zu behindern, die in Bereiche fallen, die durch die Richtlinie koordiniert sind, unbeschadet ihrer Befugnis, Sendungen in einigen genau bestimmten Fällen vorübergehend auszusetzen (Artikel 2 Absatz 2).

31 Nach dem in demselben Kapitel stehenden Artikel 3 Absatz 1 können die Mitgliedstaaten für Fernsehveranstalter, die ihrer Rechtshoheit unterstehen, in den von der Richtlinie erfassten Bereichen strengere oder ausführlichere Bestimmungen vorsehen.

32 Zu den durch die Richtlinie koordinierten Bereichen gehören die in Kapitel IV enthaltenen Mindestnormen, die die Staaten, in denen die Sendungen ihren Ursprung haben, bei der Fernsehwerbung zu beachten haben.

33 Zwei in Kapitel IV enthaltene Artikel erlauben es den Mitgliedstaaten, in denen die Sendungen ihren Ursprung haben, von einigen Vorschriften der Richtlinie über die Voraussetzungen, unter denen Werbung ausgestrahlt werden kann, abzuweichen.

34 Erstens können sie nach Artikel 19 vorsehen, daß die Sendezeit und die Modalitäten der Fernsehübertragung der ihrer Rechtshoheit unterstehenden Fernsehveranstalter strenger festgelegt werden als in Artikel 18 vorgesehen.

35 Zweitens können sie nach Artikel 20 unbeschadet des Artikels 3 für Sendungen, die ausschließlich für ihr eigenes Hoheitsgebiet bestimmt sind und weder unmittelbar noch mittelbar in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten empfangen werden können, unter Einhaltung des Gemeinschaftsrechts andere als die in Artikel 11 Absätze 2 bis 5 und in Artikel 18 festgelegten Bedingungen vorsehen.

36 Es steht fest, daß weder Artikel 19 noch Artikel 20 als Grundlage dafür dienen kann, daß ein Mitgliedstaat Fernsehwerbung im Wirtschaftssektor des Vertriebs verbietet.

37 Damit stellt sich die Frage, ob sich ein solches Verbot auf Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie stützen lässt.

38 Zur Bestimmung der Tragweite des Artikels 3 Absatz 1 der Richtlinie ist zunächst zu prüfen, ob die Mitgliedstaaten aufgrund dieser Vorschrift für Fernsehveranstalter, die ihrer Rechtshoheit unterstehen, strengere als die in Kapitel IV vorgesehenen Bestimmungen erlassen können, wenn die in den Artikeln 19 und 20 festgelegten Umstände nicht vorliegen.

39 Während Artikel 20 nach seinem Wortlaut unbeschadet des Artikels 3 gilt, enthält Artikel 19 der Richtlinie eine solche Angabe nicht.

40 Daraus lässt sich jedoch nicht der Schluß ziehen, daß das Recht der Mitgliedstaaten, auf dem Gebiet der Fernsehwerbung und des Sponsoring strengere Bestimmungen vorzusehen, davon abhängt, daß die in Artikel 19 der Richtlinie festgelegten Umstände vorliegen.

41 Eine solche Auslegung liefe darauf hinaus, Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie als allgemeine Bestimmung in einem wesentlichen von der Richtlinie erfassten Bereich gegenstandslos zu machen.

42 Weder aus den Begründungserwägungen noch aus der Zielsetzung der Richtlinie geht aber hervor, daß Artikel 19 dahin auszulegen ist, daß er den Mitgliedstaaten das ihnen durch Artikel 3 Absatz 1 zuerkannte Recht entzieht.

43 In der siebenundzwanzigsten Begründungserwägung wird nämlich in allgemeiner Form und ohne Beschränkung auf die in Artikel 19 festgelegten Umstände auf das Recht der Mitgliedstaaten verwiesen, ausführlichere oder strengere Bestimmungen als die Mindestnormen und Kriterien einzuführen, die für die Fernsehwerbung aufgrund der Richtlinie gelten.

44 Darüber hinaus wird die Erreichung des Ziels der Richtlinie, die freie Ausstrahlung von Fernsehsendungen sicherzustellen, die den in ihr vorgesehenen Mindestnormen entsprechen, in keiner Weise berührt, wenn die Mitgliedstaaten Fernsehveranstalter, die ihrer Rechtshoheit unterstehen, unter anderen als den in Artikel 19 festgelegten Umständen strengeren Bestimmungen unterwerfen.

45 Was sodann die Zielsetzung des Artikels 3 Absatz 1 der Richtlinie angeht, haben die Firmen TF1 und M6 geltend gemacht, aus der siebenundzwanzigsten Begründungserwägung gehe hervor, daß nur das Interesse des Verbrauchers die Einführung strengerer Bestimmungen rechtfertigen könne und daß das Dekret dadurch, daß es den Vertrieb aufgrund bestimmter wirtschaftlicher Interessen von der Fernsehwerbung ausschließe, über die Richtlinie hinausgehe.

46 Diesem Vorbringen ist nicht zu folgen.

47 Eine solche Auslegung findet, auch wenn diese Begründungserwägung sie nahezulegen scheint, keine Grundlage im Wortlaut des Artikels 3 Absatz 1, der in bezug auf die Interessen, die die Mitgliedstaaten berücksichtigen können, keine Einschränkung enthält. Jedenfalls schließt diese Begründungserwägung nicht aus, daß derartige Beschränkungen mit dem Schutz anderer Interessen als derjenigen der Verbraucher gerechtfertigt werden können.

48 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, daß die Artikel 30, 85, 86, 5 und 3 Buchstabe f des Vertrages sowie die Richtlinie 89/552 dahin auszulegen sind, daß sie es einem Mitgliedstaat nicht verwehren, die Ausstrahlung von Werbemitteilungen zugunsten des Wirtschaftssektors des Vertriebs durch in seinem Hoheitsgebiet niedergelassene Fernsehveranstalter durch Gesetz oder Verordnung zu verbieten.

Kostenentscheidung:

Kosten

49 Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm vom Tribunal de commerce Paris mit Urteil vom 27. September 1993 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Die Artikel 30, 85, 86, 5 und 3 Buchstabe f EWG-Vertrag sowie die Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit sind dahin auszulegen, daß sie es einem Mitgliedstaat nicht verwehren, die Ausstrahlung von Werbemitteilungen zugunsten des Wirtschaftssektors des Vertriebs durch in seinem Hoheitsgebiet niedergelassene Fernsehveranstalter durch Gesetz oder Verordnung zu verbieten.

Ende der Entscheidung

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