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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 28.11.2006
Aktenzeichen: C-413/04
Rechtsgebiete: EG, Richtlinie 2004/85/EG
Vorschriften:
EG Art. 230 | |
Richtlinie 2004/85/EG |
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Große Kammer)
28. November 2006
"Richtlinie 2003/54/EG - Gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt - Richtlinie 2004/85/EG - Vorläufige Ausnahmen für Estland - Rechtsgrundlage"
Parteien:
In der Rechtssache C-413/04
betreffend eine Nichtigkeitsklage nach Artikel 230 EG, eingereicht am 23. September 2004,
Europäisches Parlament, vertreten durch A. Baas und U. Rösslein als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Kläger,
unterstützt durch
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J. Sack und P. Van Nuffel als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Streithelferin,
gegen
Rat der Europäischen Union, vertreten durch A. Lopes Sabino und M. Bishop als Bevollmächtigte,
Beklagter,
unterstützt durch
Republik Estland, vertreten durch L. Uibo als Bevollmächtigten,
Republik Polen, vertreten durch M. Weglarz, T. Nowakowski und T. Krawczyk als Bevollmächtigte,
Streithelferinnen,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas, K. Lenaerts, P. Kuris und E. Juhász sowie der Richter K. Schiemann (Berichterstatter), J. Makarczyk, G. Arestis, A. Borg Barthet, A. Ó Caoimh und L. Bay Larsen,
Generalanwalt: L. A. Geelhoed,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. März 2006,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 1. Juni 2006
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe:
1 Mit seiner Klageschrift beantragt das Europäische Parlament die Nichtigerklärung der Richtlinie 2004/85/EG des Rates vom 28. Juni 2004 zur Änderung der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Anwendung bestimmter Vorschriften auf Estland (ABl. L 236, S. 10, im Folgenden: angefochtene Richtlinie).
2 Die Richtlinie 96/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Dezember 1996 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt (ABl. 1997, L 27, S. 20) trat am 19. Februar 1997 in Kraft. Sie war bis zum 19. Februar 1999 in nationales Recht umzusetzen.
3 Der Vertrag über den Beitritt von zehn neuen Mitgliedstaaten, zu denen die Republik Estland gehört, zur Europäischen Union wurde am 16. April 2003 unterzeichnet (ABl. 2003, L 236, S. 17, im Folgenden: Beitrittsvertrag von 2003). Nach Artikel 1 Absatz 2 dieses Vertrages sind die Aufnahmebedingungen und die aufgrund der Aufnahme erforderlichen Anpassungen der die Union begründenden Verträge in der diesem Vertrag beigefügten Akte festgelegt, die Bestandteil des Vertrages ist (im Folgenden: Beitrittsakte von 2003).
4 Anhang VI der Beitrittsakte von 2003 sieht u. a. hinsichtlich der Anwendung der Richtlinie 96/92 Übergangsmaßnahmen für die Republik Estland vor.
5 Die Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92 (ABl. L 176, S. 37) wurde auf der Grundlage der Artikel 47 Absatz 2 EG, 55 EG und 95 EG erlassen.
6 Um übergangsweise die Anwendung bestimmter Vorschriften der Richtlinie 2003/54 in Bezug auf die Republik Estland aufzuschieben, erließ der Rat der Europäischen Union die angefochtene Richtlinie. Diese Richtlinie wurde auf der Grundlage von Artikel 57 der Beitrittsakte von 2003 erlassen.
7 Zur Stützung seiner Klage macht das Europäische Parlament geltend, dass die angefochtene Richtlinie nicht auf der Grundlage des Artikels 57 der Beitrittsakte habe erlassen werden dürfen und dass sie nicht der Begründungspflicht gemäß Artikel 253 EG genüge.
8 Mit Beschlüssen des Präsidenten des Gerichtshofes vom 21. Dezember 2004 und 9. März 2005 sind die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Republik Estland und die Republik Polen als Streithelferinnen im vorliegenden Verfahren zugelassen worden, und zwar die Kommission zur Unterstützung der Anträge des Parlaments und die beiden anderen Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge des Rates.
Rechtlicher Kontext
Beitrittsvertrag von 2003
9 Artikel 2 Absätze 2 und 3 des Beitrittsvertrags von 2003 bestimmt:
"(2) Dieser Vertrag tritt am 1. Mai 2004 in Kraft ...
(3) Abweichend von Absatz 2 können die Organe der Union vor dem Beitritt die Maßnahmen erlassen, die in Artikel 6 Absatz 2 Unterabsatz 2, Artikel 6 Absatz 6 Unterabsatz 2 ..., den Artikeln 38, 39, 41, 42 und 55 bis 57 der Beitrittsakte, den Anhängen III bis XIV der Akte, ... vorgesehen sind. Diese Maßnahmen treten nur vorbehaltlich des Inkrafttretens dieses Vertrags und zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens in Kraft."
10 Artikel 20 der Beitrittsakte von 2003 sieht vor:
"Die in Anhang II aufgeführten Rechtsakte werden nach Maßgabe jenes Anhangs angepasst."
11 Artikel 21 der Akte lautet:
"Die infolge des Beitritts erforderlichen Anpassungen der in Anhang III aufgeführten Rechtsakte werden gemäß den dort aufgestellten Leitlinien nach dem Verfahren und unter den Voraussetzungen des Artikels 57 vorgenommen."
12 Artikel 24 der Akte bestimmt:
"Die in den Anhängen V, VI, VII, VIII, IX, X, XI, XII, XIII und XIV zu dieser Akte aufgeführten Maßnahmen finden auf die neuen Mitgliedstaaten unter den in diesen Anhängen festgelegten Bedingungen Anwendung."
13 Artikel 55 der Beitrittsakte von 2003 bestimmt:
"Auf ordnungsgemäß substanziierten Antrag eines der neuen Mitgliedstaaten kann der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission vor dem 1. Mai 2004 zeitlich begrenzte Maßnahmen zur Gewährung von Ausnahmen von Rechtsakten der Organe beschließen, die zwischen dem 1. November 2002 und dem Tag der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags angenommen wurden."
14 Artikel 57 der Akte lautet:
"(1) Erfordern vor dem Beitritt erlassene Rechtsakte der Organe aufgrund des Beitritts eine Anpassung und sind die erforderlichen Anpassungen in dieser Akte oder ihren Anhängen nicht vorgesehen, so werden diese Anpassungen nach dem in Absatz 2 vorgesehenen Verfahren vorgenommen. Diese Anpassungen treten mit dem Beitritt in Kraft.
(2) Der Rat oder die Kommission, je nachdem, welches Organ die ursprünglichen Rechtsakte erlassen hat, legt zu diesem Zweck die erforderlichen Wortlaute fest; der Rat beschließt dabei mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission."
15 Vorab ist klarzustellen, dass zwar die französische Fassung des Artikels 57 darauf hindeutet, dass die gemäß dieser Bestimmung vorzunehmenden Anpassungen "vor dem Beitritt" vorzunehmen sind, doch bezieht sich diese zeitliche Begrenzung in Wirklichkeit - wie sich aus den anderen sprachlichen Fassungen dieser Bestimmung ergibt - nicht auf die Möglichkeit, auf Artikel 57 Bezug zu nehmen, sondern auf den Zeitpunkt des Erlasses der zu ändernden Rechtsakte (vgl. in diesem Sinne in Bezug auf die gleichlautende Bestimmung in der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassung der die Europäische Union begründenden Verträge [ABl. 1994, C 241, S. 21, im Folgenden: Beitrittsakte von 1994] Urteil vom 2. Oktober 1997 in der Rechtssache C-259/95, Parlament/Rat, Slg. 1997, I-5303, Randnrn. 12 bis 22).
16 Anhang VI der Beitrittsakte bestimmt:
"In Estland gilt Artikel 19 Absatz 2 der Richtlinie 96/92/EG bis zum 31. Dezember 2008 nicht."
17 Die der Schlussakte des Beitrittsvertrags von 2003 beigefügte gemeinsame Erklärung Nr. 8 der fünfzehn Mitgliedstaaten, "Erklärung zu Ölschiefer, zum Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Richtlinie 96/92/EG ... (Elektrizitätsrichtlinie): Estland" (im Folgenden: Erklärung Nr. 8), lautet:
"Die Union wird genau darauf achten, dass Estland seine Verpflichtungen, insbesondere zur weiteren Vorbereitung auf den Energiebinnenmarkt (Umstrukturierung des Ölschiefersektors, Umstrukturierung des Elektrizitätssektors, Rechtsetzung, Stärkung des Energiemarkt-Aufsichtsamts usw.) erfüllt.
Die Union weist Estland auf die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates (Tagungen in Lissabon bzw. Barcelona) über eine beschleunigte Marktöffnung unter anderem in den Bereichen Elektrizität und Gas hin mit dem Ziel, in diesen Bereichen einen voll funktionsfähigen Binnenmarkt zu verwirklichen, und sie nimmt die am 27. Mai 2002 im Rahmen der Beitrittsverhandlungen von Estland abgegebenen entsprechenden Erklärungen zur Kenntnis. Ungeachtet des Erfordernisses der frühzeitigen Verwirklichung eines funktionsfähigen Elektrizitätsbinnenmarkts nimmt die Union zur Kenntnis, dass Estland sich seine Position zu künftigen Entwicklungen der Rechtsetzung in diesem Bereich vorbehält. Die Union erkennt in diesem Zusammenhang die mit der Umstrukturierung der Ölschieferindustrie zusammenhängende besondere Lage an, die bis Ende 2012 besondere Anstrengungen erfordern wird, sowie die Notwendigkeit der schrittweisen Öffnung des estnischen Elektrizitätsmarkts für gewerbliche Abnehmer bis zu diesem Zeitpunkt.
Die Union nimmt zur Kenntnis, dass zur Begrenzung der potenziellen Verzerrung des Wettbewerbs im Elektrizitätsbinnenmarkt möglicherweise Schutzmechanismen, wie z. B. die Gegenseitigkeitsklausel der Richtlinie 96/92/EG, angewandt werden müssen.
Die Kommission wird die weitere Entwicklung der Stromerzeugung und die etwaigen Veränderungen am Elektrizitätsmarkt in Estland und in den Nachbarländern genau verfolgen.
Unbeschadet der vorangegangenen Ausführungen kann jeder Mitgliedstaat ab dem Jahr 2009 die Kommission ersuchen, die Entwicklung der Elektrizitätsmärkte des Ostseeraums zu bewerten. Gestützt auf diese Bewertung und unter umfassender Berücksichtigung sowohl der Einzigartigkeit des Ölschiefers, der sozioökonomischen Erwägungen im Zusammenhang mit der Gewinnung des Ölschiefers sowie der Erzeugung und dem Verbrauch des Schieferöls in Estland als auch der Ziele der Gemeinschaft für den Elektrizitätsmarkt wird die Kommission dem Rat Bericht erstatten und entsprechende Empfehlungen unterbreiten."
Abgeleitetes Recht
18 Artikel 19 der Richtlinie 96/92 bestimmte:
"(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um eine Öffnung ihrer Elektrizitätsmärkte sicherzustellen, so dass Verträge gemäß den Bedingungen der Artikel 17 und 18 geschlossen werden können - zumindest bis zu einer Obergrenze, die einen erheblichen Wert darstellt und die der Kommission jährlich mitzuteilen ist.
Die nationale Marktquote ist auf der Grundlage der Gemeinschaftsquote des Elektrizitätsverbrauchs von Endverbrauchern mit einem Jahresverbrauch von mehr als 40 GWh (je Verbrauchsstätte und einschließlich der Eigenerzeugung) zu berechnen.
Die durchschnittliche Gemeinschaftsquote wird von der Kommission auf der Grundlage der Informationen berechnet, die die Mitgliedstaaten ihr regelmäßig übermitteln. Die Kommission veröffentlicht diese durchschnittliche Gemeinschaftsquote, die den Grad der Marktöffnung bestimmt, alljährlich vor dem Monat November im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften zusammen mit allen zweckdienlichen Informationen zur Erläuterung ihrer Berechnung.
(2) Die nationale Marktquote nach Absatz 1 wird über einen Zeitraum von sechs Jahren stufenweise erhöht. Hierzu wird die Schwelle des Gemeinschaftsverbrauchs gemäß Absatz 1 drei Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie auf einen Jahresverbrauchswert von 20 GWh und sechs Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie auf einen Jahresverbrauchswert von 9 GWh gesenkt.
(3) Die Mitgliedstaaten geben an, welche Verbraucher in ihrem Hoheitsgebiet die in den Absätzen 1 und 2 festgelegten Quoten erbringen und die Rechts- und Geschäftsfähigkeit haben, um Elektrizitäts-Lieferverträge nach den Artikeln 17 und 18 zu schließen, wobei alle Endverbraucher mit einem Jahresverbrauch von mehr als 100 GWh (je Verbrauchsstätte und einschließlich der Eigenerzeugung) in die genannte Kategorie einzubeziehen sind.
Verteilungsunternehmen, die nicht bereits nach diesem Absatz als zugelassene Kunden benannt sind, haben die Rechts- und Geschäftsfähigkeit, um über die Strommenge, die ihre Kunden, die als zugelassene Kunden benannt wurden, innerhalb ihres Verteilungssystems verbrauchen, Lieferverträge unter den Bedingungen der Artikel 17 und 18 zu schließen, um diese Kunden zu versorgen.
(4) Die Mitgliedstaaten veröffentlichen bis zum 31. Januar eines jeden Jahres die Kriterien für die Bestimmung der zugelassenen Kunden, die Verträge unter den Bedingungen der Artikel 17 und 18 schließen können. ..."
19 Die 33. Begründungserwägung der Richtlinie 2003/54 lautet: "Wegen des Umfangs der Änderungen der Richtlinie 96/92/EG sollten die betreffenden Bestimmungen aus Gründen der Klarheit und der Rationalisierung neu gefasst werden."
20 Artikel 29 Absatz 2 der Richtlinie 2003/54 bestimmt insoweit: "Die Richtlinie 96/92/EG wird zum 1. Juli 2004 aufgehoben; die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Fristen für ihre Umsetzung und Anwendung werden davon nicht berührt. Verweisungen auf die aufgehobene Richtlinie gelten als Verweisungen auf die vorliegende Richtlinie und sind nach der Entsprechungstabelle in Anhang B zu lesen." Nach dieser Tabelle entspricht Artikel 21 der Richtlinie 2003/54 Artikel 19 der Richtlinie 96/92.
21 In Artikel 21 der Richtlinie 2003/54 heißt es:
"Marktöffnung und Gegenseitigkeit
(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass zugelassene Kunden sind:
a) bis zum 1. Juli 2004 alle zugelassenen Kunden entsprechend Artikel 19 Absätze 1 bis 3 der Richtlinie 96/92/EG. Die Mitgliedstaaten veröffentlichen bis zum 31. Januar jeden Jahres die Kriterien für die Definition dieser zugelassenen Kunden;
b) spätestens ab dem 1. Juli 2004 alle Nicht-Haushalts-Kunden;
c) ab dem 1. Juli 2007 alle Kunden.
..."
22 Nach Artikel 30 Absatz 1 der Richtlinie 2003/54 müssen die Mitgliedstaaten die Vorschriften in Kraft setzen, die erforderlich sind, um der Richtlinie spätestens am 1. Juli 2004 nachzukommen.
Die angefochtene Richtlinie
23 Die Republik Estland beantragte mit Schreiben vom 17. September 2003 unter Bezugnahme auf Artikel 57 der Beitrittsakte von 2003 bei der Kommission, die Richtlinie 2003/54 so zu ändern, dass die ihr in Anhang VI der Beitrittsakte von 2003 gewährte Ausnahmeregelung bezüglich des Artikels 19 Absatz 2 der Richtlinie 96/92 und die Erklärung Nr. 8 berücksichtigt werden.
24 Am 27. April 2004 entwarf die Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie, der darauf abzielte, die Umsetzung bestimmter Vorschriften der Richtlinie 2003/54 hinsichtlich der Republik Estland für eine Übergangszeit aufzuschieben (KOM/2004/318 endg.). Dieser Vorschlag wurde auf die Artikel 47 Absatz 2 EG, 55 EG und 95 EG gestützt.
25 Am 28. Juni 2004 wurde die angefochtene Richtlinie, obwohl sie diesen Vorschlag übernimmt und im Wesentlichen wörtlich wiedergibt, vom Rat auf der Grundlage von Artikel 57 der Beitrittsakte von 2003 erlassen. Das Parlament wurde von dem Erlass vom Generalsekretär des Rates mit Schreiben vom 9. Juli 2004 unterrichtet.
26 In diesem Schreiben heißt es: "[Im Hinblick] auf den engen Zusammenhang zwischen dem Beitrittsvertrag und [diesem] Vorschlag ... und im Hinblick auf die Notwendigkeit zur rechtzeitigen Anpassung [dieses Rechtsakts], auf alle Fälle vor dem 1. Juli 2004, ... dem Zeitpunkt der Umsetzung der Richtlinie 2003/54, hat der Rat beschlossen, Artikel 57 der [Beitrittsakte von 2003] als Rechtsgrundlage zu wählen ...; diese Rechtsgrundlage erfordert nicht die Beteiligung des Europäischen Parlaments am Rechtsetzungsverfahren."
27 Artikel 1 der angefochtenen Richtlinie sieht vor, dass in Artikel 26 der Richtlinie 2003/54 ein Absatz 3 eingefügt wird, der folgenden Wortlaut hat:
"Estland wird eine befristete Ausnahmeregelung für die Anwendung von Artikel 21 Absatz 1 Buchstaben b und c bis zum 31. Dezember 2012 gewährt. Estland ergreift die Maßnahmen, die notwendig sind, um die Öffnung seines Strommarktes zu gewährleisten. Diese Öffnung wird schrittweise im Referenzzeitraum durchgeführt und am 1. Januar 2013 zur vollständigen Marktöffnung führen. Am 1. Januar 2009 muss die Marktöffnung mindestens 35 % des Verbrauchs ausmachen. Estland wird der Kommission jährlich die Verbrauchsschwellen mitteilen, die die Endverbraucher berechtigen, als zugelassene Kunden behandelt zu werden."
28 Die Begründungserwägungen 1 bis 4, 7 und 8 der angefochtenen Richtlinie lauten:
"(1) Im Laufe der Beitrittsverhandlungen hat sich Estland auf die Besonderheiten seines Stromsektors berufen, um eine Übergangszeit für die Anwendung der Richtlinie 96/92/EG ... zu beantragen.
(2) In Anhang VI der Beitrittsakte [von 2003] wurde Estland eine Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2008 für die Anwendung von Artikel 19 Absatz 2 der Richtlinie 96/92/EG, der die stufenweise Marktöffnung betrifft, bewilligt.
(3) Die Erklärung Nr. 8 ... erkennt überdies an, dass die spezielle Situation im Hinblick auf die Umstrukturierung des Ölschiefersektors in Estland bis Ende 2012 besondere Anstrengungen erfordern wird.
(4) Die Richtlinie 96/92/EG wurde durch die Richtlinie 2003/54/EG ersetzt, die spätestens bis zum 1. Juli 2004 umgesetzt werden muss und deren Artikel 21 zum Ziel hat, die Öffnung des Strommarktes zu beschleunigen.
...
(7) Ölschiefer ist die einzige einheimische Energiequelle Estlands, wobei die nationale Produktion fast 84 % der weltweiten Produktion ausmacht. 90 % der in Estland produzierten Elektrizität stammen aus diesem festen Brennstoff. Ölschiefer ist daher für die Versorgungssicherheit Estlands von großer strategischer Bedeutung.
(8) Die Bewilligung einer weiteren Ausnahmeregelung für den Zeitraum 2009-2012 wird die Investitionssicherheit in Bezug auf die Kraftwerke sowie die Versorgungssicherheit Estlands garantieren und es gleichzeitig ermöglichen, eine Lösung für die ernsten Umweltprobleme zu finden, die von diesen Kraftwerken ausgehen."
Zur Klage
29 Das Parlament stützt seine Klage auf zwei Gründe, mit denen erstens die Unrichtigkeit der Rechtsgrundlage der angefochtenen Richtlinie und zweitens ein Verstoß gegen die Begründungspflicht geltend gemacht werden.
Zum ersten Klagegrund
30 Mit seinem ersten Klagegrund rügt das Parlament, dass die angefochtene Richtlinie, die vorübergehende Ausnahmen in Bezug auf die Anwendung der Richtlinie 2003/54 einführe, nicht auf der Grundlage von Artikel 57 der Beitrittsakte von 2003 habe erlassen werden dürfen und dass sie nach dem gewöhnlichen im EG-Vertrag vorgesehenen Rechtsetzungsverfahren, nämlich im vorliegenden Fall auf der Grundlage der Artikel 47 Absatz 2 EG, 55 EG und 95 EG, hätte erlassen werden müssen, die als Rechtsgrundlage für den Erlass der Richtlinie 2003/54 gedient hätten. Artikel 57 erlaube nämlich nur Anpassungen, die der vollständigen Anwendbarkeit der Rechtsakte der Organe auf die Beitrittsstaaten dienten, nicht die Bewilligung von vorübergehenden Ausnahmen zu deren Gunsten.
31 Dazu ist zu bemerken, dass, wie das Parlament ausgeführt hat, aus dem Wortlaut von Artikel 57 der Beitrittsakte von 2003 hervorgeht, diese Bestimmung zum Erlass von "Anpassungen" ermächtigt, die durch den Beitritt "erforderlich" geworden, jedoch in der Beitrittsakte oder ihren Anhängen nicht vorgesehen sind.
32 Wie die Kommission zu Recht geltend macht, ergibt sich aus den Artikeln 20 und 21 der Beitrittsakte von 2003, die zusammen den Titel I ("Anpassungen der Rechtsakte der Organe") des Dritten Teils ("Ständige Bestimmungen") dieser Akte bilden, dass die "Anpassungen", auf die sich die erwähnten Artikel beziehen, grundsätzlich Änderungen entsprechen, die erforderlich sind, um die volle Anwendbarkeit der Rechtsakte der Organe auf die neuen Mitgliedstaaten zu gewährleisten und die unter diesem Gesichtspunkt der dauerhaften Ergänzung dieser Rechtsakte dienen.
33 Zu solchen "Anpassungen" gehören dagegen gewöhnlich nicht die zeitweisen Ausnahmen von der Anwendung von Gemeinschaftsrechtsakten, die ihrerseits Gegenstand von Artikel 24 der Beitrittsakte von 2003 in Titel I ("Übergangsmaßnahmen") des Vierten Teils ("Bestimmungen mit begrenzter Geltungsdauer") dieser Akte sind.
34 Nichts erlaubt die Annahme, dass der Begriff "Anpassung" unterschiedlich aufzufassen wäre, je nachdem, ob er im Rahmen der Artikel 20 und 21 der Beitrittsakte von 2003 oder im Rahmen von deren Artikel 57 verwendet wird. Artikel 21 verweist im Übrigen in Bezug auf das Verfahren und die Voraussetzungen, unter denen die in diesem Artikel vorgesehenen Anpassungen vorgenommen werden, auf Artikel 57, während Artikel 57, der sich auf Anpassungen bezieht, die "in dieser Akte oder ihren Anhängen nicht vorgesehen" sind, wiederum darauf hindeutet, dass die auf dieser Grundlage zu erlassenden Anpassungen von der gleichen Art wie diejenigen sind, die insbesondere die Artikel 20 und 21 dieser Akte vorsehen.
35 Ferner ist die Bewilligung zeitlich begrenzter Ausnahmen im Hinblick auf den bevorstehenden Beitritt, wie das Parlament und die Kommission zu Recht geltend gemacht haben, spezifischer Gegenstand einer anderen Bestimmung der Beitrittsakte von 2003, nämlich des Artikels 55, und in dieser Hinsicht ist schwer vorstellbar, dass die Unterzeichner dieser Akte beabsichtigt hätten, zwei verschiedene Bestimmungen vorzusehen, um den Erlass ein und desselben Rechtsakts zu ermöglichen.
36 Dies gilt umso mehr, als Artikel 55 die Bewilligung solcher zeitlich begrenzter Ausnahmen von deutlich engeren Voraussetzungen abhängig macht, als sie Artikel 57 für den Erlass von Anpassungsmaßnahmen vorsieht. Zum einen ermächtigt nämlich Artikel 55 nur zu Ausnahmen in Bezug auf Gemeinschaftsrechtsakte, die zwischen dem 1. November 2002 (Zeitpunkt des Abschlusses der Beitrittsverhandlungen) und dem 16. April 2003 (Zeitpunkt der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags von 2003) erlassen worden sind. Zum anderen ist eine solche Bewilligung vom Erfordernis der Einstimmigkeit im Rat abhängig.
37 Nach allem sind die Maßnahmen, die auf der Grundlage von Artikel 57 der Beitrittsakte von 2003 erlassen werden können, grundsätzlich nur Anpassungen, die dazu bestimmt sind, vorher erlassene Gemeinschaftsrechtsakte in den neuen Mitgliedstaaten anwendbar zu machen; jede andere Änderung ist ausgeschlossen (vgl. entsprechend in Bezug auf die gleichlautende Bestimmung in der Beitrittsakte von 1994 Urteil Parlament/Rat, Randnrn. 14 und 19), insbesondere vorübergehende Ausnahmen.
38 Vorläufige Ausnahmen von der Anwendung der Bestimmungen eines Gemeinschaftsrechtsakts, deren einziger Gegenstand und Zweck darin besteht, die tatsächliche Anwendung dieses Rechtsakts in Bezug auf einen neuen Mitgliedstaat vorübergehend aufzuschieben, können danach grundsätzlich nicht als "Anpassungen" im Sinne von Artikel 57 der Beitrittsakte von 2003 betrachtet werden.
39 Im vorliegenden Fall ist jedoch zu bemerken, dass zwar der Zweck der angefochtenen Richtlinie darin besteht, die tatsächliche Anwendung bestimmter Vorschriften der Richtlinie 2003/54 hinsichtlich der Republik Estland vorübergehend aufzuschieben, dass aber einige der Maßnahmen, die sie dazu vorsieht, außerdem den Charakter von Anpassungsmaßnahmen haben, die notwendig sind, um die volle Anwendung der Richtlinie 2003/54 in Bezug auf diesen Mitgliedstaat zu gewährleisten.
40 Dies ist bei den Maßnahmen der Fall, die in dem durch die Richtlinie 2003/54 gezogenen Rahmen der Übergangsmaßnahme Rechnung tragen sollen, die der Republik Estland zuvor durch Anhang VI der Beitrittsakte von 2003 in Bezug auf die Richtlinie 96/92 gewährt wurde. Die folgenden Erwägungen rechtfertigen eine solche Folgerung.
41 Zum einen ist, wie die estnische Regierung und die Kommission zu Recht geltend machen, entgegen der Ansicht des Rates die in Anhang VI der Beitrittsakte von 2003 enthaltene vorübergehende Ausnahme in Bezug auf die Richtlinie 96/62 nicht deshalb hinfällig geworden, weil diese Richtlinie durch die Richtlinie 2003/54 aufgehoben wurde.
42 Denn erstens sieht Artikel 10 der Beitrittsakte von 2003 vor, dass für die Anwendung der Verträge und der Rechtsakte der Organe vorübergehend die in dieser Akte vorgesehenen abweichenden Bestimmungen gelten. Artikel 24 dieser Akte bestimmt insoweit, dass die Übergangsmaßnahmen, die in den verschiedenen Anhängen, auf die diese Bestimmung Bezug nimmt und zu denen Anhang VI gehört, aufgeführt sind, auf die neuen Mitgliedstaaten unter den in diesen Anhängen festgelegten Bedingungen Anwendung finden. Artikel 60 der Beitrittsakte bestätigt, dass die Anhänge dieser Akte deren Bestandteil sind.
43 Die Bestimmungen in Anhang VI der Beitrittsakte von 2003 sind daher Gegenstand eines Abkommens zwischen den Mitgliedstaaten und den Beitrittsstaaten und somit primärrechtliche Bestimmungen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. April 1988 in den Rechtssachen 31/86 und 35/86, LAISA und CPC España/Rat, Slg. 1988, 2285, Randnr. 12).
44 Zweitens geht aus der 33. Begründungserwägung und aus Artikel 29 der Richtlinie 2003/54 hervor, dass diese als Verlängerung der Richtlinie 96/92 zu betrachten ist, die durch sie neu gefasst wird, und zwar wegen des Umfangs der Änderungen, die an der Richtlinie 96/92 vorgenommen werden, und aus Gründen der Klarheit und der Rationalisierung, ohne dass dabei die Fristen für die Umsetzung und der Anwendung, die in der Richtlinie 96/92 vorgesehen waren, berührt werden.
45 Nach allem kann die in Anhang VI der Beitrittsakte von 2003 vorgesehene vorübergehende Ausnahmeregelung, wie die estnische Regierung zutreffend ausführt, in dem neuen rechtlichen Rahmen, der durch die Richtlinie 2003/54 gebildet wird, weiterhin Anwendung finden.
46 Zum anderen macht die estnische Regierung unter diesen Umständen ebenfalls zutreffend geltend, dass dann, wenn Artikel 21 der Richtlinie 2003/54 nicht angepasst würde, um der erwähnten übergangsweisen Ausnahmeregelung vollständig Rechnung zu tragen, die Gefahr eines Widerspruchs zwischen den Wirkungen der Ausnahmeregelung und den Erfordernissen bestünde, die sich für die Mitgliedstaaten aus Artikel 21 ergeben.
47 Denn aus Anhang VI der Beitrittsakte von 2003 ergibt sich, dass die Republik Estland bis zum 31. Dezember 2008 von der Verpflichtung befreit ist, ihren Elektrizitätsmarkt unter den in Artikel 19 Absatz 2 der Richtlinie 96/92 geregelten Voraussetzungen zu öffnen. Dies bedeutet insbesondere, dass unter der Geltung der letztgenannten Bestimmung die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, unter den darin vorgesehenen Voraussetzungen ihren Elektrizitätsmarkt zu annähernd 35 % zu öffnen (vgl. hierzu die Mitteilung der Kommission vom 19. Dezember 2003 über die Berechnung der durchschnittlichen Gemeinschaftsquote für die Öffnung des Elektrizitätsmarkts, bestimmt durch die Richtlinie 96/92/EG [ABl. C 321, S. 51]), für die Republik Estland bis zum 31. Dezember 2008 aufgeschoben war.
48 Da Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2003/54 nur an die Erfordernisse erinnert, die sich für die Mitgliedstaaten bereits aus der teilweisen Öffnung des Marktes gemäß Artikel 19 der Richtlinie 96/92 ergeben haben, ist davon auszugehen, dass die Ausnahme, die in Bezug auf die letztgenannte Bestimmung in Anhang VI der Beitrittsakte von 2003 zugunsten der Republik Estland vorgesehen ist, unmittelbar für diesen neuen Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe a gilt.
49 Dagegen sieht Artikel 21 Absatz 1 Buchstaben b und c der Richtlinie 2003/54 vor, dass die Mitgliedstaaten außerdem verpflichtet sind, ihre Märkte ab dem 1. Juli 2004 für alle Nichthaushaltskunden und ab dem 1. Juli 2007 für alle Kunden zu öffnen. Die schrittweise Öffnung, die Artikel 21 Absatz 1 Buchstaben b und c vorsieht, muss daher bereits vor dem 1. Januar 2009 erfolgen, und sie übersteigt, wie die estnische Regierung unwidersprochen vorgetragen hat, in jedem der beiden in diesen Bestimmungen genannten Fälle 35 % des Verbrauchs.
50 Unter diesen Umständen lässt sich nicht bestreiten, dass bei Berücksichtigung des Besitzstands, den die in Anhang VI der Beitrittsakte von 2003 enthaltene übergangsweise Ausnahme von der Richtlinie 96/92 für die Republik Estland darstellt, zumindest aus grundlegenden Erwägungen der Rechtssicherheit eine Anpassung von Artikel 21 Absatz 1 Buchstaben b und c der Richtlinie 2003/54 geboten war, um die kohärente Anwendbarkeit dieser Bestimmungen in diesem Mitgliedstaat zu gewährleisten.
51 Eine solche Anpassung verlangte damit zumindest eine Aussetzung der Anwendung von Artikel 21 Absatz 1 Buchstaben b und c der Richtlinie 2003/54 bis zum 31. Dezember 2008 in Bezug auf die Republik Estland, um für diesen Mitgliedstaat die Befreiung von der Verpflichtung aufrechtzuerhalten, seinen Elektrizitätsmarkt vor dem 1. Januar 2009 zu öffnen, die ihm gemäß Anhang VI der Beitrittsakte von 2003 zustand.
52 Daraus folgt, dass die angefochtene Richtlinie, soweit sie eine solche Aussetzung der Anwendung von Artikel 21 Absatz 1 Buchstaben b und c der Richtlinie 2003/54 bis zum 31. Dezember 2008 vorsieht, auf der Grundlage von Artikel 57 der Beitrittsakte von 2003 erlassen werden durfte.
53 Allerdings hat es die angefochtene Richtlinie nicht bei einer solchen Maßnahme bewenden lassen. Denn sie hat der Republik Estland für die Umsetzung von Artikel 21 Absatz 1 Buchstaben b und c der Richtlinie 2003/54 zusätzlich eine über den 31. Dezember 2008 hinausgehende Übergangszeit bis Ende 2012 gewährt und dabei vorgesehen, dass die Marktöffnung schrittweise zu erfolgen hat, um am 1. Januar 2009 35 % und Ende 2012 eine vollständige Marktöffnung zu erreichen, sowie dabei die Republik Estland verpflichtet, der Kommission jährlich die Verbrauchsschwellen mitzuteilen, die Endverbraucher berechtigen, als zugelassene Kunden behandelt zu werden (im Folgenden insgesamt: durch die angefochtene Richtlinie eingeführte ergänzende Ausnahmen).
54 Solche ergänzenden Ausnahmen durften jedoch nicht auf der Grundlage von Artikel 57 der Beitrittsakte von 2003 bewilligt werden.
55 Zwar kann nicht mit dem Parlament die Auffassung vertreten werden, dass eine solche Bewilligung von der Beitrittsakte selbst abwiche, weil diese für Estland nur einen Übergangszeitraum bis Ende 2008 vorgesehen habe.
56 Denn es ist offensichtlich, wie die estnische Regierung zutreffend ausgeführt hat, dass sich die in Anhang VI der Beitrittsakte von 2003 aufgenommene Ausnahmeregelung in einen rechtlichen Kontext einfügt, in dem nach der Richtlinie 96/92 noch lediglich eine teilweise Marktöffnung vorgesehen war, und dass in Bezug auf diese lediglich teilweise Öffnung der 31. Dezember 2008 als geeigneter Zeitpunkt angesehen wurde, um die sich aus der besonderen Lage des Elektrizitätssektors in diesem neuen Mitgliedstaat ergebenden Erfordernisse zu berücksichtigen. Damit wurde den Bestimmungen, die aufgrund der gleichen Erfordernisse im Fall einer Weiterentwicklung dieses rechtlichen Rahmens insbesondere zu einer vollständigen Öffnung des betroffenen Marktes möglicherweise erlassen werden müssten, nicht vorgegriffen.
57 Im Übrigen trifft es zu, dass, wie die estnische Regierung ausgeführt hat, der Estland auf diese Weise durch die angefochtene Richtlinie bewilligte zusätzliche Übergangszeitraum offensichtlich mit der Erklärung Nr. 8 in Einklang steht. Diese Erklärung erwähnt nämlich eine bevorstehende beschleunigte Marktöffnung auf dem Elektrizitätssektor und erkennt dabei u. a. die besondere Lage dieses neuen Mitgliedstaats im Zusammenhang mit der Umstrukturierung der Ölschieferindustrie an, die bis Ende 2012 besondere Anstrengungen erfordern werde.
58 Doch kann eine solche Stellungnahme, die in einer der Schlussakte des Beitrittsvertrags von 2003 beigefügten Gemeinsamen Erklärung der Mitgliedstaaten der Union enthalten ist, entgegen der Ansicht der estnischen Regierung nicht die Rechtsgrundlage bestimmen, die für die Bewilligung von Ausnahmen wie der mit der angefochtenen Richtlinie eingeführten ergänzenden Ausnahmen herangezogen werden muss.
59 Diese ergänzenden Ausnahmen fallen nicht unter den Begriff der Anpassung im Sinne von Artikel 57 der Beitrittsakte von 2003, wie er in den Randnummern 31 bis 38 des vorliegenden Urteils klargestellt worden ist.
60 Diese mit der angefochtenen Richtlinie eingeführten ergänzenden Ausnahmen stellen nämlich Maßnahmen dar, deren einziger Gegenstand und einziger Zweck ebenso wie bei den meisten zeitlich begrenzten Ausnahmen darin besteht, die tatsächliche Anwendung des betreffenden Gemeinschaftsrechtsakts vorübergehend aufzuschieben, und deren Erlass daher eine politische Beurteilung voraussetzt. Im Unterschied zu der Ausnahmeregelung, um die es in den Randnummern 39 bis 52 des vorliegenden Urteils geht und die dazu bestimmt ist, den Besitzstand, den die in Anhang VI der Beitrittsakte von 2003 vorgesehene Ausnahmeregelung für die Republik Estland darstellt, in den rechtlichen Rahmen der Richtlinie 2003/54 einzufügen, können diese ergänzenden Ausnahmen nicht als unerlässlich dafür angesehen werden, die vollständige Anwendbarkeit dieser Richtlinie auf den neuen Mitgliedstaat zu gewährleisten.
61 Daher durften die mit der angefochtenen Richtlinie eingeführten ergänzenden Ausnahmen nicht auf der Grundlage von Artikel 57 der Beitrittsakte von 2003 erlassen werden.
62 Entgegen der Ansicht des Rates ergibt sich daraus in dieser Hinsicht jedoch keine Rechtslücke. Nach erfolgter Unterzeichnung des Beitrittsvertrags von 2003 und vorbehaltlich der Anwendung der besonderen Verfahren, die dieser Vertrag für die Entscheidung über bestimmte Arten von Übergangsmaßnahmen vorsieht, wie sie beispielsweise durch die Artikel 41 oder 42 der Beitrittsakte von 2003 eingeführt werden, besteht nämlich kein grundsätzlicher Einwand dagegen, dass die nach dieser Unterzeichnung und vor dem Inkrafttreten dieses Beitrittsvertrags erlassenen Gemeinschaftsrechtsakte, die zeitlich begrenzte Ausnahmen zugunsten eines künftigen Beitrittsstaats enthalten, unmittelbar auf der Grundlage der Bestimmungen des EG-Vertrags erlassen werden.
63 Denn solche Ausnahmebestimmungen, die nur vorbehaltlich des tatsächlichen Inkrafttretens des Beitrittsvertrags von 2003 und mit Wirkung von diesem Zeitpunkt gelten könnten, können entgegen der Ansicht des Rates weder gegen die Artikel 249 Absätze 2 und 3 EG und 299 EG verstoßen, wonach die von den Organen erlassenen Rechtsakte in den Mitgliedstaaten gelten, noch gegen Artikel 2 Absätze 2 und 3 des Beitrittsvertrags.
64 Zum einen finden solche spezifischen Bestimmungen wie der Rest der Rechtsakte, in denen sie enthalten sind und/oder von denen sie abweichen, für die Beitrittsstaaten erst zu dem Zeitpunkt Anwendung, zu dem der Beitritt wirksam wird und sie die Eigenschaft eines Mitgliedstaats erwerben.
65 Zum anderen greift der Umstand, dass der Beitrittsvertrag von 2003 nach seinem Artikel 2 Absatz 2 erst am 1. Mai 2004 in Kraft getreten ist und dass Artikel 2 Absatz 3 vorsieht, dass abweichend von diesem Grundsatz einige Bestimmungen dieses Vertrages vorab Anwendung finden können, nicht der Möglichkeit vor, in Rechtsakten, die nicht im Rahmen dieses Vertrages, sondern auf der Grundlage des EG-Vertrags selbst erlassen werden, die Voraussetzungen vorzusehen, unter denen zwischen der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags und dessen Inkrafttreten erlassene Rechtsakte auf die zukünftigen Mitgliedstaaten nach Wirksamwerden des Beitritts Anwendung finden.
66 Vielmehr ist festzustellen, dass sich die Gemeinschaftsorgane bei den Rechtsakten, die auf diese Weise in der Zeit zwischen dem Zeitpunkt der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags und dem Zeitpunkt, zu dem dieser Beitritt wirksam wird, erlassen werden müssen, des bevorstehenden Beitritts der neuen Mitgliedstaaten bewusst sind, während diese die Möglichkeit haben, gegebenenfalls ihre Interessen insbesondere im Informations- und Konsultationsverfahren zur Geltung zu bringen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Februar 1982 in den Rechtssachen 39/81, 43/81, 85/81 und 88/81, Halyvourgiki und Helleniki Halyvourgia/Kommission, Slg. 1982, 593, Randnr. 10).
67 Daher können die künftigen Mitgliedstaaten, sobald sie vom künftigen Erlass neuer Gemeinschaftsrechtsakte unterrichtet worden sind, im Rahmen des erwähnten Verfahrens wie auch unter Wahrnehmung des Beobachterstatus, über den sie im Rat verfügen, und unter Ausnutzung der Möglichkeiten des Dialogs und der Kooperation, die diese besonderen Mechanismen eröffnen, ihr Interesse an den notwendigen vorübergehenden Ausnahmen unter Berücksichtigung beispielsweise dessen geltend machen, dass es ihnen unmöglich wäre, die sofortige Anwendung dieser Rechtsakte im Zeitpunkt des Beitritts zu gewährleisten, oder dass eine solche Anwendung größere Probleme sozioökonomischer Art hervorrufen könnte.
68 Durch diese Mechanismen werden die so geltend gemachten Einzelinteressen insbesondere in geeigneter Weise gegen das allgemeine Interesse der Gemeinschaft abgewogen werden können und werden Erwägungen in Bezug auf die von der polnischen Regierung angeführten Grundsätze der Gleichbehandlung, der Loyalität oder der Solidarität zwischen den gegenwärtigen und zukünftigen Mitgliedstaaten gegebenenfalls eine Rolle spielen.
69 Das Vorhandensein dieser dem bereitgestellten Beitrittsverfahren eigenen besonderen Mechanismen bestätigt daher, dass die mit der angefochtenen Richtlinie eingeführten ergänzenden Ausnahmen grundsätzlich in dem vom Vertrag vorgesehenen gewöhnlichen Rechtsetzungsverfahren und nicht im Rahmen des in Artikel 57 der Beitrittsakte von 2003 vorgesehenen besonderen Verfahrens hätten erlassen werden müssen.
70 Auch kann dem Vorbringen des Rates in Bezug auf die Dringlichkeit nicht gefolgt werden, die für den Erlass solcher ergänzender Ausnahmen auf der Grundlage dieses Artikels 57 noch vor dem Zeitpunkt, zu dem die zur Umsetzung der Richtlinie 2003/54 erforderlichen Vorschriften erlassen sein mussten, anstatt unter Befolgung des Rechtsetzungsverfahrens der Mitentscheidung, das eine viel längere Zeitspanne benötige, bestanden habe, um zu verhindern, dass eine Rechtsunsicherheit geschaffen werde und die berechtigten Interessen der Wirtschaftsteilnehmer, die sich auf dem estnischen Strommarkt betätigten, beeinträchtigt würden.
71 Zum einen kann nämlich, wie in den Randnummern 66 bis 68 des vorliegenden Urteils ausgeführt, das Informations- und Konsultationsverfahren dann, wenn die Gemeinschaft den Erlass eines Rechtsakts in der Zeit zwischen der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags von 2003 und dessen Inkrafttreten beabsichtigt, zur Bewilligung von vorübergehenden Ausnahmen für einen Beitrittsstaat in Bezug auf die Anwendung der Bestimmungen des Rechtsakts führen, dessen Erlass beabsichtigt wird.
72 Insoweit hat im Übrigen keine Partei Angaben gemacht, die die Annahme erlauben, dass das Informations- und Konsultationsverfahren nicht ordnungsgemäß befolgt worden ist und dass die estnische Regierung nicht in der Lage war, ihre Interessen in Bezug auf den Richtlinienvorschlag, der zum Erlass der Richtlinie 2003/54 geführt hat, geltend zu machen, wie dies in diesem Verfahren vorgesehen ist (vgl. entsprechend Urteil Halyvourgiki und Helleniki Halyvourgia/Kommission, Randnr. 15).
73 Zum anderen verfügt, wie das Parlament ausgeführt hat, der Rat, sobald er mit einem Vorschlag der Kommission befasst ist, gegebenenfalls über die Möglichkeit, das Parlament auf die Dringlichkeit aufmerksam zu machen, die für den Erlass eines bestimmten Rechtsakts bestehen kann. Das in Artikel 251 EG vorgesehene Mitentscheidungsverfahren schließt nämlich nicht den verhältnismäßig schnellen Erlass eines Rechtstextes aus, insbesondere dann, wenn keine bedeutenden Meinungsunterschiede zwischen Parlament und Rat bestehen.
74 Was die Rechtsunsicherheit angeht, die sich aus dem Ablauf der Zeitspanne ergeben könnte, die mit dem gewöhnlichen Rechtsetzungsverfahren naturgemäß verbunden ist, so könnte diese, wie die Kommission zu Recht ausführt, nur durch die Anordnung einer Rückwirkung für die beantragte vorübergehende Ausnahmeregelung beseitigt werden, wenn diese beschlossen wird.
75 Zwar verbietet es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Grundsatz der Rechtssicherheit im Allgemeinen, den Beginn der Geltung eines Rechtsakts der Gemeinschaft auf einen Zeitpunkt vor dessen Veröffentlichung zu legen, doch gilt dies ausnahmsweise dann nicht, wenn das angestrebte Ziel es verlangt und das berechtigte Vertrauen der Betroffenen gebührend beachtet ist (vgl. Urteile vom 13. November 1990 in der Rechtssache C-331/88, Fedesa u. a., Slg. 1990, I-4023, Randnr. 45, und Parlament/Rat, Randnr. 21).
76 Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass es, wie insbesondere die polnische Regierung geltend macht, zwar rückblickend als nicht zufrieden stellend erscheint, dass die Beitrittsakte von 2003 keine allgemeine Bestimmung enthält, die es erlaubt, vorübergehende Ausnahmen in Bezug auf die Anwendung von zwischen dem Zeitpunkt der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags von 2003 und dem Zeitpunkt von dessen Inkrafttreten erlassenen Rechtsakten auf die neuen Mitgliedstaaten zu beschließen, und dass zu diesem Zweck nur das Informations- und Konsultationsverfahren zur Verfügung steht. Auch mag es sein, dass dieser Umstand dazu geführt hat, dass Artikel 55 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens und die Anpassungen der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht (ABl. 2005, L 157, S. 203), auf den sich verschiedene Verfahrensbeteiligte berufen haben und der einen ähnlichen Gegenstand wie Artikel 55 der Beitrittsakte von 2003 hat, ausdrücklich vorsieht, dass sich die Zuständigkeit des Rates für den Erlass zeitlich begrenzter Ausnahmen auch auf Rechtsakte der Organe erstreckt, die zwischen dem Zeitpunkt der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags und demjenigen des Beitritts erlassen wurden. Etwaige Unzulänglichkeiten, die die Beitrittsakte von 2003 in dieser Hinsicht aufweisen sollte, können jedoch nicht zur Verwendung einer falschen Rechtsgrundlage ermächtigen.
77 Aus alledem folgt, dass die mit der angefochtenen Richtlinie eingeführten ergänzenden Ausnahmen, die in Randnummer 53 des vorliegenden Urteils beschrieben sind, nicht auf der Grundlage von Artikel 57 der Beitrittsakte von 2003 erlassen werden durften.
78 Der erste Klagegrund greift daher durch, soweit mit ihm die Rechtswidrigkeit dieser ergänzenden Ausnahmen gerügt wird.
Zum zweiten Klagegrund
79 Da die Prüfung des ersten Klagegrundes nur zur Feststellung einer teilweisen Rechtswidrigkeit der angefochtenen Richtlinie geführt hat, ist der zweite Klagegrund, mit dem ein Begründungsmangel der Richtlinie geltend gemacht wird, zu prüfen, um festzustellen, ob die Richtlinie nach diesem zweiten Klagegrund nicht in vollem Umfang rechtswidrig ist.
80 Mit dem zweiten Klagegrund rügt das Parlament, dass die streitige Richtlinie nicht erläutere, ob und inwieweit sie eine Anpassung aufgrund des Beitritts vornehme, und auch nicht die Gründe für einen Rückgriff auf die außergewöhnliche Rechtsgrundlage des Artikels 57 der Beitrittsakte von 2003 angebe, der vom gewöhnlichen Rechtsetzungsverfahren abweiche. Die Präambel dieser Richtlinie sei im Übrigen im Vergleich zu der des in Randnummer 24 des vorliegenden Urteils erwähnten Kommissionsvorschlags nicht geändert worden, obwohl dieser Vorschlag auf die Artikel 47 Absatz 2 EG, 55 EG und 95 EG gestützt sei und keine Erklärung für diesen Unterschied gegeben werde.
81 In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung die in Artikel 253 EG vorgeschriebene Begründung der Natur des Rechtsakts angepasst sein muss. Sie muss zwar die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das den angefochtenen Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig erkennen lassen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die getroffene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann; sie braucht jedoch nicht sämtliche tatsächlich oder rechtlich erheblichen Gesichtspunkte zu enthalten. Ob nämlich die Begründung eines Rechtsakts den Anforderungen des Artikels 253 EG genügt, ist nicht nur im Hinblick auf den Wortlaut des beanstandeten Rechtsakts zu beurteilen, sondern auch anhand seines Kontextes sowie sämtlicher Rechtsvorschriften, die das betreffende Gebiet regeln (vgl. insbesondere Urteil vom 10. Juli 2003 in der Rechtssache C-15/00, Kommission/EIB, Slg. 2003, I-7281, Randnr. 174).
82 Im vorliegenden Fall ist, wie der Rat und die estnische Regierung zutreffend geltend machen, die Präambel der angefochtenen Richtlinie - die den Antrag der Republik Estland, die für eine Übergangszeit geltende Ausnahme in Bezug auf die Richtlinie 96/92 zugunsten dieses Mitgliedstaats in Anhang VI der Beitrittsakte von 2003, die Erklärung Nr. 8, die Beschleunigung der Öffnung des Elektrizitätsmarkts durch die Richtlinie 2003/54 und schließlich die Besonderheiten des estnischen Ölschiefersektors sowie die Schwierigkeiten, die dieser Sektor ohne die Übergangsmaßnahmen, die die angefochtene Richtlinie vorsieht, zu gewärtigen hätte, erwähnt - geeignet, dass ihr die Betroffenen hinreichend die Gründe für die Übergangsmaßnahmen entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann.
83 Diese Angaben erlauben es insbesondere dem Gerichtshof, die Richtigkeit der vom Gemeinschaftsgesetzgeber gewählten Rechtsgrundlage nachzuprüfen, ohne dass die Wahl der Rechtsgrundlage, die in den Bezugsvermerken der angefochtenen Richtlinie ausdrücklich mit Artikel 57 der Beitrittsakte von 2003 angegeben ist, einer eingehenderen Begründung bedürfte. Dass der Rat nicht die von der Kommission vorgeschlagene Rechtsgrundlage gewählt hat, verlangt ebenfalls keine insoweit eingehendere Begründung.
84 Daher ist der zweite Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.
Zur teilweisen Nichtigerklärung der angefochtenen Richtlinie
85 Wie aus den Randnummern 77 und 78 des vorliegenden Urteils hervorgeht, ist der erste Klagegrund teilweise begründet, soweit die mit der angefochtenen Richtlinie eingeführten ergänzenden Ausnahmen nicht auf der Grundlage von Artikel 57 der Beitrittsakte von 2003 erlassen werden durften.
86 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die teilweise Nichtigerklärung eines Gemeinschaftsrechtsakts nur möglich ist, soweit sich die Teile, deren Nichtigerklärung beantragt wird, vom Rest des Rechtsakts trennen lassen (vgl. insbesondere Urteil vom 24. Mai 2005 in der Rechtssache C-244/03, Frankreich/Parlament und Rat, Slg. 2005, I-4021, Randnr. 12 und die dort zitierte Rechtsprechung).
87 Im vorliegenden Fall lassen sich die mit der angefochtenen Richtlinie eingeführten ergänzenden Ausnahmen vom Rest der Richtlinie trennen, die, wie aus ihrem Artikel 1 im Licht der zweiten und der achten Begründungserwägung hervorgeht, einen doppelten Zweck verfolgt, nämlich zum einen die Berücksichtigung des der Republik Estland zuvor durch Anhang VI der Beitrittsakte von 2003 in Bezug auf die Richtlinie 96/92 bewilligten Übergangszeitraums im Rahmen der in der Richtlinie 2003/54 vorgesehenen Regelung und zum anderen die Bewilligung einer ergänzenden Ausnahmeregelung für die Zeit von 2009 bis 2012, verbunden mit einer Verpflichtung zur schrittweisen Durchführung des Artikels 21 der Richtlinie 2003/54.
88 Folglich ist die angefochtene Richtlinie für nichtig zu erklären, soweit sie über den 31. Dezember 2008 hinaus zugunsten von Estland eine Ausnahme von der Anwendung von Artikel 21 Absatz 1 Buchstaben b und c der Richtlinie 2003/54 sowie eine entsprechende Verpflichtung, am 1. Januar 2009 eine nur teilweise Marktöffnung in Höhe von 35 % des Verbrauchs zu gewährleisten, und eine Verpflichtung zur jährlichen Mitteilung der Verbrauchsschwellen vorsieht, die die Endverbraucher berechtigen, als zugelassene Kunden behandelt zu werden.
Zu den zeitlichen Wirkungen der Nichtigerklärung
89 Für den Fall, dass der Gerichtshof die angefochtene Richtlinie für nichtig erklären sollte, beantragt der Rat, darin unterstützt durch die estnische Regierung und die Kommission, unter Berufung auf Artikel 231 Absatz 2 EG und die Notwendigkeit, für die Wirtschaftsteilnehmer und Investoren im Elektrizitätssektor in Estland sowie für die betroffenen Arbeitnehmer eine Situation der Ungewissheit zu vermeiden, die Wirkungen dieses Rechtsakts bis zum Erlass einer neuen Richtlinie aufrechtzuerhalten.
90 Das Parlament führt aus, seine Klage betreffe nicht die sachliche Begründetheit des von der Republik Estland gestellten Antrags auf eine Ausnahmeregelung, sondern nur die Rechtsgrundlage, auf der die angefochtene Verordnung erlassen worden sei, und erklärt, zu diesem Antrag des Rates nicht Stellung nehmen zu wollen.
91 Insoweit ist festzustellen, dass dieser Antrag im Hinblick auf eine mögliche vollständige Nichtigerklärung der angefochtenen Richtlinie durch den Gerichtshof gestellt worden ist.
92 Die angefochtene Richtlinie wird jedoch nur in dem in Randnummer 88 des vorliegenden Urteils genannten Umfang teilweise für nichtig erklärt, während die für eine Übergangszeit geltende Ausnahme von Artikel 21 Absatz 1 Buchstaben b und c der Richtlinie 2003/54, die die angefochtene Richtlinie vorsieht, bis zum 31. Dezember 2008 aufrechterhalten wird. Unter diesen Umständen braucht über den erwähnten Antrag des Rates nicht entschieden zu werden.
Kostenentscheidung:
Kosten
93 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 69 § 3 Absatz 1 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof jedoch die Kosten teilen oder beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da im vorliegenden Fall das Parlament die Verurteilung des Rates beantragt hat und dieser mit seinem Vorbringen im Wesentlichen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen. Nach Artikel 69 § 4 Absatz 1 der Verfahrensordnung tragen die Republik Polen, die Republik Estland und die Kommission, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.
Tenor:
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Richtlinie 2004/85/EG des Rates vom 28. Juni 2004 zur Änderung der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Anwendung bestimmter Vorschriften auf Estland wird für nichtig erklärt, soweit sie über den 31. Dezember 2008 hinaus zugunsten Estlands eine Ausnahme von der Anwendung von Artikel 21 Absatz 1 Buchstaben b und c der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG sowie eine entsprechende Verpflichtung, am 1. Januar 2009 eine nur teilweise Marktöffnung von 35 % des Verbrauchs zu gewährleisten, und eine Verpflichtung zur jährlichen Mitteilung der Verbrauchsschwellen vorsieht, die die Endverbraucher berechtigen, als zugelassene Kunden behandelt zu werden.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Der Rat der Europäischen Union trägt die Kosten.
4. Die Republik Polen, die Republik Estland und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften tragen ihre eigenen Kosten.
Ende der Entscheidung
Bestellung eines bestimmten Dokumentenformates:
Sofern Sie eine Entscheidung in einem bestimmten Format benötigen, können Sie sich auch per E-Mail an info@protecting.net unter Nennung des Gerichtes, des Aktenzeichens, des Entscheidungsdatums und Ihrer Rechnungsanschrift wenden. Wir erstellen Ihnen eine Rechnung über den Bruttobetrag von € 4,- mit ausgewiesener Mehrwertsteuer und übersenden diese zusammen mit der gewünschten Entscheidung im PDF- oder einem anderen Format an Ihre E-Mail Adresse. Die Bearbeitungsdauer beträgt während der üblichen Geschäftszeiten in der Regel nur wenige Stunden.