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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 20.06.1996
Aktenzeichen: C-418/93
Rechtsgebiete: EG-Vertrag, Richtlinien 64/223, Richtlinien 83/189


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 30
EG-Vertrag Art. 52
Richtlinien 64/223
Richtlinien 83/189
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 20. Juni 1996. - Semeraro Casa Uno Srl gegen Sindaco del Comune di Erbusco (C-418/93), Semeraro Mobili SpA gegen Sindaco del Comune di Erbusco (C-419/93), RB Arredamento Srl gegen Sindaco del Comune di Stezzano (C-420/93), Città Convenienza Milano Srl gegen Sindaco del Comune di Trezzano sul Naviglio (C-421/93), Città Convenienza Bergamo Srl gegen Sindaco del Comune di Stezzano (C-460/93), Centro Italiano Mobili Srl gegen Sindaco del Comune di Pineto (C-461/93), Il 3C Centro Convenienza Casa Srl gegen Sindaco del Comune di Roveredo in Piano (C-462/93), Benelli Confezioni SNC gegen Sindaco del Comune di Capena (C-464/93), M. Quattordici Srl gegen Commissario straordinario del Comune di Terlizzi (C-9/94), Società Italiana Elettronica Srl (SIEL) gegen Sindaco del Comune di Dozza (C-10/94), Modaffari Srl gegen Sindaco del Comune di Trezzano sul Naviglio (C-11/94), Modaffari Srl gegen Comune di Cinisello Balsamo (C-14/94), Cologno Srl gegen Sindaco del Comune di Cologno Monzese (C-15/94), Modaffari Srl gegen Sindaco del Comune di Osio Sopra (C-23/94), M. Dieci Srl gegen Sindaco del Comune di Madignano (C-24/94) und Consorzio Centro Commerciale "Il Porto" gegen Sindaco del Comune di Adria (C-332/94). - Ersuchen um Vorabentscheidung: Pretura circondariale di Roma - Italien. - Auslegung der Artikel 30, 36 und 52 EG-Vertrag, der Richtlinien 64/223/EWG und 83/189/EWG - Verbot der Ausübung bestimmter geschäftlicher Tätigkeiten an Sonn- und Feiertagen. - Verbundene Rechtssachen C-418/93, C-419/93, C-420/93, C-421/93, C-460/93, C-461/93, C-462/93, C-464/93, C-9/94, C-10/94, C-11/94, C-14/94, C-15/94, C-23/94, C-24/94 und C-332/94.

Entscheidungsgründe:

1 Die Pretura circondariale Rom, Auswärtige Kammer Castelnuovo di Porto, hat mit Beschlüssen vom 18. Juli, 28. Oktober, 11. November, 2. und 16. Dezember 1993 sowie vom 10. Oktober 1994, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Oktober 1993 und am 13. Dezember 1994, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag Fragen nach der Auslegung der Artikel 30, 36 und 52 EWG-Vertrag, der Richtlinie 64/223/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 über die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für Tätigkeiten im Großhandel (ABl. Nr. 56, S. 863) und der Richtlinie 83/189/EWG des Rates vom 28. März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (ABl. L 109, S. 8) in der Fassung der Richtlinie 88/182/EWG des Rates vom 22. März 1988 (ABl. L 81, S. 75) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich im Zusammenhang mit behördlichen Maßnahmen, die gegen Betreiber von grossen Einkaufszentren wegen Vertosses gegen die italienischen Rechtsvorschriften über die Öffnungszeiten der Einzelhandelsgeschäfte an Sonn- und Feiertagen getroffen worden waren.

3 Das italienische Gesetz Nr. 558 vom 28. Juli 1971 regelt die Ladenöffnungszeiten und den Verkauf im Einzelhandel. Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe a dieses Gesetzes sieht vorbehaltlich der im Gesetz geregelten Ausnahmefälle die völlige Schließung der Geschäfte an Sonn- und Feiertagen vor. Die Einzelheiten der Öffnungszeiten werden von den Regionen festgelegt. Artikel 10 des Gesetzes sieht für den Fall der Zuwiderhandlung Verwaltungssanktionen vor. Mit der Überwachung der Einhaltung der geltenden Vorschriften sind die Bürgermeister der betreffenden Gemeinden betraut, die Sanktionen verhängen können.

4 Die Kläger des Ausgangsverfahrens betreiben grosse Einkaufszentren, die im Gebiet verschiedener Gemeinden belegen sind. Da diese Einkaufszentren an bestimmten Sonn- und Feiertagen geöffnet waren, verhängten die Bürgermeister der betreffenden Gemeinden Verwaltungssanktionen gegen die Kläger.

5 Diese erhoben daraufhin beim vorlegenden Gericht Klage. Sie machten geltend, ein wesentlicher Teil des in den fraglichen Einkaufszentren erwirtschafteten Umsatzes betreffe Waren, die aus anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft stammten. Die streitigen nationalen Vorschriften verstießen daher gegen das Gemeinschaftsrecht, insbesondere gegen Artikel 30 des Vertrages.

6 Das nationale Gericht hat die Verfahren aufgrund dessen ausgesetzt und in den verbundenen Rechtssachen C-418/93, C-419/93, C-420/93, C-421/93, C-460/93, C-461/93, C-462/93, C-464/93, C-9/94, C-10/94, C-11/94, C-14/94, C-15/94, C-23/94 und C-24/94 folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist eine nationale Rechtsvorschrift, die (ausser für einige Erzeugnisse) den Einzelhändlern den Geschäftsschluß an Sonn- und Feiertagen vorschreibt, jedoch nicht verbietet, an diesen Tagen innerhalb des Geschäftes zu arbeiten (und die den Einzelhändlern, die gegen diese Verpflichtung verstossen haben, die Sanktion der Zwangsschließung auferlegt) und damit einen fühlbaren Rückgang der Verkäufe in diesen Geschäften einschließlich der Verkäufe von Waren, die in anderen Staaten der Gemeinschaft hergestellt werden, mit der hieraus folgenden Verringerung der Einfuhren aus diesen Staaten, bewirkt,

a) eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine Einfuhrbeschränkung im Sinne des Artikels 30 EWG-Vertrag und der später in Anwendung der in diesem Artikel niedergelegten Grundsätze erlassenen Gemeinschaftsvorschriften oder

b) ein Mittel willkürlicher Diskriminierung oder eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen Mitgliedstaaten oder

c) eine Maßnahme, die zu dem gegebenenfalls mit der nationalen Rechtsvorschrift verfolgten sozialen und/oder ethischen Ziel ausser Verhältnis steht oder diesem nicht angemessen ist, wenn man davon ausgeht, daß

° die Supermärkte und Einkaufszentren (zu dieser Gruppe gehören die Kläger) durchschnittlich eine grössere Menge von aus anderen Mitgliedstaaten eingeführten Erzeugnissen verkaufen als die kleinen und mittleren Betriebe,

° der Umsatz, den die Supermärkte und Einkaufszentren an Sonntagen erzielen, nicht durch Ersatzkäufe kompensiert werden kann, die die Kundschaft an anderen Wochentagen tätigen kann und die in der Praxis auf ein Handelsnetz umgelenkt werden, das sich grösstenteils bei nationalen Herstellern eindeckt?

2. Bei Bejahung der ersten Frage: Fällt die durch die betreffende nationale Rechtsvorschrift getroffene Maßnahme unter die in Artikel 36 EWG-Vertrag vorgesehenen Ausnahmen von Artikel 30 oder unter andere in den Gemeinschaftsvorschriften vorgesehene Ausnahmen?

7 In der Rechtssache C-332/94 hat das nationale Gericht folgende Fragen vorgelegt:

Ausgehend davon,

° daß die Supermärkte und Einkaufszentren, deren Einrichtungen meist am Rande und ausserhalb der Städte angesiedelt sind, durchschnittlich eine grössere Menge von aus den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft eingeführten Waren anbieten und verkaufen als die kleinen und mittleren Geschäftsbetriebe, die ° im Gegensatz zu den erstgenannten ° engmaschig in inner- und ausserstädtischen Gebieten verteilt sind;

° daß die an Sonntagen von den Supermärkten und Einkaufszentren getätigten Verkäufe innerhalb der kurzen Zeiträume, in denen dieser Verkauf an solchen Tagen zugelassen ist, für sich allein gesehen die in diesen Vertriebsstrukturen an den übrigen Wochentagen festgestellten Verkäufe übersteigen;

° daß die Verkäufe, die die Supermärkte und Einkaufszentren an Sonn- und Feiertagen nicht vornehmen können, nicht durch jene kompensiert werden, die in diesen Vertriebsstrukturen an Werktagen erfolgen, und daß folglich die so nicht befriedigte Nachfrage auf ein anderes Handelsnetz umgelenkt wird (das der kleinen und mittleren Geschäftsbetriebe, die sich näher beim Verbraucher befinden und auch an Werktagen leicht erreichbar sind), das sich jedoch im allgemeinen nur bei nationalen Herstellern eindeckt:

1. Ist eine nationale Rechtsvorschrift, die (ausser für einige Erzeugnisse) den Einzelhändlern den Geschäftsschluß an Sonn- und Feiertagen vorschreibt, jedoch nicht verbietet, an diesen Tagen innerhalb des Geschäfts zu arbeiten, und die den Einzelhändlern, die gegen diese Verpflichtung verstossen haben, die Sanktion der Zwangsschließung und des Entzugs der Lizenz auferlegt,

a) eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine Einfuhrbeschränkung im Sinne des Artikels 30 EG-Vertrag und der in Anwendung der in diesem Artikel niedergelegten Grundsätze erlassenen Gemeinschaftsvorschriften oder

b) ein Mittel willkürlicher Diskriminierung oder eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen Mitgliedstaaten oder

c) eine Maßnahme, die zu dem gegebenenfalls mit der nationalen Rechtsvorschrift verfolgten sozialen und/oder ethischen Ziel ausser Verhältnis steht oder diesem nicht angemessen ist oder

d) ein Verstoß gegen die Bestimmungen des Artikels 52 EWG-Vertrag über die Niederlassungsfreiheit und gegen die in Anwendung dieses Grundsatzes später erlassenen Gemeinschaftsvorschriften oder

e) zumindest ein Verstoß gegen Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie 64/223 über die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für Tätigkeiten im Großhandel oder

f) ein Verstoß gegen die Richtlinien 83/189 und 88/182 betreffend die Beseitigung der technischen Handelshemmnisse zwischen Mitgliedstaaten, wenn man berücksichtigt, daß das Verbot der Öffnung der Geschäfte an Sonn- und Feiertagen nur scheinbar ein allgemeines Verbot ist, tatsächlich jedoch für eine Reihe von Erzeugnissen, die ° ausser in extrem seltenen unvermeidbaren Fällen ° ausschließlich inländischen Ursprungs sind, Ausnahmen von ihm vorgesehen sind?

2. Bei Bejahung der ersten Frage in jeder Hinsicht: Fällt die durch die betreffende nationale Rechtsvorschrift getroffene Maßnahme unter die in Artikel 36 EWG-Vertrag vorgesehenen Ausnahmen von Artikel 30 oder unter andere in den Gemeinschaftsvorschriften vorgesehene Ausnahmen?

8 Mit Beschlüssen des Präsidenten des Gerichtshofes vom 10. November 1993 sowie vom 27. Januar und vom 23. Februar 1994 sind einige dieser Rechtssachen zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren sowie zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden. Mit Beschluß des Präsidenten der Fünften Kammer des Gerichtshofes vom 19. Oktober 1995 sind alle Rechtssachen zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

Zu Artikel 30 des Vertrages

9 Vorab ist darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof in seinem Urteil vom 2. Juni 1994 in den verbundenen Rechtssachen C-69/93 und C-258/93 (Punto Casa und PPV, Slg. 1994, I-2355) über Fragen desselben nationalen Gerichts entschieden hat, die im wesentlichen mit den in den vorliegenden Rechtssachen gestellten Fragen identisch waren, mit Ausnahme der Frage 1 Buchstaben d bis f in der Rechtssache C-332/94.

10 Im Urteil Punto Casa und PPV ist der Gerichtshof seiner Rechtsprechung Keck und Mithouard (Urteil vom 24. November 1993 in den verbundenen Rechtssachen C-267/91 und C-268/91, Slg. 1993, I-6097) gefolgt.

11 Im Urteil Keck und Mithouard, in dem es um nationale Rechtsvorschriften ging, die den Weiterverkauf zum Verlustpreis allgemein verbieten, stellte der Gerichtshof fest, daß solche Rechtsvorschriften das Absatzvolumen und damit das Volumen des Absatzes von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten insoweit beschränken können, als sie den Wirtschaftsteilnehmern eine Methode der Absatzförderung nehmen. Er hielt es jedoch für fraglich, ob diese Möglichkeit ausreicht, um die in Rede stehenden Rechtsvorschriften als eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Einfuhrbeschränkung im Sinne des Artikels 30 des Vertrages anzusehen (Randnr. 13).

12 Der Gerichtshof gelangte zu dem Ergebnis, daß die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne des Urteils Dassonville (Urteil vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74, Slg. 1974, 837) unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren (Randnr. 16).

13 Sind diese Voraussetzungen erfuellt, so ist ° wie der Gerichtshof feststellte ° die Anwendung derartiger Regelungen auf den Verkauf von Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedstaat, die den von diesem Staat aufgestellten Bestimmungen entsprechen, nicht geeignet, den Marktzugang für diese Erzeugnisse zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tut. Diese Regelungen fallen daher nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 30 des Vertrages (Randnr. 17).

14 Im Urteil Punto Casa und PPV stellte der Gerichtshof zunächst fest, daß eine Regelung, die ° ebenso wie die hier vorliegende ° die Umstände betrifft, unter denen die Waren an die Verbraucher verkauft werden können, die im Urteil Keck und Mithouard aufgestellten Voraussetzungen erfuellt (Randnr. 13). Er stellte sodann fest, daß diese Regelung ungeachtet des Ursprungs der betreffenden Erzeugnisse für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer galt und den Absatz der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht in anderer Weise als denjenigen inländischer Erzeugnisse berührte (Randnr. 14).

15 Dementsprechend erkannte der Gerichtshof für Recht, daß Artikel 30 des Vertrages keine Anwendung auf eine nationale Ladenschlußregelung findet, die für alle im Inland tätigen Wirtschaftsteilnehmer gilt und den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berührt.

16 Nach Erlaß des Urteils Punto Casa und PPV hat der Gerichtshof das vorlegende Gericht gefragt, ob dieses Urteil die von dem Gericht in den ° bis zum Erlaß des Urteils Punto Casa und PPV ausgesetzten ° Rechtssachen C-418/93, C-419/93, C-420/93, C-421/93, C-460/93, C-461/93, C-462/93, C-464/93, C-9/94, C-10/94, C-11/94, C-14/94, C-15/94, C-23/94 und C-24/94 gestellten Fragen vollständig beantworte.

17 In seiner Antwort hat das vorlegende Gericht darum ersucht, die beim Gerichtshof anhängigen Rechtssachen weiter zu behandeln; es hat im wesentlichen dargetan, in Anbetracht der besonderen Ausgestaltung des italienischen Einzelhandelsmarktes bewirke die streitige Regelung eine indirekte Diskriminierung der eingeführten Waren.

18 Der italienische Markt sei gekennzeichnet durch eine grosse Zahl kleiner Betriebe mit einem sehr beschränkten Kundenkreis auf der einen Seite und durch grosse Einkaufszentren, die am Stadtrand oder ausserhalb der Städte gelegen seien, auf der anderen Seite. Da der Verbraucher an Werktagen nur über wenig freie Zeit verfüge, seien diese grossen Einkaufszentren nur an Sonntagen für die Kunden leicht erreichbar; die Unmöglichkeit, diese Zentren mit ausreichender Leichtigkeit und Häufigkeit zu erreichen, leite die Nachfrage zu den kleinen Betrieben um, die näher am Verbraucher gelegen seien, und damit zu inländischen Erzeugnissen, da in diesen kleinen Betrieben ausländische Erzeugnisse im allgemeinen nicht in derselben Auswahl und Menge zu finden seien.

19 Die streitige Regelung berühre den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten daher nicht tatsächlich in der gleichen Weise.

20 Gestützt auf dieselben Erwägungen hat das vorlegende Gericht seine Fragen in der Rechtssache C-332/94 begründet und formuliert.

21 Nach Auffassung der Kläger haben die nationalen Rechtsvorschriften tatsächlich die vom vorlegenden Gericht beschriebenen Auswirkungen, so daß die im Urteil Keck und Mithouard aufgestellten Voraussetzungen nicht erfuellt seien.

22 Die Comune di Terlizzi, Beklagte des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C-9/94, die griechische Regierung und die Kommission sind demgegenüber der Auffassung, das Urteil Punto Casa und PPV beantworte die Frage des vorlegenden Gerichts betreffend Artikel 30 vollständig und zutreffend.

23 Hierzu ist festzustellen, daß die Erklärungen, die das vorlegende Gericht in den vorliegenden Rechtssachen hinsichtlich der Auswirkungen der streitigen nationalen Rechtsvorschriften abgegeben hat, im wesentlichen mit denjenigen identisch sind, die es in den Rechtssachen abgegeben hatte, die zum Urteil Punto Casa und PPV geführt haben.

24 Aufgrund dessen ist nicht zu erkennen, daß die streitigen Rechtsvorschriften eine Regelung des Warenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten bezwecken oder, insgesamt betrachtet, eine Ungleichbehandlung inländischer und eingeführter Erzeugnisse im Hinblick auf ihren Zugang zum Markt bewirken können. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß nationale Rechtsvorschriften, die allgemein den Handel mit einem Erzeugnis und damit auch dessen Einfuhr beschränken, nicht allein deswegen so betrachtet werden können, als schränkten sie für diese eingeführten Erzeugnisse die Möglichkeit des Zugangs zum Markt in stärkerem Masse als für entsprechende inländische Erzeugnisse ein. Wie der Gerichtshof in Randnummer 13 des Urteils Keck und Mithouard ausgeführt hat, reicht der Umstand, daß nationale Rechtsvorschriften ganz allgemein das Absatzvolumen und damit das Volumen des Absatzes von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten beschränken können, nicht aus, um diese Rechtsvorschriften als eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Einfuhrbeschränkung anzusehen.

25 Der Gerichtshof hat im übrigen wiederholt anerkannt, daß eine nationale Regelung wie die vorliegende ein Ziel verfolgt, das nach Gemeinschaftsrecht gerechtfertigt ist. Staatliche Regelungen, die die Öffnung von Geschäften am Sonntag beschränken, sind nämlich Ausdruck bestimmter Entscheidungen, die auf landesweite oder regionale soziale und kulturelle Besonderheiten Bezug haben. Diese Entscheidungen sind Sache der Mitgliedstaaten; dabei haben sie die gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen zu beachten (siehe u. a. Urteil vom 16. Dezember 1992 in der Rechtssache C-169/91, B & Q, Slg. 1992, I-6635, Randnr. 11).

26 Insoweit hat der Gerichtshof im Urteil B & Q für Recht erkannt, daß das in Artikel 30 ausgesprochene Verbot nicht für eine nationale Regelung gilt, die es Einzelhändlern verbietet, ihre Geschäfte am Sonntag zu öffnen.

27 Schließlich ist festzustellen, daß im vorliegenden Verfahren kein neuer Gesichtspunkt vorgetragen worden ist, der womöglich eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte, als sie der Gerichtshof in den Urteilen Punto Casa und PPV sowie B & Q vorgenommen hat.

28 Dem vorlegenden Gericht ist daher zu antworten, daß Artikel 30 des Vertrages keine Anwendung auf eine nationale Ladenschlußregelung findet, die für alle im Inland tätigen Wirtschaftsteilnehmer gilt und den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berührt.

Zu Artikel 52 des Vertrages und zur Richtlinie 64/223

29 In der Rechtssache C-332/94 fragt das vorlegende Gericht ferner, ob Artikel 52 des Vertrages oder die Richtlinie 64/223 über die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für Tätigkeiten im Großhandel einer nationalen Ladenschlußregelung wie derjenigen des Ausgangsverfahrens entgegenstehen.

30 Mit der Richtlinie 64/223 soll die Niederlassungsfreiheit, so wie sie nach Ablauf der Übergangszeit mit unmittelbarer Wirkung durch Artikel 52 des Vertrages gewährleistet wird, im Bereich der Großhandelstätigkeiten verwirklicht werden (in diesem Sinne Urteil vom 12. November 1987 in der Rechtssache 198/86, Conradi u. a., Slg. 1987, 4469, Randnr. 8).

31 Daraus folgt, daß die Richtlinie 64/223 im vorliegenden Fall nicht unabhängig von Artikel 52 des Vertrages geprüft zu werden braucht.

32 Zu Artikel 52 des Vertrages genügt die Feststellung, daß die streitige Regelung, wie bereits festgestellt, für alle im Inland tätigen Wirtschaftsteilnehmer gilt, daß sie ferner nicht die Regelung der Bedingungen für die Niederlassung der betreffenden Unternehmen bezweckt und daß schließlich die beschränkenden Wirkungen, die sie für die Niederlassungsfreiheit haben könnte, zu ungewiß und zu mittelbar sind, als daß die in ihr aufgestellte Verpflichtung als geeignet angesehen werden könnte, diese Freiheit zu behindern.

33 Daraus folgt, daß weder Artikel 52 des Vertrages noch die Richtlinie 64/223 einer nationalen Ladenschlußregelung wie derjenigen des Ausgangsverfahrens entgegenstehen.

Zur Richtlinie 83/189

34 In der Rechtssache C-332/94 möchte das vorlegende Gericht schließlich wissen, ob die Richtlinie 83/189 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften in der Fassung der Richtlinie 88/182 für eine nationale Ladenschlußregelung wie diejenige des Ausgangsverfahrens gilt.

35 Hierzu genügt die Feststellung, daß die Richtlinie unabhängig von ihrer Anwendbarkeit im streiterheblichen Zeitraum aus sachlichen Gründen nicht für eine nationale Ladenschlußregelung wie diejenige des Ausgangsverfahrens gilt.

36 Nach Artikel 8 der Richtlinie gilt die Pflicht zur vorherigen Übermittlung nämlich für jeden Entwurf einer technischen Vorschrift.

37 Der Begriff "technische Vorschrift" wird in Artikel 1 Nr. 5 der Richtlinie 83/189 definiert als "technische Spezifikationen einschließlich der einschlägigen Verwaltungsvorschriften, deren Beachtung de iure oder de facto für die Vermarktung oder Verwendung in einem Mitgliedstaat oder in einem grossen Teil dieses Staates verbindlich ist, ausgenommen die von den örtlichen Behörden festgelegten technischen Spezifikationen". Nach Artikel 1 Nr. 1 bezeichnet der Begriff "technische Spezifikation" die "Spezifikation, die in einem Schriftstück enthalten ist, das Merkmale eines Erzeugnisses vorschreibt, wie Qualitätsstufen, Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit oder Abmessungen, einschließlich der Festlegungen über Terminologie, Bildzeichen, Prüfung und Prüfverfahren, Verpackung, Kennzeichnung oder Beschriftung".

38 Die in der Richtlinie vorgesehene Übermittlungspflicht gilt daher nicht für eine nationale Regelung, die nicht die Merkmale eines Erzeugnisses vorschreibt, sondern sich auf die Festlegung der Ladenöffnungszeiten beschränkt.

39 Die Richtlinie 83/189 gilt daher nicht für eine nationale Ladenschlußregelung wie diejenige des Ausgangsverfahrens.

Kostenentscheidung:

Kosten

40 Die Auslagen der griechischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm von der Pretura circondariale Rom, Auswärtige Kammer Castelnuovo di Porto, mit Beschlüssen vom 18. Juli, 28. Oktober, 11. November, 2. und 16. Dezember 1993 sowie vom 10. Oktober 1994 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Artikel 30 EG-Vertrag findet keine Anwendung auf eine nationale Ladenschlußregelung, die für alle im Inland tätigen Wirtschaftsteilnehmer gilt und den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berührt.

2. Weder Artikel 52 EG-Vertrag noch die Richtlinie 64/223/EWG des Rates vom 25. Februar 1965 über die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für Tätigkeiten im Großhandel stehen einer nationalen Ladenschlußregelung wie derjenigen des Ausgangsverfahrens entgegen.

3. Die Richtlinie 83/189/EWG des Rates vom 28. März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften in der Fassung der Richtlinie 88/182/EWG des Rates vom 22. März 1988 gilt nicht für eine nationale Ladenschlußregelung wie diejenige des Ausgangsverfahrens.

Ende der Entscheidung

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