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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 15.07.2004
Aktenzeichen: C-420/03
Rechtsgebiete: Richtlinie 2001/18/EG vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 2001/18/EG vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG Art. 34 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFES (Vierte Kammer)

15. Juli 2004(1)

"Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Nichtumsetzung - Richtlinie 2001/18/EG"

Parteien:

In der Rechtssache C-420/03

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch U. Wölker als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch W.-D. Plessing und M. Lumma als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen Feststellung, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates (ABl. L 106, S. 1) verstoßen hat, dass sie die zur Umsetzung dieser Richtlinie erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften nicht erlassen oder der Kommission jedenfalls nicht mitgeteilt hat,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues sowie der Richter K. Lenaerts und K. Schiemann (Berichterstatter),

Generalanwältin: C. Stix-Hackl,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 3. Oktober 2003 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 226 EG Klage erhoben auf Feststellung, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates (ABl. L 106, S. 1) verstoßen hat, dass sie die zur Umsetzung dieser Richtlinie erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften nicht erlassen oder der Kommission jedenfalls nicht mitgeteilt hat.

2 Nach Artikel 34 Absatz 1 der Richtlinie 2001/18 setzen die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, um dieser Richtlinie bis zum 17. Oktober 2002 nachzukommen, und setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis.

3 Da die Bundesrepublik Deutschland die Kommission nicht von den Maßnahmen in Kenntnis gesetzt hatte, die sie getroffen hatte, um die fristgerechte Umsetzung dieser Richtlinie in ihre innerstaatliche Rechtsordnung sicherzustellen, leitete diese das Vertragsverletzungsverfahren ein. Nachdem sie diesem Mitgliedstaat Gelegenheit gegeben hatte, sich zu äußern, gab sie am 2. April 2003 eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, in der sie ihn aufforderte, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um dieser Stellungnahme innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Zustellung nachzukommen. Da aus den der Kommission daraufhin von Deutschland übermittelten Angaben hervorging, dass die Richtlinie 2001/18 noch nicht in deutsches Recht umgesetzt worden war, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.

4 Die deutsche Regierung räumt ein, dass die Umsetzung der Richtlinie 2001/18 noch nicht abgeschlossen sei. Sie hält die Klage jedoch aus zwei Gründen für unzulässig.

5 Erstens habe die Kommission den Mitgliedstaaten stillschweigend einen Aufschub gewährt, indem sie Vorschläge für die Änderung der Richtlinie 2001/18 vor Ablauf ihrer Umsetzungsfrist vorgelegt habe. Die den Verordnungen (EG) Nrn. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel (ABl. L 268, S. 1) und 1830/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2003 über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von genetisch veränderten Organismen und über die Rückverfolgbarkeit von aus genetisch veränderten Organismen hergestellten Lebensmitteln und Futtermitteln sowie zur Änderung der Richtlinie 2001/18 (ABl. L 268, S. 24) zugrunde liegenden Vorschläge vom 30. Juli und 20. August 2001 hätten die Mitgliedstaaten als Moratorium interpretieren können, wonach sich die Kommission verpflichte, vor dem Inkrafttreten der auf diesen Vorschlägen beruhenden Verordnungen im Hinblick auf die Richtlinie 2001/18 kein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Die Erhebung der vorliegenden Klage stelle daher ein venire contra factum proprium dar.

6 Hierzu ist zu sagen, dass Vorschläge für Verordnungen vor deren Inkrafttreten nicht rechtsverbindlich sind. Nach ständiger Rechtsprechung ist das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Lage zu beurteilen, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt wurde (u. a. Urteil vom 6. März 2003 in der Rechtssache C-211/02, Kommission/Luxemburg, Slg. 2003, I-2429, Randnr. 6). Da die Verordnungen Nrn. 1829/2003 und 1830/2003 bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist, dem 3. Juni 2003, noch nicht in Kraft getreten, ja noch nicht einmal erlassen waren, können sie bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Klage nicht berücksichtigt werden. Dass die Gemeinschaftsorgane eine Richtlinie zu ändern beabsichtigen, befreit die Mitgliedstaaten nicht von der Verpflichtung, den Richtlinien fristgerecht nachzukommen (u. a. Urteil vom 1. Juni 1995 in der Rechtssache C-182/94, Kommission/Italien, Slg. 1995, I-1465, Randnr. 6). Die erste Unzulässigkeitseinrede der deutschen Regierung ist daher zurückzuweisen.

7 Zweitens macht die deutsche Regierung geltend, die Kommission habe gegen Artikel 10 EG verstoßen, weil sie die vorliegende Klage erhoben habe, obwohl ihr bekannt gewesen sei, dass die Arbeiten zur Umsetzung in innerstaatliches Recht begonnen hätten und im Sommer 2004 abgeschlossen werden sollten. Die Bundesrepublik Deutschland sei kein "renitenter" Mitgliedstaat, sondern durchaus bereit, ihren gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Es sei daher nicht erforderlich gewesen, dass die Kommission eine Vertragsverletzungsklage erhebe.

8 Hierzu ist zu bemerken, dass die Kommission bei der Wahrnehmung der ihr in Artikel 226 EG eingeräumten Zuständigkeiten über ein Ermessen verfügt (in diesem Sinn Urteil vom 14. Februar 1989 in der Rechtssache 247/87, Star Fruit/Kommission, Slg. 1989, 291, Randnr. 11). Sie braucht kein spezifisches Rechtsschutzinteresse nachzuweisen; ihr fällt vielmehr kraft ihres Amtes im allgemeinen Interesse der Gemeinschaft die Aufgabe zu, die Ausführung des EG-Vertrages und der auf seiner Grundlage von den Organen erlassenen Vorschriften durch die Mitgliedstaaten zu überwachen und etwaige Verstöße gegen die sich hieraus ergebenden Verpflichtungen feststellen zu lassen, damit sie abgestellt werden (u. a. Urteil vom 11. August 1995 in der Rechtssache C-431/92, Kommission/Deutschland, Slg. 1995, I-2189, Randnr. 21). Daher ist auch die zweite Unzulässigkeitseinrede der deutschen Regierung zurückzuweisen.

9 Da die Umsetzung der Richtlinie 2001/18 nicht fristgerecht erfolgt ist, ist die Klage der Kommission begründet.

10 Es ist daher festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 2001/18 verstoßen hat, dass sie die zur Umsetzung dieser Richtlinie erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften nicht fristgerecht erlassen hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

11 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates verstoßen, dass sie die zur Umsetzung dieser Richtlinie erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften nicht fristgerecht erlassen hat.

2. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten des Verfahrens.

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. Juli 2004.

Ende der Entscheidung

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