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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 07.07.1994
Aktenzeichen: C-420/92
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie 79/7 verwehrt es einem Mitgliedstaat, der die Gewährung von Zuschlägen zu langfristigen Leistungen bei Alter für unterhaltsberechtigte Ehegatten nur für Männer vorsah, nicht, diese Diskriminierung nur gegenüber Frauen zu beseitigen, die bestimmte Voraussetzungen erfuellen.

Die Richtlinie hat nämlich zum Ziel, daß der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit schrittweise verwirklicht wird; eine Auslegung der Richtlinie, die darauf hinausliefe, daß ein Mitgliedstaat, was Leistungen angeht, die er vom Anwendungsbereich der Richtlinie gemäß Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe d ausgeschlossen hat, sich dann nicht mehr auf die Ausnahmeregelung in dieser Bestimmung stützen könnte, wenn er eine Maßnahme träfe, die bewirkt, daß das Ausmaß der Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts verringert wird, wäre mit diesem Ziel unvereinbar und könnte die Verwirklichung des genannten Grundsatzes gefährden.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 7. JULI 1994. - ELIZABETH BRAMHILL GEGEN CHIEF ADJUDICATION OFFICER. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: SOCIAL SECURITY COMMISSIONER - VEREINIGTES KOENIGREICH. - RICHTLINIE 79/7/EWG - ZUSCHLAEGE ZU LEISTUNGEN BEI ALTER FUER UNTERHALTSBERECHTIGTE EHEGATTEN. - RECHTSSACHE C-420/92.

Entscheidungsgründe:

1 Der Social Security Commissioner hat mit Beschluß vom 27. November 1992, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Dezember 1992, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung des Artikels 7 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24, im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Zwei dieser Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Elizabeth Bramhill (im folgenden: Klägerin) und dem Chief Adjudication Officer (im folgenden: Beklagter) über die Ablehnung der Gewährung eines Zuschlags zur Altersrente für den unterhaltsberechtigten Ehemann.

3 Aus dem Vorlagebeschluß ergibt sich, daß die Klägerin, die britische Staatsangehörige ist, mit Wirkung vom 1. Juni 1990 ihre Beschäftigung aufgegeben hat, nachdem sie das sechzigste Lebensjahr vollendet hatte. Einige Monate früher hatte sie zunächst die Gewährung einer Altersrente von ihrem sechzigsten Geburtstag an und dann einen Zuschlag zu dieser Rente für ihren unterhaltsberechtigten Ehemann beantragt.

4 Der Klägerin wurde mit Wirkung vom 4. Juni 1990 eine Altersrente gewährt; dagegen wurde ihr Antrag auf Gewährung eines Zuschlags mit der Begründung abgelehnt, daß sie die Voraussetzungen für die Gewährung eines solchen Zuschlags nach der durch den Health and Social Security Act 1984 eingeführten Section 45A des Social Security Act 1975 nicht erfuelle.

5 Vor der gesetzlichen Neuordnung von 1984 hatten nur männliche Rentenberechtigte Anspruch auf Zuschläge zur Altersrente für ihre unterhaltsberechtigte Ehefrau.

6 Nach Section 45A Absatz 1 Buchstabe a des genannten Gesetzes ist die Gewährung des streitigen Zuschlags u. a. von der Voraussetzung abhängig, daß die Zahlung der Altersrente der Betroffenen unmittelbar nach Ablauf eines Zeitraums begonnen hat, für den sie Anspruch auf einen Zuschlag zu Leistungen bei Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Invalidität für einen unterhaltsberechtigten Ehemann hatte.

7 Nach den Angaben der Regierung des Vereinigten Königreichs wurde die Regelung, daß Frauen unter den beschriebenen Umständen einen Zuschlag zu Leistungen bei Alter für unterhaltsberechtigte Ehemänner erhalten können, eingeführt, um zu vermeiden, daß sie ° wenn sie seit der gesetzlichen Neuordnung von 1984 vor dem Eintritt in den Ruhestand Zuschläge zu Leistungen bei Krankheit, Invalidität oder Arbeitslosigkeit für eine unterhaltsberechtigte Person erhalten hatten ° beim Eintritt in den Ruhestand eine erhebliche Einkommenseinbusse erlitten.

8 Die Klägerin befand sich aber nicht in einer solchen Lage.

9 Vor dem Social Security Appeal Tribunal, bei dem Klage gegen den Bescheid des Adjudication Officer erhoben wurde, wurde nicht bestritten, daß Section 45A des Social Security Act 1975 eine Diskriminierung zu Lasten verheirateter Frauen bewirkt, da ein verheirateter Mann, der einen Zuschlag zu seiner Altersrente für seine unterhaltsberechtigte Frau beantragt, die genannte Voraussetzung nicht zu erfuellen hat.

10 Da jedoch auch unstreitig war, daß dieses Gericht durch ein früheres Urteil des Social Security Commissioner gebunden war, wonach die streitige Regelung mit der Richtlinie aufgrund der durch Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe d den Mitgliedstaaten eröffneten Möglichkeit vereinbar ist, bestimmte Ausnahmen von dem in Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie niedergelegten Grundsatz der Gleichbehandlung vorzusehen, wurde die ablehnende Entscheidung des Beklagten vom Social Security Appeal Tribunal bestätigt; dieses ließ jedoch die Einlegung eines Rechtsmittels beim Social Security Commissioner zu.

11 Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie sieht vor:

"1) Der Grundsatz der Gleichbehandlung beinhaltet den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand, und zwar im besonderen betreffend:

...

° die Berechnung der Leistungen, einschließlich der Zuschläge für den Ehegatten und für unterhaltsberechtigte Personen, sowie die Bedingungen betreffend die Geltungsdauer und die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die Leistungen."

12 Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie bestimmt:

"1) Diese Richtlinie steht nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen, folgendes von ihrem Anwendungsbereich auszuschließen:

...

d) die Gewährung von Zuschlägen zu langfristigen Leistungen wegen Invalidität, Alter, Arbeitsunfall oder Berufskrankheit für die unterhaltsberechtigte Ehefrau;

..."

13 Nach Auffassung des Social Security Commissioner stellt sich in der vorliegenden Rechtssache die Frage, ob die unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen, was die Eröffnung des Anspruchs auf den Zuschlag zu Altersrenten für den unterhaltsberechtigten Ehegatten angeht, durch die Ausnahmeregelung in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie erfasst wird.

14 In Anbetracht der unterschiedlichen Ansichten, die die Parteien des Ausgangsverfahrens darüber vertreten, wie diese Frage zu beantworten ist, hat der Social Security Commissioner beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1) Hat ein Mitgliedstaat für einen Rentenempfänger, der Leistungen in bezug auf seine unterhaltsberechtigte Ehefrau beansprucht, und für eine Rentenempfängerin, die Leistungen in bezug auf ihren unterhaltsberechtigten Ehemann beansprucht, unterschiedliche Regelungen erlassen, ist dann die in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie 79/7 enthaltene Ausnahmebestimmung dahin auszulegen, daß sie dem Mitgliedstaat erlaubt, für die Anspruchstellerin strengere Bedingungen aufzustellen als für den Anspruchsteller?

2) Darf der Mitgliedstaat insbesondere eine Bedingung wie die in Section 45A des Social Security Act 1975 enthaltene aufstellen, wonach die Rentenempfängerin unmittelbar vor dem Zeitpunkt, zu dem sie einen Anspruch auf eine Altersrente erworben hat, einen Anspruch auf einen Zuschlag zu Leistungen bei Arbeitslosigkeit, Leistungen bei Krankheit oder zu einer Invaliditätsrente für diesen Ehemann gehabt haben muß, wenn ein solches Erfordernis für einen Mann, der einen Zuschlag zur Altersrente für seine unterhaltsberechtigte Ehefrau begehrt, nicht besteht?

3) Wenn es im Lichte der Antworten auf die Fragen 1 und 2 erforderlich ist, daß ein nationales Gericht entscheidet, ob nationale Rechtsvorschriften die Erfordernisse der Verhältnismässigkeit nach Gemeinschaftsrecht mit der Folge erfuellen, daß ihnen die Ausnahmeregelung in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie 97/7 zugute kommen kann, was sind dann die spezifischen Kriterien, die das nationale Gericht anzuwenden hat?

15 Diese Fragen des vorlegenden Gerichts gehen im wesentlichen dahin, ob Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie 79/7 dem entgegensteht, daß ein Mitgliedstaat, der die Gewährung von Zuschlägen zu langfristigen Leistungen bei Alter für unterhaltsberechtigte Ehegatten den Männern vorbehielt, diese Diskriminierung nur gegenüber Frauen beseitigt, die bestimmte Voraussetzungen erfuellen.

16 Nach Auffassung der Klägerin des Ausgangsverfahrens ergibt sich aus dem Wortlaut des Artikels 7 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie, daß die Mitgliedstaaten vom Anwendungsbereich der Richtlinie nur die Gewährung von Zuschlägen zu Leistungen für "die unterhaltsberechtigte Ehefrau" ausschließen könnten, so daß Regelungen, die, wie die im Vereinigten Königreich seit 1984 geltende, Zuschläge für beide Ehegatten, jedoch unter unterschiedlichen Voraussetzungen vorsähen, eine Diskriminierung beinhalteten, die durch die Ausnahmeregelung in Artikel 7 der Richtlinie nicht gedeckt sei.

17 Diese Auslegung werde auch dadurch bestätigt, daß anders als in der letztgenannten Bestimmung in Artikel 4 Absatz 1 dritter Gedankenstrich der Richtlinie der allgemeine Grundsatz zum Ausdruck gebracht werde, daß eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verboten sei, was die Berechnung der Leistungen, einschließlich der Zuschläge für den "Ehegatten" und für unterhaltsberechtigte Personen angehe.

18 Diesem Vorbringen ist nicht zu folgen.

19 Wie die Regierung des Vereinigten Königreichs zu Recht vorgetragen hat, fiele eine Regelung, wie sie im Vereinigten Königreich vor der Gesetzesänderung durch den Health and Social Security Act 1984 galt, durch die der streitige Zuschlag bestimmten Gruppen von verheirateten Frauen zugestanden wurde, unbestreitbar in den Rahmen dieser Ausnahmeregelung, da der Zuschlag zu Altersrenten seinerzeit nur für die "unterhaltsberechtigte Ehefrau" vorgesehen war.

20 Wie in ihrem Titel angegeben und ihrem Artikel 1 näher ausgeführt, hat die Richtlinie 79/7 aber zum Ziel, daß der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit schrittweise verwirklicht wird (siehe u. a. Urteile vom 24. Februar 1994 in der Rechtssache C-343/92, Roks u. a., Slg. 1994, I-571, und vom 7. Juli 1992 in der Rechtssache C-9/91, Equal Opportunities Commission, Slg. 1992, I-4297).

21 Eine Auslegung wie die von der Klägerin vertretene, die darauf hinausliefe, daß ein Mitgliedstaat, was Leistungen angeht, die er vom Anwendungsbereich der Richtlinie gemäß Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe d ausgeschlossen hat, sich dann nicht mehr auf die Ausnahmeregelung in dieser Bestimmung stützen könnte, wenn er eine Maßnahme träfe, die wie die im Ausgangsverfahren streitige bewirkt, daß das Ausmaß einer Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts verringert wird, wäre daher mit diesem Ziel unvereinbar und könnte die Verwirklichung des genannten Grundsatzes gefährden.

22 Die unterschiedliche Fassung des Artikels 4 Absatz 1 dritter Gedankenstrich und des Artikels 7 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie kann folglich nicht so ausgelegt werden, wie die Klägerin geltend macht, und die streitige Diskriminierung fällt daher in den Rahmen der genannten Ausnahmeregelung der Richtlinie.

23 Schließlich kann der Grundsatz der Verhältnismässigkeit, auf den das vorlegende Gericht ausserdem verweist, keine Anwendung in einem Fall wie dem vorliegenden finden, in dem die streitige Diskriminierung, wie in der vorhergehenden Randnummer festgestellt worden ist, im Rahmen der Ausnahmeregelung des Artikels 7 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie zulässig ist.

24 Auf die Vorabentscheidungsfragen ist daher zu antworten, daß Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie es einem Mitgliedstaat, der die Gewährung von Zuschlägen zu langfristigen Leistungen bei Alter für unterhaltsberechtigte Ehegatten nur für Männer vorsah, nicht verwehrt, diese Diskriminierung nur gegenüber Frauen zu beseitigen, die bestimmte Voraussetzungen erfuellen.

Kostenentscheidung:

Kosten

25 Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Social Security Commissioner mit Beschluß vom 27. November 1992 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit verwehrt es einem Mitgliedstaat, der die Gewährung von Zuschlägen zu langfristigen Leistungen bei Alter für unterhaltsberechtigte Ehegatten nur für Männer vorsah, nicht, diese Diskriminierung nur gegenüber Frauen zu beseitigen, die bestimmte Voraussetzungen erfuellen.

Ende der Entscheidung

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