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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 16.05.1994
Aktenzeichen: C-428/93
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
EWG-Vertrag Art. 85
EWG-Vertrag Art. 30
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Im Rahmen des Verfahrens gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag ist der Gerichtshof für die Beantwortung von Fragen, die sich nicht auf eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts beziehen, die für die vom vorlegenden Gericht in dem Verfahren, mit dem es befasst ist, zu erlassende Entscheidung objektiv erforderlich ist, offensichtlich nicht zuständig.

Dies ist der Fall, wenn der Gerichtshof von einem mit der Durchführung des Konkurses über das Vermögen eines Unternehmens beauftragten Richter mit Fragen befasst wird, die sich auf Vorschriften und Grundsätze des Gemeinschaftsrechts beziehen, die der Richter im Rahmen des Konkursverfahrens nicht anzuwenden hat.


BESCHLUSS DES GERICHTSHOFES VOM 16. MAI 1994. - ABWICKLUNG DER MONIN AUTOMOBILES-MAISON DU DEUX ROUES. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: JUGE-COMMISSAIRE AU TRIBUNAL DE COMMERCE DE ROMANS - FRANKREICH. - UNZUSTAENDIGKEIT. - RECHTSSACHE C-428/93.

Entscheidungsgründe:

1 Der mit der Durchführung des Konkurses über das Vermögen der Firma Monin beauftragte Richter am Tribunal de Commerce Romans hat mit Beschluß vom 1. Juli 1993, bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen am 25. Oktober 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Lässt die Entwicklung der gemeinsamen Politik im Bereich des Imports aus Asien stammender Kraftfahrzeuge jedes "Interesse der Gemeinschaft" daran entfallen, einen Mitgliedstaat zu verfolgen, der durch die Einführung rechtswidriger Hindernisse für Parallelimporte von Fahrzeugen bestimmter asiatischer Marken, die in anderen Mitgliedstaaten zum freien Verkehr zugelassen sind, die von diesen Praktiken betroffenen Unternehmen in den Konkurs getrieben hat?

Gestattet es das Gemeinschaftsrecht, allein im Hinblick auf die sogenannte Vereinbarung "EWG°Japan" eine rechtswidrige Haltung eines Mitgliedstaats zu decken, die insbesondere in doppelten technischen Kontrollen, durch die die Zulassung der Fahrzeuge von Marken, die aus der sogenannten Selbstbeschränkungsvereinbarung ausgeschlossen sind, in unangemessener Weise verzögert werden soll, in rechtswidrigen Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Käufer solcher Fahrzeuge und anderem zum Ausdruck kommt?

2) Kann ein Mitgliedstaat, der den Markt für Fahrzeuge aus Asien zum Schutz seines im EWG-Vertrag nicht vorgesehenen Systems zur Regulierung dieses Marktes in wettbewerbsbeschränkender Weise regelt, indem er ein gegen Artikel 85 verstossendes Kartell unterstützt, unabhängig von dem Vertragsverletzungsverfahren des Artikels 169 haftbar gemacht werden, insbesondere von den Unternehmen, die durch das rechtswidrige Verhalten dieses Mitgliedstaats zur Stellung des Konkursantrags gezwungen wurden, obwohl die nationalen Behörden und Gerichte verpflichtet sind, den Schutz der Rechte zu gewährleisten, die der EWG-Vertrag dem einzelnen verschafft?

3) Kann die Einführung von Hindernissen für den Import japanischer oder koreanischer Fahrzeuge aus Mitgliedstaaten, in denen sie zum freien Verkehr zugelassen sind, durch die Existenz eines Systems der Selbstbeschränkung auf dem Markt des betreffenden Mitgliedstaats gerechtfertigt werden, durch das sich fünf Unternehmen unter der Bedingung, daß dieser Markt ihnen vorbehalten bleibt, verpflichtet haben, eine Gesamtquote nicht zu überschreiten, die sie ohne Wettbewerb untereinander aufteilen, wenn dieses System den völligen Ausschluß von Parallelimporten aus anderen Mitgliedstaaten und die Verhinderung der Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit von Bevollmächtigten bezweckt und bewirkt?

4) Kann die Verzögerung bei der Zulassung einzeln vorgeführter Fahrzeuge, die mangels einer allgemeinen Betriebserlaubnis für Neuwagen allein auf die Anforderungen und Hindernisse der Verwaltung zurückzuführen ist, dem Importeur von den nationalen Gerichten als Verschulden zur Last gelegt werden, ohne daß dies ein zusätzliches Hindernis für den freien Warenverkehr und die Bestimmungen der Richtlinien über den Automobilsektor darstellt, wenn der damit verbundene Aufwand und die finanziellen Konsequenzen Verbraucher abschrecken, die diese Fahrzeuge, die in einem anderen Mitgliedstaat zum freien Verkehr zugelassen sind, importieren wollen, und ihnen die Möglichkeit nehmen, vom Gemeinsamen Markt zu profitieren, so daß ihre Wahl gegen ihren Willen auf andere Marken gelenkt wird?

5) Darf die Politik eines Mitgliedstaats zur Regelung des Bereichs des Imports von Fahrzeugen aus asiatischen Ländern, die in der Einführung einer Quote besteht, die fünf privilegierten Unternehmen vorbehalten ist, die dieser Quote zugestimmt haben und von ihr profitieren, die Verstösse gegen Artikel 85 decken?

Können sich mit anderen Worten Unternehmen, die von einem sogenannten Selbstbeschränkungssystem profitieren, zur Rechtfertigung ihres Kartells auf das Einverständnis des Mitgliedstaats berufen, in dessen Gebiet das Kartell zum Tragen kommt, wenn das System insbesondere dazu führt, daß ihnen der Markt, den sie ohne Wettbewerb untereinander aufteilen, vorbehalten bleibt und daß Parallelimporte unterbunden werden?

6) Müssen die im Einfuhrmitgliedstaat vorgeschriebenen Formalitäten für die Erteilung einer Einzelbetriebserlaubnis und die Zulassung nicht im Interesse der Wahrung der Grundsätze der Verhältnismässigkeit und des freien Warenverkehrs auf ein Mindestmaß reduziert werden, wenn für die Fahrzeuge in einem anderen Mitgliedstaat eine allgemeine Betriebserlaubnis erteilt worden ist?

2 Diese Fragen stimmen teilweise mit denen überein, die dem Gerichtshof vom selben beauftragten Richter in der Rechtssache C-386/92 vorgelegt worden waren, in der der Beschluß vom 26. April 1993 (Monin Automobiles, Slg. 1993, I-2049) ergangen ist. In diesem Beschluß hat der Gerichtshof das Ersuchen um Vorabentscheidung für unzulässig erklärt, weil im Vorlagebeschluß lediglich die vorzulegenden Fragen genannt waren, ohne daß angegeben wurde, worauf sie beruhten.

3 Im Vorlagebeschluß in der vorliegenden Rechtssache beschreibt der beauftragte Richter zunächst die Situation der Firma Monin. Diese Firma sei auf den Vertrieb asiatischer Fahrzeuge spezialisiert, deren Hersteller nicht in das sogenannte Selbstbeschränkungssystem aufgenommen worden seien, durch das die Einfuhr japanischer Fahrzeuge nach Frankreich auf 3 % der jährlichen Zulassungen beschränkt worden sei. Die Firma Monin sei deshalb gezwungen gewesen, zu Parallelimporten überzugehen. Da die aus anderen Mitgliedstaaten eingeführten Fahrzeuge bereits zugelassen gewesen seien, seien sie als Gebrauchtwagen behandelt worden und hätten daher einer Einzelbetriebserlaubnis bedurft. Die französischen Verwaltungsbehörden hätten diese Erlaubnis nicht innerhalb angemessener Fristen erteilt, so daß die Fahrzeughalter ihr Fahrzeug nicht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist von zwei Monaten hätten zulassen können und daher von der Polizei verfolgt worden seien. Wegen zahlreicher Begehren von Käufern auf Rückgängigmachung des Kaufvertrags, auf Rückerstattung des Preises und auf Schadensersatz habe sich die Firma Monin zur Einstellung ihrer Tätigkeit gezwungen gesehen. Diese Schwierigkeiten hätten zur Einleitung des gerichtlichen Sanierungsverfahrens durch Urteil des Tribunal de commerce Romans vom 7. März 1990 geführt.

4 Der beauftragte Richter weist sodann darauf hin, daß er ein Gericht sei und daß er mit einem Rechtsstreit befasst sei, in dem es um die Anwendung des Gemeinschaftsrechts gehe. In diesem Rechtsstreit stuenden sich die Firma Monin und ihre Gläubiger gegenüber. Auf der einen Seite vertrete die Firma Monin die Auffassung, der beauftragte Richter könne den Konkurs über ihr Vermögen nicht durchführen, ohne die Klärung der Frage abzuwarten, ob die Zahlungseinstellung auf das rechtswidrige Verhalten der französischen Verwaltung und der fünf privilegierten Importeure im Hinblick auf die Anwendung der Artikel 85 und 30 EWG-Vertrag zurückzuführen sei, das es ermögliche, eine Entschädigung seitens des Staates und/oder der an dem Kartell Beteiligten ins Auge zu fassen. Auf der anderen Seite machten die Gläubiger geltend, die Firma sei lange genug künstlich am Leben erhalten worden und der Konkurs müsse unverzueglich durchgeführt werden. Der beauftragte Richter sei somit aufgerufen, diesen Rechtsstreit durch gerichtliche Entscheidung zu beenden.

5 Der beauftragte Richter führt schließlich aus, daß zwischen den Vorlagefragen und dem Rechtsstreit, mit dem er befasst sei, ein rechtlicher Zusammenhang bestehe, da die begehrte Auslegung ihm die Beurteilung der Stichhaltigkeit des Vorbringens der Firma Monin ermöglichen solle, mit dem diese erreichen wolle, daß sie bis zum endgültigen Abschluß des Konkursverfahrens künstlich am Leben erhalten werde. Sie erlaube ihm die Prüfung der Frage, ob das Vorbringen zum Gemeinschaftsrecht nicht nur das Verfahren hinauszögern solle. Zwar könne die Beantwortung der Fragen dem mit diesem Problem befassten Verwaltungsgericht von Nutzen sein, aber sie sei auch für die ihm obliegende Anwendung der Vorschriften über das Konkursverfahren von Interesse. Wenn er mangels einer verbindlichen Auslegung der fraglichen Gemeinschaftsvorschriften die Durchführung des Konkurses über das Vermögen des Unternehmens beschließe, würden dadurch die laufenden Verfahren endgültig abgeschlossen, so daß die aufgelöste Firma Monin rechtlich nicht mehr existiere und keine Verletzung des EWG-Vertrags mehr geltend machen und keinen Ersatz des erlittenen Schadens mehr erlangen könne.

6 Die französische Regierung schlägt in ihren beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen zunächst vor, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob der beauftragte Richter im vorliegenden Fall als ein Gericht im Sinne von Artikel 177 EWG-Vertrag anzusehen sei. Da der Konkurs über das Vermögen des Unternehmens mit Endurteil des Tribunal de commerce Romans vom 4. April 1990 eröffnet worden sei, beschränke sich die Rolle des beauftragten Richters in diesem Stadium nämlich auf die Sammlung und zentrale Erfassung von Informationen, während für die Entscheidung über den Abschluß des Verfahrens allein das genannte Gericht zuständig sei.

7 Die französische Regierung ist ferner der Ansicht, daß im vorliegenden Fall kein Rechtsstreit im Sinne von Artikel 177 EWG-Vertrag vorliege, da es zum einen keine Prozeßhandlung gegeben habe, durch die der beauftragte Richter mit einem bestimmten Antrag befasst worden sei, und da der beauftragte Richter den Gerichtshof zum anderen nach dieser Bestimmung nur dann anrufen könne, wenn dies zum Erlaß seines Urteils in einem ihm selbst vorliegenden Rechtsstreit erforderlich sei.

8 Die Kommission stellt erstens fest, daß der beauftragte Richter in seiner Rolle der Überwachung des Verfahrens zwei Arten von Befugnissen besitze, von denen die einen gerichtlicher Natur seien, während es sich bei den anderen um reine Justizverwaltung handele. Der Vorlagebeschluß enthalte keinen Anhaltspunkt dafür, daß der beauftragte Richter im vorliegenden Fall eine Entscheidung zu treffen habe, die in die erste Kategorie der Befugnisse falle.

9 Zweitens setze die Zulässigkeit des Ersuchens voraus, daß das vorlegende Gericht mit einem Rechtsstreit befasst sei und daß die Lösung des Auslegungsproblems für die Entscheidung dieses Rechtsstreits erforderlich sei. Im Ausgangsverfahren liege kein wirklicher Rechtsstreit der vom beauftragten Richter im Vorlagebeschluß beschriebenen Art vor. Darin sei nämlich keinerlei Hinweis enthalten, anhand dessen sich bestimmen ließe, wer die dort erwähnten Gläubiger seien, was sie beantragten und was der Inhalt ihres Vorbringens sei.

10 Drittens handele es sich hier um einen eindeutigen Verfahrensmißbrauch. Der Gerichtshof habe nämlich ausgeführt, daß ein Vorabentscheidungsersuchen dann zurückzuweisen sei, wenn offensichtlich kein Zusammenhang zwischen der erbetenen Auslegung und dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits bestehe oder die Auslegung für die Entscheidung des Rechtsstreits objektiv nicht erforderlich sei (Beschluß vom 26. Januar 1990 in der Rechtssache C-286/88, Falciola, Slg. 1990, I-191).

11 Schließlich seien jedenfalls trotz des genannten Beschlusses über die Unzulässigkeit vom 26. April 1993 die Elemente des Ausgangsrechtsstreits nicht hinreichend präzisiert worden. Dieses Erfordernis könne durch die Beschreibung des tatsächlichen und rechtlichen Rahmens von Streitigkeiten, mit denen das vorlegende Gericht nicht befasst sei, nicht als erfuellt angesehen werden.

12 Die vorgelegten Fragen betreffen die Auslegung der Artikel 30, 85 und 169 EWG-Vertrag sowie der Grundsätze der Verhältnismässigkeit und des freien Warenverkehrs.

13 Zunächst ist festzustellen, daß der beauftragte Richter zwar einen Zusammenhang zwischen den Vorlagefragen und der Rechtssache herstellt, mit der er befasst ist, daß er aber die genannten Rechtsnormen im Rahmen des Konkursverfahrens nicht anzuwenden hat.

14 Das vom beauftragten Richter an die Beantwortung der vorgelegten Frage geknüpfte Interesse hängt mit der Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Haftungsklage der Firma Monin gegen die französische Verwaltung und einer Klage vor dem Conseil de la concurrence zusammen. Beim vorlegenden Richter ist jedoch keine dieser Klagen erhoben worden und kann im übrigen auch keine erhoben werden.

15 Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, daß sich die dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen nicht auf eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts beziehen, die für die vom beauftragten Richter zu erlassende Entscheidung objektiv erforderlich ist.

16 Folglich ist der Gerichtshof nach einer gefestigten Rechtsprechung (Urteil vom 16. Juni 1981 in der Rechtssache 126/80, Salonia, Slg. 1981, 1563, und Beschluß Falciola, a. a. O.) für die Beantwortung der ihm vom beauftragten Richter am Tribunal de commerce Romans vorgelegten Fragen offensichtlich nicht zuständig.

17 Daher ist in Anwendung von Artikel 92 der Verfahrensordnung die Unzuständigkeit des Gerichtshofes festzustellen.

Kostenentscheidung:

Kosten

18 Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Da das Verfahren ein vom vorlegenden beauftragten Richter eingeleitetes Zwischenverfahren ist, ist die Kostenentscheidung Sache dieses Richters.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

beschlossen:

Der Gerichtshof ist für die Beantwortung der vom beauftragten Richter am Tribunal de commerce Romans vorgelegten Fragen nicht zuständig.

Luxemburg, den 16. Mai 1994.

Ende der Entscheidung

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