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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 11.07.2006
Aktenzeichen: C-432/04
Rechtsgebiete: EG, EA


Vorschriften:

EG Art. 213 Abs. 2
EA Art. 126 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFES (Plenum)

11. Juli 2006

"Artikel 213 Absatz 2 EG - Artikel 126 Absatz 2 EA - Verletzung der sich aus dem Amt als Kommissionsmitglied ergebenden Pflichten - Aberkennung der Ruhegehaltsansprüche"

Parteien:

In der Rechtssache C-432/04

betreffend eine Klage nach den Artikeln 213 Absatz 2 Unterabsatz 3 EG und Artikel 126 Absatz 2 Unterabsatz 3 EA, eingereicht am 7. Oktober 2004,

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H.-P. Hartvig und J. Currall als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Édith Cresson, Prozessbevollmächtigte: G. Vandersanden, L. Levi und M. Hirsch, avocats,

Beklagte,

unterstützt durch

Französische Republik, vertreten durch E. Belliard, C. Jurgensen und G. de Bergues als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Streithelferin,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Plenum)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, A. Rosas und K. Schiemann, der Richter J.-P. Puissochet und R. Schintgen, der Richterin N. Colneric, des Richters S. von Bahr (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter K. Lenaerts, P. Kuris, E. Juhász, G. Arestis, A. Borg Barthet, M. Ilesic, J. Klucka und E. Levits,

Generalanwalt: L. A. Geelhoed,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. November 2005,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. Februar 2006

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass sich Frau Cresson der Günstlingswirtschaft oder zumindest einer groben Fahrlässigkeit schuldig gemacht und dadurch ihre Pflichten nach den Artikeln 213 EG und 126 EA verletzt hat, und ihr infolgedessen ihre Ruhegehaltsansprüche oder andere an deren Stelle gewährte Vergünstigungen ganz oder teilweise abzuerkennen.

Rechtlicher Rahmen

2 Artikel 213 Absatz 2 EG sieht vor:

"Die Mitglieder der Kommission üben ihre Tätigkeit in voller Unabhängigkeit zum allgemeinen Wohl der Gemeinschaften aus.

Sie dürfen bei der Erfüllung ihrer Pflichten Anweisungen von einer Regierung oder einer anderen Stelle weder anfordern noch entgegennehmen. Sie haben jede Handlung zu unterlassen, die mit ihren Aufgaben unvereinbar ist. Jeder Mitgliedstaat verpflichtet sich, diesen Grundsatz zu achten und nicht zu versuchen, die Mitglieder der Kommission bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu beeinflussen.

Die Mitglieder der Kommission dürfen während ihrer Amtszeit keine andere entgeltliche oder unentgeltliche Berufstätigkeit ausüben. Bei der Aufnahme ihrer Tätigkeit übernehmen sie die feierliche Verpflichtung, während der Ausübung und nach Ablauf ihrer Amtstätigkeit die sich aus ihrem Amt ergebenden Pflichten zu erfüllen, insbesondere die Pflicht, bei der Annahme gewisser Tätigkeiten oder Vorteile nach Ablauf dieser Tätigkeit ehrenhaft und zurückhaltend zu sein. Werden diese Pflichten verletzt, so kann der Gerichtshof auf Antrag des Rates oder der Kommission das Mitglied je nach Lage des Falles gemäß Artikel 216 seines Amtes entheben oder ihm seine Ruhegehaltsansprüche oder andere an ihrer Stelle gewährte Vergünstigungen aberkennen."

3 Artikel 216 EG bestimmt:

"Jedes Mitglied der Kommission, das die Voraussetzungen für die Ausübung seines Amtes nicht mehr erfüllt oder eine schwere Verfehlung begangen hat, kann auf Antrag des Rates oder der Kommission durch den Gerichtshof seines Amtes enthoben werden."

4 Die Bestimmungen von Artikel 126 Absatz 2 EA stimmen mit denen von Artikel 213 Absatz 2 EG überein.

Die Regelung für Gastwissenschaftler

5 Am 19. Dezember 1989 fasste die Kommission einen Beschluss, der Verwaltungsrichtlinien für Gastwissenschaftler im Rahmen bestimmter Forschungsprogramme enthält (im Folgenden: Beschluss über Gastwissenschaftler).

6 In diesem Beschluss werden u. a. die Berufsgruppen, denen die Personen angehören müssen, die als Gastwissenschaftler eingestellt werden können, das anwendbare Entgeltschema sowie die mögliche Vertragsdauer festgelegt. Weiter heißt es darin, dass der Gastwissenschaftler innerhalb eines Monats nach Ablauf seines Vertrages einen Bericht über die während dieser Zeit geleistete Tätigkeit zu erstellen hat.

Sachverhalt

7 Der folgende wesentliche Sachverhalt ergibt sich insbesondere aus der Klageschrift.

8 Frau Cresson war vom 24. Januar 1995 bis 8. September 1999 Mitglied der Kommission. Die Kommission mit ihrem damaligen Präsidenten, Herrn Santer, trat am 16. März 1999 geschlossen zurück, blieb aber bis 8. September 1999 im Amt. Das Ressort von Frau Cresson umfasste die Bereiche Wissenschaft, Forschung und Entwicklung, Humanressourcen, allgemeine und berufliche Bildung sowie Jugend und die Gemeinsame Forschungsstelle (GFS); diese Bereiche gehörten, abgesehen von der GFS, seinerzeit zu den Generaldirektionen (GD) XII, XIII.D und XXII.

9 Die von der Kommission gegen Frau Cresson erhobenen Vorwürfe bestehen aus zwei Teilen; der erste Teil betrifft Herrn Berthelot und der zweite Herrn Riedinger.

Zu Herrn Berthelot

10 Als Frau Cresson ihr Amt übernahm, bestand ihr Kabinett bereits. Gleichwohl äußerte sie den Wunsch, die Dienste von Herrn Berthelot, einem engen Bekannten, als "persönlicher Berater" in Anspruch zu nehmen. Nach seinem Lebenslauf war Herr Berthelot, ein Zahnmediziner, als Leiter des Krankenhausdienstes und drei Monate lang als Beauftragter der Agence nationale de valorisation de la recherche (Anvar) tätig. Er lebte in einer Gemeinde nahe der Stadt Châtellerault (Frankreich), deren Bürgermeisterin Frau Cresson war. Da Herr Berthelot zum damaligen Zeitpunkt bereits 66 Jahre alt war, konnte er nicht als Bediensteter auf Zeit eingestellt werden, um im Kabinett eines Kommissionsmitglieds Dienst zu tun. Herr Lamoureux, der Kabinettschef von Frau Cresson, hatte ihr im Übrigen mitgeteilt, dass er angesichts des Alters von Herrn Berthelot keine Möglichkeit für dessen Beschäftigung durch die Kommission sehe.

11 Frau Cresson, die dennoch die Dienste von Herrn Berthelot als persönlicher Berater in Anspruch nehmen wollte, wandte sich daraufhin an die Dienststellen der Verwaltung mit der Bitte um Prüfung, unter welchen Bedingungen eine Einstellung des Betroffenen möglich wäre. Die Verwaltung zog verschiedene Arten von Verträgen in Betracht, u. a. einen Beratervertrag, der als zu kostspielig verworfen wurde, und einen Vertrag als Gastwissenschaftler, auf den letztlich die Wahl fiel.

12 Herr Berthelot wurde daher ab 1. September 1995 zunächst für sechs Monate als Gastwissenschaftler bei der GD XII eingestellt. Dieser Zeitraum wurde sodann bis Ende Februar 1997 verlängert. Obwohl die Einstellung als Gastwissenschaftler impliziert, dass der Betreffende seine Aufgaben im Wesentlichen entweder bei der GFS oder in den mit Forschungstätigkeiten befassten Dienststellen wahrnimmt, war Herr Berthelot ausschließlich als persönlicher Berater von Frau Cresson tätig.

13 Da Herr Berthelot kein eigenes Büro hatte, benutzte er u. a. das Durchgangsbüro des Kabinetts. Er traf im Allgemeinen am Dienstagmorgen bei der Kommission ein und reiste am Donnerstagabend wieder ab. Er berichtete Frau Cresson mündlich über seine Tätigkeiten.

14 Ab April 1996 wurde die monatliche Vergütung, die Herr Berthelot als Gastwissenschaftler erhielt, in Anwendung einer Antikumulierungsvorschrift herabgesetzt, um einer von ihm in Frankreich bezogenen Rente Rechnung zu tragen.

15 Kurz nach dieser Herabsetzung wurden im Kabinett von Frau Cresson für Herrn Berthelot dreizehn Dienstreiseaufträge nach Châtellerault für die Zeit vom 23. Mai bis 21. Juni 1996 erstellt, durch die er einen Betrag von etwa 6 900 Euro erlangte. Nach strafrechtlichen Ermittlungen, die ab 1999 in Belgien durchgeführt wurden, betrafen diese Aufträge fiktive Dienstreisen.

16 Ab 1. September 1996 wurde Herr Berthelot in Gruppe I statt in Gruppe II der Gastwissenschaftler eingestuft. Seine bei 4 500 Euro liegenden monatlichen Bezüge erhöhten sich dadurch um etwa 1 000 Euro.

17 Nach Ablauf seines Vertrages mit der GD XII am 1. März 1997 wurde Herrn Berthelot ein weiterer Vertrag als Gastwissenschaftler bei der GFS angeboten, der eine Laufzeit von einem Jahr bis Ende Februar 1998 hatte. Dadurch verlängerte sich die Gesamtdauer seiner Anstellung als Gastwissenschaftler auf zweieinhalb Jahre, obwohl die Regelung eine Höchstdauer der Beschäftigung von 24 Monaten vorsieht.

18 Am 2. Oktober 1997 verlangte der Finanzkontrolldienst der Kommission in Anwendung des Beschlusses über Gastwissenschaftler, ihm den nach Ablauf des Vertrages von Herrn Berthelot Ende Februar 1997 erstellten Tätigkeitsbericht zu übermitteln. Nach diesem Beschluss hätte Herr Berthelot nach Ablauf des ersten Vertrages sowie am Ende seines Vertrages mit der GFS einen solchen Bericht erstellen müssen. Nach mehrfacher Erinnerung wurden schließlich im Juli 1998 Berichte übergeben, bei denen es sich um eine Reihe von Vermerken verschiedener Verfasser handelte, die im Kabinett von Frau Cresson zusammengestellt worden waren.

19 Am 31. Dezember 1997 bat Herr Berthelot aus medizinischen Gründen um eine Auflösung seines Vertrages zu diesem Zeitpunkt. Seiner Bitte wurde entsprochen.

20 Frau Cresson ersuchte gleichwohl ihren Kabinettschef, zu prüfen, ob - wie er es ausdrückte - eine "Lösung" für Herrn Berthelot ab 1. Januar 1998 gefunden werden könne. Dabei wurde in Betracht gezogen, ihn als Sonderberater einzustellen; diesen Vorschlag lehnte Herr Berthelot jedoch ab.

21 Herr Berthelot starb am 2. März 2000.

Zu Herrn Riedinger

22 Herrn Riedinger, einem Wirtschaftsanwalt und persönlichen Bekannten von Frau Cresson, wurden 1995 von Dienststellen der Kommission drei Verträge angeboten, davon mindestens zwei auf ausdrücklichen Wunsch von Frau Cresson.

23 Der erste, vom Generaldirektor der GFS unterzeichnete Vertrag hatte eine Machbarkeitsanalyse hinsichtlich der Errichtung eines Netzwerks von Zentren der Zukunftsforschung in Mitteleuropa und der Europäischen Gemeinschaft zum Gegenstand. Dieser Vertrag war an die Entwicklung des Instituts für technologische Zukunftsforschung in Sevilla (Spanien) gekoppelt und zielte auf eine Vertiefung der Beziehungen zu den mitteleuropäischen Ländern in diesem Bereich ab.

24 Der zweite Vertrag über eine Summe von 10 500 Euro bezog sich auf die Begleitung von Frau Cresson nach Südafrika vom 13. bis 16. Mai 1995 und die Erstellung eines Berichts. Diese Reise bestand aus zwei Teilen. Der erste Teil hatte eine Konferenz zur Informationsgesellschaft zum Gegenstand. Der zweite Teil betraf insbesondere die Entsendung junger deutscher Mediziner nach Südafrika im Rahmen des freiwilligen Dienstes. Die Reise hatte auch einen touristischen Aspekt.

25 Bei dem dritten Vertrag ging es um eine Durchführbarkeitsvorstudie über die Errichtung eines Europäischen Instituts für Rechtsvergleichung. Dieses Institut sollte eine bessere Erfassung der Rechtsprobleme im Bereich der Forschung ermöglichen, insbesondere beim geistigen Eigentum und bei Patenten.

26 Obwohl die Haushaltsmittel für diese drei Verträge von den Dienststellen, für die Frau Cresson verantwortlich war, gebunden wurden, wurde keiner von ihnen durchgeführt, und es wurden auch keine Zahlungen geleistet.

Eingeleitete Untersuchungen und Verfahren

27 Untersuchungen wurden zunächst von einem Ausschuss unabhängiger Sachverständiger, dann vom Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) und schließlich vom Untersuchungs- und Disziplinaramt der Kommission (IDOC) durchgeführt. Ermittelt wurde auch von einem belgischen Ermittlungsrichter, und die Kommission leitete ein Verfahren ein.

Die Untersuchung des Ausschusses unabhängiger Sachverständiger

28 Ein am 27. Januar 1999 unter der Ägide des Europäischen Parlaments und der Kommission eingesetzter Ausschuss unabhängiger Sachverständiger wurde mit der Erstellung eines ersten Berichts betraut, um festzustellen, in welchem Ausmaß die Kommission als Kollegium oder eines oder mehrere ihrer Mitglieder Verantwortung für die jüngsten Fälle von Betrug, Missmanagement oder Nepotismus trugen, die in parlamentarischen Debatten zur Sprache gekommen waren.

29 In seinem am 15. März 1999 vorgelegten Bericht kam der Ausschuss in Bezug auf Herrn Berthelot zu dem Ergebnis, dass es sich um einen ausgesprochenen Fall von Günstlingswirtschaft handele.

Die Untersuchungen des OLAF und des IDOC

30 Im Anschluss an die Schlussfolgerungen des Ausschusses unabhängiger Sachverständiger führte das OLAF seine eigenen Untersuchungen durch und legte am 23. November 1999 einen Bericht vor.

31 Dieser Bericht führte zur Einleitung mehrerer Disziplinarverfahren gegen Beamte und Bedienstete der Kommission sowie eines Verfahrens, um die zu Unrecht an Herrn Berthelot gezahlten Beträge zurückzuerlangen.

32 Die Generaldirektion Personal und Verwaltung sowie später, nach seiner Errichtung durch Beschluss vom 19. Februar 2002, das IDOC führten eine Untersuchung in Bezug auf Herrn Riedinger und zwei ergänzende Untersuchungen in Bezug auf Herrn Berthelot durch, eine zur Rolle der GD XII und die andere zur Verwicklung der GFS.

33 Während dieser Untersuchungen fanden zahlreiche Anhörungen statt, und Frau Cresson wurde von den zuständigen Dienststellen und von Herrn Kinnock, dem mit der Verwaltungsreform betrauten Vizepräsidenten der Kommission, mehrfach kontaktiert. Frau Cresson gab mit Schreiben vom 24. September, 22. Oktober und 17. Dezember 2001 Stellungnahmen ab.

34 Die Generaldirektion Personal und Verwaltung übergab ihren Bericht in Bezug auf Herrn Riedinger am 8. August 2001. Das IDOC legte am 22. Februar 2002 einen Bericht über Herrn Berthelot vor.

Das Strafverfahren

35 Im Anschluss an eine Anzeige eines Mitglieds des Parlaments wurden im Jahr 1999 strafrechtliche Ermittlungen in Bezug auf den Herrn Berthelot betreffenden Vorgang eingeleitet. Die Kommission trat dabei als Zivilpartei gegen Frau Cresson auf.

36 Der Ermittlungsrichter beschuldigte Frau Cresson, Herrn Berthelot sowie Beamte und Bedienstete der Kommission der Fälschung von Urkunden und ihres Gebrauchs, des Betruges und der rechtswidrigen Vorteilsnahme im Hinblick auf folgende drei Punkte:

- die Einstellung von Herrn Berthelot als Gastwissenschaftler unter Verstoß gegen die von der Kommission aufgestellten Regeln,

- die Abschlussberichte von Herrn Berthelot und

- die Dienstreiseaufträge und -abrechnungen von Herrn Berthelot.

37 In ihrer der Chambre du conseil (Beschlusskammer) des Tribunal de première instance (Gericht erster Instanz) Brüssel (Belgien) - des Gerichts, das nach Abschluss der Ermittlungen darüber zu entscheiden hat, ob eine Person dem Tribunal correctionnel (Strafgericht) zur Aburteilung zu überstellen ist - vorgelegten Anklageschrift ließ die Staatsanwaltschaft den ersten Anklagepunkt fallen, weil die Einstellung von Herrn Berthelot ihres Erachtens nicht gegen die Gemeinschaftsvorschriften verstieß und die Bestimmung des belgischen Strafgesetzbuchs über Vorteilsnahme zur maßgebenden Zeit nicht auf Personen anwendbar war, die ein öffentliches Amt in einer völkerrechtlichen Organisation ausübten. Die Staatsanwaltschaft ließ auch den zweiten Anklagepunkt fallen, weil sich aus den Akten kein Vorwurf gegen Frau Cresson ergebe. Der dritte Anklagepunkt wurde zunächst beibehalten, letztlich aber auch fallen gelassen.

38 Mit Beschluss vom 30. Juni 2004 erklärte die Chambre du conseil des Tribunal de première instance Brüssel nach Kenntnisnahme der mündlichen Anklage der Staatsanwaltschaft und unter Bezugnahme auf die Gründe ihrer Anklageschrift die öffentliche Klage in Bezug auf Herrn Berthelot wegen dessen Tod für erloschen und entschied, dass es keinen Anlass für eine Fortsetzung des Strafverfahrens gegen die übrigen Beschuldigten gebe. In Bezug auf Frau Cresson stellte das Gericht fest, dass es hinsichtlich ihrer angeblichen Kenntnis des Sachverhalts in Zusammenhang mit den Dienstreiseaufträgen von Herrn Berthelot keine sie belastende Tatsache gebe.

Das von der Kommission eingeleitete Verfahren

39 Am 21. Januar 2003 beschloss das Kollegium der Kommissionsmitglieder, im Rahmen der möglichen Einleitung eines Verfahrens nach den Artikeln 213 Absatz 2 EG und 126 Absatz 2 EA an Frau Cresson eine Mitteilung der gegen sie erhobenen Vorwürfe zu richten. Außerdem wurde beschlossen, Frau Cresson Akteneinsicht zu gewähren und sie zur Abgabe einer Stellungnahme aufzufordern.

40 Die Mitteilung der Vorwürfe, die die Einstellung von Herrn Berthelot und die Vertragsangebote an Herrn Riedinger betraf, wurde Frau Cresson zunächst am 17. März 2003 zugestellt; sodann wurde ihr aus rein technischen Gründen in Zusammenhang mit dem Ermächtigungsverfahren das gleiche Dokument, datierend vom 30. April 2003, am 6. Mai 2003 erneut übermittelt.

41 Anschließend fand ein umfangreicher Schriftwechsel zwischen den Anwälten von Frau Cresson und der Kommission über den Umfang des eingeleiteten Verfahrens und den Zugang von Frau Cresson zu den von ihr als relevant angesehenen Dokumenten statt.

42 Frau Cresson antwortete mit Schriftsatz vom 30. September 2003 auf die Mitteilung der Vorwürfe. Darin rügt sie insbesondere die für diese Mitteilung gewählte Rechtsgrundlage und macht hilfsweise geltend, dass die erhobenen Vorwürfe nicht erwiesen seien. Außerdem fordert sie die Zahlung eines Betrages von 50 000 Euro als Ersatz für den materiellen und immateriellen Schaden, den sie durch die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen sie erlitten habe.

43 Eine Anhörung von Frau Cresson durch die Kommission fand am 30. Juni 2004 statt.

44 Am 19. Juli 2004 beschloss die Kommission, den Gerichtshof anzurufen.

Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

45 Die Kommission beantragt,

- festzustellen, dass Frau Cresson ihre Pflichten nach den Artikeln 213 EG und 126 EA verletzt hat,

- Frau Cresson die ihr zustehenden Ruhegehaltsansprüche und/oder alle anderen mit diesen Ansprüchen in Zusammenhang stehenden oder an deren Stelle gewährten Vergünstigungen ganz oder teilweise abzuerkennen, wobei die Kommission die Festsetzung von Dauer und Umfang dieser Aberkennung dem Ermessen des Gerichtshofes überlässt, und

- Frau Cresson die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

46 Frau Cresson beantragt,

- die von der Kommission erhobene Klage für unzulässig zu erklären,

- hilfsweise, die Klage als rechtswidrig und unbegründet abzuweisen,

- der Kommission aufzugeben, das vollständige Protokoll der Beratungen, die zu der am 19. Juli 2004 getroffenen Entscheidung, den Gerichtshof anzurufen, geführt haben, sowie die weiteren im Antrag der Beklagten vom 26. April 2004 und in ihrem Folgeantrag vom 5. Oktober 2004 genannten Unterlagen vorzulegen, und

- der Kommission sämtliche Kosten aufzuerlegen.

47 Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 2. Juni 2005 ist die Französische Republik als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge von Frau Cresson zugelassen worden.

48 Den Antrag von Frau Cresson, die Vorlage bestimmter Unterlagen anzuordnen, hat der Gerichtshof mit Beschluss vom 9. September 2005 zurückgewiesen.

Zum Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung

49 Mit Schreiben vom 30. März 2006 hat Frau Cresson den Gerichtshof ersucht, gemäß Artikel 61 seiner Verfahrensordnung die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung anzuordnen. Sie begründet ihren Antrag damit, dass die Schlussanträge des Generalanwalts in mehrfacher Hinsicht auf Gesichtspunkten beruhten, die zwischen den Parteien nicht erörtert worden seien. Sie macht im Wesentlichen geltend, dass sich der Generalanwalt zum einen in seinen Schlussanträgen allein mit grundsätzlichen Aspekten befasse und das fragliche Verfahren als "verfassungsrechtlich" einstufe und dass er zum anderen nicht auf die Sachverhaltselemente eingehe, ohne die jedoch nicht über das gerügte Verhalten entschieden werden könne.

50 Insoweit ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof nach Artikel 61 seiner Verfahrensordnung die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung von Amts wegen, auf Vorschlag des Generalanwalts oder auch auf Antrag der Parteien anordnen kann, wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält oder ein zwischen den Parteien nicht erörtertes Vorbringen als entscheidungserheblich ansieht (vgl. u. a. Beschluss vom 4. Februar 2000 in der Rechtssache C-17/98, Emesa Sugar, Slg. 2000, I-665, Randnr. 18, und Urteil vom 14. Dezember 2004 in der Rechtssache C-210/03, Swedish Match, Slg. 2004, I-11893, Randnr. 25).

51 Im vorliegenden Fall geht aus dem Wiedereröffnungsantrag hervor, dass es sich in Wirklichkeit um eine Stellungnahme zu den Schlussanträgen des Generalanwalts handelt. In diesem Antrag werden keine Sachverhaltselemente oder Rechtsvorschriften genannt, auf die sich der Generalanwalt gestützt haben soll und die zwischen den Parteien nicht erörtert wurden. Überdies ist der Gerichtshof der Auffassung, dass er über sämtliche für eine Entscheidung in der Sache nötigen Angaben verfügt.

52 Infolgedessen ist nach Anhörung des Generalanwalts der Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zurückzuweisen.

Zur Klage

Vorbemerkungen

53 Die gegen Frau Cresson erhobenen Vorwürfe beruhen auf den Bestimmungen der Artikel 213 EG und 126 EA. Da diese Bestimmungen übereinstimmen, sind Bezugnahmen auf Artikel 213 EG auch als Bezugnahmen auf Artikel 126 EA zu verstehen.

54 Der vorliegende Rechtsstreit erfordert eine Prüfung folgender Fragen: die Tragweite von Artikel 213 Absatz 2 EG, die Beachtung der Verfahrensregeln und verschiedener von Frau Cresson angeführter Rechte, insbesondere der Verteidigungsrechte, die Folgen des Strafverfahrens, das Vorliegen einer Verletzung der in Artikel 213 Absatz 2 EG genannten Pflichten und gegebenenfalls die Verhängung einer Sanktion.

55 Die von Frau Cresson erhobene Einrede der Unzulässigkeit beruht auf mehreren Gründen. Zunächst könne Artikel 213 EG im vorliegenden Fall keine tragfähige Rechtsgrundlage für die Anrufung des Gerichtshofes darstellen. Sodann habe der Einstellungsbeschluss der Chambre du conseil des Tribunal de première instance Brüssel das von der Kommission eingeleitete Disziplinarverfahren seines Gegenstands und seines Inhalts beraubt. Schließlich sei der Frau Cresson zur Last gelegte Sachverhalt unbedeutend.

56 Diese Unzulässigkeitsgründe sind jedoch untrennbar mit den durch den Rechtsstreit aufgeworfenen und in Randnummer 54 des vorliegenden Urteils genannten inhaltlichen Fragen verbunden. So stehen die Problematik der Rechtsgrundlage der Klage und die angeblich geringe Bedeutung des zur Last gelegten Sachverhalts in Zusammenhang mit der Analyse der Fragen nach der Tragweite von Artikel 213 Absatz 2 EG und dem Vorliegen einer Verletzung der dort genannten Pflichten. Die Auswirkungen der Verfahrenseinstellung durch das angerufene Strafgericht hängen mit der Frage nach den zu prüfenden Folgen des Strafverfahrens zusammen. Auf diese Unzulässigkeitsgründe wird deshalb im Rahmen der inhaltlichen Prüfung der Rechtssache eingegangen.

Zur Tragweite von Artikel 213 Absatz 2 EG

Stellungnahmen der Parteien

57 Die Kommission macht geltend, Artikel 213 Absatz 2 EG betreffe die Verletzung der Pflichten, die sich für ihre Mitglieder aus deren Amt ergäben. Ein Kommissionsmitglied, das nicht zum allgemeinen Wohl handele oder sich von Erwägungen leiten lasse, die von einem persönlichen oder privaten Interesse finanzieller oder anderer Art bestimmt würden, verletze diese Pflichten.

58 Da Frau Cresson eine solche Pflichtverletzung vorgeworfen werde, würden die beantragte Verurteilung und die erforderliche Sanktion in Form der völligen oder teilweisen Aberkennung ihrer Ruhegehaltsansprüche oder anderer an deren Stelle gewährter Vergünstigungen zutreffend auf Artikel 213 Absatz 2 EG gestützt.

59 Frau Cresson trägt vor, diese Bestimmung könne nicht als Rechtsgrundlage für die Anrufung des Gerichtshofes dienen.

60 Erstens könnten Verletzungen der Pflichten nach Artikel 213 Absatz 2 Unterabsätze 1 und 2 EG, die von Kommissionsmitgliedern während ihrer Amtszeit begangen würden, abgesehen von der Annahme externer Tätigkeiten nach den Bestimmungen von Artikel 216 EG nur mit Amtsenthebung geahndet werden.

61 Da die Kommission ihr eine solche Pflichtverletzung vorwerfe, könne sie keine Klage auf Aberkennung ihrer Ruhegehaltsansprüche oder anderer an deren Stelle gewährter Vergünstigungen erheben. Eine solche Sanktion sei weder in Artikel 213 Absatz 2 EG noch in einer anderen Bestimmung des Gemeinschaftsrechts vorgesehen.

62 Zweitens kämen die Bestimmungen von Artikel 213 Absatz 2 Unterabsatz 3 EG zur Anwendung, wenn ein Kommissionsmitglied seine Pflicht zur Ehrenhaftigkeit und Zurückhaltung bei der Annahme gewisser externer Tätigkeiten während oder nach Ablauf seiner Amtszeit verletze. In diesem Fall sei als Sanktion entweder die Amtsenthebung unter den in Artikel 216 EG genannten Voraussetzungen, wenn die Tätigkeit während der Amtszeit des Kommissionsmitglieds ausgeübt werde, oder die Aberkennung der Ruhegehaltsansprüche oder anderer an deren Stelle gewährter Vergünstigungen vorgesehen, wenn die Tätigkeit nach Ablauf der Amtszeit ausgeübt werde.

63 Da ihr keine Verletzung des Verbots der Ausübung externer Tätigkeiten zur Last gelegt werde, seien die Bestimmungen von Artikel 213 Absatz 2 Unterabsatz 3 EG auf sie nicht anwendbar.

Würdigung durch den Gerichtshof

64 Anhand des Wortlauts von Artikel 213 Absatz 2 EG ist zu prüfen, ob die Kommission ihre Klage zu Recht auf diese Bestimmung gestützt hat.

65 Dieser Absatz 2 legt in drei Unterabsätzen die wichtigsten Pflichten und Verbote fest, die für die Mitglieder der Kommission gelten.

66 Nach Unterabsatz 1 müssen die Mitglieder ihre Tätigkeit in voller Unabhängigkeit zum allgemeinen Wohl der Gemeinschaften ausüben.

67 In Unterabsatz 2 wird diese Pflicht zur Unabhängigkeit dahin gehend konkretisiert, dass sie gegenüber allen Regierungen und anderen Stellen besteht.

68 Unterabsatz 3 sieht zunächst vor, dass es den Mitgliedern der Kommission untersagt ist, eine andere Tätigkeit neben ihrem Amt auszuüben.

69 Sodann wird in diesem Unterabsatz in allgemeiner Form erläutert, wie die Mitglieder der Kommission ihr Amt auszuüben haben. So müssen sie die sich aus ihrem Amt als Kommissionsmitglied ergebenden Pflichten erfüllen. Dazu gehört u. a. die Pflicht, bei der Annahme gewisser Tätigkeiten oder Vorteile nach Ablauf ihrer Amtszeit ehrenhaft und zurückhaltend zu sein. Da es sich dabei nur um ein Beispiel handelt, können die in diesem Unterabsatz genannten Pflichten entgegen dem Vorbringen von Frau Cresson nicht auf das Verbot der Ausübung von Tätigkeiten neben dem Amt als Kommissionsmitglied und die Erfordernisse der Ehrenhaftigkeit und Zurückhaltung bei der Annahme von Tätigkeiten nach Ablauf der Amtszeit beschränkt sein.

70 Da es in Unterabsatz 3 keine Einschränkung des Begriffes "sich aus ihrem Amt ergebende Pflichten" gibt, ist er weit zu verstehen. Angesichts der hohen Verantwortung, die die Mitglieder der Kommission tragen, müssen sie nämlich, wie der Generalanwalt in Nummer 74 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die strengsten Vorgaben für ihr Verhalten erfüllen. Der genannte Begriff ist deshalb dahin zu verstehen, dass er neben den in Artikel 213 Absatz 2 Unterabsatz 3 EG ausdrücklich erwähnten Pflichten zur Ehrenhaftigkeit und Zurückhaltung sämtliche Pflichten umfasst, die sich aus dem Amt als Kommissionsmitglied ergeben; dazu gehört die in Artikel 213 Absatz 2 Unterabsatz 1 EG aufgestellte Pflicht, in voller Unabhängigkeit und zum allgemeinen Wohl der Gemeinschaften zu handeln.

71 Die Mitglieder der Kommission müssen somit jederzeit dem allgemeinen Wohl der Gemeinschaften Vorrang nicht nur vor nationalen Interessen, sondern auch vor persönlichen Interessen einräumen.

72 Auch wenn die Mitglieder der Kommission demnach darauf achten müssen, sich in untadeliger Weise zu verhalten, folgt daraus jedoch nicht, dass die geringste Abweichung von diesen Normen nach Artikel 213 Absatz 2 EG gerügt werden könnte. Es muss eine Pflichtverletzung von gewissem Schweregrad vorliegen.

73 Nach Artikel 213 Absatz 2 Unterabsatz 3 EG kann der Gerichtshof im Fall der Verletzung der sich aus dem Amt als Kommissionsmitglied ergebenden Pflichten eine Sanktion in Form der Amtsenthebung oder der Aberkennung der Ruhegehaltsansprüche des Betroffenen oder anderer an deren Stelle gewährter Vergünstigungen aussprechen. Die Amtsenthebung ist nur möglich, wenn eine Pflichtverletzung begangen und verfolgt wird, solange sich das betreffende Kommissionsmitglied noch im Amt befindet. Die Aberkennung der Ruhegehaltsansprüche oder anderer an deren Stelle gewährter Vergünstigungen kann dagegen erfolgen, wenn die Pflichtverletzung während oder nach Ablauf der Amtszeit begangen wird. Mangels näherer Angaben zum Umfang der Aberkennung der Ruhegehaltsansprüche oder anderer an deren Stelle gewährter Vergünstigungen steht es dem Gerichtshof frei, sie je nach dem Schweregrad der Pflichtverletzung ganz oder teilweise abzuerkennen.

74 Entgegen dem Vorbringen von Frau Cresson kann somit der Umstand, dass die Amtszeit eines Kommissionsmitglieds abgelaufen ist und es deshalb nicht mehr seines Amtes enthoben werden kann, der Verhängung einer Sanktion gegen dieses Kommissionsmitglied wegen einer Pflichtverletzung, die während seiner Amtszeit begangen, aber erst nach deren Ablauf entdeckt oder nachgewiesen wurde, nicht entgegenstehen.

75 Folglich stellt Artikel 213 Absatz 2 EG, auf dessen Grundlage der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache angerufen wurde, damit er feststellt, dass Frau Cresson die ihr nach dieser Bestimmung obliegenden Pflichten verletzt hat, und ihr ihre Ruhegehaltsansprüche oder andere an deren Stelle gewährte Vergünstigungen aberkennt, eine zutreffende Rechtsgrundlage dar.

Zur Beachtung der Verfahrensregeln und verschiedener von Frau Cresson angeführter Rechte, insbesondere der Verteidigungsrechte

Stellungnahme von Frau Cresson

76 Nach Ansicht von Frau Cresson wurden die Verfahrensregeln und verschiedene Rechte, insbesondere die Verteidigungsrechte, nicht beachtet. Dies habe die Rechtmäßigkeit sowohl des Verwaltungsverfahrens vor der Kommission als auch des Rechtsstreits vor dem Gerichtshof beeinträchtigt, so dass der Gerichtshof die Klage für unzulässig erklären müsse.

- Die Rüge der Unzuständigkeit

77 Frau Cresson trägt vor, die Verwaltungsuntersuchung sei zu Unrecht von Herrn Reichenbach, dem Generaldirektor für Personal und Verwaltung, in seiner Eigenschaft als Anstellungsbehörde auf der Grundlage des IDOC-Berichts eingeleitet worden. Der Generaldirektor sei für die Entscheidung über die Einleitung des Verfahrens nicht zuständig gewesen; sie hätte gegebenenfalls dem Kommissionskollegium oblegen.

- Die Nichteinhaltung angemessener Fristen

78 Frau Cresson führt aus, die Einleitung des Disziplinarverfahrens im Jahr 2003, mehr als sieben Jahre nach dem von der Kommission beanstandeten Sachverhalt, sei insbesondere angesichts der Existenz verschiedener seit langem verfügbarer Berichte über diesen Sachverhalt und der mangelnden Komplexität der Angelegenheit inakzeptabel.

- Die unzulässige Häufung von Funktionen bei der Kommission

79 Frau Cresson macht geltend, die Kommission habe mehrere Funktionen ausgeübt, die getrennt hätten wahrgenommen werden müssen.

80 Die Kommission habe nicht nur die Rolle der Disziplinarbehörde übernommen, sondern auch als "Ermittlungsrichter" agiert, indem sie dem belgischen Ermittlungsrichter alle zur Begründung der Strafbarkeit von Frau Cresson geeigneten Informationen geliefert, mehrere Untersuchungen in Auftrag gegeben und ein Disziplinarverfahren gegen Frau Cresson eingeleitet habe. Außerdem habe sie bei dem Beschluss, den Gerichtshof anzurufen, die Anklägerrolle gespielt.

81 Diese Häufung von Funktionen beeinträchtige den Anspruch auf ein faires Verfahren.

- Die Ausübung von Druck auf die Kommission

82 Frau Cresson meint, das Parlament habe Druck auf die Kommission ausgeübt und diese habe ihm nachgegeben. Die Kommission habe dadurch zu ihren Lasten die Pflicht zur Unvoreingenommenheit verletzt.

- Verschiedene Verfahrensfehler

83 Frau Cresson trägt vor, es seien zahlreiche Verstöße gegen die im Beschluss vom 19. Februar 2002 über die Errichtung des IDOC aufgestellten Regeln begangen worden. Die vom IDOC herangezogenen Ermittler hätten nicht nur aus dessen Mitarbeitern bestanden, sondern es seien auch Beamte anderer Dienststellen der Kommission darunter gewesen. In den Berichten des IDOC würden keine individuellen Verantwortlichkeiten festgestellt, und sie enthielten weder Empfehlungen noch Schlussfolgerungen. Obwohl das IDOC dem OLAF insofern untergeordnet sei, als es in erster Linie dem OLAF obliege, in Fällen von Betrug, Korruption und sonstigen gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft gerichteten rechtswidrigen Handlungen eine Verwaltungsuntersuchung vorzunehmen und abzuschließen, habe das IDOC unter Missachtung dieser Regel zusätzliche Verwaltungsuntersuchungen durchgeführt. Frau Cresson fügt hinzu, sie sei während dieser Untersuchungen weder ordnungsgemäß informiert noch angehört worden. Insbesondere sei ihr nicht mitgeteilt worden, dass sie zur Verantwortung gezogen werden könne, und da ihr die Berichte der Verwaltungsuntersuchungen in Bezug auf Herrn Berthelot und Herrn Riedinger nicht zugestellt worden seien, habe sie keine Stellungnahme abgeben können.

84 Frau Cresson führt weiter aus, die gegen mehrere an der Einstellung von Herrn Berthelot beteiligte Beamte der Kommission eingeleiteten Disziplinarverfahren hätten sich überschnitten. Sie sei über das Ergebnis dieser Verfahren trotz deren Auswirkungen auf ihre Sache nicht ordnungsgemäß informiert worden. Schließlich hätten die mit dem Fall von Herrn Berthelot befassten Ermittler des IDOC ihr Mandat überschritten, indem sie bei dieser Gelegenheit Fragen nach dem Fall von Herrn Riedinger gestellt hätten.

85 Was die Untersuchungen des OLAF anbelange, so enthielten die ihr zur Verfügung gestellten Akten nicht die erforderlichen Ermächtigungen aller an diesen Untersuchungen mitwirkenden Bediensteten. Auch die für jede Untersuchungsmaßnahme nötigen Aufträge fehlten. Die Regelwidrigkeit der Maßnahmen des OLAF bewirke die Ungültigkeit der Verwaltungsuntersuchungen, die zu dem Bericht vom 22. Februar 2002 über den Fall von Herrn Berthelot geführt hätten.

- Der fehlende Zugang zu zwei Rechtszügen

86 Frau Cresson macht geltend, das schwerwiegendste Problem betreffe den fehlenden Zugang zu zwei Rechtszügen. Falls der Gerichtshof entscheide, ihr eine Sanktion aufzuerlegen, stehe ihr kein Rechtsbehelf zu. Ein Beamter der Europäischen Gemeinschaften verfüge sowohl im Stadium des Verwaltungsverfahrens als auch im gerichtlichen Verfahren über weit größere als die für Mitglieder der Kommission vorgesehenen Garantien. Er könne insbesondere gegen eine Entscheidung der Anstellungsbehörde Klage vor dem Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften erheben und dann ein Rechtsmittel beim Gerichtshof einlegen. Das Fehlen der Möglichkeit, die Entscheidung des Gerichtshofes anzufechten, stelle eine Grundrechtsverletzung dar.

Würdigung durch den Gerichtshof

87 Zum ersten Verteidigungsmittel von Frau Cresson, mit dem sie rügt, dass der Generaldirektor für Personal und Verwaltung für die Einleitung von Verwaltungsuntersuchungen auf der Grundlage der IDOC-Berichte und für die Eröffnung des Verwaltungsverfahrens nicht zuständig gewesen sei, ist zunächst festzustellen, dass die fraglichen Verwaltungsuntersuchungen, wie die Kommission zutreffend geltend gemacht hat, vor der Errichtung des IDOC eingeleitet wurden.

88 Was sodann die Eröffnung des Verwaltungsverfahrens angeht, so konkretisierte sie sich durch die Übermittlung der Mitteilung der Vorwürfe an Frau Cresson. Über diese Mitteilung entschied aber nicht der Generaldirektor für Personal und Verwaltung, sondern die Kommission selbst. Auf Letztere und nicht auf den Generaldirektor geht somit die Eröffnung des Verwaltungsverfahrens zurück.

89 Folglich greift das erste Verteidigungsmittel nicht durch.

90 Für die Einleitung der in Artikel 213 Absatz 2 EG vorgesehenen Maßnahme ist in dieser Bestimmung keine spezielle Frist vorgesehen. Gleichwohl verfügt die Kommission in diesem Rahmen nicht über unbegrenzte Fristen. Mangels einschlägiger Vorschriften muss sie bestrebt sein, nicht unbegrenzt lange zu warten, ehe sie von ihren Befugnissen Gebrauch macht, damit das grundlegende Erfordernis der Rechtssicherheit gewahrt wird (vgl. Urteile vom 24. September 2002 in den Rechtssachen C-74/00 P und C-75/00 P, Falck und Acciaierie di Bolzano/Kommission, Slg. 2002, I-7869, Randnr. 140, und vom 23. Februar 2006 in den Rechtssachen C-346/03 und C-529/03, Atzeni u. a., Slg. 2006, I-00000, Randnr. 61) und damit es den Betroffenen nicht erschwert wird, die Argumente der Kommission zu widerlegen, so dass die Verteidigungsrechte nicht verletzt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Mai 1991 in der Rechtssache C-96/89, Kommission/Niederlande, Slg. 1991, I-2461, Randnr. 16).

91 Im vorliegenden Fall gehen die gegen Frau Cresson erhobenen Vorwürfe auf das Jahr 1995 zurück, da die Einstellung von Herrn Berthelot im September 1995 erfolgte und Herrn Riedinger die Vertragsangebote im gleichen Jahr unterbreitet wurden. Der erste Untersuchungsbericht hierüber wurde vom Ausschuss unabhängiger Sachverständiger erstellt und datiert vom März 1999. Danach wurden vom OLAF und vom IDOC zwischen 1999 und 2002 Untersuchungsberichte vorgelegt. Die Kommission wartete die Vorlage des letzten dieser Berichte ab, bevor sie ein Verfahren gegen Frau Cresson einleitete.

92 Da Artikel 213 Absatz 2 EG noch nie zuvor herangezogen worden war, um ein Verfahren gegen ein Kommissionsmitglied wegen dessen Verhalten während seiner Amtszeit einzuleiten, durfte die Kommission es als erforderlich ansehen, besondere Sorgfalt walten zu lassen. Unter diesen Umständen haben die Entscheidung, im Januar 2003 durch die Übersendung einer Mitteilung der Vorwürfe ein Verwaltungsverfahren gegen Frau Cresson einzuleiten, und die Übersendung dieser Mitteilung an die Betroffene im Mai 2003 keinen sachwidrigen Charakter. Im Übrigen hat Frau Cresson keinen Nachweis dafür erbracht, dass sich die Dauer des Verfahrens vor der Kommission auf die Art und Weise der Gestaltung ihrer Verteidigung ausgewirkt hätte.

93 Frau Cresson wirft der Kommission vor, mehrere Funktionen verschiedener Behörden in sich vereint und dadurch den Anspruch auf ein faires Verfahren beeinträchtigt zu haben. Diese Häufung von Funktionen bei der Kommission hindere sie daran, in ihrer Rolle als Disziplinarbehörde hinreichend unvoreingenommen zu sein.

94 Dieses Verteidigungsmittel ist jedoch zurückzuweisen, da die Kommission nicht befugt ist, eine Verletzung der sich aus dem Amt als Kommissionsmitglied ergebenden Pflichten festzustellen. Aus den Bestimmungen von Artikel 213 Absatz 2 EG ergibt sich nämlich, dass die Kommission bei einer mutmaßlichen Pflichtverletzung eines Kommissionsmitglieds nur den Gerichtshof anrufen kann. Dieser hat eine etwaige Verletzung der sich aus dem Amt des Kommissionsmitglieds ergebenden Pflichten festzustellen und ihm eine Sanktion aufzuerlegen.

95 Auch das folgende Verteidigungsmittel, das den angeblich vom Parlament auf die Kommission ausgeübten Druck betrifft, der die Kommission daran gehindert haben soll, unvoreingenommen zu handeln, kann keinen Erfolg haben.

96 Unabhängig davon, welchem Druck die Kommission ausgesetzt gewesen sein mag, obliegt es nämlich dem Gerichtshof, gestützt auf alle ihm vorgelegten Aktenstücke in der Sache zu entscheiden.

97 Folglich stellt die Behauptung, dass auf die Kommission Druck ausgeübt worden sei, kein stichhaltiges Argument dar.

98 Die Ausführungen von Frau Cresson zu verschiedenen Verstößen gegen Verfahrensregeln und zur Beeinträchtigung des Anspruchs auf zwei Rechtszüge sollen das Vorliegen von - insbesondere die Verteidigungsrechte beeinträchtigenden - Unregelmäßigkeiten oder Versäumnissen im Verfahren belegen, die geeignet sein sollen, den Gegenstand des beim Gerichtshof anhängigen Rechtsstreits und die Prüfung der Sache durch ihn in Frage zu stellen.

99 Frau Cresson rügt zunächst Verstöße gegen die im Beschluss vom 19. Februar 2002 über die Errichtung des IDOC aufgestellten Regeln. Bei den fraglichen Verwaltungsuntersuchungen seien diese Regeln nicht beachtet worden.

100 Hierzu ist jedoch festzustellen, dass diese Untersuchungen begannen und fast vollständig durchgeführt wurden, bevor das IDOC errichtet wurde. In Bezug auf Herrn Riedinger waren die durchgeführten Verwaltungsuntersuchungen vor diesem Zeitpunkt abgeschlossen, da sie zu einem am 8. August 2001 vorgelegten Bericht führten. In Bezug auf Herrn Berthelot wurden die Untersuchungen durch einen am 22. Februar 2002, drei Tage nach der Errichtung des IDOC, vorgelegten Bericht abgeschlossen.

101 Frau Cresson stellt auch die Gültigkeit der Untersuchungen des OLAF in Abrede, auf die sich die Generaldirektion Personal und Verwaltung und dann das IDOC bei der Durchführung ihrer eigenen ergänzenden Verwaltungsuntersuchungen gestützt hätten.

102 Ohne dass das Vorbringen von Frau Cresson zu Formfehlern im Untersuchungsverfahren des OLAF geprüft zu werden braucht, ist hierzu festzustellen, dass die Generaldirektion Personal und Verwaltung ihre eigenen Untersuchungen angestellt und ihre Bericht eigenständig erarbeitet hat und dass diese vom IDOC nach seiner Errichtung übernommen wurden. Auf diesen Berichten und nicht auf etwaigen Berichten des OLAF beruhte die Mitteilung der Vorwürfe.

103 Sodann stellt sich die Frage, ob trotz des Fehlens eingehender Regeln für die in Artikel 213 Absatz 2 EG genannte Maßnahme die Verteidigungsrechte beachtet wurden.

104 Es ist daran zu erinnern, dass die Beachtung der Verteidigungsrechte in allen Verfahren, die zu einer den Betroffenen beschwerenden Maßnahme führen können, ein fundamentaler Grundsatz des Gemeinschaftsrechts ist, der auch dann sichergestellt werden muss, wenn eine Regelung für das betreffende Verfahren fehlt. Nach ständiger Rechtsprechung verlangt die Beachtung der Verteidigungsrechte, dass demjenigen, gegen den die Kommission ein Verwaltungsverfahren eingeleitet hat, in diesem Verfahren Gelegenheit gegeben wird, zum Vorliegen und zur Erheblichkeit der angeführten Tatsachen und Umstände sowie zu den von der Kommission zur Stützung ihrer Behauptung einer Verletzung des Gemeinschaftsrechts herangezogenen Unterlagen gebührend Stellung zu nehmen (vgl. Urteil vom 10. Juli 1986 in der Rechtssache 234/84, Belgien/Kommission, Slg. 1986, 2263, Randnr. 27).

105 Folglich ist zu prüfen, ob Frau Cresson rechtzeitig über die gegen sie erhobenen Vorwürfe informiert wurde und ob sie die Möglichkeit hatte, gehört zu werden.

106 Der auf der Grundlage von Artikel 213 Absatz 2 EG gegen Frau Cresson eingeleiteten Maßnahme ging ein von der Kommission aufgrund vorangegangener Verwaltungsuntersuchungen eröffnetes Verwaltungsverfahren voraus.

107 Wie den Akten des Gerichtshofes zu entnehmen ist, wurde Frau Cresson im Lauf der Verwaltungsuntersuchungen mehrmals von den zuständigen Dienststellen kontaktiert und gab mit Schreiben vom 24. September, 22. Oktober und 17. Dezember 2001 Stellungnahmen ab.

108 Das Verwaltungsverfahren begann mit der Übersendung der Mitteilung der Vorwürfe an Frau Cresson am 6. Mai 2003. Sie erhielt Akteneinsicht und wurde zur Abgabe einer Stellungnahme aufgefordert. Sie verfügte über eine Frist von mehr als vier Monaten zur Beantwortung dieser Mitteilung. Frau Cresson nahm am 30. September 2003 schriftlich und am 30. Juni 2004 mündlich Stellung. Die Kommission beschloss am 19. Juli 2004, den Gerichtshof anzurufen.

109 Der Ablauf des Verwaltungsverfahrens lässt keine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte erkennen.

110 Vielmehr hat die Kommission, indem sie Frau Cresson eine Mitteilung der Vorwürfe übersandte, in der der gesamte ihr zur Last gelegte Sachverhalt und dessen rechtliche Würdigung wiedergegeben wurden, ihr Akteneinsicht verschaffte, sie zur Abgabe einer Stellungnahme innerhalb einer Frist aufforderte, die mindestens zwei Monate betrug, und sie anhörte, ein Verfahren angewandt, bei dem die Verteidigungsrechte beachtet wurden.

111 Zu der beim Gerichtshof erhobenen Klage macht Frau Cresson geltend, falls der Gerichtshof gegen sie eine Sanktion verhänge, verfüge sie über keinen Rechtsbehelf. Dieses Fehlen eines Rechtsbehelfs stelle eine Beeinträchtigung grundlegender Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz dar. Ein europäischer Beamter könne dagegen eine Entscheidung der Anstellungsbehörde vor dem Gericht anfechten und dann ein Rechtsmittel beim Gerichtshof einlegen.

112 Insoweit ist Artikel 2 Absatz 1 des Protokolls Nr. 7 zu der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu erwähnen, wonach derjenige, der von einem Gericht verurteilt worden ist, das Recht hat, das Urteil von einem übergeordneten Gericht nachprüfen zu lassen. Selbst wenn diese Bestimmung im Rahmen eines auf Artikel 213 Absatz 2 EG gestützten Verfahrens anwendbar sein sollte, genügt der Hinweis, dass nach Artikel 2 Absatz 2 des genannten Protokolls Ausnahmen von diesem Recht u. a. in Fällen möglich sind, in denen das Verfahren in erster Instanz vor dem obersten Gericht stattgefunden hat.

113 Das Fehlen eines Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung des Gerichtshofes stellt daher kein Versäumnis dar, das die Ansprüche der Kommissionsmitglieder auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz beeinträchtigen könnte, und kann im vorliegenden Fall nicht zur Unwirksamkeit der Anrufung des Gerichtshofes führen.

114 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass alle von Frau Cresson vorgebrachten Verteidigungsmittel, die sich auf Verfahrensfragen und auf die Beachtung verschiedener Rechte, insbesondere der Verteidigungsrechte, beziehen, zurückzuweisen sind.

Zu den Folgen des Strafverfahrens

Stellungnahmen der Parteien

115 Frau Cresson macht geltend, da die Kommission dem Strafverfahren als Zivilpartei beigetreten sei, gelte der Grundsatz, dass das Strafverfahren das Disziplinarverfahren hemme. Daraus folge, dass bei Identität des Sachverhalts, um den es im Rahmen des Strafverfahrens und des Disziplinarverfahrens gehe, die Schlussfolgerungen des Strafgerichts für die Disziplinarbehörden bindend seien. Dies ergebe sich aus dem Urteil des Gerichts vom 10. Juni 2004 in der Rechtssache T-307/01 (François/Kommission, Slg. 2004, II-1669, Randnrn. 73 bis 75). Im vorliegenden Fall sei der Sachverhalt in beiden Verfahren identisch, denn es gehe hauptsächlich um eine das allgemeine Wohl der Gemeinschaften beeinträchtigende Missachtung der Regelung in Bezug auf die Einstellung und die Arbeitsbedingungen von Herrn Berthelot.

116 Die Chambre du conseil des Tribunal de première instance Brüssel habe die Abgabe an das in der Sache entscheidende Gericht abgelehnt, wobei es sich die Ausführungen der Staatsanwaltschaft zu eigen gemacht habe, dass der behauptete Sachverhalt oder eine Beteiligung von Frau Cresson an ihm nicht erwiesen sei. Dieser Einstellungsbeschluss habe die Maßnahme der Kommission ihres Gegenstands und ihres Inhalts beraubt.

117 Auch die Kommission bejaht die Anwendbarkeit des Grundsatzes, dass das Strafverfahren das Disziplinarverfahren hemmt, im Gemeinschaftsrecht, zieht daraus aber andere Schlüsse. Aus ihm folge zum einen, dass dann, wenn ein Disziplinarverfahren parallel zu einem Strafverfahren aufgrund desselben Sachverhalts eingeleitet werde, das Disziplinarverfahren bis zum Abschluss des Strafverfahrens ausgesetzt werden müsse, und zum anderen, dass die Disziplinarbehörde an die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts gebunden sei. In der vorliegenden Rechtssache unterscheide sich der Sachverhalt des Strafverfahrens jedoch von dem des Disziplinarverfahrens. Das Strafgericht habe geprüft, ob sich Frau Cresson insbesondere des Betruges und der Veruntreuung schuldig gemacht habe. Der Gerichtshof müsse prüfen, ob sie durch Günstlingswirtschaft oder grobe Fahrlässigkeit die sich aus ihrem Amt ergebenden Pflichten verletzt habe. Folglich sei der Gerichtshof weder an die Feststellungen des Strafgerichts noch an dessen Einstellungsbeschluss gebunden.

Würdigung durch den Gerichtshof

118 Es ist daran zu erinnern, dass die einen Beamten oder Bediensteten der Gemeinschaften betreffenden Disziplinarverfahren, wie sie Gegenstand des Urteils François/Kommission waren, und die ein Mitglied der Kommission betreffenden Verfahren nicht denselben Regeln unterliegen. Erstere sind im Statut der Beamten der Europäischen Gemeinschaften geregelt, während für Letztere nach Artikel 213 Absatz 2 EG ein eigenes Verfahren gilt. Folglich sind die bei Ersteren angewandten Lösungen nicht unbedingt auf Letztere übertragbar.

119 Bei Frau Cresson führte das Strafverfahren in den Jahren 1999 bis 2004 zu einer Prüfung der gegen sie erhobenen Vorwürfe.

120 Soweit sich die in diesem Verfahren getroffenen Feststellungen auf Tatsachen beziehen, die auch im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 213 Absatz 2 EG geprüft werden, und soweit sich diese Feststellungen in den Akten des Gerichtshofes befinden, kann er sie bei seiner Prüfung des Frau Cresson anhand des genannten Artikels zur Last gelegten Sachverhalts berücksichtigen.

121 Der Gerichtshof ist jedoch nicht an die rechtliche Würdigung des Sachverhalts im Rahmen des Strafverfahrens gebunden, und er hat nach freiem Ermessen zu prüfen, ob der im Rahmen eines auf Artikel 213 Absatz 2 EG gestützten Verfahrens gerügte Sachverhalt eine Verletzung der sich aus dem Amt als Kommissionsmitglied ergebenden Pflichten darstellt.

122 Der Beschluss der Chambre du conseil des Tribunal de première instance Brüssel, mit dem das Fehlen von Anklagepunkten gegen Frau Cresson festgestellt wurde, kann daher den Gerichtshof nicht binden.

123 Was den einzigen zunächst von der Staatsanwaltschaft beibehaltenen Anklagepunkt - die Erstellung fiktiver Dienstreiseaufträge für Herrn Berthelot - angeht, so kann der Gerichtshof die aus den strafrechtlichen Ermittlungen hervorgegangenen und von der Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift wiedergegebenen Feststellungen berücksichtigen, ist jedoch nicht an sie gebunden.

124 Was die Einstellung von Herrn Berthelot angeht, so sind die Feststellungen in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft, dass der Lebenslauf von Herrn Berthelot mit dem Lebenslauf anderer von der Kommission eingestellter Gastwissenschaftler vergleichbar war und dass Personal der Dienststellen der Kommission häufig zu den Kabinetten der Mitglieder des Organs abgeordnet wurde oder die offizielle Ausstattung der Kabinette verstärkte, ebenfalls relevant und können vom Gerichtshof berücksichtigt werden.

125 Dagegen stellt der von der Staatsanwaltschaft aus diesen Feststellungen gezogene Schluss, dass die Einstellung von Herrn Berthelot insofern rechtmäßig war, als sie nicht gegen eine von der Kommission aufgestellte Regel verstieß, eine Würdigung von Tatsachen dar. Diese Würdigung beruht auf einer den Gerichtshof nicht bindenden Prüfung und Auslegung der Gemeinschaftsvorschriften insbesondere im Bereich der Einstellung von Gastwissenschaftlern.

Zum Vorliegen einer Verletzung der in Artikel 213 Absatz 2 EG genannten Pflichten

Stellungnahmen der Parteien

126 Nach Ansicht der Kommission geht aus den Akten in Bezug auf Herrn Berthelot und Herrn Riedinger hervor, dass Frau Cresson durch Günstlingswirtschaft oder grobe Fahrlässigkeit die sich aus ihrem Amt als Kommissionsmitglied ergebenden Pflichten verletzt habe.

127 Frau Cresson hält die Einstellung von Herrn Berthelot für rechtmäßig und hebt hervor, dass sie von der Verwaltung vorgenommen worden sei. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass ein Kommissionsmitglied über alle verwaltungstechnischen Aspekte einer Einstellung informiert werde. Die Herrn Riedinger betreffenden Akten seien inhaltslos.

Würdigung durch den Gerichtshof

128 Die in den Randnummern 10 bis 26 des vorliegenden Urteils geschilderten Fälle von Herrn Berthelot und Herrn Riedinger sind gesondert zu prüfen.

- Zur Einstellung und zu den Beschäftigungsbedingungen von Herrn Berthelot

129 Es stellt sich die Frage, ob die Tatsache, dass Herr Berthelot als Gastwissenschaftler eingestellt wurde, um Aufgaben als persönlicher Berater von Frau Cresson wahrzunehmen, und die Bedingungen seiner Beschäftigung eine Verletzung der sich aus dem Amt von Frau Cresson als Kommissionsmitglied ergebenden Pflichten darstellen.

130 Ein Mitglied der Kommission verfügt über ein Kabinett, das aus Mitarbeitern besteht, die seine persönlichen Berater sind. Die Einstellung dieser Mitarbeiter erfolgt personenbezogen, d. h. mit großem Ermessensspielraum, da sie sowohl wegen ihrer fachlichen und charakterlichen Qualitäten als auch wegen ihrer Fähigkeit ausgewählt werden, sich der jeweiligen Arbeitsweise des betreffenden Kommissionsmitglieds und seines gesamten Kabinetts anzupassen.

131 Neben den Angehörigen seines Kabinetts verfügt ein Kommissionsmitglied über andere personelle Mittel. Er kann sich u. a. auf das Personal der Dienststellen der Kommission stützen, auf Sachverständige zurückgreifen oder für begrenzte Zeiträume unter Einhaltung spezieller Regeln Aufträge an bestimmte Personen vergeben.

132 Im vorliegenden Fall steht fest, dass Herr Berthelot nicht als Mitglied des Kabinetts von Frau Cresson eingestellt werden konnte, da er die dafür geltende Altersgrenze überschritten hatte. Außerdem bestand das Kabinett von Frau Cresson bereits; dies bedeutet, dass alle Stellen für persönliche Berater besetzt waren, so dass Frau Cresson grundsätzlich kein weiterer persönlicher Berater zustand.

133 Frau Cresson erreichte gleichwohl, dass Herr Berthelot von ihren Dienststellen eingestellt wurde. Er wurde als Gastwissenschaftler eingestellt, um in Wirklichkeit Aufgaben als persönlicher Berater wahrzunehmen.

134 Insoweit geht aus den Randnummern 132 und 133 des vorliegenden Urteils hervor, dass die Anstellung von Herrn Berthelot eine Umgehung der Vorschriften über die Einstellung von Kabinettsmitgliedern darstellt.

135 Die streitige Einstellung verletzt auch die Vorschriften über die Einstellung von Gastwissenschaftlern.

136 Erstens wurde Herr Berthelot entgegen den Bestimmungen von Artikel 1 Absatz 3 des Beschlusses über Gastwissenschaftler nicht eingestellt, um Aufgaben als Gastwissenschaftler wahrzunehmen, so dass der Zweck seines Aufenthalts - ein vertiefter Austausch der Kenntnisse zwischen ihm und den Verantwortlichen der Forschungstätigkeiten der GD XII und der GFS - missachtet wurde. Seine Einstellung diente allein dazu, ihm die Wahrnehmung von Aufgaben im Kabinett von Frau Cresson zu ermöglichen. Die Vorschriften über Gastwissenschaftler wurden daher zweckentfremdet.

137 Der in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft erwähnte Umstand, dass das Personal der Gemeinschaftsorgane häufig zu den Kabinetten der Kommissionsmitglieder abgeordnet wurde oder ihre offizielle Ausstattung verstärkte, verschaffte der Einstellung insofern den Anschein der Rechtmäßigkeit, als sie sich in einen bestehenden Rahmen einfügte. Der Zweck dieser Abordnungen wurde jedoch im vorliegenden Fall nicht eingehalten. Sie betreffen Personen, die zuvor aufgrund ihrer Verdienste, oft durch Auswahlverfahren, eingestellt wurden, ihre Sachkunde in Wahrnehmung ihrer Aufgaben innerhalb der Dienststellen zum allgemeinen Wohl der Gemeinschaften nachgewiesen haben und sie sodann in den Dienst der Kabinette stellen. Dass Herr Berthelot sofort dem Kabinett von Frau Cresson zur Verfügung gestellt wurde, entsprach nicht dem Zweck dieser gängigen Praxis.

138 Zweitens sieht der Beschluss über Gastwissenschaftler vor, dass die Betreffenden unter Professoren an Hochschulen oder höheren wissenschaftlichen Schulen oder unter wissenschaftlichem Personal hohen Niveaus anderer Forschungsorganisationen mit gutem Ruf im Bereich der Forschung ausgewählt werden. Mangels besonderer Eigenschaften oder Erfahrungen lassen allein die von Herrn Berthelot in seinem Lebenslauf angeführten und in Randnummer 10 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Qualifikationen nicht den Schluss zu, dass seine Einstellung die in der fraglichen Regelung vorgesehenen Kriterien erfüllte. Folglich ist das Interesse an der Einstellung von Herrn Berthelot bei der GD XII und der GFS nicht dargetan.

139 Drittens überschritt der Vertrag von Herrn Berthelot, dessen Laufzeit dreißig Monate betrug, die insoweit geltende Obergrenze um sechs Monate. Als Herr Berthelot letztlich ausschied, geschah dies nicht, um eine Beschäftigung von unzulässiger Dauer zu beenden, sondern aus gesundheitlichen Gründen. In dieser Überschreitung kommt zum Ausdruck, dass insbesondere Frau Cresson die geltenden Vorschriften gleichgültig waren. Überdies drängte Frau Cresson nach dem Ausscheiden von Herrn Berthelot - diesmal vergebens - nochmals darauf, ein Mittel zu finden, um ihn wieder einzustellen.

140 Viertens erstellte Herr Berthelot entgegen den Anforderungen von Artikel 7 Absatz 7 des Beschlusses über Gastwissenschaftler keinen Bericht über die während seines Aufenthalts geleistete Tätigkeit. Die Verwaltung musste ihn zur Vorlage von Berichten auffordern. Die ihr letztlich vorgelegten Berichte wurden offenbar nicht von Herrn Berthelot erstellt, sondern von verschiedenen im Kabinett von Frau Cresson tätigen Personen. Außerdem dienten diese Berichte offenbar nur dazu, dem Verlangen der Verwaltung formal nachzukommen.

141 Dass Gastwissenschaftler am Ende ihres Aufenthalts nicht systematisch Berichte erstellen, kann nichts an der Feststellung ändern, dass eine der im Beschluss über Gastwissenschaftler aufgestellten Pflichten verletzt wurde.

142 Schließlich wurden für Herrn Berthelot fiktive Dienstreiseaufträge erstellt. Die Erstellung dieser Dokumente stellt eine schwerwiegende Verletzung der von den Gemeinschaftsorganen geschaffenen Vorschriften dar. Sie ist jedoch hauptsächlich Herrn Berthelot zur Last zu legen, und aus den Akten geht nicht hervor, dass Frau Cresson von ihr Kenntnis hatte oder hätte haben müssen. Unter diesen Umständen braucht auf das Verteidigungsvorbringen von Frau Cresson, dass durch diese Aufträge für fiktive Dienstreisen nur geringe Kosten entstanden seien, nicht eingegangen zu werden.

143 Die verschiedenen bei der Analyse des Falles von Herrn Berthelot zutage getretenen und insbesondere die in den Randnummern 136 bis 138 des vorliegenden Urteils genannten Verletzungen von Wortlaut und Geist der einschlägigen Regelung machen deutlich, dass es offenkundig nicht sachgerecht war, ihn als Gastwissenschaftler einzustellen, damit er Aufgaben als persönlicher Berater eines Kommissionsmitglieds wahrnimmt.

144 Die Prüfung der Einstellung und der Beschäftigungsbedingungen von Herrn Berthelot hat gezeigt, dass die einschlägigen Vorschriften zweckentfremdet wurden.

145 Angesichts der persönlichen Verwicklung von Frau Cresson in diese Einstellung, die auf ihr ausdrückliches Verlangen erfolgte, nachdem ihr mitgeteilt worden war, dass Herr Berthelot nicht in ihr Kabinett aufgenommen werden konnte, ist sie für die Einstellung und die damit verbundene Umgehung von Vorschriften verantwortlich zu machen. Sie kann sich dieser Verantwortung nicht unter Hinweis darauf entziehen, dass die Einstellung von der Verwaltung genehmigt worden sei, denn sie hat zu keinem Zeitpunkt das Bestreben zum Ausdruck gebracht, dass die zuständigen Dienststellen die Zwecksetzung der einschlägigen Regelung beachten, und sei es nur durch deren Befragung zu dieser Angelegenheit oder durch Abgabe dahin gehender Empfehlungen.

146 Frau Cresson hat somit eine Pflichtverletzung von gewissem Schweregrad begangen, als sie die Einstellung von Herrn Berthelot, einem engen Bekannten, als Gastwissenschaftler bewirkte, der die entsprechenden Tätigkeiten nicht ausübte, sondern Aufgaben als persönlicher Berater in ihrem Kabinett übernahm, obwohl dieses bereits voll besetzt war und Herr Berthelot überdies die für die Wahrnehmung solcher Aufgaben geltende Altersgrenze überschritten hatte.

147 Aus dem Vorstehenden folgt, dass Frau Cresson bei der Einstellung und in Bezug auf die Beschäftigungsbedingungen von Herrn Berthelot die sich aus ihrem Amt als Kommissionsmitglied ergebenden Pflichten im Sinne der Bestimmungen der Artikel 213 Absatz 2 EG und 126 Absatz 2 EA verletzt hat.

- Zu den Herrn Riedinger angebotenen Arbeitsverträgen

148 Die dem Gerichtshof zur Kenntnis gelangten und in den Randnummern 22 bis 26 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Anhaltspunkte lassen nicht den Schluss zu, dass Frau Cresson durch das Angebot der drei fraglichen Verträge an Herrn Riedinger die sich aus ihrem Amt als Kommissionsmitglied ergebenden Pflichten verletzt hat. Weder aus dem Titel dieser Verträge noch aus den wenigen Informationen, die die Kommission zu ihnen übermittelt hat, geht nämlich hervor, dass die Verträge nicht zum allgemeinen Wohl der Gemeinschaften dienten.

Zum Antrag auf Aberkennung der Ruhegehaltsansprüche oder anderer an deren Stelle gewährter Vergünstigungen

149 Die Verletzung der sich aus dem Amt als Kommissionsmitglied ergebenden Pflichten erfordert grundsätzlich die Verhängung einer Sanktion gemäß den Bestimmungen von Artikel 213 Absatz 2 EG.

150 Angesichts der Umstände des vorliegenden Falles ist jedoch die Feststellung der Pflichtverletzung für sich genommen als angemessene Sanktion anzusehen.

151 Folglich ist im Fall von Frau Cresson von der Verhängung einer Sanktion in Form einer Aberkennung ihrer Ruhegehaltsansprüche oder anderer an deren Stelle gewährter Vergünstigungen abzusehen.

Kostenentscheidung:

Kosten

152 Nach Artikel 69 § 2 Absatz 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 69 § 3 Absatz 1 kann der Gerichtshof die Kosten teilen oder beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Nach Artikel 69 § 4 Absatz 1 tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.

153 Da im vorliegenden Fall die Kommission und Frau Cresson mit ihrem Vorbringen teilweise unterlegen sind, sind sie zur Tragung ihrer eigenen Kosten zu verurteilen. Die Französische Republik, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten ist, trägt ihre eigenen Kosten.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Plenum) für Recht erkannt und entschieden:

1. Frau Édith Cresson hat bei der Einstellung und in Bezug auf die Beschäftigungsbedingungen von Herrn René Berthelot die sich aus ihrem Amt als Mitglied der Kommission der Europäischen Gemeinschaften ergebenden Pflichten im Sinne der Artikel 213 Absatz 2 EG und 126 Absatz 2 EA verletzt.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Frau Édith Cresson und die Französische Republik tragen ihre eigenen Kosten.



Ende der Entscheidung

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