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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 14.07.2005
Aktenzeichen: C-434/03
Rechtsgebiete: Richtlinie 77/388/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 77/388/EWG Art. 6 Abs. 2
Richtlinie 77/388/EWG Art. 17 Abs. 1
Richtlinie 77/388/EWG Art. 17 Abs. 2
Richtlinie 77/388/EWG Art. 17 Abs. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichtshofes (Große) vom 14. Juli 2005. - P. Charles und T. S. Charles-Tijmens gegen Staatssecretaris van Financiën. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Hoge Raad der Nederlanden - Niederlande. - Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie - Vorsteuerabzug - Immobilie, die teilweise für das Unternehmen und teilweise privat verwendet wird. - Rechtssache C-434/03.

Parteien:

In der Rechtssache C434/03

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) mit Entscheidung vom 10. Oktober 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Oktober 2003, in dem Verfahren

P. Charles,

T. S. Charles-Tijmens

gegen

Staatssecretaris van Financiën,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans und A. Rosas, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten K. Lenaerts und A. Borg Barthet sowie der Richter S. von Bahr (Berichterstatter), J. N. Cunha Rodrigues, J. Makarczyk, P. Kris, E. Juhász und G. Arestis,

Generalanwalt: F. G. Jacobs,

Kanzler: K. Sztranc, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. November 2004,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- von Herrn Charles und Frau Charles-Tijmens, vertreten durch E. H. van den Elsen, adviseur, und G. Volkerink, belastingsadviseur,

- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster und C. ten Dam als Bevollmächtigte,

- der deutschen Regierung, vertreten durch A. Tiemann als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch L. Ström van Lier und A. Weimar als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. Januar 2005

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 6 Absatz 2 und 17 Absätze 1, 2 und 6 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 (ABl. L 102, S. 18) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie).

2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Charles und Frau CharlesTijmens einerseits und dem Staatssecretaris van Financiën andererseits über dessen Weigerung, dem Antrag der Eheleute auf Erstattung der gesamten Mehrwertsteuer stattzugeben, die sie für einen Ferienbungalow entrichtet haben, der während 87,5 % der Nutzungszeit vermietet und während 12,5 % dieser Zeit für den privaten Bedarf verwendet wurde.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3. Artikel 6 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

Dienstleistungen gegen Entgelt werden gleichgestellt:

a) die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen, für den Bedarf seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke, wenn dieser Gegenstand zum vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hat;

b) die unentgeltliche Erbringung von Dienstleistungen durch den Steuerpflichtigen für seinen privaten Bedarf, oder für den Bedarf seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke.

Die Mitgliedstaaten können Abweichungen von diesem Absatz vorsehen, sofern solche Abweichungen nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führen.

4. Artikel 17 Absätze 2 und 6 der Sechsten Richtlinie lautet:

(2) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a) die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden,

...

(6) Der Rat legt auf Vorschlag der Kommission vor Ablauf eines Zeitraums von vier Jahren nach dem Inkrafttreten dieser Richtlinie einstimmig fest, bei welchen Ausgaben die Mehrwertsteuer nicht abziehbar ist. Auf jeden Fall werden diejenigen Ausgaben vom Vorsteuerabzugsrecht ausgeschlossen, die keinen streng geschäftlichen Charakter haben, wie Luxusausgaben, Ausgaben für Vergnügungen und Repräsentationsaufwendungen.

Bis zum Inkrafttreten der vorstehend bezeichneten Bestimmungen können die Mitgliedstaaten alle Ausschlüsse beibehalten, die in den in ihren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie bestehenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehen sind.

Nationales Recht

5. Artikel 2 des Gesetzes über die Umsatzsteuer (Wet op de omzetbelasting 1968, im Folgenden: Umsatzsteuergesetz) bestimmt:

Von der Steuer, die für Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen zu zahlen ist, wird die Steuer auf Lieferungen von Gegenständen an den Unternehmer und ihm erbrachte Dienstleistungen, auf von ihm durchgeführte innergemeinschaftliche Erwerbe von Gegenständen und auf die Einfuhr von für ihn bestimmten Waren abgezogen.

6. Das Recht auf Vorsteuerabzug wird in Artikel 15 des Umsatzsteuergesetzes mit folgenden Worten genauer geregelt:

1. Die vom Unternehmer nach Artikel 2 abzuziehende Steuer ist

a) die Steuer, die andere Unternehmer ihm durch eine vorschriftsgemäß erstellte Rechnung während des Zeitraums für die Steuererklärung für die Gegenstände und Dienstleistungen, die sie ihm geliefert oder erbracht haben, in Rechnung gestellt haben;

...

soweit der Unternehmer die Gegenstände und Dienstleistungen im Rahmen seines Unternehmens verwendet

...

4. Die Steuer wird gemäß der Bestimmung der Gegenstände und Dienstleistungen in dem Zeitpunkt, zu dem die Steuer dem Unternehmer in Rechnung gestellt wird, oder in dem Zeitpunkt, zu dem sie fällig wird, abgezogen. Wenn sich in dem Zeitpunkt, zu dem sich der Unternehmer anschickt, die Gegenstände und Dienstleistungen zu verwenden, herausstellt, dass er die damit zusammenhängende Steuer zu einem größeren oder kleineren Teil abgezogen hat, als er aufgrund der Verwendung der Gegenstände oder Dienstleistungen berechtigt ist, so wird die zu viel abgezogene Steuer zu diesem Zeitpunkt fällig. Die fällig gewordene Steuer wird nach Artikel 14 [des Umsatzsteuergesetzes] entrichtet. Die zu wenig abgezogene Steuer wird ihm auf seinen Antrag erstattet.

...

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

7. Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass Herr Charles und Frau CharlesTijmens im März 1997 gemeinsam einen in den Niederlanden gelegenen Ferienbungalow erwarben. Dieser war für die Vermietung wie auch für die private Verwendung bestimmt und wurde in dem für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraum, d. h. vom 1. April bis 30. Juni 1997 während 87,5 % der Nutzungszeit vermietet und während 12,5 % dieser Zeit für den privaten Bedarf verwendet.

8. Der Hoge Raad der Nederlanden stellt fest, dass Herr Charles und Frau CharlesTijmens aufgrund der genannten Vermietung Steuerpflichtige im Sinne der Sechsten Richtlinie und Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuergesetzes seien. Da der genannte Bungalow an Personen vermietet wird, die sich dort nur sehr kurze Zeit aufhalten, und da die Vermietung im Rahmen einer Ferienanlage stattfindet, fällt eine solche Vermietung nicht unter die Befreiung von der Mehrwertsteuer, die gemäß Artikel 13 Teil B Buchstabe b Nummer 1 der Sechsten Richtlinie in den Niederlanden für die Vermietung von Immobilien gilt.

9. In ihrer Mehrwertsteuerklärung für das zweite Quartal des Jahres 1997 zogen Herr Charles und Frau CharlesTijmens 87,5 % der Mehrwertsteuer ab, die ihnen für den Bungalow in Rechnung gestellt worden war. Sie beantragten daher die Erstattung des entsprechenden Betrages bei dem für die Entscheidung über diesen Antrag zuständigen Inspecteur.

10. Mit Bescheid vom 1. Oktober 1997 gewährte dieser Herrn Charles und Frau CharlesTijmens die Erstattung, die sie beantragt hatten. Da sie der Ansicht waren, dass die von ihnen bezahlte Vorsteuer zu 100 % abziehbar sei, beantragten sie dennoch eine ergänzende Erstattung, die den 12,5 % der Nutzungszeit entsprach, in denen sie den Bungalow für den privaten Bedarf verwendet hatten.

11. Da der Inspecteur den genannten Antrag für unzulässig erklärte, erhoben Herr Charles und Frau CharlesTijmens beim Gerechtshof Herzogenbusch Klage. Dieses Gericht hob die Entscheidung über die Unzulässigkeit auf, aber bestätigte in der Sache die Entscheidung des Inspecteur und stellte fest, da der Bungalow zu 12,5 % der gesamten Nutzungszeit für den privaten Bedarf verwendet worden sei, seien die Steuerpflichtigen nicht berechtigt gewesen, die gesamte für diesen Bungalow gezahlte Mehrwertsteuer abzuziehen.

12. Herr Charles und Frau CharlesTijmens legten ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerechtshof Herzogenbusch beim Hoge Raad der Nederlanden ein. Zur Stützung ihres Rechtsmittels machen sie geltend, dass sich aus Artikel 6 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie ergebe, dass die private Verwendung des Bungalows ein steuerbarer Umsatz sei, weil sie sich dafür entschieden hätten, das Gebäude insgesamt in das Unternehmensvermögen einzubeziehen, was sie nach Artikel 17 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie dazu berechtige, die in diesem Rahmen angefallene Vorsteuer vollständig abzuziehen (vgl. u. a. Urteile vom 4. Oktober 1995 in der Rechtssache C291/92, Armbrecht, Slg. 1995, I2775, und vom 8. März 2001 in der Rechtssache C415/98, Bakcsi, Slg. 2001, I1831).

13. Herr Charles und Frau CharlesTijmens fügen hinzu, Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie ändere nichts an dieser Auslegung, da das niederländische Recht zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Sechsten Richtlinie außer bei für den Personentransport bestimmten Kraftfahrzeugen keinen Ausschluss vom Recht auf Vorsteuerabzug im Sinne dieser Bestimmung vorgesehen habe.

14. Der Hoge Raad der Nederlanden weist darauf hin, dass die niederländische Regelung über die Gegenstände und Dienstleistungen, die wie die im Ausgangsverfahren gemischten Zwecken zugeordnet seien, 1969 in Anwendung von Artikel 11 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie 67/228/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Struktur und Anwendungsmodalitäten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems (ABl. 1967, Nr. 71, S. 1303, im Folgenden: Zweite Richtlinie) in den Niederlanden eingeführt worden sei.

15. Diese Regelung führe zu von denen der Sechsten Richtlinie abweichenden Folgen, wobei diese in bestimmten Fällen für den Steuerpflichtigen günstiger und in anderen Fällen ungünstiger seien. Denn diese Richtlinie verleihe dem Steuerpflichtigen ein sofortiges und vollständiges Vorsteuerabzugsrecht, und die Korrektur für die Verwendung eines Gegenstands außerhalb des Unternehmens finde erst bei dieser Verwendung statt. Dagegen sei im durch das Umsatzsteuergesetz eingeführten System direkt oder zumindest während des ersten Jahres nachzuweisen, inwieweit der Gegenstand in Zukunft außerhalb des Unternehmens verwendet werde.

16. Der Hoge Raad der Nederlanden stellt hierzu fest, dass Artikel 12 Absatz 3 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1968 (Uitvoeringasbeschikking omzetbelasting 1968, Stcrt. 1968, Nr. 169), die nach Artikel 15 Absatz 6 des Umsatzsteuergesetzes erlassen worden sei, bestimme, dass bei Erklärung für den letzten Steuerzeitraum eines bestimmten Steuerjahres eine Neuberechnung der abgezogenen Mehrwertsteuer auf der Grundlage der für das ganze Steuerjahr anwendbaren Angaben stattfinde. Nach diesem Steuerjahr finde keine Berechnung oder Überprüfung des Vorsteuerabzugs mehr statt.

17. Unter diesen Umständen hat der Hoge Raad der Nederlanden das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist ein gesetzliches System, das bereits vor der Inkraftsetzung der Sechsten Richtlinie bestand und folgende Merkmale hat:

- Ausschluss der Möglichkeit, sich bei einem Investitionsgut oder einem gleichgestellten Gegenstand oder einer gleichgestellten Dienstleistung für die vollständige Zugehörigkeit zum Unternehmensvermögen zu entscheiden, falls der Erwerber diesen Gegenstand oder diese Dienstleistung sowohl innerhalb seines Unternehmens als auch außerhalb davon (namentlich für den privaten Bedarf) verwendet;

- zugleich damit verbundener Ausschluss der Möglichkeit, die zur Anschaffung dieses Gegenstands oder dieser Dienstleistung in Rechnung gestellte Steuer sofort und vollständig abzuziehen;

- keine Mehrwertsteuererhebung nach Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie

mit der Sechsten Richtlinie - insbesondere den Artikeln 17 Absätze 1, 2 und 6 sowie 6 Absatz 2 - vereinbar?

Zur Vorlagefrage

18. Mit seiner Frage will das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Artikel 6 Absatz 2 und 17 Absätze 2 und 6 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer vor Inkrafttreten dieser Richtlinie erlassenen nationalen Regelung wie der des Ausgangsverfahrens entgegenstehen, die es ausschließt, dass ein Steuerpflichtiger ein Investitionsgut, das zum Teil für Zwecke des Unternehmens und zum Teil für andere Zwecke verwendet wird, insgesamt seinem Unternehmen zuordnet, in einer solchen Situation den vollständigen und sofortigen Abzug der beim Erwerb dieses Gegenstands geschuldeten Mehrwertsteuer nicht zulässt und nicht vorsieht, dass deren Verwendung zu unternehmensfremden Zwecken Dienstleistungen gegen Entgelt gleichgestellt ist.

Erklärungen vor dem Gerichtshof

19. Herr Charles und Frau CharlesTijmens sind der Ansicht, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche der Rechtsprechung des Gerichtshofes im Bereich der Mehrwertsteuer, insbesondere dem Urteil vom 8. Mai 2003 in der Rechtssache C269/00 (Seeling, Slg. 2003, I4101), widerspricht.

20. Die niederländische und die deutsche Regierung machen geltend, wenn ein Mitgliedstaat, von der in Artikel 6 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit der Abweichung Gebrauch machend, der Ansicht sei, dass eine solche Verwendung kein steuerbarer Umsatz sei, so gestatte es ihm Artikel 17 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie, ein Investitionsgut oder einen gleichgestellten Gegenstand oder eine gleichgestellte Dienstleistung vom Recht auf Vorsteuerabzug auszuschließen, soweit der Steuerpflichtige diesen Gegenstand oder diese Dienstleistung zu unternehmensfremden Zwecken, namentlich für den privaten Bedarf, verwende.

21. Für den Fall, dass der Gerichtshof befinden sollte, dass die Artikel 17 Absatz 2 und 6 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie keinen Ausschluss des Vorsteuerabzugsrechts wie im Ausgangsverfahren zuließen, vertritt die niederländische Regierung die Ansicht, dass Absatz 6 des genannten Artikels 17 einem Mitgliedstaat erlaube, eine nationale Regelung beizubehalten, die vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie bestanden habe und die ein Investitionsgut oder einen gleichgestellten Gegenstand oder eine gleichgestellte Dienstleistung vom Recht auf Vorsteuerabzug ausschließe, wenn der Steuerpflichtige diesen Gegenstand oder diese Dienstleistung zu unternehmensfremden Zwecken, namentlich für den privaten Bedarf, verwende.

22. Die Kommission ist der Meinung, dass eine gesetzliche Regelung, die gemäß der in Artikel 6 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Abweichungsm öglichkeit die Verwendung eines Investitionsguts oder eines gleichgestellten Gegenstands oder einer gleichgestellten Dienstleistung für den privaten Bedarf nicht besteuere und folglich keinen Vorsteuerabzug für diese Art Gegenstand oder Dienstleistung zulasse, soweit sie für den privaten Bedarf verwendet werde, mit der Sechsten Richtlinie vereinbar sei.

Würdigung durch den Gerichtshof

23. Zunächst ist daran zu erinnern, dass der Steuerpflichtige nach ständiger Rechtsprechung, wenn ein Investitionsgut sowohl für unternehmerische als auch für private Zwecke verwendet wird, im Hinblick auf die Mehrwertsteuer die Wahl hat, diesen Gegenstand in vollem Umfang dem Unternehmensvermögen zuzuordnen oder ihn in vollem Umfang in seinem Privatvermögen zu belassen, wodurch er dem Mehrwertsteuersystem vollständig entzogen wird, oder auch ihn nur im Umfang der tatsächlichen unternehmerischen Verwendung in sein Unternehmen einzubeziehen (vgl. in diesem Sinne u. a. die oben genannten Urteile Armbrecht, Randnr. 20; Bakcsi, Randnrn. 25 und 26; Seeling, Randnr. 40, und vom 21. April 2005 in der Rechtssache C25/03, HE, Slg. 2005, I0000, Randnr. 46).

24. Entscheidet sich der Steuerpflichtige dafür, dass Investitionsgüter, die sowohl für unternehmerische als auch für private Zwecke verwendet werden, als Gegenstände des Unternehmens behandelt werden, so ist die beim Erwerb dieser Gegenstände geschuldete Vorsteuer grundsätzlich vollständig und sofort abziehbar (vgl. insbesondere Urteil vom 11. Juli 1991 in der Rechtssache C97/90, Lennartz, Slg. 1991, I3795, Randnr. 26, sowie die oben genannten Urteile Bakcsi, Randnr. 25, und Seeling, Randnr. 41).

25. Nach Artikel 6 Absatz 2 Unterabsatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie ist die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen, für den Bedarf seines Personals oder für unternehmensfremde Zwecke einer Dienstleistung gegen Entgelt gleichgestellt, wenn dieser Gegenstand zum vollen oder teilweisen Abzug der entrichteten Mehrwertsteuer berechtigt hat. Diese Verwendung, die also einen besteuerten Umsatz im Sinne von Artikel 17 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie darstellt, wird nach deren Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe c auf der Grundlage des Betrages der Ausgaben für die Erbringung der Dienstleistung besteuert (vgl. in diesem Sinne die oben genannten Urteile Lennartz, Randnr. 26, Bakcsi, Randnr. 30, und Seeling, Randnr. 42).

26. In Bezug auf Artikel 6 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie ist vorweg daran zu erinnern, dass Ausnahmen von der Harmonisierung genau zu umschreiben sind. Denn jeder Rückgriff auf Ausnahmeregelungen bei der Mehrwertsteuer führt zu unterschiedlich hohen steuerlichen Belastungen in den Mitgliedstaaten.

27. Weiter ist der genannte Artikel 6 Absatz 2 Unterabsatz 2 grundsätzlich so zu verstehen, dass die Mitgliedstaaten insbesondere zu dem Zweck, die Verwaltungsverfahren für die Einziehung der Mehrwertsteuer zu vereinfachen, davon absehen können, bestimmte Leistungen oder Verwendungen Dienstleistungen gegen Entgelt gleichzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. September 2003 in der Rechtssache C155/01, Cookies World, Slg. 2003, I8785, Randnr. 59).

28. Artikel 6 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie kann jedoch nicht dazu führen, dass die Mitgliedstaaten den Steuerpflichtigen, die sich dafür entschieden haben, Investitionsgüter, die sowohl für unternehmerische als auch für private Zwecke verwendet werden, als Gegenstände des Unternehmens zu behandeln, verbieten können, die beim Erwerb dieser Gegenstände geschuldete Vorsteuer vollständig und sofort abzuziehen, worauf sie nach der in Randnummer 24 dieses Urteils genannten Rechtsprechung ein Recht haben. Eine solche Beschränkung des Vorsteuerabzugsrechts widerspräche Artikel 6 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie.

29. Außerdem entspräche ein allgemeiner auf Artikel 6 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie gestützter Verzicht auf die Besteuerung der Verwendung eines Teils eines Investitionsguts für den privaten Bedarf eines Steuerpflichtigen, wenn dieser die beim Erwerb des betreffenden Gegenstands geschuldete Vorsteuer vollständig hat abziehen können, auch nicht der genannten Vorschrift, da er unvermeidlich zu einer Wettbewerbsverzerrung führen würde.

30. Daher ist ein Steuerpflichtiger einerseits berechtigt, sich dafür zu entscheiden, ein Investitionsgut, das er zum Teil für Zwecke des Unternehmens und zum Teil für diesem fremde Zwecke verwendet, insgesamt seinem Unternehmen zuzuordnen, und gegebenenfalls zum vollständigen und sofortigen Abzug der beim Erwerb dieses Gegenstands geschuldeten Mehrwertsteuer befugt und hat andererseits grundsätzlich die diesem Recht korrespondierende Verpflichtung, die Mehrwertsteuer auf den Betrag der Ausgaben für die Verwendung des genannten Gegenstands für unternehmensfremde Zwecke zu zahlen (vgl. in diesem Sinne Urteil Seeling, Randnr. 43).

31. Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie erlaubt einem Mitgliedstaat zwar, wie es die niederländische Regierung vorträgt, eine nationale Regelung beizubehalten, die vor dem Inkrafttreten der Sechsten Richtlinie bestand. Jedoch setzt diese Vorschrift voraus, dass die Ausschlüsse, die die Mitgliedstaaten nach dieser Bestimmung beibehalten dürfen, nach der Zweiten Richtlinie, die der Sechsten Richtlinie vorausging, rechtmäßig waren (vgl. Urteil vom 5. Oktober 1999 in der Rechtssache C305/97, Royscot u. a., Slg. 1999, I-6671, Randnr. 21).

32. Artikel 11 der Zweiten Richtlinie, mit dem in Absatz 1 das Recht auf Vorsteuerabzug eingeführt wurde, sah in Absatz 4 vor, dass die Mitgliedstaaten [b]estimmte Gegenstände und bestimmte Dienstleistungen..., und zwar insbesondere die Gegenstände und Dienstleistungen, die ganz oder teilweise für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen oder seines Personals verwendet werden können, von der Regelung des Vorsteuerabzugs ausschließen können.

33. Diese letztgenannte Vorschrift räumte daher den Mitgliedstaaten kein uneingeschränktes Ermessen ein, alle oder praktisch alle Gegenstände und Dienstleistungen vom Vorsteuerabzug auszuschließen und auf diese Weise die Regelung in Artikel 11 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie gegenstandslos zu machen (vgl. Urteil Royscot u. a., Randnr. 24).

34. Demnach erlaubt Artikel 11 Absatz 4 der Zweiten Richtlinie den Mitgliedstaaten zwar, bestimmte Gegenstände, wie z. B. Kraftfahrzeuge, von der Vorsteuerabzugsregelung auszuschließen, nicht aber, von dieser Regelung alle Gegenstände auszuschließen, soweit sie für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen verwendet werden.

35. Daraus folgt, dass Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie in Verbindung mit Artikel 11 Absatz 4 der Zweiten Richtlinie den Mitgliedstaaten nicht gestattet, einen allgemeinen Ausschluss von der Regelung des Vorsteuerabzugs für alle Gegenstände des Steuerpflichtigen beizubehalten, soweit sie für dessen privaten Bedarf verwendet werden.

36. Daher ist auf die Frage zu antworten, dass die Artikel 6 Absatz 2 und 17 Absätze 2 und 6 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer vor Inkrafttreten dieser Richtlinie erlassenen nationalen Regelung wie der des Ausgangsverfahrens entgegenstehen, die es ausschließt, dass ein Steuerpflichtiger ein Investitionsgut, das zum Teil für Zwecke des Unternehmens und zum Teil für andere Zwecke verwendet wird, insgesamt seinem Unternehmen zuordnet und gegebenenfalls die beim Erwerb dieses Gegenstands geschuldete Mehrwertsteuer vollständig und sofort abzieht.

Kosten

37. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Die Artikel 6 Absatz 2 und 17 Absätze 2 und 6 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sind dahin auszulegen, dass sie einer vor Inkrafttreten dieser Richtlinie erlassenen nationalen Regelung wie der des Ausgangsverfahrens entgegenstehen, die es ausschließt, dass ein Steuerpflichtiger ein Investitionsgut, das zum Teil für Zwecke des Unternehmens und zum Teil für andere Zwecke verwendet wird, insgesamt seinem Unternehmen zuordnet und gegebenenfalls die beim Erwerb dieses Gegenstands geschuldete Mehrwertsteuer vollständig und sofort abzieht.

Ende der Entscheidung

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