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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 11.02.2004
Aktenzeichen: C-438/03
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Beschluss des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 11. Februar 2004. - Antonio Cannito gegen La Fondiaria Assicurazioni SpA (C-438/03), Pasqualina Murgolo gegen Assitalia Assicurazioni SpA (C-439/03), Vincenzo Manfredi gegen Lloyd Adriatico Assicurazioni SpA (C-509/03) und Nicolò Tricarico gegen Assitalia Assicurazioni SpA (C-2/04). - Ersuchen um Vorabentscheidung: Giudice di pace di Bitonto - Italien. - Verbundene Rechtssachen C-438/03, C-439/03, C-509/03 und C-2/04.

Parteien:

In den verbundenen Rechtssachen C-438/03, C-439/03, C-509/03 und C-2/04

betreffend dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Giudice di pace von Bitonto (Italien) in den bei diesem anhängigen Rechtsstreitigkeiten

Antonio Cannito

gegen

Fondiaria Assicurazioni SpA (C-438/03),

Pasqualina Murgolo

gegen

Assitalia Assicurazioni SpA (C-439/03),

Vincenzo Manfredi

gegen

Lloyd Adriatico Assicurazioni SpA (C-509/03)

Nicolò Tricarico

gegen

Assitalia Assicurazioni SpA (C-2/04)

vorgelegte Ersuchen um Vorabentscheidung insbesondere über die Auslegung der Artikel 81 EG und 82 EG

underlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Gulmann, des Richters S. von Bahr (Berichterstatter) und der Richterin R. Silva de Lapuerta,

Generalanwalt: L. A. Geelhoed,

Kanzler: R. Grass,

nach Anhörung des Generalanwalts

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

1. Der Giudice di pace von Bitonto hat mit Beschlüssen vom

- 6. Oktober 2003, eingegangen beim Gerichtshof am 16. Oktober 2003 (C438/03 und C439/03),

- 21. November 2003, eingegangen beim Gerichtshof am 4. Dezember 2003 (C509/03), und

- 20. Dezember 2003, eingegangen beim Gerichtshof am 5. Januar 2004 (C2/04),

gemäß Artikel 234 EG mehrere Fragen insbesondere nach der Auslegung der Artikel 81 EG und 82 EG zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2. Diese Fragen stellen sich im Rahmen von Schadensersatzklagen von Herrn Cannito, Frau Murgolo, Herrn Manfredi und Herrn Tricarico gegen die Versicherungsgesellschaften Fondiaria Assicurazioni SpA, Assitalia Assicurazioni SpA, Lloyd Adriatico Assicurazioni SpA und Assitalia Assicurazioni SpA, die nach Ansicht der Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato (italienische Wettbewerbsaufsichtsbehörde, im Folgenden: AGCM) an einem Kartell im Versicherungssektor beteiligt waren.

Ausgangsverfahren und Vorabentscheidungsfragen

3. Aus den Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass die AGCM eine Entscheidung in Bezug auf ein von mehreren Versicherungsgesellschaften im Bereich der zivilrechtlichen Haftung bei Verkehrsunfällen errichtetes Kartell erließ. Diese Entscheidung wurde von den betroffenen Unternehmen angefochten und führte zum Urteil des Tribunale amministrativo regionale del Lazio (Italien) vom 5. Juli 2001 und dann zum Urteil des Consiglio di Stato (Italien) vom 23. April 2002.

4. Da der Giudice di pace von Bitonto der Ansicht war, dass die Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts, insbesondere der Artikel 81 EG und 82 EG, erforderlich mache, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

- In den Rechtssachen C438/03 und C439/03:

1. Stellen die im Urteil Nr. 2199 des Consiglio di Stato vom 23. April 2002 und im Urteil Nr. 6139 des [Tribunale amministrativo regionale del Lazio] vom 5. Juli 2001 endgültig festgestellten Tatsachen, die als hier vollständig wiedergegeben gelten müssen, Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht, insbesondere gegen die Artikel 81 [EG] und 82 EG, dar?

2. Führt ein Verstoß gegen die Artikel 81 [EG] und 82 EG zu der Verpflichtung des Zuwiderhandelnden, die Endverbraucher und alle diejenigen, die nachweisen, dass ihnen ein Schaden entstanden ist, zu entschädigen?

3. Muss das nationale Gericht außer der Rückzahlung der gemeinschaftsrechtswidrig erlangten Beträge anordnen, dass dem Geschädigten (nach dem Gemeinschaftsrecht) von denjenigen, die die unzulässige Vereinbarung geschlossen oder eine beherrschende Stellung missbräuchlich ausgenutzt haben, auch Schadensersatz als Strafsanktion zu zahlen ist?

4. Ist nach dem Gemeinschaftsrecht auch für einen immateriellen Schaden Ersatz zu leisten?

5. Muss das nationale Gericht nach dem Gemeinschaftsrecht von Amts wegen auf Schadensersatz als Strafsanktion und Ersatz für immaterielle Schäden erkennen?

6. Ist die nach dem italienischen Recht vorgesehene einjährige Frist für die Erhebung einer Schadensersatzklage wegen Verstoßes gegen die Artikel 81 [EG] und 82 EG zu kurz, und verstößt sie daher gegen das Gemeinschaftsrecht?

7. Beginnt nach dem Gemeinschaftsrecht die Frist für die Erhebung einer Schadensersatzklage im Zeitpunkt der Begehung oder in dem der Beendigung des Verstoßes gegen die Artikel 81 [EG] und 82 EG?

8. Enthält das Gemeinschaftsrecht für das nationale Gericht die Verpflichtung, gemeinschaftsrechtswidrige nationale Vorschriften nicht anzuwenden oder aber sie gemeinschaftsrechtskonform auszulegen?

- In den Rechtssachen C509/03 und C2/04:

1. Stellen die im Urteil Nr. 2199 des Consiglio di Stato vom 23. April 2002 und im Urteil Nr. 6139 des [Tribunale amministrativo regionale del Lazio] vom 5. Juli 2001 endgültig festgestellten Tatsachen, die als hier vollständig wiedergegeben gelten müssen, sowie die Entscheidung der italienischen AGCM, auf die sich diese beiden Urteile beziehen (über ein Kartell mehrerer Versicherungsgesellschaften für die KraftfahrzeugHaftpflichtversicherung), Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht, insbesondere gegen die Artikel 81 [EG] und 82 EG, dar?

2. Führt ein Verstoß gegen die Artikel 81 [EG] und 82 EG zu der Verpflichtung des Zuwiderhandelnden, die Endverbraucher und alle diejenigen, die Dritte bezüglich der Vereinbarung oder des Missbrauchs sind und die nachweisen, dass ihnen ein Schaden entstanden ist, zu entschädigen?

3. Muss das nationale Gericht außer der Rückzahlung der gemeinschaftsrechtswidrig erlangten Beträge anordnen, dass dem Geschädigten (nach dem Gemeinschaftsrecht) von denjenigen, die die unzulässige Vereinbarung geschlossen oder eine beherrschende Stellung missbräuchlich ausgenutzt haben, auch Schadensersatz als Strafsanktion zu zahlen ist?

4. Ist nach dem Gemeinschaftsrecht auch für einen immateriellen Schaden Ersatz zu leisten?

5. Muss das nationale Gericht nach dem Gemeinschaftsrecht von Amts wegen auf Schadensersatz als Strafsanktion und Ersatz für immaterielle Schäden erkennen?

6. Ist die nach dem italienischen Recht vorgesehene einjährige Frist für die Erhebung einer Schadensersatzklage wegen Verstoßes gegen die Artikel 81 [EG] und 82 EG zu kurz, und verstößt sie daher gegen das Gemeinschaftsrecht?

7. Beginnt nach dem Gemeinschaftsrecht die Frist für die Erhebung einer Schadensersatzklage im Zeitpunkt der Begehung oder in dem der Beendigung des Verstoßes gegen die Artikel 81 [EG] und 82 EG?

8. Verstößt es gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft und/oder die grundlegenden Prinzipien des Gemeinschaftsrechts (insbesondere gegen Artikel 6 Absatz 1 und Artikel 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention), wenn eine nationale Regelung wie Artikel 3 Absatz 2 des italienischen Gesetzes Nr. 287 vom 10. Oktober 1990 vorsieht, dass sich ein durch eine im Sinne von Artikel 81 EG verbotene und nichtige Absprache oder durch eine im Sinne von Artikel 82 EG verbotene missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung geschädigter Verbraucher oder Dritter wegen des Schadensersatzes an ein anderes Gericht zu wenden hat als an das, das sachlich, durch den Streitwert bedingt oder örtlich gemäß den allgemeinen nationalen Zuständigkeitsregeln zuständig wäre, wobei Artikel 33 des Gesetzes Nr. 287/90 höhere Kosten und eine längere Verfahrensdauer als bei einer Anwendung der allgemeinen nationalen Regeln über die räumliche, die sachliche oder die durch den Streitwert bedingte Zuständigkeit zur Folge hat?

9. Verstößt es gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft und/oder die grundlegenden Prinzipien des Gemeinschaftsrechts (insbesondere gegen Artikel 6 Absatz 1 und Artikel 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention), wenn eine nationale Regelung vorsieht, dass sich ein durch eine im Sinne von Artikel 81 EG verbotene und nichtige Absprache oder durch eine im Sinne von Artikel 82 EG verbotene missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung geschädigter Verbraucher oder Dritter wegen des Schadensersatzes an ein anderes Gericht zu wenden hat als an das, das aufgrund des Sitzes der Niederlassung des Versicherungsunternehmens, mit dem er einen Versicherungsvertrag geschlossen hat, zuständig wäre, oder in dessen Bezirk der Geschädigte seinen Wohnsitz hat, auch wenn man die unterschiedlichen Kosten der Entscheidung, die mit den beiden Lösungen verbunden sind, berücksichtigt?

10. Enthält das Gemeinschaftsrecht für das nationale Gericht die Verpflichtung, gemeinschaftsrechtswidrige nationale Vorschriften nicht anzuwenden oder aber sie gemeinschaftsrechtskonform auszulegen?

Zur Verbindung

5. Da die Rechtssachen C438/03, C439/03, C509/03 und C2/04 nach ihrem Gegenstand miteinander in Zusammenhang stehen, sind sie nach Artikel 43 der Verfahrensordnung zu gemeinsamer Entscheidung zu verbinden.

Zur Zulässigkeit

6. Es ist daran zu erinnern, dass das Erfordernis, zu einer für das nationale Gericht sachdienlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu gelangen, verlangt, dass dieses Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in dem sich seine Fragen stellen, definiert oder zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutert, auf denen diese Fragen beruhen (vgl. u. a. Urteil vom 26. Januar 1993 in den Rechtssachen C320/90 bis C322/90, Telemarsicabruzzo u. a., Slg. 1993, I393, Randnr. 6, Beschlüsse vom 19. März 1993 in der Rechtssache C157/92, Banchero, Slg. 1993, I1085, Randnr. 4, vom 30. April 1998 in den Rechtssachen C128/97 und C137/97, Testa und Modesti, Slg. 1998, I2181, Randnr. 5, vom 8. Juli 1998 in der Rechtssache C9/98, Agostini, Slg. 1998, I4261, Randnr. 4, und vom 2. März 1999 in der Rechtssache C422/98, Colonia Versicherung u. a., Slg. 1999, I1279, Randnr. 4, sowie Urteil vom 13. April 2000 in der Rechtssache C176/96, Lehtonen und Castors Braine, Slg. 2000, I2681, Randnr. 22, und Beschluss vom 28. Juni 2000 in der Rechtssache C116/00, Laguillaumie, Slg. 2000, I4979, Randnr. 15). Dies gilt ganz besonders auf dem Gebiet des Wettbewerbs, das durch komplexe tatsächliche und rechtliche Verhältnisse gekennzeichnet ist (Beschluss Banchero, Randnr. 5, Urteil Lehtonen und Castors Braine, Randnr. 22, und Beschluss Laguillaumie, Randnr. 19).

7. Der Gerichtshof hat außerdem hervorgehoben, wie wichtig es ist, dass das vorlegende Gericht die genauen Gründe angibt, aus denen ihm die Auslegung des Gemeinschaftsrechts fraglich erscheint und es die Vorlage von Vorabentscheidungsfragen für erforderlich hält (Beschlüsse vom 25. Juni 1996 in der Rechtssache C101/96, Italia Testa, Slg. 1996, I3081, Randnr. 6, Testa und Modesti, Randnr. 15, und Agostini, Randnr. 6). So hat der Gerichtshof entschieden, dass es unerlässlich ist, dass das nationale Gericht ein Mindestmaß an Erläuterungen zu den Gründen für die Wahl der Gemeinschaftsbestimmungen, um deren Auslegung es ersucht, und zu dem Zusammenhang gibt, den es zwischen diesen Bestimmungen und den auf den Rechtsstreit anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften herstellt (Beschlüsse vom 7. April 1995 in der Rechtssache C167/94, Grau Gomis u. a., Slg. 1995, I1023, Randnr. 9, und Laguillaumie, Randnr. 16).

8. Schließlich sollen die Angaben in den Vorlageentscheidungen es nicht nur dem Gerichtshof erlauben, sachdienliche Antworten zu erteilen, sondern auch den Regierungen der Mitgliedstaaten und den anderen Beteiligten die Möglichkeit geben, nach Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes Erklärungen einzureichen (Beschluss Colonia Versicherung u. a., Randnr. 5). Der Gerichtshof hat darauf zu achten, dass diese Möglichkeit gewahrt wird, wobei zu berücksichtigen ist, dass den Beteiligten nach dieser Vorschrift nur die Vorlageentscheidungen zugestellt werden (Urteil vom 1. April 1982 in den Rechtssachen 141/81 bis 143/81, Holdijk u. a., Slg. 1982, 1299, Randnr. 6, Beschluss vom 13. März 1996 in der Rechtssache C326/95, Banco de Fomento e Exterior, Slg. 1996, I1385, Randnr. 7, Urteil Lehtonen und Castors Braine, Randnr. 23, und Beschluss Laguillaumie, Randnr. 14).

9. Es ist festzustellen, dass die Vorlagebeschlüsse keine Angaben enthalten, die diesen Anforderungen genügen.

10. Die Vorlagebeschlüsse definieren nicht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in dem sich die Fragen des vorlegenden Gerichts stellen. Sie erläutern auch nicht die tatsächlichen Annahmen, auf denen diese Fragen beruhen. Es heißt in diesen Beschlüssen nur, dass das vorlegende Gericht es für erforderlich halte, dem Gerichtshof Vorabentscheidungsfragen vorzulegen, um in den Ausgangsverfahren entscheiden zu können.

11. Außerdem erklärt das vorlegende Gericht nicht den Zusammenhang, der zwischen den Artikeln 81 EG und 82 EG und der tatsächlichen Situation oder den anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften existieren soll. So legt es insbesondere nicht dar, worin das gegen Artikel 81 EG verstoßende Kartell zwischen den Versicherungsgesellschaften oder der im Hinblick auf Artikel 82 EG beanstandete Missbrauch einer beherrschenden Stellung bestehen soll. Das Gericht gibt auch nicht die nationalen Vorschriften an, die es entsprechend auslegen oder außer Betracht lassen müsste.

12. Unter diesen Umständen ermöglicht eine bloße Verweisung auf in anderen Urteilen oder einer Entscheidung der zuständigen Wettbewerbsbehörde festgestellte Tatsachen es weder dem Gerichtshof, sachdienliche Antworten zu erteilen, noch werden die Regierungen der Mitgliedstaaten in die Lage versetzt, Erklärungen einzureichen.

13. Daher ist bereits in diesem Verfahrensstadium nach den Artikeln 92 § 1 und 103 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes festzustellen, dass die vorgelegten Fragen offensichtlich unzulässig sind.

Kostenentscheidung:

Kosten

14. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

beschlossen:

1. Die Rechtssachen C438/03, C439/03, C509/03 und C2/04 werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.

2. Die mit Beschlüssen vom 6. Oktober 2003 (C438/03 und C439/03), 21. November 2003 (C509/03) und 20. Dezember 2003 (C2/04) vorgelegten Vorabentscheidungsersuchen des Giudice di pace von Bitonto sind unzulässig.

Ende der Entscheidung

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