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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 22.05.2008
Aktenzeichen: C-439/06
Rechtsgebiete: Richtlinie 2003/54/EG


Vorschriften:

Richtlinie 2003/54/EG Art. 20 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

22. Mai 2008

"Elektrizitätsbinnenmarkt - Richtlinie 2003/54/EG - Art. 20 Abs. 1 - Freier Zugang Dritter zu den Netzen für die Übertragung und die Verteilung von Elektrizität"

Parteien:

In der Rechtssache C-439/06

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Oberlandesgericht Dresden (Deutschland) mit Entscheidung vom 17. Oktober 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Oktober 2006, in der Energieverwaltungssache

citiworks AG,

weitere Beteiligte:

Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit als Landesregulierungsbehörde,

Flughafen Leipzig/Halle GmbH,

Bundesnetzagentur

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richter J. N. Cunha Rodrigues, J. Klucka, der Richterin P. Lindh (Berichterstatterin) und des Richters A. Arabadjiev,

Generalanwalt: J. Mazák,

Kanzler: J. Swedenborg, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. September 2007,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der citiworks AG, vertreten durch Rechtsanwalt C. Haellmigk,

- des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Arbeit als Landesregulierungsbehörde, vertreten durch R. Huber als Bevollmächtigten,

- der Flughafen Leipzig/Halle GmbH, vertreten durch Rechtsanwälte R. Wagner und J. Kloos,

- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und J. Möller als Bevollmächtigte,

- der polnischen Regierung, vertreten durch E. Osniecka-Tamecka als Bevollmächtigte,

- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch V. Jackson als Bevollmächtigte im Beistand von A. Henshaw, Barrister,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. Schima als Bevollmächtigten,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Dezember 2007

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG (ABl. L 176, S. 37).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Verfahrens über die Beschwerde der citiworks AG (im Folgenden: citiworks) gegen den Bescheid, mit dem das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit als Landesregulierungsbehörde (im Folgenden: Regulierungsbehörde) das von der Flughafen Leipzig/Halle GmbH (im Folgenden: FLH) unterhaltene Energieversorgungsnetz als "Objektnetz" im Sinne von § 110 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz - EnWG) vom 7. Juli 2005 (BGBl. 2005 I S. 1970) eingestuft hat.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Art. 1 der Richtlinie 2003/54 lautet:

"Mit dieser Richtlinie werden gemeinsame Vorschriften für die Elektrizitätserzeugung, -übertragung, -verteilung und -versorgung erlassen. Sie regelt die Organisation und Funktionsweise des Elektrizitätssektors, den Marktzugang, die Kriterien und Verfahren für die Ausschreibungen und die Vergabe von Genehmigungen sowie den Betrieb der Netze."

4 Die Erwägungsgründe 4 bis 7 und 26 der Richtlinie 2003/54 lauten:

"(4) Die Freiheiten, die der Vertrag den europäischen Bürgern garantiert (freier Waren- und Dienstleistungsverkehr und Niederlassungsfreiheit), sind nur in einem vollständig geöffneten Markt möglich, der allen Verbrauchern die freie Wahl ihrer Lieferanten und allen Anbietern die freie Belieferung ihrer Kunden gestattet.

(5) Die Haupthindernisse für einen voll funktionsfähigen und wettbewerbsorientierten Binnenmarkt hängen unter anderem mit dem Netzzugang, der Tarifierung und einer unterschiedlichen Marktöffnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten zusammen.

(6) Ein funktionierender Wettbewerb setzt voraus, dass der Netzzugang nichtdiskriminierend, transparent und zu angemessenen Preisen gewährleistet ist.

(7) Zur Vollendung des Elektrizitätsbinnenmarkts ist ein nichtdiskriminierender Zugang zum Netz des Übertragungs- oder des Verteilernetzbetreibers von größter Bedeutung. Ein Übertragungs- oder Verteilernetzbetreiber kann aus einem oder mehreren Unternehmen bestehen.

...

(26) Die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen ist eine grundlegende Anforderung dieser Richtlinie, und es ist wichtig, dass in dieser Richtlinie von allen Mitgliedstaaten einzuhaltende gemeinsame Mindestnormen festgelegt werden, die den Zielen des Verbraucherschutzes, der Versorgungssicherheit, des Umweltschutzes und einer gleichwertigen Wettbewerbsintensität in allen Mitgliedstaaten Rechnung tragen. Gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen müssen unter Berücksichtigung der einzelstaatlichen Gegebenheiten aus nationaler Sicht ausgelegt werden können, wobei das Gemeinschaftsrecht einzuhalten ist."

5 Art. 2 ("Begriffsbestimmungen") der Richtlinie 2003/54 sieht vor:

"Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

...

3) 'Übertragung' den Transport von Elektrizität über ein Höchstspannungs- und Hochspannungsverbundnetz zum Zwecke der Belieferung von Endkunden oder Verteilern, jedoch mit Ausnahme der Versorgung;

4) 'Übertragungsnetzbetreiber' eine natürliche oder juristische Person, die verantwortlich ist für den Betrieb, die Wartung sowie erforderlichenfalls den Ausbau des Übertragungsnetzes in einem bestimmten Gebiet und gegebenenfalls der Verbindungsleitungen zu anderen Netzen sowie für die Sicherstellung der langfristigen Fähigkeit des Netzes, eine angemessene Nachfrage nach Übertragung von Elektrizität zu befriedigen;

5) 'Verteilung' den Transport von Elektrizität mit hoher, mittlerer oder niedriger Spannung über Verteilernetze zum Zwecke der Belieferung von Kunden, jedoch mit Ausnahme der Versorgung;

6) 'Verteilernetzbetreiber' eine natürliche oder juristische Person, die verantwortlich ist für den Betrieb, die Wartung sowie erforderlichenfalls den Ausbau des Verteilernetzes in einem bestimmten Gebiet und gegebenenfalls der Verbindungsleitungen zu anderen Netzen sowie für die Sicherstellung der langfristigen Fähigkeit des Netzes, eine angemessene Nachfrage nach Verteilung von Elektrizität zu befriedigen;

7) 'Kunden' Großhändler und Endkunden, die Elektrizität kaufen;

8) 'Großhändler' alle natürlichen und juristischen Personen, die Elektrizität zum Zwecke des Weiterverkaufs innerhalb oder außerhalb des Netzes, in dem sie ansässig sind, kaufen;

9) 'Endkunden' Kunden, die Elektrizität für den eigenen Verbrauch kaufen;

...

19) 'Versorgung' den Verkauf einschließlich des Weiterverkaufs von Elektrizität an Kunden;

...

26) 'kleines, isoliertes Netz' ein Netz mit einem Verbrauch von weniger als 3000 GWh im Jahr 1996, das bis zu einem Wert von weniger als 5 % seines Jahresverbrauchs mit anderen Netzen in Verbund geschaltet werden kann;

27) 'isoliertes Kleinstnetz' ein Netz mit einem Verbrauch von weniger als 500 GWh im Jahr 1996, das nicht mit anderen Netzen verbunden ist;

..."

6 Art. 3 ("Gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen und Schutz der Kunden") Abs. 8 der Richtlinie 2003/54 sieht vor:

"Die Mitgliedstaaten können beschließen, die Artikel 6, 7, 20 und 22 nicht anzuwenden, soweit ihre Anwendung die Erfüllung der den Elektrizitätsunternehmen übertragenen gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen de jure oder de facto verhindern würde und soweit die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt wird, das den Interessen der Gemeinschaft zuwiderläuft. Im Interesse der Gemeinschaft liegt insbesondere der Wettbewerb um zugelassene Kunden in Übereinstimmung mit dieser Richtlinie und Artikel 86 des Vertrags."

7 Art. 20 ("Zugang Dritter") der Richtlinie 2003/54 lautet:

"(1) Die Mitgliedstaaten gewährleisten die Einführung eines Systems für den Zugang Dritter zu den Übertragungs- und Verteilernetzen auf der Grundlage veröffentlichter Tarife; die Zugangsregelung gilt für alle zugelassenen Kunden und wird nach objektiven Kriterien und ohne Diskriminierung zwischen den Netzbenutzern angewandt. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass diese Tarife oder die Methoden zu ihrer Berechnung vor deren Inkrafttreten gemäß Artikel 23 genehmigt werden und dass die Tarife und - soweit nur die Methoden einer Genehmigung unterliegen - die Methoden vor ihrem Inkrafttreten veröffentlicht werden.

(2) Der Betreiber eines Übertragungs- oder Verteilernetzes kann den Netzzugang verweigern, wenn er nicht über die nötige Kapazität verfügt. Die Verweigerung ist hinreichend substanziiert zu begründen, insbesondere unter Berücksichtigung des Artikels 3. Die Mitgliedstaaten stellen gegebenenfalls sicher, dass der Übertragungs- bzw. Verteilernetzbetreiber bei einer Verweigerung des Netzzugangs aussagekräftige Informationen darüber bereitstellt, welche Maßnahmen zur Verstärkung des Netzes erforderlich wären. Der um solche Informationen ersuchenden Partei kann eine angemessene Gebühr in Rechnung gestellt werden, die die Kosten für die Bereitstellung dieser Informationen widerspiegelt."

8 Art. 26 ("Ausnahmeregelungen") der Richtlinie 2003/54 sieht vor:

"(1) Die Mitgliedstaaten, die nach Inkrafttreten dieser Richtlinie nachweisen können, dass sich für den Betrieb ihrer kleinen, isolierten Netze erhebliche Probleme ergeben, können Ausnahmeregelungen zu den einschlägigen Bestimmungen der Kapitel IV, V, VI und VII ..., soweit die Umrüstung, Modernisierung und Erweiterung bestehender Kapazität betroffen ist, beantragen, die ihnen von der Kommission gewährt werden können. Vor einer entsprechenden Entscheidung unterrichtet die Kommission die Mitgliedstaaten über diese Anträge unter Wahrung der Vertraulichkeit. Die Entscheidung wird im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. ...

..."

Nationales Recht

9 Das Energiewirtschaftsgesetz wurde zur Umsetzung der Richtlinie 2003/54 erlassen.

10 § 3 Nrn. 16 und 17 EnWG definieren Energieversorgungsnetze als "Elektrizitätsversorgungsnetze und Gasversorgungsnetze über eine oder mehrere Spannungsebenen oder Druckstufen" und Energieversorgungsnetze der allgemeinen Versorgung als "Energieversorgungsnetze, die der Verteilung von Energie an Dritte dienen und von ihrer Dimensionierung nicht von vornherein nur auf die Versorgung bestimmter, schon bei der Netzerrichtung feststehender oder bestimmbarer Letztverbraucher ausgelegt sind, sondern grundsätzlich für die Versorgung jedes Letztverbrauchers offen stehen".

11 § 3 Nr. 18 EnWG definiert Energieversorgungsunternehmen als natürliche oder juristische Personen, die ein Energieversorgungsnetz betreiben.

12 Teil 3 EnWG enthält u. a. die §§ 20 und 21. Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 haben Betreiber von Energieversorgungsnetzen "jedermann nach sachlich gerechtfertigten Kriterien diskriminierungsfrei Netzzugang zu gewähren sowie die Bedingungen, einschließlich Musterverträge, und Entgelte für diesen Netzzugang im Internet zu veröffentlichen".

13 § 21 Abs. 1 EnWG bestimmt:

"Die Bedingungen und Entgelte für den Netzzugang müssen angemessen, diskriminierungsfrei, transparent und dürfen nicht ungünstiger sein, als sie von den Betreibern der Energieversorgungsnetze in vergleichbaren Fällen für Leistungen innerhalb ihres Unternehmens oder gegenüber verbundenen oder assoziierten Unternehmen angewendet und tatsächlich oder kalkulatorisch in Rechnung gestellt werden."

14 § 110 Abs. 1 EnWG regelt die Voraussetzungen für die Anerkennung als Objektnetz und die Rechtsfolgen dieser Anerkennung wie folgt:

"Die Teile 2 und 3 sowie die §§ 4, 52 und 92 finden keine Anwendung auf den Betrieb von Energieversorgungsnetzen, die sich auf einem

1. räumlich zusammengehörenden Betriebsgebiet befinden sowie überwiegend dem Transport von Energie innerhalb des eigenen Unternehmens oder zu im Sinne des § 3 Nr. 38 verbundenen [Unternehmen] dienen,

2. räumlich zusammengehörenden privaten Gebiet befinden und dem Netzbetreiber oder einem Beauftragten dazu dienen, durch einen gemeinsamen übergeordneten Geschäftszweck, der

a) über reine Vermietungs- und Verpachtungsverhältnisse hinausgeht und

b) durch die Anwendung der im einleitenden Satzteil genannten Bestimmungen unzumutbar erschwert würde,

bestimmbare Letztverbraucher mit Energie zu versorgen[,] oder

3. räumlich eng zusammengehörenden Gebiet befinden und überwiegend der Eigenversorgung dienen,

sofern das Energieversorgungsnetz nicht der allgemeinen Versorgung im Sinne des § 3 Nr. 17 dient und der Betreiber des Objektnetzes oder sein Beauftragter die personelle, technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit besitzen, um den Netzbetrieb entsprechend den Vorschriften dieses Gesetzes auf Dauer zu gewährleisten."

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

15 Citiworks ist ein deutsches Energieversorgungsunternehmen. Sie beliefert seit Jahresbeginn 2004 die auf dem Flughafen Leipzig/Halle gelegene Anschlussstelle der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH mit Elektrizität. Diesem Unternehmen, das zu 100 % dem Bund gehört, obliegt die Kontrolle des Flugverkehrs in Deutschland.

16 FLH betreibt den Flughafen Leipzig/Halle. In diesem Zusammenhang unterhält sie ein Energieversorgungsnetz, durch das sie sowie weitere 93 auf dem Flughafengelände angesiedelte Unternehmen Stromlieferungen erhalten (im Folgenden: streitiges Netz). Im Jahr 2004 wurden über dieses Netz insgesamt rund 22 200 MWh geliefert, wovon 85,4 % von FLH selbst verbraucht wurden.

17 FLH beantragte, das streitige Netz als Objektnetz im Sinne von § 110 EnWG anzuerkennen. In dem hierauf von der Regulierungsbehörde eingeleiteten Verfahren wurde citiworks am 20. Januar 2006 beigeladen.

18 Mit Bescheid vom 12. Juli 2006 gab die Regulierungsbehörde dem Antrag von FLH statt. Gegen diesen Bescheid reichte citiworks Beschwerde zum Oberlandesgericht Dresden ein.

19 Vor diesem Gericht macht citiworks geltend, § 110 EnWG sei mit Art. 20 der Richtlinie 2003/54 unvereinbar.

20 Das Oberlandesgericht Dresden hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist § 110 Abs. 1 Nr. 1 EnWG mit Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2003/54 auch insoweit vereinbar, als unter den in § 110 Abs. 1 Nr. 1 EnWG genannten Voraussetzungen auf ein sogenanntes Betriebsnetz die allgemeinen Bestimmungen über den Netzzugang (§§ 20 bis 28a EnWG) selbst dann keine Anwendung finden, wenn durch einen freien Netzzugang keine unzumutbaren Erschwernisse einträten?

Zur Vorlagefrage

21 Zunächst ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens zwar nicht befugt ist, über die Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit dem Gemeinschaftsrecht zu entscheiden, jedoch dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts geben kann, die es diesem ermöglichen, die Frage der Vereinbarkeit bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens zu beurteilen (vgl. u. a. Urteile vom 21. September 2000, Borawitz, C-124/99, Slg. 2000, I-7293, Randnr. 17; vom 8. Juni 2006, WWF Italia u. a., C-60/05, Slg. 2006, I-5083, Randnr. 18, und vom 24. Januar 2008, Roby Profumi, C-257/06, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 11).

22 Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Frage wissen, ob Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2003/54 dahin auszulegen ist, dass er einer Bestimmung wie § 110 Abs. 1 Nr. 1 EnWG entgegensteht, nach der bestimmte Betreiber von Energieversorgungsnetzen von der Verpflichtung, Dritten freien Netzzugang zu gewähren, ausgenommen sind, weil sich diese Netze auf einem zusammengehörenden Betriebsgebiet befinden und überwiegend dem Transport von Energie innerhalb des eigenen Unternehmens und zu verbundenen Unternehmen dienen, ohne dass nachgewiesen ist, dass durch einen freien Netzzugang Dritter unzumutbare Erschwernisse einträten.

Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

23 Nach Auffassung von citiworks steht Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2003/54 § 110 Abs. 1 Nr. 1 EnWG entgegen. Eines der Hauptziele dieser Richtlinie bestehe nämlich darin, den Energieanbietern freien Zugang zu den Energieversorgungsnetzen zu ermöglichen, so dass die Kunden ihren Lieferanten frei wählen könnten.

24 Gegen dieses Ziel verstoße die nationale Bestimmung, die eine Ausnahme vom Grundsatz des freien Netzzugangs Dritter zu den Energieversorgungsnetzen schaffe. Die Richtlinie 2003/54 enthalte keine Bestimmung, nach der die Mitgliedstaaten befugt wären, nach eigenem Ermessen Ausnahmetatbestände von diesem Grundsatz zu schaffen.

25 Ferner träten die Rechtsfolgen von § 110 Abs. 1 Nr. 1 EnWG von Gesetzes wegen ein, sobald die darin vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt seien.

26 FLH macht zunächst geltend, die Vorlagefrage sei unzulässig, da sie hypothetischer Natur sei. Dieser Frage liege nämlich eine Fassung von § 110 Abs. 1 EnWG zugrunde, die es nicht gebe, da der Begriff "unzumutbare Erschwernis" in dieser Bestimmung nicht erwähnt sei. Zudem sei die Antwort auf diese Frage nicht entscheidungserheblich.

27 Zur Beantwortung der Frage tragen FLH, die Regulierungsbehörde, die deutsche Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs vor, das im Ausgangsverfahren fragliche Netz sei weder ein Übertragungs- noch ein Verteilernetz und falle daher nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/54. Ein solches Netz sei ein von einem Unternehmen zur Eigenversorgung mit Energie unterhaltenes Betriebs- bzw. Werksnetz, das einen geringen Verbrauch aufweise und den Wettbewerb nicht beeinträchtige. § 110 Abs. 1 Nr. 1 EnWG sei lediglich Ausdruck des Ermessens, das dem nationalen Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie 2003/54 zugestanden habe. Überdies sei die Elektrizitätsversorgung lediglich Nebenzweck der Haupttätigkeit von FLH, die im Betrieb eines Flughafens bestehe.

28 Die deutsche Regierung macht geltend, das im Ausgangsverfahren fragliche Netz sei eine "Kundenanlage", mit der Energie innerhalb einer geschlossenen Anlage verteilt werde. Das Unternehmen, von dem es betrieben werde, unterliege nicht den Verpflichtungen, die nach der Richtlinie 2003/54 den Betreibern von Verteilernetzen oblägen.

29 Die polnische Regierung hält § 110 Abs. 1 Nr. 1 EnWG für mit der Richtlinie 2003/54 unvereinbar. Diese Richtlinie enthalte ein System spezifischer Ausnahmetatbestände, das für generelle Ausnahmetatbestände keinen Raum lasse.

30 Nach Auffassung der Kommission steht Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2003/54 § 110 Abs. 1 Nr. 1 EnWG entgegen. Das im Ausgangsverfahren fragliche Netz sei nämlich ein Verteilernetz im Sinne dieser Richtlinie, weshalb zu diesem Netz freier Zugang gewährt werden müsse. Der Grundsatz des freien Zugangs Dritter zu Energieversorgungsnetzen sei unerlässlich, Einschränkungen dieses Grundsatzes seien daher nur unter klar definierten Voraussetzungen zulässig. Die Größe des Netzes spiele nur bei den Fragen der Entflechtung von Verteilernetzbetreibern eine Rolle, wie aus Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie 2003/54 hervorgehe.

Antwort des Gerichtshofs

Zur Zulässigkeit

31 Nach ständiger Rechtsprechung ist es allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen (vgl. u. a. Urteile vom 15. Dezember 1995, Bosman, C-415/93, Slg. 1995, I-4921, Randnr. 59, und vom 15. Juni 2006, Acereda Herrera, C-466/04, Slg. 2006, I-5341, Randnr. 47).

32 Der Gerichtshof kann eine von einem nationalen Gericht vorgelegte Frage nur dann zurückweisen, wenn offensichtlich ist, dass die Auslegung oder die Beurteilung der Gültigkeit einer Gemeinschaftsvorschrift, um die das vorlegende Gericht ersucht, in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, oder wenn das Problem hypothetischer Natur ist (vgl. Urteile Bosman, Randnr. 61, und Acereda Herrera, Randnr. 48).

33 Im Ausgangsverfahren ist das nationale Gericht mit dem Rechtsbehelf eines Elektrizitätsversorgers befasst, der geltend macht, dass Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2003/54 einer Bestimmung des nationalen Rechts entgegenstehe, nach der bestimmte Betreiber von Energieversorgungsnetzen von der Verpflichtung ausgenommen sind, freien Zugang zu ihren Netzen zu gewähren.

34 Dem nationalen Gericht zufolge gilt diese Ausnahme für Energieversorgungsnetze nach der fraglichen Bestimmung des nationalen Rechts unabhängig davon, ob unzumutbare Erschwernisse vorliegen, während dieses Erfordernis bei Dienstleistungsnetzen im Sinne von § 110 Abs. 1 Nr. 2 EnWG besteht.

35 Daraus ergibt sich für das vorlegende Gericht die Frage, ob Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2003/54 dieser Ausnahmeregelung entgegensteht, nach der bestimmte Energieversorgungsnetze von der Verpflichtung, Dritten freien Netzzugang zu gewähren, ungeachtet der technischen Leistungsfähigkeit dieser Netze ausgenommen sind.

36 Die Vorlagefrage ist folglich erheblich, nicht hypothetisch und damit zulässig.

Zur Begründetheit

37 Zur Beantwortung der Vorlagefrage ist Art. 20 der Richtlinie 2003/54 im Licht der Ziele und Bestimmungen dieser Richtlinie auszulegen, um festzustellen, ob das im Ausgangsverfahren fragliche Netz in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt und ob der genannte Art. 20 einer Bestimmung wie § 110 Abs. 1 Nr. 1 EnWG entgegensteht, nach der bestimmte Energieversorgungsnetze von der Verpflichtung, Dritten freien Netzzugang zu gewähren, ausgenommen sind.

38 Durch die Richtlinie 2003/54 wurde die Richtlinie 96/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Dezember 1996 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt (ABl. 1997, L 27, S. 20) aufgehoben und ersetzt. Aus den Erwägungsgründen 1 und 2 der Richtlinie 2003/54 geht hervor, dass sie aufgrund der nach Durchführung der Richtlinie 96/92 nach wie vor bestehenden Mängel bei der Schaffung eines Elektrizitätsbinnenmarkts erlassen wurde. Zweck der Richtlinie 2003/54 ist also die Verbesserung der Funktionsweise dieses Marktes.

39 Nach dem fünften Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/54 hängt eines der Haupthindernisse für einen funktionsfähigen und wettbewerbsorientierten Binnenmarkt mit dem Netzzugang, der Tarifierung und einer unterschiedlichen Marktöffnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten zusammen.

40 Nach den Erwägungsgründen 6 und 7 der Richtlinie 2003/54 ist ein nichtdiskriminierender, transparenter und zu angemessenen Preisen gewährleisteter Netzzugang Voraussetzung für einen funktionierenden Wettbewerb und von größter Bedeutung für die Vollendung des Elektrizitätsbinnenmarkts.

41 Die Richtlinie 96/92 sah in den Art. 16 bis 20 für Elektrizitätsübertragungs- und -verteilernetze ein System des Netzzugangs auf Vertragsbasis vor. Dieses System schaffte der Gemeinschaftsgesetzgeber ab, um den Elektrizitätsbinnenmarkt weiter zu öffnen, wie aus dem von der Kommission am 13. März 2001 vorgelegten Richtlinienvorschlag (KOM[2001] 125 endg., ABl. C 240 E, S. 60) hervorgeht.

42 Hierzu ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof bei der Auslegung der Art. 7 Abs. 5 und 16 der Richtlinie 96/92 auf den allgemeinen Charakter des Verbots der Diskriminierung gegenüber den Netzbenutzern hingewiesen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 2005, VEMW u. a., C-17/03, Slg. 2005, I-4983, Randnrn. 42 bis 46).

43 Im vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/54 ist ausgeführt, dass in einem vollständig geöffneten Markt den Verbrauchern die freie Wahl ihrer Lieferanten und den Anbietern die freie Belieferung ihrer Kunden gestattet sein muss. Wie der Generalanwalt in Nr. 72 seiner Schlussanträge zu Recht hervorgehoben hat, sind diese beiden Rechte naturgemäß miteinander verbunden. Denn damit die Kunden ihren Lieferanten frei wählen können, muss den Anbietern der Zugang zu den jeweiligen Übertragungs- und Verteilernetzen, die die Elektrizität zu den Kunden leiten, möglich sein.

44 Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass der freie Zugang Dritter zu den Übertragungs- und Verteilernetzen eine der Hauptmaßnahmen ist, die die Mitgliedstaaten durchzuführen haben, um zur Vollendung des Elektrizitätsbinnenmarkts zu gelangen.

45 Der Grundsatz des freien Zugangs gilt nach Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2003/54 für die Elektrizitätsübertragungs- und -verteilernetze. Art. 2 Nrn. 3 und 5 dieser Richtlinie enthält die Definitionen der Begriffe "Übertragung" und "Verteilung". Übertragung ist definiert als der Transport von Elektrizität über ein Höchstspannungs- und Hochspannungsverbundnetz zum Zweck der Belieferung von Endkunden oder Verteilern. Verteilung ist der Transport von Elektrizität mit hoher, mittlerer oder niedriger Spannung über Verteilernetze zum Zweck der Belieferung von Kunden. Die Übertragung und die Verteilung schließen die Versorgung nicht ein. Der Begriff "Versorgung" ist in Art. 2 Nr. 19 der Richtlinie 2003/54 definiert als der Verkauf von Elektrizität an Kunden.

46 Aus diesen Definitionen ergibt sich, dass ein Übertragungsnetz ein Verbundnetz ist, das zur Weiterleitung von Elektrizität mit sehr hoher und hoher Spannung dient, die zum Verkauf an Endkunden oder Verteiler bestimmt ist, während ein Verteilernetz ein Netz ist, das zur Weiterleitung von Elektrizität mit hoher, mittlerer oder niedriger Spannung dient, die zum Verkauf an Großhändler und Endkunden bestimmt ist.

47 In einigen der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen wird die Ansicht vertreten, das im Ausgangsverfahren fragliche Netz sei weder ein Übertragungs- noch ein Verteilernetz und falle daher nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/54. Denn zum einen handle es sich um ein privates Betriebs- bzw. Werksnetz, das aufgrund seines geringen Verbrauchs den Wettbewerb nicht beeinträchtige, und zum anderen sei der Betrieb dieses Netzes lediglich Nebenzweck der im Betrieb des Flughafens bestehenden Haupttätigkeit.

48 Was erstens die Natur der Übertragungs- und der Verteilernetze im Sinne der Richtlinie 2003/54 und die über diese Netze übertragene Strommenge angeht, ist festzustellen, dass allein das Kriterium der Spannung dieses Stroms für die Unterscheidung zwischen Übertragung und Verteilung maßgeblich ist.

49 Nach Art. 2 Nrn. 3 und 5 der Richtlinie 2003/54 betrifft nämlich ein Übertragungsnetz Elektrizität mit sehr hoher und hoher Spannung, während ein Verteilernetz Elektrizität mit hoher, mittlerer oder niedriger Spannung transportiert. Der Stromverbrauch wird in der Richtlinie 2003/54 nur zur Definition der Begriffe "kleines, isoliertes Netz" und "isoliertes Kleinstnetz" herangezogen, bei denen Ausnahmen von bestimmten in der Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen gewährt werden. Der Gemeinschaftsgesetzgeber wollte also nicht bestimmte Übertragungs- oder Verteilernetze aufgrund ihrer Größe oder ihres Stromverbrauchs vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/54 ausnehmen.

50 § 110 Abs. 1 Nr. 1 EnWG grenzt die Netze, die in seinen Anwendungsbereich fallen, nicht nach ihrem Stromverbrauch ab. Denn diese Bestimmung erfasst Netze, "die sich auf einem ... räumlich zusammengehörenden Betriebsgebiet befinden sowie überwiegend dem Transport von Energie innerhalb des eigenen Unternehmens oder zu ... verbundenen [Unternehmen] dienen".

51 Zweitens bestimmt die Richtlinie 2003/54 hinsichtlich des Betriebs und des Zwecks der Übertragungs- und der Verteilernetze für beide Arten von Netzen, dass die Elektrizität zum Zweck der Belieferung mit Ausnahme der Versorgung selbst transportiert wird und dass der Betreiber verantwortlich ist für den Betrieb, die Wartung und den Ausbau des Netzes in einem bestimmten Gebiet, um die langfristige Leistungsfähigkeit des Netzes sicherzustellen.

52 Im Übrigen verlangt Art. 13 der Richtlinie 2003/54, dass die Eigentümer von Verteilernetzen oder die für diese Verantwortlichen Verteilernetzbetreiber benennen. Weder aus dieser noch aus einer anderen Bestimmung der Richtlinie 2003/54 geht hervor, dass nur die Unternehmen freien Netzzugang zu gewähren haben, die hauptsächlich als Verteilernetzbetreiber tätig sind.

53 Insoweit lässt sich § 110 Abs. 1 Nr. 1 EnWG nichts dafür entnehmen, dass es für die Abgrenzung der Netze, die in seinen Anwendungsbereich fallen, eine Rolle spielt, ob der Betreiber das Energieversorgungsnetz als Haupt- oder als Nebenzweck betreibt.

54 Aus der Vorlageentscheidung und den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen geht hervor, dass aus dem im Ausgangsverfahren fraglichen Netz FLH selbst und 93 weitere auf dem Gelände des Flughafens Leipzig/Halle angesiedelte Unternehmen mit Elektrizität versorgt werden. Dieses Netz hatte im Jahr 2004 einen Verbrauch von 22 200 MWh, wovon 3 800 MWh auf andere Unternehmen als FLH entfielen. Nach der Vorlageentscheidung wurde der Anteil dieser Unternehmen am Verbrauch für das Jahr 2007 auf 8 000 MWh prognostiziert. Daraus ergibt sich, dass FLH kein Übertragungsnetz betreibt, da nicht Elektrizität mit sehr hoher und hoher Spannung transportiert wird, sondern ein Netz, das dem Transport von Elektrizität zum Zweck der Belieferung von Kunden dient und als Verteilernetz im Sinne von Art. 2 Nr. 5 der Richtlinie 2003/54 einzustufen ist.

55 Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2003/54 überlässt es den Mitgliedstaaten, die Maßnahmen zu treffen, die zur Einführung eines Systems für den Zugang Dritter zu den Übertragungs- und Verteilernetzen erforderlich sind. Daraus ergibt sich, dass entsprechend Art. 249 EG den Mitgliedstaaten die Wahl der Form und der Mittel dieser Einführung überlassen ist. Angesichts der Bedeutung des Grundsatzes des freien Zugangs zu den Übertragungs- und Verteilernetzen berechtigt dieser Spielraum sie aber nicht, diesen Grundsatz, abgesehen von den Fällen, in denen die Richtlinie 2003/54 Ausnahmen oder Abweichungen vorsieht, nicht anzuwenden.

56 Eine Bestimmung wie § 110 Abs. 1 Nr. 1 EnWG wäre daher nur dann mit der Richtlinie 2003/54 vereinbar, wenn sie in den Anwendungsbereich dieser Ausnahmen oder Abweichungen fiele.

57 Erstens sieht Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 2003/54 vor, dass ein Betreiber eines Verteilernetzes den Netzzugang verweigern kann, wenn er nicht über die nötige Kapazität verfügt, sofern er diese Verweigerung substanziiert begründet. Diese Möglichkeit, den Netzzugang zu verweigern, ist jedoch auf den Einzelfall bezogen und berechtigt die Mitgliedstaaten nicht dazu, solche Ausnahmen generell vorzusehen, ohne dass im Einzelfall für den jeweiligen Betreiber die fehlende technische Kapazität des Netzes für den nachgefragten Zugang Dritter beurteilt wird.

58 Zweitens gestattet Art. 3 Abs. 8 der Richtlinie 2003/54 den Mitgliedstaaten, Art. 20 dieser Richtlinie nicht anzuwenden, soweit seine Anwendung die Erfüllung der den Elektrizitätsunternehmen übertragenen gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen verhindern würde und soweit die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt wird, das den Interessen der Gemeinschaft zuwiderläuft.

59 Nach Art. 3 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2003/54 können nämlich die Mitgliedstaaten den Elektrizitätsunternehmen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse Verpflichtungen auferlegen. Dem 26. Erwägungsgrund zufolge werden die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen aus nationaler Sicht ausgelegt.

60 Aus Art. 3 Abs. 8 der Richtlinie 2003/54 ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten beschließen können, Zugangsrechte Dritter zu den Übertragungs- und Verteilernetzen zu beschränken, um die Elektrizitätsversorgung für eine gemeinwirtschaftliche Leistung sicherzustellen. Sie müssen hierzu jedoch prüfen, ob das unbeschränkte Recht auf Netzzugang die Netzbetreiber in der Erfüllung ihrer gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen behindern würde, und untersuchen, ob diese Verpflichtungen nicht durch andere Mittel, die nicht in das durch die Richtlinie 2003/54 verliehene Recht auf Netzzugang eingreifen, erfüllt werden können.

61 Es ist darauf hinzuweisen, dass die in § 110 Abs. 1 Nr. 1 EnWG vorgesehene Ausnahme vom Grundsatz des freien Zugangs zu den Energieversorgungsnetzen nicht damit gerechtfertigt wird, dass die in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallenden Netzbetreiber durch den freien Zugang an der Erfüllung ihrer gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen gehindert würden. Diese Ausnahme wird vielmehr nur mit der räumlichen bzw. rechtlichen Gestaltung des Gebiets, in dem diese Netze betrieben werden, gerechtfertigt. Die deutsche Regierung hat auch nicht behauptet, dass die Bundesrepublik Deutschland § 110 Abs. 1 Nr. 1 EnWG zur Durchführung von Art. 3 Abs. 8 der Richtlinie 2003/54 erlassen habe.

62 Drittens sieht Art. 26 Abs. 1 dieser Richtlinie vor, dass Mitgliedstaaten, die nachweisen können, dass sich für den Betrieb ihrer kleinen, isolierten Netze erhebliche Probleme ergeben, Ausnahmeregelungen zu verschiedenen Bestimmungen der Richtlinie 2003/54, darunter Art. 20, beantragen können.

63 Diese Ausnahmeregelungen bedürfen jedoch der Zustimmung der Kommission in Form einer Entscheidung, die im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wird. Solche Ausnahmeregelungen wurden der Republik Zypern mit Entscheidung vom 25. September 2006 (ABl. L 270, S. 72) und der Republik Malta mit Entscheidung vom 28. November 2006 (ABl. L 332, S. 32) gewährt. Die Bundesrepublik Deutschland hat eine Ausnahme nach Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2003/54 weder beantragt, noch wurde ihr von der Kommission eine solche gewährt.

64 Folglich wird eine Bestimmung wie § 110 Abs. 1 Nr. 1 EnWG von keiner der in der Richtlinie 2003/54 vorgesehenen Ausnahmen oder Abweichungen vom Grundsatz des freien Zugangs zu Elektrizitätsübertragungs- und -verteilernetzen erfasst.

65 Aus der Gesamtheit dieser Erwägungen ergibt sich, dass Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2003/54 dahin auszulegen ist, dass er einer Bestimmung wie § 110 Abs. 1 Nr. 1 EnWG entgegensteht, nach der bestimmte Betreiber von Energieversorgungsnetzen von der Verpflichtung, Dritten freien Netzzugang zu gewähren, ausgenommen sind, weil sich diese Netze auf einem zusammengehörenden Betriebsgebiet befinden und überwiegend dem Transport von Energie innerhalb des eigenen Unternehmens und zu verbundenen Unternehmen dienen.

Kostenentscheidung:

Kosten

66 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG ist dahin auszulegen, dass er einer Bestimmung wie § 110 Abs. 1 Nr. 1 Gesetzes über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz - EnWG) vom 7. Juli 2005 entgegensteht, nach der bestimmte Betreiber von Energieversorgungsnetzen von der Verpflichtung, Dritten freien Netzzugang zu gewähren, ausgenommen sind, weil sich diese Netze auf einem zusammengehörenden Betriebsgebiet befinden und überwiegend dem Transport von Energie innerhalb des eigenen Unternehmens und zu verbundenen Unternehmen dienen.



Ende der Entscheidung

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