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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 08.03.2007
Aktenzeichen: C-44/06
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 1062/87


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 1062/87 Art. 11a Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

8. März 2007

"Zollunion - Gemeinschaftliches Versandverfahren - Nachweis der ordnungsgemäßen Durchführung des Versandverfahrens oder des Ortes der Zuwiderhandlung - Dreimonatsfrist - Fristsetzung nach Erlass der Entscheidung über die Erhebung der Eingangsabgaben"

Parteien:

In der Rechtssache C-44/06

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Finanzgericht des Landes Brandenburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 12. Oktober 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Januar 2006, in dem Verfahren

Gerlach und Co. mbH

gegen

Hauptzollamt Frankfurt (Oder)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten R. Schintgen sowie der Richter A. Tizzano (Berichterstatter) und A. Borg Barthet,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der Gerlach und Co. mbH, vertreten durch G. Schemmann im Beistand von Rechtsanwalt T. Krüger,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J. Hottiaux als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt B. Wägenbaur,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 11a Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1062/87 der Kommission vom 27. März 1987 zur Durchführung und Vereinfachung des gemeinschaftlichen Versandverfahrens (ABl. L 107, S. 1), geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 1429/90 der Kommission vom 29. Mai 1990 (ABl. L 137, S. 21), (im Folgenden: Verordnung Nr. 1062/87).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gerlach & Co. mbH (im Folgenden: Gerlach) und dem Hauptzollamt Frankfurt (Oder) (im Folgenden: Hauptzollamt) über die Erhebung von Eingangsabgaben.

Gemeinschaftsrecht

3 Zu der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit war das gemeinschaftliche Versandverfahren zum einen in der Verordnung (EWG) Nr. 222/77 des Rates vom 13. Dezember 1976 über das gemeinschaftliche Versandverfahren (ABl. 1977, L 38, S. 1), geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 474/90 des Rates vom 22. Februar 1990 (ABl. L 51, S. 1) (im Folgenden: Verordnung Nr. 222/77), und zum anderen in der Verordnung Nr. 1062/87 geregelt.

4 Art. 36 Abs. 1 der Verordnung Nr. 222/77 bestimmt:

"Wird festgestellt, dass im Verlauf eines gemeinschaftlichen Versandverfahrens in einem bestimmten Mitgliedstaat Zuwiderhandlungen begangen worden sind, so werden hierdurch fällig gewordene Zölle und andere Abgaben - unbeschadet der Strafverfolgung - von diesem Mitgliedstaat nach dessen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erhoben."

5 Für den Fall, dass der Ort der Zuwiderhandlung nicht feststeht, enthalten die Abs. 2 und 3 dieses Artikels eine Reihe von Vermutungen zur Vermeidung von Zuständigkeitskonflikten.

6 Im Einzelnen bestimmt Art. 36 Abs. 3 der Verordnung Nr. 222/77:

"Wenn die Sendung nicht der Bestimmungszollstelle gestellt worden ist und der Ort der Zuwiderhandlung nicht ermittelt werden kann, gilt diese Zuwiderhandlung

- als in dem Mitgliedstaat begangen, zu dem die Abgangszollstelle gehört, oder

- als in dem Mitgliedstaat begangen, zu dem die Eingangszollstelle in der Gemeinschaft gehört und bei der ein Grenzübergangsschein abgegeben wurde,

es sei denn, den zuständigen Behörden wird innerhalb einer noch festzulegenden Frist glaubhaft nachgewiesen, dass das Versandverfahren ordnungsgemäß verlaufen ist, bzw. der Nachweis geliefert, wo die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen worden ist.

Wird ein solcher Nachweis nicht erbracht und gilt diese Zuwiderhandlung weiterhin als in dem Abgangsmitgliedstaat oder in dem Eingangsmitgliedstaat im Sinne von Unterabsatz 1 zweiter Gedankenstrich begangen, so werden die für die betreffenden Waren geltenden Zölle und anderen Abgaben von diesem Mitgliedstaat entsprechend dessen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erhoben.

..."

7 Art. 11a der Verordnung Nr. 1062/87 lautet:

"(1) Wird eine Sendung der Bestimmungszollstelle nicht gestellt und kann der Ort der Zuwiderhandlung nicht ermittelt werden, so teilt dies die Abgangszollstelle dem Hauptverpflichteten so schnell wie möglich und spätestens vor Ablauf des elften Monats gerechnet vom Zeitpunkt der Registrierung der Versandanmeldung mit.

(2) Die in Absatz 1 genannte Mitteilung muss insbesondere die Frist angeben, innerhalb derer bei der Abgangszollstelle den zuständigen Behörden gegenüber der Nachweis der ordnungsgemäßen Durchführung des Versandverfahrens oder der Nachweis glaubhaft zu erbringen ist, wo die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen worden ist.

Diese Frist beträgt 3 Monate vom Zeitpunkt der Mitteilung nach Absatz 1 an gerechnet. Wird der genannte Nachweis nicht rechtzeitig erbracht, so erhebt der zuständige Mitgliedstaat die betreffenden Zölle und sonstigen Abgaben. [Ist dieser Mitgliedstaat nicht der Mitgliedstaat, in dem sich die Abgangsstelle befindet, so unterrichtet er Letzteren unverzüglich von der Erhebung der Zölle und anderen Abgaben.](1)"

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

8 Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass das Hauptzollamt am 6. und am 13. Juli 1990 auf Antrag von Gerlach zwei Sendungen mit lebenden Kälbern aus Polen zum gemeinschaftlichen Versandverfahren mit der Bestimmungszollstelle Barcelona (Spanien) abfertigte.

9 Nachdem das Hauptzollamt von den Zollbehörden von La Jonquera (Spanien) und Barcelona abgestempelte Rückscheine erhalten hatte, die belegten, dass diese Sendungen bei der Bestimmungszollstelle gestellt worden seien, erledigte es das gemeinschaftliche Versandverfahren.

10 Spätere Untersuchungen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften und der Zollfahndungsämter Potsdam und Hannover ergaben jedoch, dass die spanischen Stempel, mit denen diese Rückscheine versehen waren, gefälscht und dass während der Transporte des Viehs Unregelmäßigkeiten begangen worden waren. Der genaue Ort dieser Unregelmäßigkeiten konnte nicht festgestellt werden.

11 Das Hauptzollamt richtete daher am 30. Januar und am 4. Februar 1992 an Gerlach als Hauptverpflichtete im Versandverfahren zwei Steuerbescheide, mit denen es die Eingangsabgaben für die beiden fraglichen Sendungen nacherhob.

12 Dagegen legte Gerlach Einspruch ein und beantragte zugleich die Aussetzung der Vollziehung der Steuerbescheide.

13 Mit Schreiben vom 2. April 1992 unterrichtete das Hauptzollamt Gerlach darüber, dass das Versandgut bei der Bestimmungszollstelle nicht gestellt worden sei, und teilte ihr mit, dass sie den Nachweis der ordnungsgemäßen Erledigung der Versandverfahren bzw. des Ortes, an dem die Zuwiderhandlungen tatsächlich begangen worden seien, bis zum 7. Juli 1992 erbringen könne. Die Vollziehung der Steuerbescheide wurde bis zum Ablauf dieser Frist ausgesetzt.

14 Nachdem diese Frist abgelaufen war, ohne dass Gerlach die verlangten Nachweise erbracht hätte, wies das Hauptzollamt den Einspruch mit Entscheidung vom 28. Juli 1998 als unbegründet zurück.

15 Daraufhin erhob Gerlach beim Finanzgericht des Landes Brandenburg Klage auf Aufhebung der Steuerbescheide und der Einspruchsentscheidung.

16 In ihrer Klageschrift rügte Gerlach, das Hauptzollamt habe ihr die Dreimonatsfrist des Art. 11a Abs. 2 der Verordnung Nr. 1062/87 erst gewährt, nachdem es beschlossen habe, die Eingangsabgaben nachzuerheben. Sie führte dazu das Urteil des Gerichtshofs vom 21. Oktober 1999, Lensing & Brockhausen (C-233/98, Slg. 1999, I-7349), an, aus dem sich ergebe, dass in Fällen der Nichteinhaltung von Versandverfahren der Abgangsmitgliedstaat die Abgaben vom Hauptverpflichteten nur erheben könne, wenn er diesen zuvor darauf hingewiesen habe, dass er innerhalb einer Frist von drei Monaten den Nachweis für den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung erbringen könne.

17 Diesem Vorbringen von Gerlach trat das Hauptzollamt mit dem Vortrag entgegen, die fragliche Dreimonatsfrist sei dieser ohnehin im Rahmen des Einspruchsverfahrens gewährt worden. Damit sei ein etwaiger Verfahrensfehler bei der Fristsetzung geheilt worden.

18 Daraufhin hat das Finanzgericht des Landes Brandenburg beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist eine nationale Zollverwaltung berechtigt, die Abgaben vor Gewährung der Frist des Art. 11a Abs. 2 der Verordnung Nr. 1062/87 zum Ort der Zuwiderhandlung buchmäßig zu erfassen und diese Frist rechtswirksam erstmalig im Rechtsbehelfsverfahren zu setzen? 19 Das vorlegende Gericht neigt dazu, die Vorlagefrage zu bejahen. Seiner Ansicht nach ist der Mitgliedstaat, zu dem die Abgangszollstelle gehört, befugt, die Abgaben vor Gewährung der Dreimonatsfrist des Art. 11a Abs. 2 der Verordnung Nr. 1062/87 buchmäßig zu erfassen, sofern diese Frist dem Hauptverpflichteten im Rahmen des Einspruchsverfahrens gewährt werde.

20 Normalerweise müsse die Zollverwaltung dem Hauptverpflichteten zunächst die fragliche Frist gewähren und dürfe erst nach deren Ablauf mit der Erhebung der Abgaben beginnen. Eine Umkehrung dieser Verfahrensabfolge sei jedoch nicht unzulässig. Es komme nämlich darauf an, dass dem Hauptverpflichteten überhaupt eine Dreimonatsfrist gewährt und ihm damit die Möglichkeit gegeben werde, die erforderlichen Nachweise noch vor Beendigung des Erhebungsverfahrens zu erbringen. Ein Steuerbescheid, gegen den Einspruch eingelegt worden sei, sei aber noch nicht bestandskräftig. Daher sei der Hauptverpflichtete, wenn die nationale Behörde ihm die fragliche Frist im Einspruchsverfahren gewähre, immer noch in der Lage, die erforderlichen Nachweise zu erbringen und damit die Aufhebung des angefochtenen Steuerbescheids zu erwirken. Auch in diesem Fall seien die Rechte des Hauptverpflichteten also gewahrt.

21 Zwar habe der Gerichtshof im Urteil Lensing & Brockhausen sowie im Urteil vom 20. Januar 2005, Honeywell Aerospace (C-300/03, Slg. 2005, I-689), ausgeführt, dass der Abgangsmitgliedstaat die Abgaben nur erheben könne, wenn er den Hauptverpflichteten darauf hingewiesen habe, dass er über die fragliche Dreimonatsfrist verfüge, doch sei die in diesen Urteilen gefundene Lösung auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar.

22 Zum einen sei nämlich festzustellen, dass in den Rechtssachen, die zu diesen Urteilen geführt hätten, den jeweiligen Hauptverpflichteten keine Frist gesetzt worden sei, während im vorliegenden Fall eine Fristsetzung nach Erlass des Steuerbescheids, aber vor dessen Erwachsen in Bestandskraft erfolgt sei. Zum anderen habe der Gerichtshof im Urteil Honeywell Aerospace nicht Art. 11a Abs. 2 der Verordnung Nr. 1062/87 ausgelegt, der Gegenstand der vorliegenden Rechtssache sei, sondern vielmehr die ihm nachfolgende Bestimmung des Art. 379 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 253, S. 1).

Zur Vorlagefrage

23 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 11a Abs. 2 der Verordnung Nr. 1062/87 dahin auszulegen ist, dass der Mitgliedstaat, zu dem die Abgangszollstelle gehört, dem Hauptverpflichteten die Dreimonatsfrist für die Erbringung des Nachweises der ordnungsgemäßen Durchführung des Versandverfahrens oder des Nachweises, wo die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen worden ist, nach Erlass der Entscheidung, die Eingangsabgaben zu erheben, im Verfahren über den gegen diese Entscheidung eingelegten Einspruch gewähren kann.

Vorbringen der Parteien

24 Gerlach und die Kommission vertreten die Auffassung, der Abgangsmitgliedstaat könne die Eingangsabgaben nur dann festsetzen und erheben, wenn die Dreimonatsfrist, um die es im Ausgangsverfahren geht, abgelaufen sei, ohne dass der Nachweis der Ordnungsgemäßheit des Verfahrens erbracht worden sei, oder aber wenn die vom Hauptverpflichteten beigebrachten Nachweise unzureichend seien.

25 Diese Auslegung werde durch die Urteile Lensing & Brockhausen und Honeywell Aerospace gestützt, in denen der Gerichtshof die Frage, die vom Finanzgericht im vorliegenden Verfahren vorgelegt worden sei, bereits angeschnitten habe. Der Wortlaut dieser Urteile sei eindeutig und ihr Tenor auf das Ausgangsverfahren in vollem Umfang übertragbar.

26 Außerdem ergebe sich diese Auslegung, so Gerlach und die Kommission weiter, aus dem Inhalt von Art. 11a Abs. 2 der Verordnung Nr. 1062/87 selbst, dem zufolge als Erstes die im Ausgangsverfahren fragliche Dreimonatsfrist gesetzt und als Zweites, falls die verlangten Nachweise nicht innerhalb dieser Frist erbracht worden seien, die Zölle und sonstigen Abgaben erhoben werden müssten.

27 Die Kommission fügt hinzu, diese Auslegung werde auch durch den Sinn und Zweck dieser Bestimmung bestätigt, der darin bestehe, eine zügige Erhebung der Zölle dadurch zu gewährleisten, dass der Hauptverpflichtete dazu angehalten werde, aktiv an der Aufklärung der Sachlage mitzuwirken. Diesem Ziel liefe es aber zuwider, wenn der Abgangsmitgliedstaat die im Ausgangsverfahren fragliche Frist nach Erhebung der Abgaben gewährte.

28 Gelänge es nämlich dem Hauptverpflichteten, nach Erlass der Entscheidung über die Erhebung der Einfuhrabgaben fristgemäß nachzuweisen, dass die Unregelmäßigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat begangen worden seien, dem dann die Erhebung obläge, so müsste der Abgangsmitgliedstaat die bereits erlassene Entscheidung zurücknehmen und den Vorgang dem zuständigen Mitgliedstaat übermitteln. Diese Auslegung hätte den Nachteil, dass hierdurch das Verfahren verzögert würde, was dem effet utile der Festsetzung einer solchen Frist zuwiderliefe.

29 Die Kommission weist schließlich darauf hin, dass die vorgeschlagene Lösung den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts entspreche. Es sei nämlich unstreitig, dass, wenn dem Betroffenen im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens rechtliches Gehör gewährt werde, der dieses Verfahren abschließende Rechtsakt erst nach seiner Anhörung erlassen werden könne.

Antwort des Gerichtshofs

30 Art. 36 Abs. 3 der Verordnung Nr. 222/77 bestimmt, dass, wenn in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens eine Sendung nicht der Bestimmungszollstelle gestellt worden ist und der Ort der Zuwiderhandlung nicht ermittelt werden kann, diese Zuwiderhandlung als in dem Mitgliedstaat begangen gilt, zu dem die Abgangszollstelle gehört, es sei denn, innerhalb einer noch festzulegenden Frist wird nachgewiesen, dass das Versandverfahren ordnungsgemäß verlaufen ist, bzw. der Nachweis geliefert, wo die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen worden ist.

31 Art. 11a Abs. 1 der Verordnung Nr. 1062/87 stellt sodann klar, dass, wenn eine Sendung der Bestimmungszollstelle nicht gestellt wird und der Ort der Zuwiderhandlung nicht ermittelt werden kann, die Abgangszollstelle dies dem Hauptverpflichteten so schnell wie möglich und spätestens vor Ablauf des elften Monats, gerechnet vom Zeitpunkt der Registrierung der Versandanmeldung, mitteilt.

32 Nach Abs. 2 dieses Artikels muss diese Mitteilung insbesondere die Frist angeben, innerhalb deren bei der Abgangszollstelle den zuständigen Behörden gegenüber der Nachweis der ordnungsgemäßen Durchführung des Versandverfahrens oder der Nachweis glaubhaft zu erbringen ist, wo die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen worden ist. Diese Frist beträgt drei Monate vom Zeitpunkt der Mitteilung nach Absatz 1 an gerechnet. Wird der genannte Nachweis nicht rechtzeitig erbracht, so erhebt der zuständige Mitgliedstaat die betreffenden Zölle und sonstigen Abgaben.

33 Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass sich schon aus dem Wortlaut von Art. 11a Abs. 2 der Verordnung Nr. 1062/87 sowie den diesem nachfolgenden, im Wesentlichen inhaltsgleichen Bestimmungen des Art. 49 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1214/92 der Kommission vom 21. April 1992 mit Durchführungsvorschriften sowie Maßnahmen zur Vereinfachung des gemeinschaftlichen Versandverfahrens (ABl. L 132, S. 1) und des Art. 379 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2454/93 ergibt, dass die Angabe der Frist, innerhalb deren die verlangten Nachweise zu erbringen sind, durch die Abgangsstelle gegenüber dem Hauptverpflichteten obligatorischen Charakter hat und der Erhebung der Zollschuld vorausgehen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. April 2005, Kommission/Niederlande, C-460/01, Slg. 2005, I-2613, Randnrn. 62 und 80).

34 Der Gerichtshof hat außerdem hervorgehoben, dass diese Frist dem Schutz der Interessen des Hauptverpflichteten dadurch dient, dass ihm drei Monate eingeräumt werden, um gegebenenfalls den Nachweis für die ordnungsgemäße Durchführung des Versandverfahrens oder für den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung zu erbringen (vgl. Urteil vom 14. November 2002, SPKR, C-112/01, Slg. 2002, I-10655, Randnr. 38, und Urteil Honeywell Aerospace, Randnr. 24).

35 Daraus folgt, dass der Mitgliedstaat, zu dem die Abgangsstelle gehört, die Einfuhrabgaben nur erheben kann, wenn er den Hauptverpflichteten zuvor darauf hingewiesen hat, dass er über eine Frist von drei Monaten verfügt, um die verlangten Nachweise zu erbringen, und wenn diese Nachweise nicht innerhalb dieser Frist erbracht worden sind (vgl. in diesem Sinne Urteile Lensing & Brockhausen, Randnr. 29, sowie Honeywell Aerospace, Randnr. 23).

36 Somit kann diese Frist nicht nach Erlass der Entscheidung der zuständigen Behörden, die Eingangsabgaben zu erheben, erstmalig in einem Verfahren über einen gegen diese Entscheidung eingelegten Einspruch gewährt werden. Das muss erst recht für einen Fall wie den des Ausgangsverfahrens gelten, in dem diese Entscheidung unmittelbar vollstreckbar ist.

37 Ein solcher verspäteter Hinweis auf diese Frist verstößt gegen Art. 11a Abs. 2 der Verordnung Nr. 1062/87 und verletzt den Anspruch des Hauptverpflichteten aus dieser Bestimmung, seinen Standpunkt zur Ordnungsgemäßheit des Versandverfahrens vor Erlass der an ihn gerichteten Entscheidung über die Abgabenerhebung, die seine Interessen erheblich berührt, in zweckdienlicher Weise zu Gehör zu bringen.

38 Die Wahrung dieses Anspruchs ist aber ein fundamentaler Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, der in allen Verfahren, die zu einer den Betroffenen beschwerenden Maßnahme führen können, einschließlich des gemeinschaftlichen Versandverfahrens, sichergestellt werden muss (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. Oktober 1996, Kommission/Lisrestal u. a., C-32/95 P, Slg. 1996, I-5373, Randnrn. 21 und 30, vom 21. September 2000, Mediocurso/Kommission, C-462/98 P, Slg. 2000, I-7183, Randnr. 36, und vom 9. Juni 2005, Spanien/Kommission, C-287/02, Slg. 2005, I-5093, Randnr. 37).

39 Mithin ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 11a Abs. 2 der Verordnung Nr. 1062/87 dahin auszulegen ist, dass der Mitgliedstaat, zu dem die Abgangszollstelle gehört, dem Hauptverpflichteten die Dreimonatsfrist, innerhalb deren er den Nachweis der ordnungsgemäßen Durchführung des Versandverfahrens oder den Nachweis, wo die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen worden ist, erbringen kann, nicht nach Erlass der Entscheidung, die Eingangsabgaben zu erheben, in einem Verfahren über einen gegen diese Entscheidung eingelegten Einspruch gewähren darf.

Kostenentscheidung:

Kosten

40 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 11a Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1062/87 der Kommission vom 27. März 1987 zur Durchführung und Vereinfachung des gemeinschaftlichen Versandverfahrens, geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 1429/90 der Kommission vom 29. Mai 1990, ist dahin auszulegen, dass der Mitgliedstaat, zu dem die Abgangszollstelle gehört, dem Hauptverpflichteten die Dreimonatsfrist, innerhalb deren er den Nachweis der ordnungsgemäßen Durchführung des Versandverfahrens oder den Nachweis, wo die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen worden ist, erbringen kann, nicht nach Erlass der Entscheidung, die Eingangsabgaben zu erheben, in einem Verfahren über einen gegen diese Entscheidung eingelegten Einspruch gewähren darf.

Ende der Entscheidung

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