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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.03.2008
Aktenzeichen: C-446/05
Rechtsgebiete: EG


Vorschriften:

EG Art. 81
EG Art. 10 Abs. 2
EG Art. 3 Abs. 1 Buchst. g
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

13. März 2008

"Art. 81 EG in Verbindung mit Art. 10 EG - Nationale Regelung, die Werbung für Leistungen der Zahnbehandlung verbietet"

Parteien:

In der Rechtssache C-446/05

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tribunal de première instance de Bruxelles (Belgien), das im Bereich der Ordnungsstrafen entscheidet, mit Entscheidung vom 7. Dezember 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Dezember 2005, in dem Strafverfahren

Ioannis Doulamis,

sonstige Beteiligte:

Union des Dentistes et Stomatologistes de Belgique (UPR),

Jean Totolidis,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter K. Schiemann, J. Makarczyk (Berichterstatter) und J.-C. Bonichot sowie der Richterin C. Toader,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- von Herrn Doulamis, vertreten durch E. Koeune, avocat,

- der belgischen Regierung, vertreten durch A. Hubert als Bevollmächtigte,

- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch F. Arbault, O. Beynet und K. Mojzesowicz als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 22. November 2007

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 81 EG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG und Art. 10 Abs. 2 EG.

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen Herrn Doulamis, Zahntechniker, wegen Verstoßes gegen die Regelung der Ausübung der Zahnheilkunde und der Ausübung der Heilkunst sowie gegen die Vorschriften über Werbung im Bereich der Zahnbehandlung.

Rechtlicher Rahmen

3 Nach Art. 3 des Gesetzes über Werbung im Bereich der Zahnbehandlung (Loi relative à la publicité en matière de soins dentaires) vom 15. April 1958 (Moniteur belge vom 5. Mai 1958, S. 3542, im Folgenden: Gesetz vom 15. April 1958) werden Handlungen geahndet, die gegen Art. 1 dieses Gesetzes verstoßen, der Folgendes bestimmt:

"Niemand darf mittelbar oder unmittelbar in der Absicht werben, in Belgien oder im Ausland Erkrankungen, Verletzungen oder Anomalien im Bereich des Mundes und der Zähne zu behandeln oder durch qualifizierte oder nicht qualifizierte Personen behandeln zu lassen, insbesondere durch Schaufensterauslagen oder Aushängeschilder, Aufschriften oder Tafeln, die geeignet sind, einen Irrtum über die Rechtmäßigkeit der angegebenen Tätigkeit hervorzurufen, durch Prospekte, Rundschreiben, Flugblätter oder Broschüren, in der Presse, im Rundfunk und im Kino, durch das Versprechen oder das Gewähren von Vorteilen wie Preisnachlässen, kostenlosen Patiententransporten oder unter Einsatz von Kundenfängern oder Vertretern.

Keine Werbung im Sinne dieses Artikels liegt vor, wenn genossenschaftlich organisierte Kliniken und Allgemeinkrankenhäuser ihre Mitglieder über die Sprechtage und -stunden, über die Namen der diese Sprechstunden abhaltenden Personen und die sich darauf beziehenden Änderungen informieren."

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

4 Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich, dass Herr Doulamis insbesondere deshalb strafrechtlich verfolgt wird, weil er in einem Telefonbuch für das Zahnlabor Jean Doulamis und die Zahnklinik Jean Doulamis Werbung gemacht hat, was nach dem Gesetz vom 15. April 1958 verboten ist. Eine Werbeeinschaltung wurde auf den Seiten veröffentlicht, die für Zahnlabors bestimmt ist, die andere auf den Seiten, die Zahnkliniken aufführt. Die Einschaltungen enthielten objektive Informationen, wie die angebotenen Dienste, die Adresse, die Telefonnummer und die Öffnungszeiten der beiden Einrichtungen.

5 Im Ausgangsverfahren machte Herr Doulamis geltend, dass Werbung ein unerlässliches Instrument für den freien wirtschaftlichen Wettbewerb sei. Nachdem er sich auf Art. 10 EG in Verbindung mit Art. 81 EG berufen hatte, machte er unter Hinweis auf das Urteil vom 21. September 1988, Van Eycke (267/86, Slg. 1988, 4769), geltend, dass die Strafverfolgung gegen ihn wegen Werbung im Bereich der Zahnbehandlung angesichts der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, keine Maßnahmen zu treffen oder beizubehalten, die die praktische Wirksamkeit der für die Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln aufheben könnten, unbegründet sei.

6 Dazu führte Herr Doulamis aus, dass die Zahnklinik, deren Eigentümer er sei, unter Berücksichtigung der dort ausgeübten Tätigkeit, den Kriterien des Begriffs "Unternehmen" im Sinne von Art. 81 EG entspreche, der für Angehörige der freien Berufe gelte. Das vorlegende Gericht neigt zu der Annahme, dass der Angeklagte in Ausübung eines freien Berufs und als Betreiber und Eigentümer einer Zahnklinik gehandelt hat.

7 Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass nach der Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 EG und Art. 81 EG ein Mitgliedstaat offenbar keine Maßnahmen treffen oder beibehalten dürfe, die die praktische Wirksamkeit der für Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln beeinträchtigen könnten.

8 Dazu führt es aus, es sei nicht auszuschließen, dass die Vorschriften des Gesetzes vom 15. April 1958 geeignet seien, den freien Geschäftsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten in Frage zu stellen, da sie der Verwirklichung der Ziele eines Binnenmarkts zwischen diesen Staaten abträglich sein könnten.

9 Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts, das dazu auf Nr. 89 der Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache Pavlov u. a. (Urteil vom 12. September 2000, C-180/98 bis C-184/98, Slg. 2000, I-6451) verweist, ist wegen der Heterogenität der freien Berufe und der Spezifität ihrer Märkte offenbar in jedem Einzelfall zu prüfen, ob eine Beschränkung des Verhaltens auf dem betreffenden Markt tatsächlich zu einer Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 81 EG führt, gegebenenfalls unter Berücksichtigung anderer Bestimmungen des Vertrags wie Art. 152 EG über das Gesundheitswesen und Art. 153 EG über den Verbraucherschutz.

10 Schließlich stellt das vorlegende Gericht fest, dass aus dem Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 9. Februar 2004 über den Wettbewerb bei freiberuflichen Dienstleistungen (KOM [2004] 83 endg.) hervorgehe, dass die Beschränkungen im Bereich der Werbung für diese Berufe den freien Wettbewerb beeinträchtigten.

11 Das Tribunal de première instance de Bruxelles hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art. 81 EG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG und Art. 10 Abs. 2 EG dahin auszulegen, dass er einem nationalen Gesetz, im vorliegenden Fall dem Gesetz vom 15. April 1958 über Werbung im Bereich der Zahnbehandlung, entgegensteht, das (jedermann und) demjenigen, der im Rahmen eines freien Berufs oder einer Zahnarztpraxis Dienstleistungen der Zahnbehandlung erbringt, jede Werbung im Bereich der Zahnbehandlung, ob mittelbar oder unmittelbar, verbietet?

Zur Vorlagefrage

Zur Zulässigkeit

12 Die belgische und die italienische Regierung äußern Zweifel an der Zulässigkeit des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens.

13 Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen der durch Art. 234 EG geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Betreffen daher die vorgelegten Fragen die Auslegung des Gemeinschaftsrechts, so ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (vgl. Urteile vom 13. März 2001, PreussenElektra, C-379/98, Slg. 2001, I-2099, Randnr. 38, und vom 19. Februar 2002, Arduino, C-35/99, Slg. 2002, I-1529, Randnr. 24).

14 In Ausnahmefällen obliegt es jedoch dem Gerichtshof, zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände zu untersuchen, unter denen er von dem innerstaatlichen Gericht angerufen wird. Er kann die Entscheidung über eine Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u. a. Urteile Arduino, Randnr. 25, und vom 21. Februar 2008, Part Service, C-425/06, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 34).

15 Im vorliegenden Fall ist indessen keine dieser Voraussetzungen erfüllt.

16 Es ist nämlich festzustellen, dass der Vorlagebeschluss den Sachverhalt und die nationalen Vorschriften darlegt, in deren Rahmen sich die Vorlagefrage stellt. Außerdem gibt das vorlegende Gericht die genauen Gründe an, aus denen ihm die Auslegung des Gemeinschaftsrechts fraglich und die Vorlage einer Vorabentscheidungsfrage an den Gerichtshof erforderlich erscheint.

17 Folglich ist das Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal de première instance de Bruxelles zulässig.

Zur Beantwortung der Frage

18 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 81 EG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG und Art. 10 Abs. 2 EG einer nationalen Regelung wie dem Gesetz vom 15. April 1958, die jedermann und demjenigen, der im Rahmen eines freien Berufs oder einer Zahnarztpraxis Dienstleistungen der Zahnbehandlung erbringt, jede Werbung im Bereich der Zahnbehandlung, ob mittelbar oder unmittelbar, verbietet, entgegensteht, da ein solches Verbot den freien Wettbewerb beeinträchtigen könnte.

19 Nach ständiger Rechtsprechung betreffen die Art. 81 EG und 82 EG zwar an sich nur das Verhalten von Unternehmen und nicht als Gesetz oder Verordnung ergangene Maßnahmen der Mitgliedstaaten; in Verbindung mit Art. 10 EG, der eine Pflicht zur Zusammenarbeit begründet, verbieten sie es jedoch den Mitgliedstaaten, Maßnahmen, auch in Form von Gesetzen oder Verordnungen, zu treffen oder beizubehalten, die die praktische Wirksamkeit der für die Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln aufheben könnten (vgl. Urteil vom 5. Dezember 2006, Cipolla u. a., C-94/04 und C-202/04, Slg. 2006, I-11421, Randnr. 46).

20 Wie der Gerichtshof entschieden hat, liegt eine Verletzung der Art. 10 EG und 81 EG vor, wenn ein Mitgliedstaat gegen Art. 81 EG verstoßende Kartellabsprachen vorschreibt oder begünstigt oder die Auswirkungen solcher Absprachen verstärkt oder wenn er seiner eigenen Regelung dadurch ihren staatlichen Charakter nimmt, dass er die Verantwortung für in die Wirtschaft eingreifende Entscheidungen privaten Wirtschaftsteilnehmern überträgt (Urteil Cipolla u. a., Randnr. 47).

21 Es ist festzustellen, dass ein Gesetz wie das vom 15. April 1958 insofern, als es denjenigen, die Dienstleistungen der Zahnbehandlung erbringen, untersagt, Werbung zu machen, unter keinen der Anwendungsfälle von Art. 10 EG in Verbindung mit Art. 81 EG fällt.

22 Wie der Generalanwalt in Nr. 71 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, enthält die vorliegende Rechtssache keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Gesetz vom 15. April 1958 eine Kartellabsprache oder eine Unternehmensentscheidung begünstigt, erleichtert oder vorschreibt. Aus der Vorlageentscheidung geht auch nicht hervor, dass die fragliche gesetzliche Regelung dadurch ihren staatlichen Charakter verloren hätte, dass der fragliche Mitgliedstaat die Verantwortung für in die Wirtschaft eingreifende Entscheidungen privaten Wirtschaftsteilnehmern übertragen hätte.

23 Selbst wenn Herr Doulamis als Eigentümer einer Zahnklinik als "Unternehmen" im Sinne von Art. 81 EG in seiner Auslegung durch den Gerichtshof betrachtet werden könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. April 1991, Höfner und Elser, C-41/90, Slg. 1991, I-1979, Randnr. 21), ergibt sich aus dem Vorlagebeschluss nicht, dass hier eine Vereinbarung zwischen Unternehmen, ein Beschluss einer Unternehmensvereinigung oder eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise in Rede stünde, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet ist und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt oder bewirkt.

24 Folglich ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 81 EG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG und Art. 10 Abs. 2 EG einer nationalen Regelung wie dem Gesetz vom 15. April 1958 nicht entgegensteht, das jedermann und demjenigen, der im Rahmen eines freien Berufs oder einer Zahnarztpraxis Dienstleistungen der Zahnbehandlung erbringt, jede Werbung im Bereich der Zahnbehandlung, ob mittelbar oder unmittelbar, verbietet.

Kostenentscheidung:

Kosten

25 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Art. 81 EG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG und Art. 10 Abs. 2 EG steht einer nationalen Regelung wie dem Gesetz vom 15. April 1958 über Werbung im Bereich der Zahnbehandlung nicht entgegen, das jedermann und demjenigen, der im Rahmen eines freien Berufs oder einer Zahnarztpraxis Dienstleistungen der Zahnbehandlung erbringt, jede Werbung im Bereich der Zahnbehandlung, ob mittelbar oder unmittelbar, verbietet.



Ende der Entscheidung

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