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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 09.12.1993
Aktenzeichen: C-45/92
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, Verordnung (EWG) Nr. 574/72


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Art. 46 Abs. 1 Untersbsatz 2
Verordnung (EWG) Nr. 574/72 Art. 15 Abs. 1 Buchstabe c
Verordnung (EWG) Nr. 574/72 Art. 15 Abs. 1 Buchstabe d
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die Artikel 48 bis 51 EWG-Vertrag lassen es nicht zu, daß Wanderarbeitnehmer, die von ihrem Recht auf Freizuegigkeit Gebrauch gemacht haben, Vergünstigungen der sozialen Sicherheit verlieren, die ihnen die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats sichern, denn eine solche Konsequenz könnte Arbeitnehmer der Gemeinschaft davon abhalten, von ihrem Recht auf Freizuegigkeit Gebrauch zu machen, und würde somit diese Freizuegigkeit beeinträchtigen.

Es verstösst deshalb gegen die Erfordernisse der Freizuegigkeit, wenn einem Wanderarbeitnehmer bei der Berechnung seiner Altersrente die in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehene Gleichstellung von Invaliditätszeiten mit Beschäftigungszeiten allein deswegen versagt wird, weil er zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit nicht in dem Mitgliedstaat des zur Zahlung verpflichteten Trägers, sondern in einem anderen Mitgliedstaat Arbeitnehmer war.

Die Aussicht für einen Arbeitnehmer, in einem Mitgliedstaat das Recht auf Gleichstellung von Invaliditätszeiten mit Versicherungszeiten zu verlieren, wenn er eine Arbeit in einem anderen Mitgliedstaat aufnimmt, ist nämlich unter bestimmten Umständen geeignet, diesen Arbeitnehmer von der Ausübung seines Rechts auf Freizuegigkeit abzuhalten.

2. Bei der Berechnung des Betrages einer Leistung bei Alter nach Artikel 46 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 ist hinsichtlich der Voraussetzungen für die Berücksichtigung gleichgestellter Zeiten, insbesondere bei Zusammenfallen von Versicherungszeiten, Artikel 15 Absatz 1 Buchstaben c und d der Verordnung Nr. 574/72 anzuwenden. Das nationale Gericht hat hierbei zu prüfen, wie Zeiten der Zahlung einer Invaliditätsrente gemäß den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats nach diesen Rechtsvorschriften qualifiziert werden.

3. Beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts, das sich auf die Koordinierung der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit beschränkt, verstösst es nicht gegen das Gemeinschaftsrecht, wenn die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, die für die Berechnung einer Altersrente bezueglich der den Beschäftigungszeiten gleichgestellten Zeiten ein fiktives Tagesentgelt festlegen, auf dieses den gleichen Anteil anwenden, wie er bei der Berechnung der zuvor gewährten Invaliditätsrente zugrunde gelegt wurde.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (DRITTE KAMMER) VOM 9. DEZEMBER 1993. - VITO CANIO LEPORE UND NICOLANTONIO SCAMUFFA GEGEN OFFICE NATIONAL DES PENSIONS. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TRIBUNAL DU TRAVAIL DE BRUXELLES - BELGIEN. - SOZIALE SICHERHEIT - BERECHNUNG DER ALTERSRENTE. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN C-45/92 UND C-46/92.

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunal du travail Brüssel hat mit zwei Urteilen vom 10. Februar 1992, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Februar 1992, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung der Artikel 43 und 45 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und des Artikels 15 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 zur Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, jeweils in ihrer durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6) geänderten und kodifizierten Fassung zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten zwischen Herrn Lepore und Herrn Scamuffa einerseits und dem belgischen Office national des pensions (im folgenden: ONP) andererseits wegen der Berechnung der Altersrenten der Kläger.

3 Herr Lepore und Herr Scamuffa, italienische Staatsangehörige, arbeiteten in Belgien von 1951 bis 1954 und von 1951 bis 1959.

4 Herr Lepore, der ausserdem in Italien, Deutschland und Luxemburg arbeitete, ist 1986 wegen Invalidität arbeitsunfähig geworden, während er als Arbeitnehmer in Luxemburg beschäftigt war. Seither erhielt er luxemburgische und deutsche Leistungen bei Invalidität, die in Leistungen bei Alter umgewandelt wurden. Ausserdem erhält er seit dem 1. Februar 1985 eine italienische Altersrente, und er erhielt seit Juni 1987 eine anteilige belgische Invaliditätsrente, die 1990 in eine Altersrente umgewandelt wurde.

5 Herr Scamuffa wurde 1978 arbeitsunfähig, während er als Arbeitnehmer in Italien beschäftigt war. Seither bezieht er italienische Leistungen bei Invalidität, und seit 1980 bezog er ausserdem eine anteilige belgische Invaliditätsrente, die 1990 in eine Altersrente umgewandelt wurde.

6 Gemäß Artikel 34 Absatz 2 der belgischen Königlichen Verordnung vom 21. Dezember 1967 zur allgemeinen Regelung des Systems der Alters- und Hinterbliebenenrente der Arbeitnehmer (Moniteur belge vom 27. Oktober 1967) werden Zeiten der Arbeitsunfähigkeit bei der Festlegung des Anspruchs auf eine Altersrente nur dann Beschäftigungszeiten gleichgestellt, wenn der Betreffende u. a. der Gesetzesverordnung vom 28. Dezember 1944 unterliegt, d. h. dem belgischen System der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer, oder, soweit dies nicht der Fall ist, nachweist, daß er zum Zeitpunkt der Arbeitsunterbrechung die Arbeitnehmereigenschaft besaß.

7 Bei der Berechnung der Altersrenten von Herrn Lepore und Herrn Scamuffa weigerte sich das ONP, die Zeiten, für die die Betreffenden Leistungen bei Invalidität vom ONP erhalten hatten, als Beschäftigungszeiten anzuerkennen, insbesondere weil sie zum Zeitpunkt der Arbeitsunterbrechung in Belgien nicht die Arbeitnehmereigenschaft besessen hätten.

8 Herr Lepore und Herr Scamuffa erhoben beim Tribunal du travail Brüssel gegen diese Weigerung des ONP Klage. Dieses Gericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof in beiden Rechtssachen folgende gleichlautende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Wenn ein Arbeitnehmer, der in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft gearbeitet hat, nach den Rechtsvorschriften seines Wohnstaats Leistungen wegen Invalidität erhält, deren Betrag von der Dauer der Versicherungszeiten abhängig ist und die folglich gemäß den Artikeln 40 und 45 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zu einem Teil vom zuständigen Träger eines anderen Mitgliedstaats anteilig für die Dauer der Versicherungszeit in diesem Staat gezahlt werden, und dieser Arbeitnehmer dann bei Erreichen der normalen Altersgrenze nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats Anspruch auf eine Altersrente zu Lasten des zuständigen Trägers dieses Staates hat, während seine Invaliditätsleistungen nach den Rechtsvorschriften seines Wohnstaats nicht in Leistungen bei Alter umgewandelt werden, ist dann bei der Bestimmung der Altersrente zu Lasten des zuständigen Trägers des anderen Mitgliedstaats ° dessen Rechtsvorschriften unter bestimmten Voraussetzungen die Gleichstellung der Zeiten der Gewährung einer Leistung bei Invalidität mit Zeiten tatsächlicher Beschäftigung und somit als Versicherungszeiten für die Altersrente vorsehen ° davon auszugehen, daß die durch Umwandlung einer Invaliditätsrente gewährte Altersrente nach den Artikeln 43 Absatz 1 und 45 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 unter Wahrung des Grundsatzes der Zusammenrechnung, der bei der Festlegung dieser Leistung angewandt wurde, die Zeit umfassen muß, in der diese Leistung gewährt wurde, weil nämlich der die Altersrente Beantragende zwar im Zeitpunkt der Unterbrechung der Arbeit aufgrund der Invalidität im Staat des die Leistung schuldenden Trägers nicht mehr die Arbeitnehmereigenschaft besaß und dort nicht mehr dem System der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer angehörte, wohl aber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften zu diesem Zeitpunkt immer noch die Arbeitnehmereigenschaft besaß?

2) Wenn Artikel 45 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 auf den beschriebenen Sachverhalt anwendbar ist, ist dann im Sinne des Artikel 15 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 von folgendem auszugehen: keine Überschneidung von Versicherungszeiten (Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe a Satz 1); getrennte Zusammenrechnung (Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe a Satz 2), unabhängig von den anderen in Artikel 15 Absatz 1 enthaltenen Bestimmungen; Zusammenfallen anderer Versicherungszeiten als gleichgestellter Zeiten mit gleichgestellten Zeiten (Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe c); Zusammenfallen zweier gleichgestellter Zeiten (Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe d), oder ist davon auszugehen, daß diese Situation in dem genannten Artikel 15 überhaupt nicht vorgesehen ist?

3) Wenn Artikel 45 Absatz 1 auf den beschriebenen Sachverhalt anwendbar ist und nach den anwendbaren EWG-Verordnungen sowie den Rechtsvorschriften, die der für die Altersrente zuständige Träger anzuwenden hat, die Zeit zu berücksichtigen ist, in der die anteiligen Leistungen bei Invalidität gewährt wurden, und wenn diese Rechtsvorschriften ausserdem vorsehen, daß für die gleichgestellten Zeiten fiktive Tagesvergütungssätze berücksichtigt werden (siehe Artikel 24 a der belgischen Königlichen Verordnung vom 21. Dezember 1967), sind dann diese Vergütungen unter Zugrundelegung der gleichen Aufteilung zu berücksichtigen, wie sie bei der Gewährung der Leistungen bei Invalidität selbst zugrunde gelegt wurden?

9 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des rechtlichen Rahmens der Ausgangsverfahren, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur ersten Frage

10 Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob es gegen das Gemeinschaftsrecht verstösst, wenn einem Wanderarbeitnehmer bei der Berechnung seiner Altersrente die in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehene Gleichstellung von Invaliditätszeiten mit Beschäftigungszeiten allein deswegen versagt wird, weil er zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit nicht in dem betreffenden Mitgliedstaat, sondern in einem anderen Mitgliedstaat Arbeitnehmer war.

11 Gemäß Artikel 45 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 hat der Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb des Leistungsanspruchs von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig ist, die Versicherungszeiten zu berücksichtigen, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt wurden, als handelte es sich um Zeiten, die nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden sind.

12 Das vorlegende Gericht fragt sich, ob es möglich ist, dieser Bestimmung einen Grundsatz zu entnehmen, wonach bei der Berechnung der Altersrente Invaliditätszeiten Versicherungszeiten gleichzustellen sind, wenn die in den nationalen Rechtsvorschriften insoweit aufgestellten Voraussetzungen nicht erfuellt sind, weil der Betreffende arbeitsunfähig geworden ist, als er in einem anderen Mitgliedstaat arbeitete.

13 Dazu genügt der Hinweis darauf, daß die genannte Bestimmung die Zusammenrechnung der Versicherungszeiten lediglich für den Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben des Altersrentenanspruchs vorsieht, daß aber in den Ausgangsverfahren die Feststellung des Betrages dieser Leistungen streitig ist.

14 Das vorlegende Gericht fragt sich weiterhin, ob ein solcher Grundsatz nicht aus Artikel 43 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 hergeleitet werden kann.

15 Diese Vorschrift bestimmt:

"Die Leistungen bei Invalidität werde gegebenenfalls nach Maßgabe der Rechtsvorschriften des oder der Staaten, nach denen sie gewährt worden sind, gemäß Kapitel 3 in Leistungen bei Alter umgewandelt."

16 Demgemäß sind die Vorschriften des Kapitels 3 auf die Feststellung einer Altersrente anwendbar, die sich aus der Umwandlung einer Leistung bei Invalidität ergibt.

17 Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß die Berechnung des Betrages der Leistungen nach Artikel 46 der Verordnung Nr. 1408/71 in mehreren Stufen vorzunehmen ist. Der zuständige Träger hat hierbei zunächst den sogenannten "autonomen" Leistungsbetrag nach Absatz 1 UnterAbsatz 1 und sodann gemäß UnterAbsatz 2 dieses Absatzes die sogenannte "anteilige" Leistung nach Absatz 2 Buchstaben a und b dieses Artikels zu berechnen. Berücksichtigt wird der höhere dieser beiden Beträge (vgl. Urteil vom 11. Juni 1992 in den verbundenen Rechtssachen C-90/91 und C-91/91, Di Crescenzo und Casagrande, Slg. 1992, I-3851, Randnr. 19).

18 Artikel 46 Absatz 1 lautet:

"Der zuständige Träger jedes Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften für den Arbeitnehmer oder Selbständigen galten und deren Voraussetzungen für den Leistungsanspruch auch ohne Anwendung von Artikel 45 und/oder Artikel 40 Absatz 3 erfuellt sind, bestimmt nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften den Leistungsbetrag unter Zugrundelegung aller nach diesen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Versicherungs- oder Wohnzeiten."

19 Der Begriff "Versicherungszeiten" ist in Artikel 1 Buchstabe r dieser Verordnung definiert als "die Beitrags-, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer Selbständigentätigkeit, die nach den Rechtsvorschriften, nach denen sie zurückgelegt worden sind oder als zurückgelegt gelten, als Versicherungszeiten bestimmt oder anerkannt sind, sowie alle gleichgestellten Zeiten, soweit sie nach diesen Rechtsvorschriften als den Versicherungszeiten gleichwertig anerkannt sind..."

20 Demgemäß sind bei der Berechnung des autonomen Leistungsbetrags die Versicherungszeiten, die nach den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats ermittelt wurden, und insbesondere die nach diesen Rechtsvorschriften den Versicherungszeiten gleichgestellten Zeiten zu berücksichtigen, allerdings vorbehaltlich der Beachtung der Artikel 48 bis 51 EWG-Vertrag (vgl. Urteil vom 15. Oktober 1991 in der Rechtssache C-302/90, Faux, Slg. 1991, I-4875, Randnrn. 25 bis 28).

21 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (vgl. insbesondere Urteil vom 4. Oktober 1991 in der Rechtssache C-349/87, Paraschi, Slg. 1991, I-4501, RandNr. 22) lassen es allerdings die Artikel 48 bis 51 EWG-Vertrag nicht zu, daß Wanderarbeitnehmer, die von ihrem Recht auf Freizuegigkeit Gebrauch gemacht haben, Vergünstigungen der sozialen Sicherheit verlieren, die ihnen die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats sichern; eine solche Konsequenz könnte Arbeitnehmer der Gemeinschaft davon abhalten, von ihrem Recht auf Freizuegigkeit Gebrauch zu machen, und würde somit diese Freizuegigkeit beeinträchtigen.

22 Wie der Generalanwalt in Nr. 17 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, wäre dies bei den fraglichen nationalen Rechtsvorschriften der Fall. Die Aussicht für einen Arbeitnehmer, in einem Mitgliedstaat das Recht auf Gleichstellung von Invaliditätszeiten mit Versicherungszeiten zu verlieren, wenn er eine Arbeit in einem anderen Mitgliedstaat aufnimmt, ist nämlich unter bestimmten Umständen geeignet, diesen Arbeitnehmer von der Ausübung seines Rechts auf Freizuegigkeit abzuhalten.

23 Die Erfordernisse der Freizuegigkeit verlangen es daher, daß die betreffenden Invaliditätszeiten bei der Berechnung der autonomen Leistung Versicherungszeiten gleichgestellt werden. Das gleiche gilt für die Berechnung der anteiligen Leistung nach Artikel 46 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71.

24 Auf die erste Vorlagefrage ist daher zu antworten, daß es gegen das Gemeinschaftsrecht verstösst, wenn einem Wanderarbeitnehmer bei der Berechnung seiner Altersrente die in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehene Gleichstellung von Invaliditätszeiten mit Beschäftigungszeiten allein deswegen versagt wird, weil er zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit nicht in dem betreffenden, sondern in einem anderen Mitgliedstaat Arbeitnehmer war.

Zur zweiten Frage

25 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob dann, wenn Invaliditätszeiten Versicherungszeiten gleichzustellen sind, Artikel 15 Absatz 1 Buchstaben a, c und d der Verordnung Nr. 574/72 anzuwenden sind und, wenn ja, wie diese Bestimmungen auszulegen sind.

26 Aus Artikel 43 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe d der Verordnung Nr. 1408/71 folgt, daß die Verordnung Nr. 574/72 für die Berechnung der Altersrente gilt, die sich aus der Umwandlung einer Invaliditätsrente ergibt.

27 Gemäß Artikel 46 Absatz 1 der Verordnung Nr. 574/72 gelten für die Berechnung des theoretischen und des tatsächlichen Leistungsbetrags nach Artikel 46 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 die Vorschriften des Artikels 15 Absatz 1 Buchstaben b, c und d der Verordnung Nr. 574/72.

28 Dieser Artikel 15 enthält Vorschriften über die Zusammenrechnung der Zeiten, die zum Teil für die vorliegenden Fälle von Bedeutung sein könnten. Es handelt sich um die vom vorlegenden Gericht angeführten Vorschriften des Absatzes 1 Buchstaben c und d.

29 Diese Vorschriften lauten:

"c) fällt eine nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zurückgelegte Versicherungs- oder Wohnzeit, die keine gleichgestellte Zeit ist, mit einer nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gleichgestellten Zeit zusammen, so wird nur die Zeit berücksichtigt, die keine gleichgestellte Zeit ist;

d) jede nach den Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten gleichgestellte Zeit wird nur von dem Träger des Mitgliedstaats berücksichtigt, nach dessen Rechtsvorschriften der Versicherte zuletzt vor dieser Zeit pflichtversichert war; ist der Versicherte vor dieser Zeit nicht nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats pflichtversichert gewesen, so wird sie von dem Träger des Mitgliedstaats berücksichtigt, nach dessen Rechtsvorschriften er nach der betreffenden Zeit zum erstenmal pflichtversichert war..."

30 Bei der Anwendung dieser Vorschriften hat das vorlegende Gericht zu prüfen, ob die Zeiten der Zahlung der Invaliditätsrenten in Luxemburg und Italien nach den Rechtsvorschriften dieser Länder als Versicherungszeiten oder diesen gleichgestellte Zeiten zu betrachten sind.

31 Zu dem vom vorlegenden Gericht ebenfalls angeführten Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe a ist zu bemerken, daß der Ausschluß der Überschneidung der darin genannten Versicherungszeiten nicht die gleichgestellten Zeiten betrifft, die Gegenstand besonderer, in Randnummer 29 des vorliegenden Urteils wiedergegebener Regeln sind.

32 Dem vorlegenden Gericht ist daher zu antworten, daß bei der Berechnung des Betrages einer Leistung bei Alter nach Artikel 46 Absatz 1 UnterAbsatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 Artikel 15 Absatz 1 Buchstaben c und d der Verordnung Nr. 574/72 anzuwenden ist. Das nationale Gericht hat hierbei zu prüfen, ob die Zeiten der Zahlung von Invaliditätsrenten in anderen Mitgliedstaaten nach den Rechtsvorschriften dieser Staaten als Versicherungszeiten oder diesen gleichgestellte Zeiten zu betrachten sind.

Zur dritten Frage

33 Mit der dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es gegen das Gemeinschaftsrecht verstösst, wenn die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, die für die Berechnung einer Altersrente bezueglich der den Beschäftigungszeiten gleichgestellten Zeiten ein fiktives Tagesentgelt festlegen, auf dieses den gleichen Anteil anwenden, wie er bei der Berechnung der zuvor gewährten Invaliditätsrente zugrunde gelegt wurde.

34 Diese Frage, die sich auf die materielle Durchführung der Berechnung einer Altersrente nach den nationalen Rechtsvorschriften bezieht, gehört, wie die Kommission zutreffend ausgeführt hat, in die Zuständigkeit der nationalen Träger. Beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts, das sich auf die Koordinierung der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit beschränkt, schreiben weder ein Grundsatz noch eine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts einem Mitgliedstaat eine besondere Regel vor, die es erlauben würde, auf die in der nationalen Regelung vorgesehene fiktive Vergütung die gleichen Grundsätze für die Aufteilung anzuwenden, wie sie bei der zuvor gewährten Invaliditätsrente zurgrunde gelegt wurden.

35 Dem vorlegenden Gericht ist daher zu antworten, daß es nicht gegen das Gemeinschaftsrecht verstösst, wenn die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, die für die Berechnung einer Altersrente bezueglich der den Beschäftigungszeiten gleichgestellten Zeiten ein fiktives Tagesentgelt festlegen, auf dieses den gleichen Anteil anwenden, wie er bei der Berechnung der zuvor gewährten Invaliditätsrente zugrunde gelegt wurde.

Kostenentscheidung:

Kosten

36 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

auf die ihm vom Tribunal du travail Brüssel mit zwei Urteilen vom 10. Februar 1992 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Es verstösst gegen das Gemeinschaftsrecht, wenn einem Wanderarbeitnehmer bei der Berechnung seiner Altersrente die in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehene Gleichstellung von Invaliditätszeiten mit Beschäftigungszeiten allein deswegen versagt wird, weil er zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit nicht in dem betreffenden, sondern in einem anderen Mitgliedstaat Arbeitnehmer war.

2) Bei der Berechnung des Betrages einer Leistung bei Alter nach Artikel 46 Absatz 1 UnterAbsatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ist Artikel 15 Absatz 1 Buchstaben c und d der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 anzuwenden. Das nationale Gericht hat hierbei zu prüfen, ob die Zeiten der Zahlung von Invaliditätsrenten in anderen Mitgliedstaaten nach den Rechtsvorschriften dieser Staaten als Versicherungszeiten oder diesen gleichgestellte Zeiten zu betrachten sind.

3) Es verstösst nicht gegen das Gemeinschaftsrecht, wenn die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, die für die Berechnung einer Altersrente bezueglich der den Beschäftigungszeiten gleichgestellten Zeiten ein fiktives Tagesentgelt festlegen, auf dieses den gleichen Anteil anwenden, wie er bei der Berechnung der zuvor gewährten Invaliditätsrente zugrunde gelegt wurde.

Ende der Entscheidung

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