Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 02.04.2009
Aktenzeichen: C-459/07
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 2913/92


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 Art. 202
Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 Art. 233 Unterabs. 1 Buchst. d
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

2. April 2009

"Zollkodex der Gemeinschaften - Art. 202 und 233 Unterabs. 1 Buchst. d - Entstehung der Zollschuld - Vorschriftswidriges Verbringen von Waren - Beschlagnahme mit Einziehung - Erlöschen der Zollschuld - Zeitpunkt, zu dem die Beschlagnahme erfolgen muss"

Parteien:

In der Rechtssache C-459/07

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Unabhängigen Finanzsenat, Außenstelle Graz (Österreich), mit Entscheidung vom 20. September 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Oktober 2007, in dem Verfahren

Veli Elshani

gegen

Hauptzollamt Linz

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas, der Richter J. Klucka und U. Lõhmus (Berichterstatter) sowie der Richterin P. Lindh und des Richters A. Arabadjiev,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. September 2008,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,

- der dänischen Regierung, vertreten durch B. Weis Fogh als Bevollmächtigte,

- der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz als Bevollmächtigten,

- der finnischen Regierung, vertreten durch J. Heliskoski als Bevollmächtigten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch S. Schønberg und M. &brkbar;imerdová als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt M. Núñez-Müller,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. November 2008

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 202 und 233 Unterabs. 1 Buchst. d der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2000 (ABl. L 311, S. 17) geänderten Fassung (im Folgenden: Zollkodex).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Elshani und dem Hauptzollamt Linz (im Folgenden: Hauptzollamt) über die Entstehung und das Erlöschen einer Zollschuld.

Rechtlicher Rahmen

3 Art. 4 des Zollkodex bestimmt:

"Im Sinne dieses Zollkodex ist oder sind

...

19. Gestellung: die Mitteilung an die Zollbehörden in der vorgeschriebenen Form, dass sich die Waren bei der Zollstelle oder an einem anderen von den Zollbehörden bezeichneten oder zugelassenen Ort befinden;

..."

4 Art. 38 des Zollkodex sieht vor:

"(1) Die in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbrachten Waren sind vom Verbringer unverzüglich und gegebenenfalls unter Benutzung des von den Zollbehörden bezeichneten Verkehrsweges nach Maßgabe der von diesen Behörden festgelegten Einzelheiten zu befördern:

a) zu der von den Zollbehörden bezeichneten Zollstelle oder einem anderen von diesen Behörden bezeichneten oder zugelassenen Ort;

...

(2) Übernimmt eine andere Person nach dem Verbringen der Waren in das Zollgebiet der Gemeinschaft die Beförderung dieser Waren, insbesondere infolge einer Umladung, so geht die Verpflichtung nach Absatz 1 auf diese andere Person über.

..."

5 Art. 40 des Zollkodex lautet:

"Waren, die nach Maßgabe des Artikels 38 Absatz 1 Buchstabe a) bei der Zollstelle oder an einem anderen von den Zollbehörden bezeichneten oder zugelassenen Ort eintreffen, sind von der Person zu gestellen, welche die Waren in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht hat oder die gegebenenfalls die Beförderung der Waren nach dem Verbringen übernimmt."

6 In Art. 202 des Zollkodex heißt es:

"(1) Eine Einfuhrzollschuld entsteht,

a) wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht wird oder

...

Im Sinne dieses Artikels ist vorschriftswidriges Verbringen jedes Verbringen unter Nichtbeachtung der Artikel 38 bis 41 und 177 zweiter Gedankenstrich.

(2) Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Ware vorschriftswidrig in dieses Zollgebiet verbracht wird.

(3) Zollschuldner sind:

- die Person, welche die Ware vorschriftswidrig in dieses Zollgebiet verbracht hat;

..."

7 Art. 203 des Zollkodex bestimmt:

"(1) Eine Einfuhrzollschuld entsteht,

- wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird.

(2) Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird.

..."

8 Art. 233 des Zollkodex sieht vor:

"Unbeschadet der geltenden Vorschriften über die Verjährung der Zollschuld sowie über die Nichterhebung des Betrags der Zollschuld in den Fällen, in denen die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gerichtlich festgestellt worden ist, erlischt die Zollschuld

a) durch Entrichtung des Abgabenbetrages;

b) durch Erlass des Abgabenbetrages;

c) wenn im Falle von Waren, die zu einem Zollverfahren angemeldet worden sind, das die Verpflichtung zur Entrichtung von Abgaben enthält,

- die Zollanmeldung für ungültig erklärt wird;

- die Waren vor der Überlassung beschlagnahmt und gleichzeitig oder später eingezogen werden, auf Anordnung der Zollbehörden vernichtet oder zerstört werden, gemäß Artikel 182 aufgegeben werden oder aus in ihrer Natur liegenden Gründen, durch Zufall oder höhere Gewalt vernichtet oder zerstört worden oder unwiederbringlich verloren gegangen sind;

d) wenn Waren, für die eine Zollschuld gemäß Artikel 202 entstanden ist, bei dem vorschriftswidrigen Verbringen beschlagnahmt und gleichzeitig oder später eingezogen werden.

Bei Beschlagnahme und Einziehung der Ware gilt jedoch im Rahmen des auf Verstöße gegen Zollvorschriften anwendbaren Strafrechts die Zollschuld als nicht erloschen, wenn im Strafrecht eines Mitgliedstaats vorgesehen ist, dass die Zölle als Grundlage für die Verhängung von Strafmaßnahmen herangezogen werden oder dass aufgrund des Bestehens einer Zollschuld strafrechtliche Verfolgungen eingeleitet werden."

9 Hinsichtlich des Verbringens von Waren in die Gemeinschaft bestimmt Art. 163 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 (ABl. L 253, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2787/2000 der Kommission vom 15. Dezember 2000 (ABl. L 330, S. 1) geänderten Fassung:

"(1) Im Sinne des Artikels 32 Absatz 1 Buchstabe e) und des Artikels 33 Buchstabe a) des Zollkodex ist der Ort des Verbringens in das Zollgebiet der Gemeinschaft

...

c) für im Eisenbahn-, Binnenschiffs- oder Straßenverkehr beförderte Waren der Ort der ersten Zollstelle;

..."

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

10 Den Akten, die dem Gerichtshof vorliegen, ist zu entnehmen, dass die Gendarmerie des Landes Oberösterreich im Raum Eferding eine Telefonüberwachung im Zusammenhang mit einem Zigarettenschmuggel durchführte. Dabei ergab sich der Verdacht, dass Herr Elshani und sein Bruder in zwei Reisebussen Zigaretten vom Kosovo nach Österreich schmuggelten.

11 Die Telefonüberwachung führte dazu, dass Herr Elshani in einem dieser Reisebusse, in dem im Mittelgang 150 Stangen Zigaretten versteckt waren, in unmittelbarer Nähe von Wels (Österreich) aufgegriffen wurde. Der Bus hatte das Reiseziel Eferding noch nicht erreicht. Die Zigaretten wurden von den österreichischen Zollbehörden beschlagnahmt sowie anschließend eingezogen und unter amtlicher Aufsicht vernichtet.

12 Der Beschwerdeführer des Ausgangsverfahrens wird für die Zollschuldentstehung in der Zeit zwischen dem 19. und 21. Mai 2001 herangezogen. Das genaue Datum bestimmt sich nach dem Zeitpunkt, in dem bei gegebener Reiseroute aus dem Kosovo über Albanien nach Brindisi (Italien) und in weiterer Folge nach Österreich die Zigarettenstangen vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht wurden.

13 Das Hauptzollamt trug dem Beschwerdeführer des Ausgangsverfahrens mit Bescheid vom 13. November 2002 die Entrichtung der Eingangsabgaben in Höhe von 961,46 Euro für die genannten Zigarettenstangen auf.

14 Dagegen wandte sich seine Berufung vom 13. Dezember 2002. Mit Entscheidung vom 7. Juli 2003 wies das Hauptzollamt die Berufung als unbegründet ab.

15 Der mit der Beschwerde von Herrn Elshani gegen diese Entscheidung befasste Unabhängige Finanzsenat, Außenstelle Graz, hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Der Erlöschenstatbestand des Art. 233 Unterabs. 1 Buchst. d des Zollkodex stellt nicht auf den Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld, sondern auf einen Zeitraum nach dem Entstehen der Zollschuld ab, weil er eine nach Art. 202 des Zollkodex "entstandene" Zollschuld voraussetzt. Ist die Wortfolge "beim vorschriftswidrigen Verbringen" im Sinne des Art. 233 Unterabs. 1 Buchst. d des Zollkodex so auszulegen,

- dass das Verbringen einer Ware in das Zollgebiet der Gemeinschaft, für die eine Zollschuld nach Art. 202 des Zollkodex entstanden ist, bereits mit ihrem Verbringen zur Grenzzollstelle oder an einen anderen von den Zollbehörden bezeichneten Ort, spätestens jedoch mit dem Verlassen des Amtsplatzes der Grenzzollstelle oder des sonst bezeichneten Ortes endet, weil die Ware damit das Innere des Zollgebiets erreicht hat, so dass eine Beschlagnahme und Einziehung der Waren nach diesem Zeitpunkt nicht mehr zu einem Erlöschen der Zollschuld führt,

oder so auszulegen,

- dass das Verbringen einer Ware in das Zollgebiet der Gemeinschaft, für die eine Zollschuld nach Art. 202 des Zollkodex entstanden ist, im Sinne einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise so lange andauert, so lange ihre Beförderung als einheitlicher Lebensvorgang im Anschluss an das Verbringen der Ware in das Zollgebiet noch andauert, die Ware im Zollgebiet demnach noch nicht an einem ersten Bestimmungsort eingetroffen und dort zur Ruhe gekommen ist, so dass eine Beschlagnahme und Einziehung der Waren noch bis zu diesem Zeitpunkt zu einem Erlöschen der Zollschuld führt?

2. Im Falle eines vorschriftswidrigen Verhaltens im Sinne von Art. 202 des Zollkodex, das bei dem Verbringen entdeckt wird, erlischt die Zollschuld zwingend. Die Beschlagnahme von Waren unmittelbar beim Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung als vorschriftswidriges Verhalten im Sinne von Art. 203 des Zollkodex hingegen führt zu keinem sofortigen Erlöschen der Zollschuld. Ist Art. 233 Unterabs. 1 Buchst. d des Zollkodex so auszulegen, dass dieses ausdrücklich auf Fälle der Entstehung der Zollschuld nach Art. 202 des Zollkodex eingeschränkte Erlöschen der Zollschuld dennoch dem Gebot der Gleichbehandlung vorschriftswidrigen Verhaltens entspricht?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

16 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 202 und 233 Unterabs. 1 Buchst. d des Zollkodex dahin auszulegen sind, dass die Beschlagnahme von vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbrachten Waren nur dann zum Erlöschen der Zollschuld führt, wenn sie erfolgt, bevor die Waren die Zollstelle verlassen, oder auch dann noch, wenn sie später während der Beförderung, aber vor Erreichen des ersten Bestimmungsorts stattfindet.

17 Nach Auffassung der österreichischen Regierung ist die Wortfolge "bei dem vorschriftswidrigen Verbringen" in Art. 233 Unterabs. 1 Buchst. d des Zollkodex ein eigenständiger Begriff, der einen anderen Zeitraum umfasse als den des Verbringens in das Zollgebiet per se, der schon mit erfolgtem Überschreiten der Zollgrenze beendet sei.

18 Die österreichische und die finnische Regierung vertreten die Ansicht, dass das Verbringen einer Ware, für die eine Zollschuld nach Art. 202 des Zollkodex entstanden sei, im Sinne einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise so lange andauere, so lange ihre Beförderung als einheitlicher Lebensvorgang noch andauere, also bis die Ware an ihrem ersten Bestimmungsort eintreffe, so dass die Beschlagnahme und Einziehung der Ware noch bis zu diesem Zeitpunkt zu einem Erlöschen der Zollschuld führe. Diese Auslegung entspreche auch dem Wirtschaftszollgedanken und dem Zweck von Zöllen, aus denen sich ergebe, dass die Zollschuld zu erlöschen habe, wenn die vorschriftswidrig verbrachten Waren beschlagnahmt und eingezogen worden seien, bevor sie in den Wirtschaftskreislauf eingegangen seien.

19 Hierzu ist festzustellen, dass das Verbringen von Waren in das Zollgebiet der Gemeinschaft, wie es u. a. durch die Art. 37 bis 57 des Zollkodex - Bestimmungen, die für in dieses Gebiet verbrachte Waren gelten, bis sie einer zollrechtlichen Bestimmung zugeführt wurden - geregelt ist, im Fall des Verbringens auf dem Landweg durch die bloße Grenzüberschreitung der Waren endet und dass dieser Begriff nicht mit dem Begriff "vorschriftswidriges Verbringen" im Sinne des Art. 202 des Zollkodex übereinstimmt.

20 Aus Art. 202 Abs. 1 des Zollkodex ergibt sich nämlich, dass "vorschriftswidriges Verbringen" im Sinne dieser Bestimmung u. a. jedes Verbringen unter Nichtbeachtung der Art. 38 bis 41 des Zollkodex ist.

21 Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Einfuhr von Waren, die die folgenden - im Zollkodex vorgesehenen - Etappen nicht einhält, ein vorschriftswidriges Verbringen darstellt. Erstens müssen die in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbrachten Waren nach Art. 38 Abs. 1 des Zollkodex unverzüglich zu der angegebenen Zollstelle oder in eine Freizone befördert werden. Zweitens müssen die Waren, wenn sie bei der Zollstelle eintreffen, dort nach Art. 40 des Zollkodex gestellt werden. Die Gestellung der Waren ist in Art. 4 Nr. 19 des Zollkodex definiert als die Mitteilung an die Zollbehörden in der vorgeschriebenen Form, dass sich die Waren bei der Zollstelle oder an einem anderen von den Zollbehörden bezeichneten oder zugelassenen Ort befinden (Urteil vom 3. März 2005, Papismedov u. a., C-195/03, Slg. 2005, I-1667, Randnr. 26).

22 Aus dem Wortlaut der Art. 38 bis 41 des Zollkodex ist ersichtlich, dass Waren nur dann vorschriftsmäßig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht werden, wenn sie zu einer Zollstelle oder in eine Freizone befördert und gestellt werden, sobald sie eingetroffen sind. Die letztgenannte Verpflichtung, die dem Verbringer oder demjenigen obliegt, der die Beförderung übernimmt, soll gewährleisten, dass die Zollbehörden nicht nur darüber informiert werden, dass die Waren eingetroffen sind, sondern auch über alle anderen einschlägigen Angaben betreffend die Art des betreffenden Artikels oder Erzeugnisses sowie die Menge dieser Waren. Dies sind nämlich die Angaben, die es ermöglichen, sie für die Zwecke ihrer Tarifierung und gegebenenfalls der Berechnung der Einfuhrabgaben korrekt zu erfassen (Urteil Papismedov u. a., Randnr. 27).

23 Hierzu hat der Gerichtshof festgestellt, dass sich aus dem Wortlaut und der Systematik der Art. 4 Nr. 19, 38 Abs. 1 und 40 des Zollkodex klar ergibt, dass alle in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbrachten Waren zu gestellen sind. Der Umstand, dass bestimmte Waren in Verstecken des Fahrzeugs, in dem sie befördert werden, verheimlicht werden, bewirkt nicht, dass sich diese Verpflichtung nicht auf sie erstreckt (Urteil vom 4. März 2004, Viluckas und Jonusas, C-238/02 und C-246/02, Slg. 2004, I-2141, Randnr. 22).

24 Dem ist hinzuzufügen, dass nach Art. 163 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 2454/93 in der durch die Verordnung Nr. 2787/2000 geänderten Fassung für die Zwecke der Ermittlung des Zollwerts der eingeführten Waren der "Ort des Verbringens in das Zollgebiet der Gemeinschaft" für im Straßenverkehr beförderte Waren der Ort der ersten Zollstelle ist.

25 Daraus folgt, wie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften zutreffend ausführt, dass das vorschriftswidrige Verbringen von Waren vollzogen ist, sobald die Waren über die erste innerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft liegende Zollstelle hinaus gelangt sind, ohne dort gestellt worden zu sein.

26 Demnach ist davon auszugehen, dass solche Waren im Sinne des Art. 202 des Zollkodex "vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht" wurden, die sich, nachdem sie die Landaußengrenze der Gemeinschaft überschritten haben, in diesem Gebiet jenseits der ersten Zollstelle befinden, ohne dorthin befördert und ohne gestellt worden zu sein, mit dem Ergebnis, dass die Zollbehörden von den dazu Verpflichteten keine Mitteilung über das Verbringen der Waren erhalten haben.

27 Aus dem Wortlaut des Art. 202 Abs. 2 und 3 des Zollkodex ergibt sich zudem, dass der Vorgang der Einfuhr von Waren in das Zollgebiet der Gemeinschaft, der unter den in der vorstehenden Randnummer beschriebenen Bedingungen stattfindet, eine Zollschuld u. a. in der Person des Einführers genau in dem Augenblick entstehen lässt, in dem die Waren vorschriftswidrig verbracht werden, d. h. in dem Augenblick, in dem feststeht, dass die Formalitäten u. a. der Art. 38 bis 41 des Zollkodex nicht erfüllt wurden. Somit fallen das vorschriftswidrige Verbringen und das Entstehen der Zollschuld zusammen.

28 Da aber die Beschlagnahme von Waren bei ihrem vorschriftswidrigen Verbringen oder ihre gleichzeitige oder spätere Einziehung nach Art. 233 Unterabs. 1 Buchst. d des Zollkodex zum Erlöschen der Zollschuld führen, stellt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Beschlagnahme erfolgen muss, um schuldbefreiende Wirkung zu haben.

29 Es ist festzustellen, dass mit dem in Art. 233 Unterabs. 1 Buchst. d des Zollkodex vorgesehenen Erlöschen der Zollschuld vermieden werden soll, dass Zoll erhoben wird, wenn die Ware zwar vorschriftswidrig in die Gemeinschaft verbracht wurde, aber nicht vermarktet werden konnte und deshalb unter Wettbewerbsgesichtspunkten keine Gefahr für die Gemeinschaftswaren darstellte.

30 Im Kontext des Zollkodex stellen die in Art. 233 Unterabs. 1 Buchst. d des Zollkodex genannte Beschlagnahme mit Einziehung von Waren bei deren vorschriftswidrigem Verbringen ebenso wie die in Art. 233 Unterabs. 1 Buchst. a bis c vorgesehenen Fälle der Entrichtung des Abgabenbetrags, des Erlasses des Abgabenbetrags, der Ungültigerklärung der Zollanmeldung sowie der Beschlagnahme und Einziehung vor der Überlassung, der Vernichtung oder Zerstörung, der Aufgabe oder des unwiederbringlichen Verlusts der angemeldeten Waren einen eng auszulegenden Erlöschensgrund der Zollschuld dar.

31 Dieser Befund wird durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigt, der im Urteil vom 14. November 2002, SPKR (C-112/01, Slg. 2002, I-10655, Randnr. 31), entschieden hat, dass Art. 233 des Zollkodex der Notwendigkeit Rechnung trägt, die Eigenmittel der Gemeinschaft zu schützen, einem Ziel, das nicht durch die Einführung neuer Erlöschensgründe für die Zollschuld beeinträchtigt werden darf. Diese Notwendigkeit besteht erst recht bei der Bestimmung des Zeitpunkts, zu dem die Beschlagnahme von Waren stattfinden muss, die zum Erlöschen der Zollschuld für diese Waren führen kann.

32 Das Vorhandensein von vorschriftswidrig verbrachten Waren im Zollgebiet der Gemeinschaft allein birgt eine sehr große Gefahr, dass diese Waren letztlich Eingang in den Wirtschaftskreislauf der Mitgliedstaaten finden; haben diese Waren erst einmal die Zone verlassen, in der sich die erste innerhalb dieses Gebiets liegende Zollstelle befindet, ist die Chance geringer, dass sie von den Zollbehörden im Rahmen von stichprobenartig durchgeführten Kontrollen zufällig entdeckt werden.

33 Die Behörden sind nämlich in den Zollstellen, die strategisch an den Grenzübergängen der Außengrenzen liegen, am besten in der Lage, die in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbrachten Waren intensiv zu kontrollieren, um sowohl einen unlauteren Wettbewerb mit den Herstellern in der Gemeinschaft als auch die mit dem Einfuhrschmuggel verbundenen Einnahmeverluste zu verhindern.

34 Daher kann die Beschlagnahme von unter Nichtbeachtung der Formalitäten der Art. 38 bis 41 des Zollkodex in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbrachten Waren, die jenseits der ersten innerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft liegenden Zollstelle praktisch zufällig stattfindet, nicht zum Erlöschen der Zollschuld im Sinne des Art. 233 Unterabs. 1 Buchst. d des Zollkodex führen.

35 Die finnische Regierung macht geltend, dass diese Auslegung des Art. 233 Unterabs. 1 Buchst. d des Zollkodex gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße, da sich Personen, die Waren im Sinne des Art. 202 des Zollkodex vorschriftswidrig verbracht hätten, in einer unterschiedlichen Lage befänden, je nachdem, ob ihr Verhalten in der Grenzzollstelle oder jenseits derselben entdeckt werde.

36 Nach ständiger Rechtsprechung besteht eine Diskriminierung in der Anwendung unterschiedlicher Vorschriften auf vergleichbare Sachverhalte oder in der Anwendung derselben Vorschrift auf unterschiedliche Sachverhalte (vgl. Urteil vom 22. Dezember 2008, Truck Center, C-282/07, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37 Hierzu ist festzustellen, dass die in Art. 233 Unterabs. 1 Buchst. d des Zollkodex vorgesehene unterschiedliche Behandlung in Bezug auf das Erlöschen der Zollschuld je nachdem, ob die vorschriftswidrig verbrachten Waren bei dem Verbringen oder später beschlagnahmt werden, zwei Sachverhalte betrifft, die, wie sich aus den Randnrn. 32 und 33 des vorliegenden Urteils ergibt, hinsichtlich der Gefahr für die Interessen der Gemeinschaft, die von dem Vorhandensein dieser Waren im Zollgebiet der Gemeinschaft ausgeht, nicht objektiv vergleichbar sind.

38 Demnach ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 202 und 233 Unterabs. 1 Buchst. d des Zollkodex dahin auszulegen sind, dass die Beschlagnahme von vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbrachten Waren nur dann zum Erlöschen der Zollschuld führt, wenn sie erfolgt, bevor die Waren über die erste innerhalb dieses Gebiets liegende Zollstelle hinaus gelangt sind.

Zur zweiten Frage

39 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 233 Unterabs. 1 Buchst. d des Zollkodex dadurch dem Grundsatz der Gleichbehandlung zuwiderläuft, dass er das Erlöschen der Zollschuld auf den Fall der Beschlagnahme von Waren bei ihrem vorschriftswidrigen Verbringen beschränkt und eine Beschlagnahme in anderen Fällen vorschriftswidrigen Verhaltens wie das in Art. 203 des Zollkodex geregelte Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung ausnimmt.

40 Es ist daran zu erinnern, dass es nach ständiger Rechtsprechung allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts ist, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen (vgl. Urteil vom 15. Juni 2006, Acereda Herrera, C-466/04, Slg. 2006, I-5341, Randnr. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41 Ungeachtet dessen kann der Gerichtshof jedoch nicht über eine von einem nationalen Gericht zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage befinden, wenn offensichtlich ist, dass die Auslegung oder die Beurteilung der Gültigkeit einer Gemeinschaftsvorschrift, um die das vorlegende Gericht ersucht, in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. Urteil Acereda Herrera, Randnr. 48).

42 Die Rechtfertigung einer Vorlagefrage liegt nämlich nicht im Interesse an Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen, sondern darin, dass die Frage für die tatsächliche Entscheidung eines Rechtsstreits erforderlich ist (vgl. Urteile vom 12. März 1998, Djabali, C-314/96, Slg. 1998, I-1149, Randnr. 19, und Acereda Herrera, Randnr. 49).

43 Im vorliegenden Fall ersucht das vorlegende Gericht, wie sich aus dem Wortlaut der zweiten Frage und den Ausführungen dieses Gerichts zur Begründung dieser Frage ergibt, den Gerichtshof um die Prüfung der Gültigkeit des Art. 233 Unterabs. 1 Buchst. d des Zollkodex, weil die Tatsache, dass diese Bestimmung kein Erlöschen der Zollschuld auch in dem in Art. 203 des Zollkodex geregelten Fall des Entziehens aus der zollamtlichen Überwachung vorsieht, einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung darstellen könne.

44 Der Vorlageentscheidung und den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen ist jedoch zu entnehmen, dass das Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung, das in Art. 203 des Zollkodex als ein die Zollschuld begründender Sachverhalt geregelt ist, im Ausgangsverfahren nicht in Rede steht.

45 Wie die österreichische Regierung und die Kommission in ihren Erklärungen vorgetragen haben, steht die Frage demnach offensichtlich in keinem Zusammenhang mit dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens, das eine Zollschuld betrifft, die nach Art. 202 des Zollkodex infolge eines vorschriftswidrigen Verbringens von Waren in das Zollgebiet der Gemeinschaft entstanden ist.

46 Die zweite Frage ist daher nicht zu beantworten.

Kostenentscheidung:

Kosten

47 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

1. Die Art. 202 und 233 Unterabs. 1 Buchst. d der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2000 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass die Beschlagnahme von vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Europäischen Gemeinschaft verbrachten Waren nur dann zum Erlöschen der Zollschuld führt, wenn sie erfolgt, bevor die Waren über die erste innerhalb dieses Gebiets liegende Zollstelle hinaus gelangt sind.

2. Die zweite Frage ist nicht zu beantworten.



Ende der Entscheidung

Zurück