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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 23.03.2006
Aktenzeichen: C-465/04
Rechtsgebiete: Richtlinie 86/653/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 86/653/EWG Art. 17
Richtlinie 86/653/EWG Art. 19
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFES (Erste Kammer)

23. März 2006

"Selbständige Handelsvertreter - Richtlinie 86/653/EWG - Anspruch des Handelsvertreters auf einen Ausgleich nach Beendigung des Vertragsverhältnisses"

Parteien:

In der Rechtssache C-465/04

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht von der Corte suprema di cassazione (Italien) mit Entscheidung vom 11. Juni 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 3. November 2004, in dem Verfahren

Honyvem Informazioni Commerciali Srl

gegen

Mariella De Zotti

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter K. Schiemann, K. Lenaerts, E. Juhász und E. Levits (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Poiares Maduro,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der Honyvem Informazioni Commerciali Srl, vertreten durch G. Prosperetti und C. del Pennino, avvocati,

- von Frau De Zotti, vertreten durch F. Toffoletto, avvocato,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa als Bevollmächtigten im Beistand von G. Belotti, avvocato,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Oktober 2005

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 17 und 19 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (ABl. L 382, S. 17, im Folgenden: Richtlinie).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Honyvem Informazioni Commerciali Srl (im Folgenden: Honyvem) und Frau De Zotti über die Höhe des Ausgleichs wegen Beendigung des Vertragsverhältnisses, den Honyvem Frau De Zotti aufgrund der Kündigung ihres Vertrages schuldet.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Artikel 17 der Richtlinie bestimmt:

"(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen dafür, dass der Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses Anspruch auf Ausgleich nach Absatz 2 oder Schadensersatz nach Absatz 3 hat.

(2) a) Der Handelsvertreter hat Anspruch auf einen Ausgleich, wenn und soweit

- er für den Unternehmer neue Kunden geworben oder die Geschäftsverbindungen mit vorhandenen Kunden wesentlich erweitert hat und der Unternehmer aus den Geschäften mit diesen Kunden noch erhebliche Vorteile zieht und

- die Zahlung eines solchen Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit diesen Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass zu diesen Umständen auch die Anwendung oder Nichtanwendung einer Wettbewerbsabrede im Sinne des Artikels 20 gehört.

b) Der Ausgleich darf einen Betrag nicht überschreiten, der einem jährlichen Ausgleich entspricht, der aus dem Jahresdurchschnittsbetrag der Vergütungen, die der Handelsvertreter während der letzten fünf Jahre erhalten hat, errechnet wird; ist der Vertrag vor weniger als fünf Jahren geschlossen worden, wird der Ausgleich nach dem Durchschnittsbetrag des entsprechenden Zeitraums ermittelt.

c) Die Gewährung dieses Ausgleichs schließt nicht das Recht des Handelsvertreters aus, Schadensersatzansprüche geltend zu machen.

...

(6) Die Kommission legt dem Rat innerhalb von acht Jahren nach Bekanntgabe dieser Richtlinie einen Bericht über die Durchführung dieses Artikels vor und unterbreitet ihm gegebenenfalls Änderungsvorschläge."

4 Artikel 19 der Richtlinie sieht vor:

"Die Parteien können vor Ablauf des Vertrages keine Vereinbarungen treffen, die von Artikel 17 und 18 zum Nachteil des Handelsvertreters abweichen."

Nationales Recht

5 Die Artikel 17 und 19 der Richtlinie wurden durch Artikel 1751 des Codice civile (italienisches Zivilgesetzbuch, im Folgenden: Codice civile) in das nationale Recht umgesetzt. Der Wortlaut dieser nationalen Vorschrift wurde durch das Decreto legislativo Nr. 303 vom 10. September 1991 (Supplemento ordinario zu GURI Nr. 221 vom 20. September 1991) geändert und orientiert sich nun am Wortlaut der genannten Artikel der Richtlinie. Ebenso wie in Artikel 17 der Richtlinie wird in dieser Vorschrift für die Berechnung des Ausgleichs, auf den der Handelsvertreter nach Beendigung seines Vertrages Anspruch hat, auf den Verdienst abgestellt.

6 Die Confcommercio (Vertretungsorganisation von Betrieben der Sektoren Handel, Tourismus und Dienstleistungen) und die FNAARC (Vertretungsorganisation von Handelsvertretern und -agenten) schlossen am 27. November 1992 einen Tarifvertrag (im Folgenden: Tarifvertrag von 1992) mit folgendem Inhalt:

"Punkt I

Unter Bezugnahme auf Artikel 1751 des Codice civile in der durch Artikel 4 des Decreto legislativo Nr. 303 vom 10. September 1991 geänderten Fassung und insbesondere auf den Billigkeitsgrundsatz wird in allen Fällen der Beendigung des Vertragsverhältnisses dem Handelsvertreter oder -agenten ein Ausgleich in Höhe von 1 % des Gesamtbetrags der im Laufe des Vertragsverhältnisses aufgelaufenen und abgerechneten Provisionen gezahlt.

Der genannte Basissatz wird wie folgt ergänzt:

A. Handelsvertreter und -agenten mit Exklusivverpflichtung für eine einzige Firma:

- 3 % der Provisionen bis zu 24 Millionen ITL jährlich;

- 1 % auf den Anteil der Provisionen zwischen 24 000 001 ITL und 36 000 000 ITL jährlich.

B. Handelsvertreter und -agenten ohne Exklusivverpflichtung für nur eine Firma:

- 3 % der Provisionen bis zu 12 000 000 ITL jährlich;

- 1 % auf den Anteil der Provisionen zwischen 12 000 001 ITL und 18 000 000 ITL jährlich.

...

Die Parteien bestätigen sich gegenseitig, dass sie mit der vorstehenden Regelung das Kriterium der Billigkeit nach Artikel 1751 des Codice civile erfüllen wollten.

Punkt II

Nach Artikel 1751 Codice civile ist dem Handelsvertreter außerdem zusätzlich zum Betrag nach Punkt I der vorliegenden Vereinbarung ... ein weiterer Betrag zu zahlen, der sich wie folgt berechnet:

- 3 % der innerhalb der ersten drei Jahre der Laufzeit des Vertreterverhältnisses aufgelaufenen Provisionen;

- 3,5 % der vom vierten bis zum sechsten vollendeten Jahr aufgelaufenen Provisionen;

- 4 % der in den folgenden Jahren aufgelaufenen Provisionen.

...

Erklärung zu Protokoll

Die Parteien bestätigen, dass die vorliegenden Tarifvereinbarungen über die Behandlung der Beendigung des Vertreterverhältnisses in Anwendung des Artikels 1751 Codice civile insgesamt eine günstigere als die gesetzliche Regelung darstellen. Sie stehen in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis und können weder voneinander getrennt noch mit einer anderen Regelung kumuliert werden.

..."

7 Nach dem Tarifvertrag von 1992 wird somit der Ausgleich, auf den der Handelsvertreter nach Beendigung seines Vertrages Anspruch hat, entgegen den in Artikel 17 der Richtlinie und Artikel 1751 des Codice civile in der durch das Decreto legislativo Nr. 303 vom 10. September 1991 geänderten Fassung (im Folgenden: Artikel 1751 des Codice civile) vorgesehenen Kriterien auf der Grundlage von festen Prozentsätzen der dem betreffenden Handelsvertreter gezahlten Provisionen und der Dauer des Vertreterverhältnisses berechnet.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

8 Honyvem beendete zum 30. Juni 1998 den Vertrag mit Frau De Zotti. Dieser Vertrag unterlag nach seiner Nummer 10 "den Vorschriften des Codice civile, den besonderen Gesetzen über den Handelsvertretervertrag und den Tarifverträgen im Bereich des Handels".

9 Honyvem war der Ansicht, dass der Ausgleich wegen Beendigung des Vertragsverhältnisses auf der Grundlage des Tarifvertrags von 1992 zu berechnen sei und bot Frau De Zotti daher eine Augleichszahlung in Höhe von 78 880 276 ITL an.

10 Frau De Zotti hielt diesen Betrag für unzureichend und erhob daher am 12. April 1999 Klage beim Tribunale Mailand, mit der sie beantragte, Honyvem zu verurteilen, ihr nach den Kriterien des Artikels 1751 des Codice civile 181 889 420 ITL zu zahlen. 11 Das Tribunale Mailand folgte der Ansicht von Honyvem und wies die Klage ab; Frau De Zotti legte daraufhin Berufung bei der Corte d'appello Mailand ein. Dieses Gericht gab der Berufung statt und erkannte Frau De Zotti einen Anspruch auf einen zusätzlichen Betrag von 57 000 000 ITL nach Artikel 1751 des Codice civile zu.

12 Honyvem legte gegen das Urteil der Corte d'appello Mailand Kassationsbeschwerde bei der Corte suprema di cassazione ein. Sie machte insbesondere geltend, dass Artikel 1751 des Codice civile es ausdrücklich gestatte, auf den Grundsatz der Willensautonomie der Vertragsparteien und folglich auf Tarifverträge abzustellen, wenn diese Bedingungen vorsähen, die für den Handelsvertreter günstiger seien als diejenigen, die sich aus der Anwendung der gesetzlichen Regelung ergäben. Die Beurteilung, ob der in der tarifvertraglichen Regelung vorgesehene Ausgleich günstiger sei, müsse ex ante erfolgen. Da der Handelsvertreter nach der im Tarifvertrag festgelegten Regelung jedoch auf jeden Fall einen Ausgleich erhalte, sei davon auszugehen, dass diese Regelung für ihn günstiger sei als die des Artikels 1751 des Codice civile.

13 Frau De Zotti erhob Anschlusskassationsbeschwerde mit der Begründung, dass der ihr geschuldete Ausgleich wegen Beendigung des Vertragsverhältnisses nach den in Artikel 1751 des Codice civile festgelegten Kriterien in Höhe eines Betrages erfolgen müsse, der dem im erstinstanzlichen Verfahren beantragten annähernd entspreche.

14 Aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt sich, dass weder die italienische Rechtsprechung noch die italienische Lehre in Bezug auf die Rechtmäßigkeit des Tarifvertrags von 1992 zu einem einheitlichen Ergebnis gekommen sind.

15 Unter diesen Umständen hat die Corte suprema di cassazione beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist im Licht des Wortlauts und des Zweckes von Artikel 17 der Richtlinie und eventuell der in diesem vorgesehenen Kriterien zur Berechnung des Ausgleichs Artikel 19 der Richtlinie in dem Sinne auszulegen, dass die nationale Regelung zur Umsetzung der Richtlinie gestatten kann, dass ein Tarifvertrag (oder eine Tarifvereinbarung) (mit Bindungswirkung für die Parteien bestimmter Vertragsverhältnisse) anstelle eines dem Vertreter bei Vorliegen der in Artikel 17 Absatz 2 vorgesehenen Voraussetzungen geschuldeten und nach aus diesem ableitbaren Kriterien zu zahlenden Ausgleichs einen Ausgleich vorsieht, der zum einen ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen nach den zwei Gedankenstrichen des Absatzes 2 Buchstabe a geschuldet ist (und, was einen Teil des Ausgleichs angeht, in allen Fällen der Auflösung des Vertragsverhältnisses) und zum anderen nicht gemäß den aus der Richtlinie ableitbaren Kriterien zu berechnen ist (und ggf. auf den Höchstbetrag festzusetzen ist, der in dieser selbst bestimmt ist), sondern nach den im Voraus bestimmten Kriterien des Tarifvertrags, ein Ausgleich also, der (ohne irgendeine spezifische Bezugnahme auf die vom Vertreter vermittelte Ausweitung der Umsätze) auf der Grundlage bestimmter Prozentsätze der vom Vertreter im Verlauf des Vertragsverhältnisses erhaltenen Vergütungen bestimmt wird, mit der Folge, dass dieser Ausgleich auch dann, wenn die Voraussetzungen, an die die Richtlinie den Anspruch auf Ausgleich anknüpft, sämtlich oder zu einem großen Teil vorliegen, in vielen Fällen geringer (auch sehr viel geringer) ist als der in der Richtlinie vorgesehene Höchstbetrag und jedenfalls der Betrag, der konkret vom Richter hätte festgesetzt werden können, wenn er sich nicht an die Berechnungsparameter des Tarifvertrags, sondern an die Grundsätze und Kriterien der Richtlinie hätte halten müssen?

2. Ist bei der Berechnung des Ausgleichs analytisch vorzugehen, mittels einer Schätzung der späteren Provisionen, die der Vertreter voraussichtlich in den auf die Auflösung des Vertragsverhältnisses folgenden Jahren im Hinblick auf von ihm gewonnene neue Kunden oder die wesentliche Erweiterung der Geschäftsverbindungen mit vorhandenen Kunden durch ihn hätte beziehen können, und erst späterer eventueller Berichtigungen des Betrages im Hinblick auf das Kriterium der Billigkeit und die in der Richtlinie vorgesehene Höchstgrenze, oder sind verschiedene Berechnungsmethoden zulässig, insbesondere synthetische Methoden, die das Kriterium der Billigkeit und die in der Richtlinie angegebene Höchstgrenze als Ausgangspunkt der Berechnungen stärker berücksichtigen?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

16 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Artikel 19 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass der in Artikel 17 Absatz 2 der Richtlinie vorgesehene Ausgleich wegen Beendigung des Vertragsverhältnisses nach einem Tarifvertrag durch einen Ausgleich ersetzt werden kann, der sich nach anderen als den in dieser Bestimmung vorgesehen Kriterien bestimmt.

17 Einleitend ist festzustellen, dass die Artikel 17 und 19 der Richtlinie mit dem Blick auf die Ziele dieser Richtlinie und das damit eingeführte System auszulegen sind (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofes vom 2. Oktober 1991 in der Rechtssache C-7/90, Vandevenne u. a., Slg. 1991, I-4371, Randnr. 6, und vom 12. Dezember 1996 in der Rechtssache C-104/95, Kontogeorgas, Slg. 1996, I-6643, Randnr. 25).

18 Insoweit steht fest, dass die Richtlinie die Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien eines Handelsvertretervertrags zum Ziel hat (Urteile des Gerichtshofes vom 30. April 1998 in der Rechtssache C-215/97, Bellone, Slg. 1998, I-2191, Randnr. 10, und vom 13. Juli 2000 in der Rechtssache C-456/98, Centrosteel, Slg. 2000, I-6007, Randnr. 13).

19 Wie sich aus der zweiten und der dritten Begründungserwägung der Richtlinie ergibt, soll diese die Interessen der Handelsvertreter gegenüber den Unternehmern schützen, die Sicherheit des Handelsverkehrs fördern und den Warenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten erleichtern, indem die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Handelsvertretungen angeglichen werden. Zu diesem Zweck enthält die Richtlinie u. a., in den Artikeln 13 bis 20, Bestimmungen über Abschluss und Beendigung des Handelsvertretervertrags (Urteil des Gerichtshofes vom 6. März 2003 in der Rechtssache C-485/01, Caprini, Slg. 2003, I-2371, Randnr. 4).

20 Hinsichtlich der Beendigung des Vertragsverhältnisses schafft Artikel 17 Absatz 1 der Richtlinie ein System, das den Mitgliedstaaten die Wahl zwischen zwei Alternativen lässt. Diese müssen die erforderlichen Maßnahmen dafür treffen, dass der Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses entweder einen nach den Kriterien des Artikels 17 Absatz 2 bestimmten Ausgleich oder Schadensersatz nach den in Artikel 17 Absatz 3 festgelegten Kriterien erhält.

21 Die Italienische Republik, deren nationale Regelung vorher weitgehend auf Tarifverträgen beruhte, hat sich für die in Artikel 17 Absatz 2 der Richtlinie vorgesehene Alternative entschieden.

22 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist das mit den Artikeln 17 bis 19 der Richtlinie geschaffene System, insbesondere was den Schutz des Handelsvertreters nach Vertragsbeendigung betrifft, zwingendes Recht (Urteil des Gerichtshofes vom 9. November 2000 in der Rechtssache C-381/98, Ingmar,Slg. 2000, I-9305, Randnr. 21).

23 Der Gerichtshof hat daraus gefolgert, dass ein Unternehmer diese Bestimmungen nicht schlicht durch eine Rechtswahlklausel umgehen kann, ohne dass die Frage aufgeworfen gewesen wäre, ob diese Wahl dem Handelsvertreter zum Nachteil gereicht (Urteil Ingmar, Randnr. 25).

24 In Bezug auf Artikel 19 der Richtlinie ist zunächst daran zu erinnern, dass Begriffe, mit denen Ausnahmen von einem im Gemeinschaftsrecht niedergelegten allgemeinen Grundsatz wie demjenigen, der sich aus dem Ausgleichssystem des Artikels 17 der Richtlinie ergibt, festgelegt werden, nach ständiger Rechtsprechung eng auszulegen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 18. Januar 2001 in der Rechtssache C-150/99, Stockholm Lindöpark, Slg. 2001, I-493, Randnr. 25).

25 Sodann ist darauf hinzuweisen, dass Artikel 19 der Richtlinie den Parteien die Möglichkeit einräumt, vor Ablauf des Vertrages von Artikel 17 abweichende Vereinbarungen zu treffen, sofern die ins Auge gefasste Abweichung für den Handelsvertreter nicht nachteilig ist. Ob die betreffende Abweichung nachteilig ist oder nicht, ist somit für den Zeitpunkt zu beurteilen, zu dem die Vertragsparteien sie ins Auge fassen. Diese können keine Abweichung vereinbaren, von der sie nicht wissen, ob sie sich bei Beendigung des Vertragsverhältnisses für den Handelsvertreter als vorteilhaft oder als nachteilig erweisen wird.

26 Diese Auslegung wird auch durch den Zweck und den Charakter des mit den Artikeln 17 und 19 der Richtlinie geschaffenen Systems bestätigt, wie sie in den Randnummern 19 bis 22 des vorliegenden Urteils dargestellt wurden.

27 Aus den vorstehenden Erwägungen ist daher zu schließen, dass Artikel 19 der Richtlinie in dem Sinne zu verstehen ist, dass eine Abweichung von Artikel 17 der Richtlinie nur dann zulässig ist, wenn ex ante feststeht, dass sie sich bei Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht als für den Handelsvertreter nachteilig erweisen wird.

28 Dies wäre beim Tarifvertrag von 1992 der Fall, wenn sich nachweisen ließe, dass die Anwendung dieser Vereinbarung für den Handelsvertreter niemals nachteilig ist, da sie ihm systematisch im Hinblick auf alle Rechtsbeziehungen, die zwischen den Parteien eines Handelsvertretervertrags entstehen können, einen Ausgleich gewährt, der denjenigen, der sich bei Anwendung von Artikel 17 der Richtlinie ergäbe, übersteigt oder diesem zumindest entspricht.

29 Der bloße Umstand, dass dieser Tarifvertrag für den Handelsvertreter vorteilhaft sein kann, wenn dieser bei Anwendung der Kriterien des Artikels 17 Absatz 2 der Richtlinie lediglich Anspruch auf einen sehr geringen Ausgleich oder überhaupt keinen Ausgleichsanspruch hätte, genügt nicht für den Nachweis, dass der Tarifvertrag nicht zum Nachteil des Handelsvertreters von Artikel 17 und 18 der Richtlinie abweicht.

30 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, die insoweit erforderlichen Prüfungen durchzuführen.

31 Schließlich ist festzustellen, dass der Tarifvertrag von 1992 nur dann als für den Handelsvertreter vorteilhaft angesehen werden könnte, wenn er die Möglichkeit böte, den nach den Bestimmungen dieses Vertrages berechneten Ausgleich zumindest teilweise mit dem Ausgleich zu kumulieren, der nach dem mit der Richtlinie geschaffenen System vorgesehen ist. Diese Möglichkeit ist durch die Erklärung zu Protokoll der Tarifvertragsparteien jedoch ausdrücklich ausgeschlossen worden.

32 Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist auf die erste Frage zu antworten, dass Artikel 19 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass der Ausgleich wegen Beendigung des Vertragsverhältnisses, der sich bei Anwendung des Artikels 17 Absatz 2 der Richtlinie ergibt, nicht in Anwendung eines Tarifvertrags durch einen Ausgleich ersetzt werden kann, der sich nach anderen als den in dieser Bestimmung vorgesehenen Kriterien bestimmt, es sei denn, es ist nachgewiesen, dass die Anwendung eines solchen Tarifvertrags dem Handelsvertreter in jedem Fall einen Ausgleich garantiert, der demjenigen, der sich bei Anwendung der genannten Bestimmung ergäbe, entspricht oder diesen übersteigt.

Zur zweiten Frage

33 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob bei der Berechnung des Ausgleichs, wie in Artikel 17 Absatz 2 der Richtlinie vorgesehen, analytisch vorzugehen ist oder ob andere Berechnungsmethoden zulässig sind, die insbesondere das Kriterium der Billigkeit stärker berücksichtigen.

34 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die mit Artikel 17 der Richtlinie eingeführte Regelung zwar zwingend ist und einen Rahmen festlegt (Urteil Ingmar, Randnr. 21), jedoch keine detaillierten Angaben zur Methode der Berechnung des Ausgleichs wegen Beendigung des Vertragsverhältnisses enthält.

35 Der Gerichtshof hat daher entschieden, dass die Mitgliedstaaten innerhalb dieses Rahmens einen Gestaltungsspielraum bei der Wahl der Methoden zur Berechnung des Ausgleichs haben (Urteil Ingmar, Randnr. 21). Die Kommission hat dem Rat entsprechend ihrer Verpflichtung aus Artikel 17 Absatz 6 der Richtlinie am 23. Juli 1996 den Bericht über die Anwendung von Artikel 17 der Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (KOM[96] 364 endg.) vorgelegt. Dieser Bericht enthält detaillierte Angaben über die tatsächliche Berechnung des Ausgleichs und soll eine einheitlichere Auslegung des Artikels 17 der Richtlinie erleichtern.

36 Auf die zweite Frage ist daher zu antworten, dass die Mitgliedstaaten innerhalb des durch Artikel 17 Absatz 2 der Richtlinie festgelegten Rahmens einen Gestaltungsspielraum haben, den sie insbesondere nach Maßgabe des Kriteriums der Billigkeit nutzen können.

Kostenentscheidung:

Kosten

37 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1. Artikel 19 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter ist dahin auszulegen, dass der Ausgleich wegen Beendigung des Vertragsverhältnisses, der sich bei Anwendung des Artikels 17 Absatz 2 dieser Richtlinie ergibt, nicht in Anwendung eines Tarifvertrags durch einen Ausgleich ersetzt werden kann, der sich nach anderen als den in dieser Bestimmung vorgesehen Kriterien bestimmt, es sei denn, es ist nachgewiesen, dass die Anwendung eines solchen Tarifvertrags dem Handelsvertreter in jedem Fall einen Ausgleich garantiert, der demjenigen, der sich bei Anwendung der genannten Bestimmung ergäbe, entspricht oder diesen übersteigt.

2. Die Mitgliedstaaten haben innerhalb des durch Artikel 17 Absatz 2 der Richtlinie 86/653 festgelegten Rahmens einen Gestaltungsspielraum, den sie insbesondere nach Maßgabe des Kriteriums der Billigkeit nutzen können.



Ende der Entscheidung

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