Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 28.06.2007
Aktenzeichen: C-466/03
Rechtsgebiete: Richtlinie 69/335/EWG, EG


Vorschriften:

Richtlinie 69/335/EWG Art. 10
Richtlinie 69/335/EWG Art. 12
EG Art. 234
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

28. Juni 2007

"Richtlinie 69/335/EWG - Indirekte Steuern auf die Ansammlung von Kapital - Nationale Regelung, die für die Beurkundung der Übertragung von Geschäftsanteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung die Erhebung von Notargebühren vorsieht - Gebührenbescheid - Einstufung als 'gesellschaftsteuerähnliche Abgabe' - Vorangehende Formalität - Börsenumsatzsteuer - Abgaben mit Gebührencharakter"

Parteien:

In der Rechtssache C-466/03

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen und ein ergänzendes Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Landgericht Baden-Baden (Deutschland) mit Entscheidungen vom 20. Oktober 2003 und 10. Oktober 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 6. November 2003 und 31. Oktober 2005, in dem Verfahren

Albert Reiss Beteiligungsgesellschaft mbH

gegen

Land Baden-Württemberg

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann (Berichterstatter) sowie der Richter K. Lenaerts, E. Juhász, M. Ilesic und E. Levits,

Generalanwälte: L. A. Geelhoed, dann V. Trstenjak,

Kanzler: R. Grass, Kanzler, dann B. Fülöp, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. November 2006,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der Albert Reiss Beteiligungsgesellschaft mbH, vertreten durch die Rechtsanwälte A. Feber und H. Sandweg,

- des Landes Baden-Württemberg, vertreten durch K. Ehmann, M. Steindorfner und F. Mauch als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und K. Gross als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwälte in den Sitzungen vom 16. Juni 2005 und 8. März 2007

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen und seine Ergänzung betreffen die Auslegung der Art. 10 und 12 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) in der durch die Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 (ABl. L 156, S. 23) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 69/335).

2 Diese Ersuchen ergehen im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Albert Reiss Beteiligungsgesellschaft mbH (im Folgenden: Reiss) und dem Land Baden-Württemberg über die Zahlung von Notargebühren für die Beurkundung der Übertragung von Geschäftsanteilen an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung auf Reiss, wobei diese Übertragung als Einlage im Rahmen einer Erhöhung des Stammkapitals von Reiss erfolgte.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Mit der Richtlinie 69/335 soll, wie sich aus ihren ersten beiden Erwägungsgründen ergibt, der freie Kapitalverkehr, eine der für die Schaffung eines Binnenmarkts wesentlichen Grundfreiheiten, gefördert werden. Die Richtlinie soll steuerrechtliche Hindernisse beseitigen, die auf dem Gebiet der Ansammlung von Kapital bestehen, insbesondere was Kapitalzuführungen, d. h. Kapitalzufuhren von Gesellschaftern oder Aktionären an ihre Kapitalgesellschaften, anbelangt.

4 Zu diesem Zweck sehen die Art. 1 bis 9 der Richtlinie die Erhebung einer harmonisierten Abgabe auf Kapitalzuführungen (im Folgenden: Gesellschaftsteuer) vor.

5 In Art. 4 der Richtlinie sind die Vorgänge aufgeführt, die die Mitgliedstaaten einer solchen Gesellschaftsteuer unterwerfen können oder müssen.

6 So bestimmt Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten Gesellschaftsteuer auf "die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft durch Einlagen jeder Art" erheben.

7 Außerdem sieht Art. 10 der Richtlinie im Licht ihres letzten Erwägungsgrundes die Aufhebung von Steuern oder Abgaben mit den gleichen Merkmalen wie die Gesellschaftsteuer (im Folgenden: gesellschaftsteuerähnliche Abgaben) vor.

8 Abgesehen von der Gesellschaftsteuer erheben die Mitgliedstaaten daher nach Art. 10 Buchst. c der Richtlinie von Gesellschaften, Personenvereinigungen oder juristischen Personen mit Erwerbszweck keinerlei andere Steuern oder Abgaben auf die der Ausübung einer Tätigkeit vorangehende Eintragung oder sonstige Formalität, der eine Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristische Person mit Erwerbszweck aufgrund ihrer Rechtsform unterworfen werden kann.

9 Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt jedoch:

"In Abweichung von den Artikeln 10 und 11 können die Mitgliedstaaten Folgendes erheben:

a) pauschal oder nicht pauschal erhobene Börsenumsatzsteuern;

...

e) Abgaben mit Gebührencharakter;

..."

10 Zu den Börsenumsatzsteuern wird in der Begründung des Vorschlags einer Richtlinie der Kommission vom 14. Dezember 1964 (KOM[64] 526 endg.), der zum Erlass der Richtlinie 69/335 geführt hat, erläuternd ausgeführt:

"Bei [den indirekten] Steuern [auf den Kapitalverkehr] kann man zwischen Steuern auf die Ansammlung von Kapital und Steuern auf den Wertpapierhandel unterscheiden. Der nachstehende Richtlinienentwurf bezieht sich auf die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital; hierzu gehören: die Gesellschaftsteuer auf das Eigenkapital der Gesellschaften, die Wertpapiersteuer auf inländische Wertpapiere, die bei der Einführung oder Emission von Wertpapieren ausländischer Herkunft auf dem Binnenmarkt erhobene Wertpapiersteuer sowie andere indirekte Steuern, die die gleichen Merkmale aufweisen. Die indirekten Steuern, die auf den Wertpapierhandel erhoben werden, wie beispielsweise die Börsenumsatzsteuern, werden in einer späteren Richtlinie gesondert behandelt werden. Die vorliegende Richtlinie lässt diese Steuern somit unberührt."

Nationales Recht

11 § 15 Abs. 3 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom 20. April 1892 (RGBl. S. 477) in seiner für das Ausgangsverfahren maßgebenden Fassung (im Folgenden: GmbHG) sieht vor: "Zur Abtretung von Geschäftsanteilen durch Gesellschafter bedarf es eines in notarieller Form geschlossenen Vertrags."

12 Die Höhe der Gebühren, die von den Notaren erhoben werden können, ist im Gesetz über die Kosten in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Kostenordnung) vom 26. Juli 1957 (BGBl. I S. 960) in seiner für das Ausgangsverfahren maßgebenden Fassung (im Folgenden: KostO) festgelegt.

13 Nach § 32 Abs. 1 KostO beträgt die volle Gebühr bei einem Geschäftswert bis 1 000 Euro 10 Euro. Die Gebühr erhöht sich bei einem Geschäftswert

- bis 5 000 Euro für jeden angefangenen Betrag von weiteren 1 000 Euro um 8 Euro,

- bis 50 000 Euro für jeden angefangenen Betrag von weiteren 3 000 Euro um 6 Euro,

- bis 5 000 000 Euro für jeden angefangenen Betrag von weiteren 10 000 Euro um 15 Euro,

- bis 25 000 000 Euro für jeden angefangenen Betrag von weiteren 25 000 Euro um 16 Euro,

- bis 50 000 000 Euro für jeden angefangenen Betrag von weiteren 50 000 Euro um 11 Euro,

- über 50 000 000 Euro für jeden angefangenen Betrag von weiteren 250 000 Euro um 7 Euro.

14 Nach § 36 Abs. 2 KostO wird für die Beurkundung von Verträgen das Doppelte der vollen Gebühr erhoben.

15 Im Land Baden-Württemberg ist das Innenverhältnis zwischen den Notaren im Landesdienst und der Staatskasse u. a. im Landesjustizkostengesetz vom 15. Januar 1993 (GBl. S. 110, im Folgenden: LJKG) geregelt.

16 Dieses Gesetz sah ursprünglich vor, dass die im Bezirk des Oberlandesgerichts Karlsruhe tätigen beamteten Notare nicht die unmittelbaren Gläubiger der Gebühren für die notarielle Beurkundung sind, sondern dass diese Gebühren unmittelbar dem Land zufließen. Die beamteten Notare erhielten ihre Dienstbezüge, zu denen ein veränderlicher Betrag in Form eines Anteils an den erhobenen Gebühren kam. So stand ihnen z. B. für die Beurkundung der in § 15 Abs. 3 GmbHG genannten Verträge ein Gebührenanteil von 50 % zu.

17 Diese Regelung wurde - rückwirkend zum 1. Juni 2002 - durch Gesetz vom 28. Juli 2005 (GBl. Nr. 12 vom 5. August 2005, S. 580) geändert.

18 § 10 LJKG in der geänderten Fassung bestimmt:

"(1) Die Gebühren und Auslagen für die Tätigkeit der Notare werden zur Staatskasse erhoben.

(2) Die Notare sind Gläubiger der Gebühren und Auslagen für ihre Tätigkeit nach § 3 Abs. 1 des Landesgesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit sowie etwaiger Zinsen nach § 154a der Kostenordnung. ...

(3) Die Notare beziehen die Gebühren, Auslagen und Zinsen nach Abs. 2 Satz 1 ... neben den ihnen nach dem Landesbesoldungsgesetz zustehenden Bezügen."

19 Nach § 11 Abs. 1 LJKG in der geänderten Fassung erhält die Staatskasse grundsätzlich nicht mehr als 15 % der Gebühren, die die Notare im Landesdienst aufgrund zwingender gesellschaftsrechtlicher Vorgaben für Beurkundungen in gesellschaftsrechtlichen Angelegenheiten erheben.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

20 Reiss beschloss am 30. Juli 2002, ihr Stammkapital im Wege der Sacheinlage auf 100 000 Euro zu erhöhen. Der alleinige Gesellschafter dieser Gesellschaft, Albert Reiss, übertrug hierzu mit (von einem beamteten Notar im Bezirk des Oberlandesgerichts Karlsruhe) notariell beurkundetem Vertrag vom 30. Juli 2002 den von ihm gehaltenen einzigen Geschäftsanteil an einer anderen Gesellschaft mit beschränkter Haftung, der Arku Maschinenbau GmbH (im Folgenden: Arku), auf die Reiss Beteiligungsgesellschaft.

21 Die Erhöhung des Stammkapitals von Reiss wurde am 4. November 2002 in das Handelsregister beim Amtsgericht Baden-Baden eingetragen. Neben anderen Gebühren setzte der Kostenbeamte für die Beurkundung der Übertragung des einzigen Geschäftsanteils an Arku Notargebühren in Höhe von 11 424 Euro gegen Reiss fest. Dieser Betrag wurde unter Zugrundelegung eines Geschäftswerts von 3 763 443,90 Euro ermittelt.

22 Reiss legte gegen diese Festsetzung Erinnerung ein, mit der sie einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht rügte.

23 Nach Zurückweisung der Erinnerung durch das Amtsgericht Baden-Baden legte Reiss Beschwerde beim vorlegenden Gericht ein.

24 Das Landgericht Baden-Baden hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Erfasst Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 69/335 auch die Gebühren für die notariell beurkundete Abtretung von GmbH-Anteilen?

25 Im Rahmen der Prüfung dieser Rechtssache hat der Gerichtshof zunächst beschlossen, gemäß Art. 104 § 3 seiner Verfahrensordnung durch Beschluss zu entscheiden. Auf Einwände des Landes Baden-Württemberg, dass bestimmte Aspekte der Antwort auf die Vorlagefrage nicht klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden könnten, hat er die Frage jedoch noch einmal geprüft und beschlossen, über das Vorabentscheidungsersuchen durch Urteil zu entscheiden.

26 Das Landgericht Baden-Baden hat dem Gerichtshof mit Beschluss vom 10. Oktober 2005 eine ergänzende Frage vorgelegt, um der mit dem Gesetz vom 28. Juli 2005 erfolgten Gesetzesänderung Rechnung zu tragen:

Entfällt die Eigenschaft der Notargebühr als Steuer im Sinne der Richtlinie 69/335 dann, wenn zwar der Staat auf die Geltendmachung seines Anteils aus dem Rechtsgeschäft verzichtet, die Gebühr - abzüglich einer pauschalen Aufwandsentschädigung von 15 % für den Staat - also dem beamteten Notar selbst belässt, der Notar aber im Übrigen in die Verwaltungsorganisation eingegliedert bleibt und vom Staat für die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben entlohnt wird?

27 Mit Schriftsatz, der am 16. März 2007 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat Reiss nach Art. 61 der Verfahrensordnung beantragt, die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung anzuordnen, um eine Beweisaufnahme nach den Art. 45 ff. der Verfahrensordnung zu den Tatsachenbehauptungen in Nr. 50 der Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak durchzuführen.

Zu den Anträgen auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und Durchführung einer Beweisaufnahme

28 Reiss wünscht eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, damit die Feststellungen, die Generalanwältin Trstenjak in ihren Schlussanträgen zum wirtschaftlichen Risiko und zur Haftung der beamteten Notare getroffen hat, überprüft werden können.

29 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach Art. 61 seiner Verfahrensordnung die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung von Amts wegen, auf Vorschlag des Generalanwalts oder auch auf Antrag der Parteien anordnen kann, wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält oder ein zwischen den Parteien nicht erörtertes Vorbringen als entscheidungserheblich ansieht (vgl. Urteile vom 19. Februar 2002, Wouters u. a., C-309/99, Slg. 2002, I-1577, Randnr. 42, und vom 14. Dezember 2004, Swedish Match, C-210/03, Slg. 2004, I-11893, Randnr. 25).

30 Im vorliegenden Fall ist der Gerichtshof jedoch nach Anhörung der Generalanwältin der Auffassung, dass er über sämtliche Angaben verfügt, die für die Beantwortung der Vorlagefragen erforderlich sind. Der Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist daher zurückzuweisen.

31 Unter diesen Umständen ist auch der Antrag auf Durchführung einer Beweisaufnahme zurückzuweisen.

Zu den Vorlagefragen

32 Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 69/335 der Erhebung von Notargebühren für die Beurkundung der Übertragung von Geschäftsanteilen an einer Gesellschaft entgegensteht, die als Einlage im Rahmen einer Erhöhung des Gesellschaftskapitals einer Kapitalgesellschaft erfolgt ist, und dies in einem Rechtssystem, das dadurch gekennzeichnet ist, dass die Notare Beamte sind und die Gebühren zumindest teilweise dem Staat für die Bestreitung öffentlicher Kosten zufließen.

Zur Zulässigkeit

33 Die Regierung des Landes Baden-Württemberg, die die Auffassung vertritt, dass die erste Frage verneint werden sollte, d. h., dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gebühren nicht unter die Richtlinie 69/335, insbesondere Art. 10 Buchst. c, fallen, ist der Ansicht, dass das vorlegende Gericht in Wirklichkeit keiner Antwort auf die Ergänzungsfrage bedürfe und diese daher unzulässig sei.

34 Insoweit ist daran zu erinnern, dass das Ersuchen eines vorlegenden Gerichts nur dann abgelehnt werden kann, wenn die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u. a. Urteil vom 10. Januar 2006, IATA und ELFAA, C-344/04, Slg. 2006, I-403, Randnr. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35 Dies ist im Ausgangsverfahren jedoch nicht der Fall. Es ist nämlich nicht offensichtlich, dass die fraglichen Gebühren vom Geltungsbereich der Richtlinie 69/335 ausgenommen sind und die ergänzende Frage deshalb in keinem Zusammenhang mit dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens steht.

36 Ob die Gebühren in den Geltungsbereich der Richtlinie 69/335 fallen, ist außerdem keine Frage der Zulässigkeit, sondern eine materiellrechtliche Frage, die im Rahmen der Sachprüfung zu untersuchen ist.

37 Die ergänzende Frage ist daher zu beantworten.

Zu den Fragen

38 Zunächst ist zu prüfen, ob Gebühren, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, "Steuern oder Abgaben" im Sinne der Richtlinie 69/335 sind, sodann, ob diese Gebühren unter das Verbot des Art. 10 der Richtlinie 69/335 fallen, und schließlich gegebenenfalls, ob sie unter eine der in Art. 12 der Richtlinie vorgesehenen Bestimmungen fallen.

Zur Einordnung als "Steuer" im Sinne der Richtlinie 69/335

39 Aus der Rechtsprechung ergibt sich, dass der Begriff der "Steuer" im Sinne der Richtlinie 69/335 im Hinblick auf die mit dieser Richtlinie verfolgten Ziele grundsätzlich weit auszulegen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. März 2002, Kommission/Griechenland, C-426/98, Slg. 2002, I-2793, Randnr. 25, und vom 10. März 2005, Optiver u. a., C-22/03, Slg. 2005, I-1839, Randnrn. 30 und 31).

40 Nach der Rechtsprechung sind Notargebühren als "Steuer" im Sinne der Richtlinie 69/335 zu qualifizieren, wenn sie für einen unter diese Richtlinie fallenden Vorgang von Notaren erhoben werden, die Beamte sind, und zumindest teilweise dem Staat für die Bestreitung öffentlicher Kosten zufließen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 21. März 2002, Gründerzentrum, C-264/00, Slg. 2002, I-3333, Randnr. 27; Urteile vom 30. Juni 2005, Längst, C-165/03, Slg. 2005, I-5637, Randnr. 37, und vom 7. September 2006, Organon Portuguesa, C-193/04, Slg. 2006, I-7271, Randnr. 17).

41 Was die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gebühren betrifft, so hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass diese Voraussetzungen bei dem im Bezirk des Oberlandesgerichts Karlsruhe (zu dem das Amtsgericht Baden-Baden gehört) zuvor geltenden System erfüllt waren, in dem die Notare Beamte waren und ein Teil der für die Beurkundung vereinnahmten Gebühren dem Staat für die Finanzierung seiner Aufgaben zufloss (vgl. in diesem Sinne Beschluss Gründerzentrum, Randnr. 28).

42 Die durch das Gesetz vom 28. Juli 2005 herbeigeführten Änderungen dieses Systems sind nicht derart, dass sie für das Ausgangsverfahren ein anderes Ergebnis rechtfertigen würden.

43 Die Notare sind zum einen nach wie vor Beamte im Landesdienst und zum anderen weiterhin verpflichtet, einen Teil der Gebühren an den Staat abzuführen. Darüber hinaus heißt es im Gesetz ausdrücklich, dass die Gebühren und Auslagen für die Tätigkeit der Notare zur Staatskasse erhoben werden.

44 Gegen diese Feststellung spricht auch nicht, dass die im Bezirk des Oberlandesgerichts Karlsruhe tätigen beamteten Notare mit dem Gesetz vom 28. Juli 2005 selbst Gläubiger der Gebühren geworden sind und der Anteil, den sie an den Staat abführen müssen, mit 15 % des Gebührenbetrags relativ gering ist.

45 In den Rechtssachen, in denen die Urteile vom 29. September 1999, Modelo, "Modelo I" (C-56/98, Slg. 1999, I-6427, Randnrn. 19 und 23), und vom 21. September 2000, Modelo, "Modelo II" (C-19/99, Slg. 2000, I-7213, Randnrn. 19 und 23), sowie Längst (Randnrn. 41 bis 43) und Organon Portuguesa (Randnrn. 11 und 17) ergangen sind, wurden die Gebühren ebenfalls zunächst von beamteten Notaren erhoben, die dann einen Teil an den Staat abführten.

46 Außerdem wurden die Gebühren in diesen Rechtssachen und in der Rechtssache, in der der Beschluss Gründerzentrum ergangen ist, unabhängig von der Höhe des an den Staat abgeführten Anteils als "Steuer" im Sinne der Richtlinie 69/335 eingestuft. Der Sachverhaltsschilderung im Urteil Längst lässt sich zwar entnehmen, dass der Staat ungefähr 66 % der Gebühren erhielt; der Gerichtshof hat jedoch nicht darauf hingewiesen, dass dieser Umstand für die Einstufung relevant wäre. Auch in keinem der anderen genannten Urteile wird näher auf die Höhe des an den Staat abgeführten Anteils eingegangen. Die Frage, wie groß der von einem beamteten Notar an den Staat abzuführende Anteil konkret ist, hat daher a priori keine Bedeutung für die Einstufung der Gebühren als "Steuer".

47 In Anbetracht der angeführten Rechtsprechung sind Gebühren wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden daher eine "Steuer" im Sinne der Richtlinie 69/335.

Zum Verbot gesellschaftsteuerähnlicher Abgaben (Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 69/335)

48 Art. 10 der Richtlinie 69/335 verbietet nach deren letztem Erwägungsgrund Steuern, die die gleichen Merkmale aufweisen wie die Gesellschaftsteuer (vgl. u. a. Urteile vom 20. April 1993, Ponente Carni und Cispadana Costruzioni, C-71/91 und C-178/91, Slg. 1993, I-1915, Randnr. 29, und vom 11. Juni 1996, Denkavit Internationaal u. a., C-2/94, Slg. 1996, I-2827, Randnr. 23).

49 So erfasst Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 69/335 u. a. jene Abgaben, die ungeachtet ihrer Form auf die Eintragung oder jedwede andere der Ausübung einer Tätigkeit vorangehende Formalität, der eine Gesellschaft aufgrund ihrer Rechtsform unterworfen werden kann, erhoben werden.

50 Dieses Verbot, das neben die in Art. 10 Buchst. a und b der Richtlinie genannten Verbote, die sich auf die in Art. 4 der Richtlinie beschriebenen Fallgestaltungen beziehen, tritt, ist dadurch gerechtfertigt, dass diese Steuern oder Abgaben zwar nicht auf die Kapitalzuführungen als solche, wohl aber wegen der wesentlichen Formalitäten im Zusammenhang mit der Rechtsform der Gesellschaft, also des Instruments zur Kapitalansammlung, erhoben werden, so dass die Beibehaltung dieser Steuern und Abgaben auch die Erreichung der mit der Richtlinie verfolgten Ziele gefährden würde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juni 2006, Badischer Winzerkeller, C-264/04, Slg. 2006, I-5275, Randnr. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

51 Der Gerichtshof hat daraus geschlossen, dass Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 69/335 grundsätzlich weit auszulegen ist, und zwar dahin, dass er nicht nur die formalen, der Ausübung der Tätigkeit einer Kapitalgesellschaft vorangehenden Verfahren erfasst, sondern auch die Formalitäten, die eine Bedingung für die Ausübung und Fortführung der Tätigkeit einer solchen Gesellschaft darstellen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 2. Dezember 1997, Fantask u. a., C-188/95, Slg. 1997, I-6783, Randnr. 22, vom 5. März 1998, Solred, C-347/96, Slg. 1998, I-937, Randnr. 22, und Badischer Winzerkeller, Randnr. 25).

52 Dazu hat der Gerichtshof bereits mehrfach festgestellt, dass, wenn ein von einer Kapitalgesellschaft durchgeführter Vorgang, wie z. B. die Erhöhung ihres Gesellschaftskapitals, die Änderung ihrer Satzung oder der Erwerb von Immobilien aufgrund eines Zusammenschlusses, nach nationalem Recht zwingend eine rechtliche Formalität erfordert, diese Formalität eine Bedingung für die Ausübung und Fortführung der Tätigkeit dieser Gesellschaft darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil Badischer Winzerkeller, Randnrn. 26 und 27 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

53 Für rechtswidrig im Sinne des Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 69/335 gehalten hat der Gerichtshof z. B. Abgaben auf die Eintragung einer neuen Gesellschaft (Urteile Ponente Carni und Cispadana Costruzioni, Randnrn. 30 und 31, sowie Fantask u. a., Randnr. 22), die Beurkundung eines Vertrags über die Gründung einer Gesellschaft (Beschluss Gründerzentrum, Randnr. 30), die Eintragung der Erhöhung des Gesellschaftskapitals (Urteile Fantask u. a., Randnr. 22, vom 26. September 2000, IGI, C-134/99, Slg. 2000, I-7717, Randnr. 25, und vom 21. Juni 2001, SONAE, C-206/99, Slg. 2001, I-4679, Randnr. 31), die Beurkundung einer Erhöhung des Gesellschaftskapitals (Urteil Modelo I, Randnr. 26) sowie die Beurkundung der Zahlung des noch nicht eingezahlten Gesellschaftskapitals (Urteil Solred, Randnr. 23).

54 Die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gebühren wurden, wie auch Generalanwalt Geelhoed in den Nrn. 20 bis 23 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, für die Beurkundung der Übertragung von Geschäftsanteilen an einer Gesellschaft (Arku) erhoben, die als Sacheinlage im Rahmen einer Erhöhung des Stammkapitals einer Kapitalgesellschaft (Reiss) erfolgte. Mit dieser Beurkundung wird somit ein Vorgang bescheinigt, von dem die Erhöhung des Gesellschaftskapitals einer Kapitalgesellschaft abhängt. Da solche Übertragungen von Geschäftsanteilen nach deutschem Recht beurkundet werden müssen, ist die Beurkundung als eine Formalität anzusehen, die eine Bedingung für die Ausübung und Fortführung der Tätigkeit der betreffenden Kapitalgesellschaft (Reiss) darstellt. Die Beurkundung ist daher eine vorangehende Formalität, der eine Kapitalgesellschaft aufgrund ihrer Rechtsform unterworfen wird.

55 Gebühren wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden fallen demnach unter Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 69/335 und dürfen somit grundsätzlich nicht erhoben werden.

56 Es ist jedoch weiter zu prüfen, ob solche Gebühren nicht unter eine der in Art. 12 der Richtlinie 69/335 vorgesehenen Bestimmungen fallen.

Zu der Bestimmung, nach der Börsenumsatzsteuern erhoben werden können (Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 69/335)

57 Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 69/335 stellt klar, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, Börsenumsatzsteuern zu erheben.

58 Da Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 69/335 den Anwendungsbereich der in den Art. 10 und 11 der Richtlinie vorgesehenen Verbote beschränkt, ist er eng auszulegen und kann nicht dahin verstanden werden, dass er sich auf andere Steuern als "Börsenumsatzsteuern" im eigentlichen Wortsinn erstreckt.

59 Da die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gebühren keine Börsenumsatzsteuer, sondern von Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 69/335 erfasste Notargebühren darstellen, fallen sie nicht unter Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 69/335.

Zur Ausnahmeregelung für Abgaben mit Gebührencharakter (Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 69/335)

60 Nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 69/335 können die Mitgliedstaaten Abgaben mit Gebührencharakter erheben.

61 "Abgaben mit Gebührencharakter" sind Abgaben, die als Entgelt für eine erbrachte Leistung erhoben werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. März 2002, Kommission/Griechenland, C-426/98, Slg. 2002, I-2793, Randnr. 36).

62 Daher können, wie Generalanwalt Geelhoed in Nr. 32 seiner Schlussanträge festgestellt hat, nur Entgelte, deren Höhe sich nach den Kosten der erbrachten Leistung richtet, als "Abgaben mit Gebührencharakter" im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 69/335 qualifiziert werden. Dagegen ist ein Entgelt, dessen Höhe keinen Zusammenhang mit den tatsächlichen Aufwendungen für diese konkrete Leistung aufweist oder sich nicht nach den Kosten des Vorgangs, für den sie die Gegenleistung darstellt, sondern nach den gesamten Betriebs- und Investitionskosten der Verwaltung richtet, als eine nach den Art. 10 und 11 der Richtlinie 69/335 verbotene Abgabe anzusehen (vgl. in diesem Sinne Urteil Ponente Carni und Cispadana Costruzioni, Randnrn. 41 und 42, und Beschluss Gründerzentrum, Randnr. 31).

63 Demnach kann eine Abgabe, die sich nach dem Wert des zugrunde liegenden wirtschaftlichen Vorgangs bestimmt und ohne Obergrenze proportional zu diesem Wert steigt, schon ihrem Wesen nach keine Abgabe mit Gebührencharakter im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 69/335 sein. Auch wenn in bestimmten Fällen ein Zusammenhang zwischen der Komplexität der von der Verwaltung erbrachten Leistung und dem Wert des zugrunde liegenden wirtschaftlichen Vorgangs bestehen mag, steht doch die Höhe einer solchen Abgabe in der Regel in keinem Verhältnis zu den konkreten Aufwendungen der Verwaltung (vgl. in diesem Sinne Urteile Modelo I, Randnr. 30, und IGI, Randnr. 31).

64 Im Ausgangsverfahren steigen die betreffenden Gebühren proportional zum Wert der übertragenen Geschäftsanteile, also des zugrunde liegenden wirtschaftlichen Vorgangs. Da für die Gebühren außerdem keine Obergrenze festgelegt worden ist, können sie sich auf einen beträchtlichen Betrag belaufen, der von der deutschen Regierung noch nicht einmal damit verteidigt worden ist, dass er den Kosten der erbrachten Leistung entspreche.

65 Diese Gebühren haben daher keinen Gebührencharakter im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 69/335.

66 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 69/335 der Erhebung von Notargebühren für die Beurkundung der Übertragung von Geschäftsanteilen an einer Gesellschaft entgegensteht, die als Einlage im Rahmen einer Erhöhung des Gesellschaftskapitals einer Kapitalgesellschaft erfolgt ist, und dies in einem Rechtssystem, das dadurch gekennzeichnet ist, dass die Notare Beamte sind und die Gebühren zumindest teilweise dem Staat für die Bestreitung öffentlicher Kosten zufließen.

Kostenentscheidung:

Kosten

67 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital in der durch die Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 geänderten Fassung steht der Erhebung von Notargebühren für die Beurkundung der Übertragung von Geschäftsanteilen an einer Gesellschaft entgegen, die als Einlage im Rahmen einer Erhöhung des Gesellschaftskapitals einer Kapitalgesellschaft erfolgt ist, und dies in einem Rechtssystem, das dadurch gekennzeichnet ist, dass die Notare Beamte sind und die Gebühren zumindest teilweise dem Staat für die Bestreitung öffentlicher Kosten zufließen.



Ende der Entscheidung

Zurück