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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 12.12.1995
Aktenzeichen: C-469/93
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, GATT, Viertes AKP-EWG-Abkommen von Lomé vom 15. Dezember 1989


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 95 Abs. 2
EWG-Vertrag Art. 177
GATT
Viertes AKP-EWG-Abkommen von Lomé vom 15. Dezember 1989 Art. 53
Viertes AKP-EWG-Abkommen von Lomé vom 15. Dezember 1989 Art. 169 Abs. 1
Viertes AKP-EWG-Abkommen von Lomé vom 15. Dezember 1989 Art. 177 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen enthält keine Bestimmungen, die dem einzelnen Rechte verliehen, auf die er sich vor den nationalen Gerichten gegen die Anwendung entgegenstehender nationaler Bestimmungen berufen könnte. Die Besonderheiten dieses Abkommens, das durch die grosse Flexibilität seiner Bestimmungen gekennzeichnet ist, insbesondere derjenigen, die die Möglichkeiten einer Abweichung, die Maßnahmen, die bei aussergewöhnlichen Schwierigkeiten getroffen werden können, und die Beilegung von Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien betreffen, stehen nämlich der Begründung derartiger Rechte entgegen.

2. Das Vierte AKP°EWG-Abkommen kann wie die früheren AKP°EWG-Abkommen und die Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den afrikanischen Staaten und Madagaskar Bestimmungen enthalten, die dem einzelnen Rechte verleihen, auf die er sich vor den nationalen Gerichten gegen die Anwendung entgegenstehender nationaler Bestimmungen berufen kann. Insoweit schließt die Tatsache, daß die von den Vertragsparteien in diesen Abkommen eingegangenen Verpflichtungen von ganz unterschiedlichem Gewicht sind, was im Wesen der Abkommen selbst begründet ist, es nicht aus, daß die Gemeinschaftsrechtsordnung die unmittelbare Geltung bestimmter Vorschriften dieser Abkommen anerkennt.

3. Das Vierte AKP°EWG-Abkommen, das keine Bestimmungen enthält, die diskriminierende inländische Abgaben ausdrücklich verbieten würden, kann nicht dahin ausgelegt werden, daß es gleichwohl über Artikel 177 Absatz 2, der die Anwendung anderer Mittel zu protektionistischen Zwecken als die von ihm erlaubten Schutzmaßnahmen verbietet, oder über Artikel 169 Absatz 1, der die Anwendung mengenmässiger Beschränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung verbietet, ein solches Verbot vorsieht. Aus einer systematischen Auslegung des Abkommens ergibt sich nämlich, daß seine Parteien inländische Abgaben nicht im Rahmen der eingeführten allgemeinen Handelsregelung regeln wollten.

Zwar steht diese allgemeine Regelung einer inländischen Abgabe auf Bananen mit Ursprung in den AKP-Staaten, wie der inländischen Verbrauchsteuer auf frische Bananen, die durch das Gesetz Nr. 986/64 in die italienische Rechtsordnung eingeführt wurde, nicht entgegen, doch verstossen die Erhöhungen dieser Abgabe gegen Artikel 1 des dem Vierten Abkommen beigefügten Protokolls Nr. 5 betreffend Bananen. Mit dieser Bestimmung, wonach kein AKP-Staat bei der Ausfuhr seiner Bananen nach den Märkten der Gemeinschaft hinsichtlich des Zugangs zu seinen herkömmlichen Märkten und seiner Vorteile auf diesen Märkten ungünstiger gestellt sein darf als vor dem Inkrafttreten des Abkommens, wird nämlich in dieses Abkommen eine Stillhaltebestimmung eingeführt, die eine Sonderregelung darstellt und nach dem Grundsatz vom Vorrang der lex specialis von der rechtlichen Regelung für die übrigen Ursprungserzeugnisse der AKP-Staaten abweicht.

Da diese Bestimmung klar, eindeutig und unbedingt gefasst ist und eine Entsprechung in den ersten drei AKP°EWG-Abkommen findet, kann sich ein Wirtschaftsteilnehmer gegen die genannten Erhöhungen auf die AKP°EWG-Abkommen berufen, sofern sie nach dem 1. April 1976, dem Tag des Inkrafttretens des ersten AKP°EWG-Abkommens, erfolgten und sofern sie die genannten Bananenausfuhren schlechter stellen als zuvor.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 12. Dezember 1995. - Amministrazione delle finanze dello Stato gegen Chiquita Italia SpA. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunale di Trieste - Italien. - Unmittelbare Wirkung von Bestimmungen des GATT und der Lomé-Abkommen - Inländische Abgaben. - Rechtssache C-469/93.

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunale Triest hat mit Beschluß vom 10. November 1993, bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen am 16. Dezember 1993, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) und der in Lomé unterzeichneten AKP°EWG-Abkommen zwischen den Staaten in Afrika, im karibischen Raum und im Pazifischen Ozean und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (AKP°EWG-Abkommen) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Amministrazione delle finanze dello Stato (Finanzverwaltung des Staates) und der Chiquita Italia SpA (Beklagte).

3 Mit dem italienischen Gesetz Nr. 986/64 vom 9. Oktober 1964 (im folgenden: italienisches Gesetz) wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1965 eine Steuer auf frische Bananen eingeführt, die in der Folge mehrmals erhöht wurde.

4 Mit Urteil vom 7. Mai 1987 in der Rechtssache 193/85 (Co-Frutta, Slg. 1987, 2085) hat der Gerichtshof für Recht erkannt, daß Artikel 95 Absatz 2 EWG-Vertrag einer Verbrauchsteuer auf bestimmte eingeführte Obstsorten entgegensteht, wenn sie geeignet ist, die einheimische Obsterzeugung zu schützen. Er hat weiter befunden, daß Artikel 95 EWG-Vertrag für alle Erzeugnisse aus den Mitgliedstaaten einschließlich der Erzeugnisse mit Ursprung in Drittländern gilt, die sich in den Mitgliedstaaten im freien Verkehr befinden.

5 In dem ebenfalls am 7. Mai 1987 ergangenen Urteil in der Rechtssache 184/85 (Kommission/Italien, Slg. 1987, 2013, Randnr. 15) hat der Gerichtshof festgestellt, daß die Italienische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 95 Absatz 2 EWG-Vertrag verstossen hat, indem sie eine Verbrauchsteuer eingeführt und beibehalten hat, die für frische Bananen mit Ursprung in anderen Mitgliedstaaten gilt.

6 Dabei hat der Gerichtshof zum einen festgestellt, daß diese Steuer den Charakter einer inländischen Abgabe hat, da sie zu einem allgemeinen inländischen Abgabensystem gehört, das Erzeugnisgruppen systematisch nach objektiven Kriterien, unabhängig vom Ursprung der Erzeugnisse, erfasst. Zum anderen hat er ausgeführt, daß die Steuer eine Schutzmaßnahme im Sinne des Artikels 95 Absatz 2 darstellt, da sie geeignet ist, die einheimische Obsterzeugung zu schützen.

7 Unter Berufung auf diese Urteile hat die Beklagte mit zwei Klageschriften vom 2. April 1990 bzw. 25. Mai 1990 beim Pretore von Triest beantragt, der italienischen Verwaltung aufzugeben, ihr die Einfuhr von Bananenpartien aus Kolumbien, Honduras und Santa Lucia nach Italien ohne Zahlung der Verbrauchsteuer nach dem italienischen Gesetz zu gestatten, da diese gegen das Gemeinschaftsrecht verstosse.

8 Der Pretore von Triest hat diesen Anträgen stattgegeben.

9 Das Finanzministerium hat am 18. September 1990 zwei Klagen beim Tribunale Triest erhoben, um die Rechtmässigkeit der streitigen Steuer und ihrer Erhebung feststellen zu lassen. Diese Steuer sei nämlich nur in bezug auf Bananen mit Ursprung in anderen Mitgliedstaaten oder Bananen, die sich im freien Verkehr befänden, nicht aber in bezug auf Bananen mit unmittelbarer Herkunft aus Drittländern als rechtswidrig anzusehen.

10 Das Gesetz Nr. 428/90 (Supplement zum GURI vom 12. Januar 1991) hob die italienische Verbrauchsteuer auf Bananen am 29. Dezember 1990 auf. Dem Vorlagebeschluß ist jedoch zu entnehmen, daß dieses Gesetz keine Rückwirkung hat.

11 Während des Verfahrens vor dem Tribunale Triest hat der Gerichtshof das Urteil vom 9. Juni 1992 in den verbundenen Rechtssachen C-228/90 bis C-234/90, C-339/90 und C-353/90 (Simba u. a., Slg. 1992, I-3713) erlassen, das ebenfalls die Einfuhr von Bananen unmittelbar aus Drittländern nach Italien betraf.

12 Der Gerichtshof hat in diesem Urteil daran festgehalten, daß die streitige Verbrauchsteuer eine inländische Abgabe im Sinne des Artikels 95 EG-Vertrag darstelle. Diese Bestimmung sei nur auf Erzeugnisse anwendbar, die aus anderen Mitgliedstaaten eingeführt würden, so daß sie unmittelbar aus Drittländern eingeführte Erzeugnisse nicht erfasse (Randnr. 14).

13 Wenn auch der EWG-Vertrag selbst keine Bestimmungen enthalte, die etwaige Diskriminierungen bei der Erhebung inländischer Abgaben auf unmittelbar aus Drittländern eingeführte Erzeugnisse verböten, so seien doch die internationalen Abkommen zu berücksichtigen, die zwischen der Gemeinschaft und den Ursprungsdrittländern der Bananenpartien gälten und die möglicherweise Bestimmungen enthielten, die die Entscheidung des Rechtsstreits beeinflussen könnten (Randnr. 19).

14 Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten hätten sich nach Artikel 139 Absatz 2 des Dritten AKP°EWG-Abkommens im Rahmen der Allgemeinen Handelsregelung verpflichtet, gegenüber aus AKP-Staaten eingeführten Erzeugnissen keine protektionistischen Maßnahmen einzusetzen (Randnr. 20).

15 Eine Abgabe wie die inländische Verbrauchsteuer habe Schutzcharakter für die einheimische Tafelobsterzeugung des in Rede stehenden Mitgliedstaats (Randnr. 21).

16 Es sei jedoch Sache der vorlegenden Gerichte, festzustellen, ob die Bestimmungen der völkerrechtlichen Abkommen die Erhebung einer Abgabe wie der Verbrauchsteuer auf unmittelbar aus den betreffenden Drittstaaten eingeführte Partien Bananen durch einen Mitgliedstaat tatsächlich verböten, und dem Gerichtshof zu diesem Zweck gegebenenfalls vorab Fragen nach der Auslegung dieser Bestimmungen vorzulegen (Randnr. 22).

17 Schließlich seien die Betroffenen zur Entrichtung einer Abgabe wie der inländischen Verbrauchsteuer nicht verpflichtet, wenn das nationale Gesetz, mit dem eine solche Abgabe eingeführt werde, nach Auffassung der vorlegenden Gerichte mit auf völkerrechtlichen Abkommen beruhendem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sei, das dem einzelnen Rechte verleihe (Randnr. 28).

18 Aufgrund dieses Urteils entrichtete die Beklagte die Verbrauchsteuer für die aus Honduras eingeführten Bananen. Sie lehnte es jedoch nach wie vor ab, diese Steuer für die Einfuhren aus Kolumbien und Santa Lucia zu zahlen, da sie insoweit gegen Artikel III des GATT sowie gegen Bestimmungen der AKP°EWG-Abkommen verstosse.

19 Da das vorlegende Gericht der Auffassung ist, die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits hänge von der Auslegung des GATT und der Lomé-Abkommen ab, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Verleihen das GATT und die zwischen den AKP-Staaten und der EWG geschlossenen Abkommen unter Berücksichtigung der Entscheidung des Gerichtshofes vom 9. Juni 1992 in den verbundenen Rechtssachen C-228/90 bis C-234/90, C-339/90 und C-353/90, die auf die Geltung des auf völkerrechtlichen Abkommen beruhenden Gemeinschaftsrechts besonders verweist, dem einzelnen in den Mitgliedstaaten einklagbare Rechte, aus denen sich für den Fall ihrer Verletzung für die nationalen Gerichte die Verpflichtung ergibt, die innerstaatliche Vorschrift, die den genannten Abkommen zuwiderläuft und mit ihnen unvereinbar ist, nicht anzuwenden?

2) Bejahendenfalls: Verstösst eine inländische Abgabe wie die von Italien mit dem Gesetz Nr. 986/64 in der Fassung des Gesetzes Nr. 873/82 eingeführte Verbrauchsteuer auf frische Bananen, die bereits auf aus Drittländern, die Vertragsstaaten des GATT oder der AKP°EWG-Abkommen sind, eingeführte Bananen angewandt worden ist, gegen diese auf völkerrechtlichen Abkommen beruhenden gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, und darf sie demzufolge von den nationalen Gerichten nicht angewandt werden?

20 Da das vorlegende Gericht nicht klargestellt hat, auf welches AKP°EWG-Abkommen es abstellen will, ist zunächst zu bestimmen, welches der vier AKP°EWG-Abkommen auf den vorliegenden Fall anwendbar ist.

21 Die der Erhebung der streitigen Steuer zugrunde liegenden Einfuhren erfolgten ab April 1990.

22 Die von den Beteiligten angeführten Bestimmungen gehören teils zum Dritten Teil, Titel I, des am 15. Dezember 1989 in Lomé unterzeichneten Vierten AKP°EWG-Abkommens (ABl. 1991, L 229, S. 1), teils zum Protokoll Nr. 5 betreffend Bananen (ABl. 1991, L 229, S. 213), die beide am 1. März 1990 in Kraft getreten sind (Artikel 2 des Beschlusses Nr. 2/90 des AKP°EWG-Ministerrats vom 27. Februar 1990 betreffend die ab 1. März 1990 anzuwendenden Übergangsmaßnahmen).

23 Somit ist nur auf das Vierte AKP°EWG-Abkommen abzustellen.

Zur ersten Frage

24 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das GATT und das Vierte AKP°EWG-Abkommen Bestimmungen enthalten können, die dem einzelnen Rechte verleihen, auf die er sich vor den nationalen Gerichten gegen die Anwendung entgegenstehender nationaler Bestimmungen berufen kann.

25 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes sind zur Beantwortung der Frage, ob die Bestimmungen eines zwischen der Gemeinschaft und Drittländern geschlossenen Abkommens unmittelbare Wirkung haben, stets Sinn, Aufbau und Wortlaut dieses Abkommens zu prüfen (vgl. insbesondere Urteil vom 12. Dezember 1972 in den verbundenen Rechtssachen 21/72, 22/72, 23/72 und 24/72, International Fruit Company, Slg. 1972, 1219).

26 Der Gerichtshof hat wiederholt, zuletzt im Urteil vom 5. Oktober 1994 in der Rechtssache C-280/93 (Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-4973, Randnr. 106), ausgeführt, daß das GATT, dem nach seiner Präambel das Prinzip von Verhandlungen "auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen" zugrunde liegt, durch die grosse Flexibilität seiner Bestimmungen gekennzeichnet ist, insbesondere derjenigen, die die Möglichkeiten einer Abweichung, die Maßnahmen, die bei aussergewöhnlichen Schwierigkeiten getroffen werden können, und die Beilegung von Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien betreffen.

27 Wie der Gerichtshof hervorgehoben hat (Randnr. 107), umfassen diese Maßnahmen für die Beilegung von Streitigkeiten je nach Lage des Falles schriftliche Vorstellungen oder Vorschläge, die "einer wohlwollenden Prüfung [zu] unterziehen" sind, sowie Untersuchungen gegebenenfalls mit nachfolgenden Empfehlungen, Konsultierungen oder Entscheidungen der Vertragsparteien, darunter die Ermächtigung bestimmter Vertragsparteien, gegenüber anderen Vertragsparteien die Anwendung sämtlicher sich aus dem GATT ergebender Zugeständnisse oder sonstiger Verpflichtungen auszusetzen, und schließlich im Fall einer solchen Aussetzung die Möglichkeit für die betroffene Partei, von dem Abkommen zurückzutreten.

28 Der Gerichtshof hat weiter festgestellt (Randnr. 108), daß eine Vertragspartei für den Fall, daß bestimmte Erzeuger infolge einer aufgrund des GATT bestehenden Verpflichtung oder infolge eines Zugeständnisses hinsichtlich einer Präferenz einen ernsthaften Schaden erleiden oder zu erleiden drohen, nach Artikel XIX die Möglichkeit hat, die Verpflichtung einseitig aufzuheben und das Zugeständnis zurückzunehmen oder abzuändern, und zwar entweder nach Konsultation sämtlicher Vertragsparteien, wenn die beteiligten Vertragsparteien nicht zu einem Einvernehmen gelangen, oder auch ohne vorherige Konsultation, wenn Eile geboten und die Maßnahme vorläufiger Natur ist (vgl. Urteil International Fruit Company, a. a. O., Randnrn. 21, 25 und 26; Urteil vom 24. Oktober 1973 in der Rechtssache 9/73, Schlüter, Slg. 1973, 1135, Randnr. 29; Urteile vom 16. März 1983 in der Rechtssache 266/81, SIOT, Slg. 1983, 731, Randnr. 28, und in den verbundenen Rechtssachen 267/81, 268/81 und 269/81, SPI und SAMI, Slg. 1983, 801, Randnr. 23).

29 Diese Besonderheiten schließen die Möglichkeit aus, daß sich ein Bürger vor den nationalen Gerichten eines Mitgliedstaats auf die Vorschriften des GATT gegen die Anwendung nationaler Bestimmungen beruft.

30 Zum Vierten AKP°EWG-Abkommen vertritt die italienische Regierung die Auffassung, in Anbetracht seiner allgemeinen Ziele und Grundsätze, die auf eine Förderung der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Entwicklung der AKP-Staaten abstellten, enthalte es ebensowenig wie das GATT Bestimmungen, die dem einzelnen Rechte verliehen, auf die er sich vor den nationalen Gerichten berufen könne.

31 Wie sich aber aus den Randnummern 26 bis 29 ergibt, sind das GATT einerseits und das Vierte AKP°EWG-Abkommen, die früheren AKP°EWG-Abkommen sowie die Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den afrikanischen Staaten und Madagaskar andererseits nicht gleichartig.

32 Die von den Vertragsparteien in diesen Abkommen eingegangenen Verpflichtungen sind von ganz unterschiedlichem Gewicht. Die Abkommen bezwecken nämlich allgemein, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Drittstaaten, die Parteien dieser Abkommen sind, insbesondere durch Verbesserung der Bedingungen des Zugangs ihrer Erzeugnisse zum Gemeinschaftsmarkt zu fördern. Dieses Ungleichgewicht könnte der Möglichkeit entgegenstehen, daß Bestimmungen der Abkommen unmittelbare Wirkung haben.

33 Diese Abkommen sind nämlich als Fortführung des im EWG-Vertrag ursprünglich einseitig errichteten Assoziierungssystems zu sehen.

34 Der Gerichtshof hat im Urteil vom 5. Februar 1976 in der Rechtssache 87/75 (Bresciani, Slg. 1976, 129) zu dem am 29. Juli 1969 in Jaunde unterzeichneten zweiten Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den afrikanischen Staaten und Madagaskar (ABl. 1970, L 282, S. 1), das den AKP°EWG-Abkommen vorausging, ausgeführt (Randnr. 23), daß das Ungleichgewicht zwischen den jeweiligen Verpflichtungen der Gemeinschaft und der assoziierten Staaten, das im Wesen des Abkommens selbst begründet ist, es nicht ausschließt, daß die Gemeinschaft die unmittelbare Geltung bestimmter Vorschriften des Abkommens anerkennt.

35 Das Vierte AKP°EWG-Abkommen kann also Bestimmungen enthalten, die dem einzelnen Rechte verleihen, auf die er sich vor den nationalen Gerichten berufen könnte.

36 Diesem Ergebnis steht das Vorbringen der italienischen Regierung nicht entgegen, das Vierte AKP°EWG-Abkommen sehe ein besonderes Verfahren für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Vertragsparteien vor. Das zweite Abkommen von Jaunde enthielt nämlich in Artikel 53 eine vergleichbare Regelung; gleichwohl hat der Gerichtshof einigen seiner Bestimmungen unmittelbare Wirkung zuerkannt.

37 Somit ist auf die erste Frage zu antworten, daß das GATT keine Bestimmungen enthält, die dem einzelnen Rechte verliehen, auf die er sich vor den nationalen Gerichten gegen die Anwendung entgegenstehender nationaler Bestimmungen berufen könnte, daß aber das Vierte AKP°EWG-Abkommen solche Bestimmungen enthalten kann.

Zur zweiten Frage

38 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Bestimmungen des GATT und des Vierten AKP°EWG-Abkommens einer inländischen Abgabe wie derjenigen nach dem italienischen Gesetz Nr. 986/64 in der Fassung des Gesetzes Nr. 873/82 entgegenstehen, die auf Erzeugnisse angewandt wird, die aus Drittländern, die Parteien dieser Abkommen sind, eingeführt wurden.

39 Unter Berücksichtigung der zu den GATT-Bestimmungen erteilten Antwort ist diese zweite Frage nur in bezug auf die Bestimmungen des Vierten AKP°EWG-Abkommens zu beantworten.

40 Vorab ist darauf hinzuweisen, daß das Vierte AKP°EWG-Abkommen seit seinem Inkrafttreten Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung ist.

41 Nach Auffassung der Beklagten ist Artikel 177 Absatz 2 des Vierten AKP°EWG-Abkommens Artikel 95 EG-Vertrag anzugleichen, so daß ihm entsprechend dieser Bestimmung unmittelbare Wirkung zuerkannt werden müsse.

42 Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Das Vierte AKP°EWG-Abkommen enthält keine Bestimmungen, die sich ausdrücklich auf inländische Abgaben bezögen. So enthält dieses Abkommen zwar mit den Artikeln 168 Absatz 1 und 169 Absatz 1 Bestimmungen, die den Artikeln 9, 12 und 30 EG-Vertrag vergleichbar sind, jedoch ist keine Artikel 95 EG-Vertrag vergleichbare Bestimmung speziell über inländische Abgaben vorgesehen.

43 Wenn die Gemeinschaft und die AKP-Staaten aber die Frage der inländischen Abgaben im Rahmen der mit dem Abkommen eingeführten allgemeinen Handelsregelung hätten regeln wollen, so hätten sie eben, wie die italienische Regierung zu Recht hervorgehoben hat, eine an Artikel 95 EG-Vertrag angelehnte Bestimmung aufgenommen.

44 Ausserdem kann die Bestimmung des Artikels 177 Absatz 2 des Vierten AKP°EWG-Abkommens nicht aus ihrem Zusammenhang gelöst ausgelegt werden. Sie steht nämlich in einer Vorschrift über Schutzmaßnahmen, auf die zurückgegriffen werden kann, wenn durch die mit dem Abkommen eingeführte allgemeine Handelsregelung ernste Störungen für einen Wirtschaftsbereich der Gemeinschaft oder eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder die Gefahr einer Beeinträchtigung eines Wirtschaftsbereichs verursacht worden sind.

45 Wenn die Parteien des Abkommens das von der Beklagten genannte Ziel hätten verfolgen wollen, so hätten sie diese Bestimmung auf die gleiche Stufe wie die den Artikeln 9, 12 und 30 EG-Vertrag entsprechenden Bestimmungen des Abkommens gestellt und sich somit nicht damit begnügt, sie in einen Artikel über Schutzmaßnahmen einzugliedern.

46 Schließlich hat der Generalanwalt in Nummer 37 seiner Schlussanträge zu Recht ausgeführt, daß das zweite Jaunde-Abkommen, der Vorläufer der Lomé-Abkommen, in Artikel 5 eine Bestimmung mit einem Artikel 95 Absatz 1 ähnlichen Wortlaut enthielt:

"Unbeschadet der besonderen Bestimmungen dieses Abkommens nimmt jede Vertragspartei von allen Maßnahmen oder Praktiken interner steuerlicher Art Abstand, die unmittelbar oder mittelbar eine unterschiedliche Behandlung ihrer Erzeugnisse und gleichartiger Ursprungserzeugnisse der anderen Vertragsparteien bewirken."

47 Daß eine solche Bestimmung in der Folge nicht in die "Allgemeine Handelsregelung" der Lomé-Abkommen übernommen wurde, zeugt vom Willen der Vertragsparteien, sie vom Anwendungsbereich dieser Regelung auszuschließen.

48 Die Beklagte macht hilfsweise geltend, in der vorliegenden Rechtssache sei Artikel 169 Absatz 1 des Vierten AKP°EWG-Abkommens anwendbar, wonach die Gemeinschaft bei der Einfuhr von Ursprungswaren der AKP-Staaten keine mengenmässigen Beschränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung anwende.

49 Dieser Artikel entspreche nämlich Artikel 30 EG-Vertrag. Der Gerichtshof habe im Urteil vom 22. September 1988 in der Rechtssache 45/87 (Kommission/Irland, Slg. 1988, 4929, Randnr. 16) ausgeführt, daß Artikel 30 EWG-Vertrag darauf abziele, alle Maßnahmen der Mitgliedstaaten zu beseitigen, die die Einfuhrströme im innergemeinschaftlichen Handel behinderten, gleichviel, ob solche Maßnahmen unmittelbar den Verkehr der eingeführten Waren träfen oder mittelbar das Inverkehrbringen von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten behinderten. Daß einige dieser Behinderungen im Hinblick auf "spezifische Bestimmungen des Vertrages ° wie etwa Artikel 95, wenn es um steuerliche Diskriminierungen geht ° geprüft werden müssen, ändert nichts an der allgemeinen Natur der in Artikel 30 ausgesprochenen Verbote".

50 Wenn das Vierte AKP°EWG-Abkommen nach Ansicht des Gerichtshofes keine Artikel 95 EG-Vertrag entsprechenden Bestimmungen enthalte, müsse Artikel 169 Absatz 1 dieses Abkommens angewandt werden, da dieser wie Artikel 30 EG-Vertrag eine allgemeine Bestimmung darstelle, die mangels spezifischer Vorschriften heranzuziehen sei.

51 Die Beklagte geht dabei von der Prämisse aus, daß sowohl der EG-Vertrag als auch das Vierte AKP°EWG-Abkommen auf die Gewährleistung eines freien Warenverkehrs abzielen, der von Hindernissen jeder Art einschließlich solcher, die sich aus diskriminierenden inländischen Abgaben ergeben, frei ist.

52 Ihrer Argumentation kann nicht gefolgt werden. Nach ständiger Rechtsprechung hängt die Übertragung der Auslegung einer Bestimmung des EG-Vertrags auf eine vergleichbar, ähnlich oder übereinstimmend gefasste Bestimmung eines Abkommens zwischen der Gemeinschaft und einem Drittland insbesondere davon ab, welchen Zweck diese Bestimmungen in dem ihnen je eigenen Rahmen verfolgen; insoweit kommt dem Vergleich von Zweck und Kontext des Abkommens mit denjenigen des EG-Vertrags erhebliche Bedeutung zu (vgl. insbesondere Urteil vom 1. Juli 1993 in der Rechtssache C-312/91, Metalsa, Slg. 1993, I-3751, Randnr. 11).

53 Wie gezeigt, ist jedoch in Ermangelung spezifischer Bestimmungen, die sich auf inländische Abgaben beziehen, davon auszugehen, daß die Parteien dieses Abkommens inländische Abgaben nicht im Rahmen der eingeführten allgemeinen Handelsregelung regeln wollten.

54 In der mündlichen Verhandlung hat sich die Beklagte ferner auf Artikel 1 des Protokolls Nr. 5 betreffend Bananen berufen, wonach "kein AKP-Staat... bei der Ausfuhr seiner Bananen nach den Märkten der Gemeinschaft hinsichtlich des Zugangs zu seinen herkömmlichen Märkten und seiner Vorteile auf diesen Märkten ungünstiger gestellt sein [wird] als bisher oder derzeit".

55 Nach Ansicht der Beklagten stellt diese Vorschrift eine Stillhaltebestimmung dar, die unmittelbare Wirkung haben könne. Diese Bestimmung sei bereits im ersten AKP°EWG-Abkommen enthalten gewesen, das am 1. April 1976 in Kraft getreten sei (ABl. 1976, L 25, S. 1). In der Folge sei sie im Zweiten, Dritten und Vierten Lomé-Abkommen beibehalten worden. Daher könne man sich gegen nach dem 1. April 1976 eingetretene Erhöhungen der italienischen Steuer auf diese Bestimmung berufen.

56 Die italienische Regierung hält dem entgegen, zwar enthalte die fragliche Vorschrift tatsächlich eine Stillhalteverpflichtung, soweit sie die seinerzeitigen Bedingungen des Zugangs der AKP-Bananen zu deren herkömmlichen Märkten betreffe; sie sei jedoch nicht auf die italienische Steuer anwendbar, da diese bereits 1964, also vor Inkrafttreten des Vierten AKP°EWG-Abkommens, eingeführt worden sei.

57 Artikel 1 des Protokolls Nr. 5 betreffend Bananen ist im Gegensatz zu den übrigen Vorschriften dieses Protokolls klar, eindeutig und unbedingt gefasst, so daß sich der einzelne unmittelbar auf ihn berufen kann.

58 Jedoch ist zu prüfen, ob eine Berufung auf diese Vorschrift auch gegenüber Erhöhungen einer inländischen Abgabe wie der italienischen Verbrauchsteuer auf Bananen möglich ist.

59 Artikel 1 des Protokolls Nr. 5 betreffend Bananen ist eine Stillhaltebestimmung. Diese Vorschrift soll den Zugang für Bananen aus den AKP-Staaten zu deren herkömmlichen Märkten unter Bedingungen und nach Modalitäten garantieren, die nicht weniger günstig sind als diejenigen, die bei seinem Inkrafttreten galten. Diese Zugangsgarantie für Bananen aus den AKP-Staaten gilt jedoch nur bis zu der Menge, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmung eingeführt wurde.

60 Unbestreitbar steht diese Stillhaltebestimmung Erhöhungen einer Abgabe wie der streitigen entgegen. Derartige Erhöhungen verteuern nämlich die betroffenen Bananen und erschweren damit ihren Absatz auf dem fraglichen Markt.

61 Unerheblich ist weiter, daß der Bereich der inländischen Abgaben von der mit Titel I Kapitel 1 des Dritten Teils des Vierten AKP°EWG-Abkommens eingeführten allgemeinen Handelsregelung ausgenommen wurde. Artikel 183 des Abkommens, der auf das Bananen-Protokoll verweist, findet sich nämlich in Titel I Kapitel 2 des Dritten Teils des Vierten AKP°EWG-Abkommens mit der Überschrift "Besondere Bestimmungen betreffend Rum und Bananen". Es handelt sich also um eine Sonderregelung, die nach dem Grundsatz vom Vorrang der lex specialis durchaus von der rechtlichen Regelung für die übrigen Ursprungserzeugnisse der AKP-Staaten abweichen kann.

62 Schließlich enthielten die ersten drei AKP°EWG-Abkommen sämtlich eine Stillhaltebestimmung, die in ähnlicher Weise gefasst war wie Artikel 1 des Protokolls Nr. 5 betreffend Bananen.

63 Da das erste AKP°EWG-Abkommen am 1. April 1976 in Kraft trat, stehen die AKP°EWG-Abkommen im Ergebnis Erhöhungen einer inländischen Abgabe auf Bananen mit Ursprung in den AKP-Staaten wie der italienischen Verbrauchsteuer entgegen, sofern diese Erhöhungen nach dem 1. April 1976 erfolgten und sofern sie diese Bananenausfuhren im Hinblick auf den Zugang zu ihren traditionellen Märkten und auf ihre Vorteile auf diesen Märkten gegenüber dem früheren Zustand schlechter stellen.

Kostenentscheidung:

Kosten

64 Die Auslagen der italienischen und der französischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm vom Tribunale Triest mit Beschluß vom 10. November 1993 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen enthält keine Bestimmungen, die dem einzelnen Rechte verliehen, auf die er sich vor den nationalen Gerichten gegen die Anwendung entgegenstehender nationaler Bestimmungen berufen könnte. Das Vierte AKP°EWG-Abkommen kann dagegen solche Bestimmungen enthalten.

2) Die AKP°EWG-Abkommen stehen Erhöhungen einer inländischen Abgabe auf Bananen mit Ursprung in den AKP-Staaten wie der italienischen Verbrauchsteuer entgegen, sofern diese Erhöhungen nach dem 1. April 1976 erfolgten und sofern sie diese Bananenausfuhren im Hinblick auf den Zugang zu ihren traditionellen Märkten und auf ihre Vorteile auf diesen Märkten gegenüber dem früheren Zustand schlechter stellen.

Ende der Entscheidung

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