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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 21.11.2002
Aktenzeichen: C-473/00
Rechtsgebiete: Richtlinie 93/13/EWG
Vorschriften:
Richtlinie 93/13/EWG |
Der den Verbrauchern durch die Richtlinie 93/13 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen gewährte Schutz erstreckt sich auf alle Fälle, in denen sich der Verbraucher, der mit einem Gewerbetreibenden einen Vertrag geschlossen hat, der eine missbräuchliche Klausel enthält, nicht auf die Missbräuchlichkeit dieser Klauseln beruft. Daher ist in von Gewerbetreibenden gegen Verbraucher angestrengten Verfahren, die auf die Durchsetzung missbräuchlicher Klauseln gerichtet sind, die Festlegung einer zeitlichen Begrenzung für die Befugnis des Gerichts, solche Klauseln von Amts wegen oder auf eine vom Verbraucher erhobene Einrede hin unberücksichtigt zu lassen, geeignet, die Effektivität des von den Artikeln 6 und 7 der Richtlinie gewollten Schutzes zu beeinträchtigen. So ist eine Verfahrensbestimmung, die es dem nationalen Gericht nach Ablauf einer Ausschlussfrist verwehrt, von Amts wegen oder auf eine von einem Verbraucher erhobene Einrede hin die Missbräuchlichkeit einer Klausel festzustellen, zu deren Durchsetzung der Gewerbetreibende Klage erhoben hat, geeignet, in Rechtsstreitigkeiten, in denen der Verbraucher Beklagter ist, die Gewährung des Schutzes, den die Richtlinie dem Verbraucher zukommen lassen will, übermäßig zu erschweren; sie ist daher vom nationalen Gericht unberücksichtigt zu lassen.
( vgl. Randnrn. 34-36, 38 und Tenor )
Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 21. November 2002. - Cofidis SA gegen Jean-Louis Fredout. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal d'instance de Vienne - Frankreich. - Richtlinie 93/13/EWG - Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen - Klage eines Gewerbetreibenden - Innerstaatliche Rechtsvorschrift, die es den nationalen Gerichten nach Ablauf einer Ausschlussfrist verwehrt, von Amts wegen oder auf eine Einrede des Verbrauchers hin festzustellen, dass eine Klausel missbräuchlich ist. - Rechtssache C-473/00.
Parteien:
In der Rechtssache C-473/00
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Tribunal d'instance Vienne (Frankreich) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Cofidis SA
gegen
Jean-Louis Fredout
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, S. 29)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Wathelet sowie der Richter C. W. A. Timmermans, D. A. O. Edward, A. La Pergola und P. Jann (Berichterstatter),
Generalanwalt: A. Tizzano
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Cofidis SA, vertreten durch B. Célice, avocat,
- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und R. Loosli-Surrans als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch H. Dossi als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Martin und M. França als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Cofidis SA, vertreten durch B. Soltner, avocat, von Herrn Fredout, vertreten durch J. Franck, avocat, der französischen Regierung, vertreten durch R. Loosli-Surrans, und der Kommission, vertreten durch M. França, in der Sitzung vom 17. Januar 2002,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. April 2002,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe:
1 Das Tribunal d'instance Vienne hat mit Urteil vom 15. Dezember 2000, berichtigt durch Urteil vom 26. Januar 2001, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Dezember 2000 bzw. 29. Januar 2001, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, S. 29; im Folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Cofidis SA (im Folgenden: Klägerin), einer Gesellschaft französischen Rechts, und Herrn Fredout (im Folgenden: Beklagter) über Forderungen aus einem zwischen den Parteien geschlossenen Kreditvertrag.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsregelung
3 Artikel 1 der Richtlinie bestimmt:
(1) Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern.
(2) Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften... beruhen,... unterliegen nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie."
4 Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie sieht vor:
Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht."
5 Artikel 4 der Richtlinie legt fest, wie die Missbräuchlichkeit einer Klausel zu beurteilen ist. Absatz 2 dieser Bestimmung sieht vor:
Die Beurteilung der Missbräuchlichkeit der Klauseln betrifft weder den Hauptgegenstand des Vertrages noch die Angemessenheit zwischen dem Preis bzw. dem Entgelt und den Dienstleistungen bzw. den Gütern, die die Gegenleistung darstellen, sofern diese Klauseln klar und verständlich abgefasst sind."
6 Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie bestimmt:
Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann."
7 Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie sieht vor:
Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird."
Nationale Regelung
8 Die Bestimmungen über missbräuchliche Klauseln sind in Buch I (Aufklärung der Verbraucher und Zustandekommen der Verträge") Titel III (Allgemeine Vertragsbedingungen") Kapitel 2 (Missbräuchliche Klauseln") des Code de la consommation (Verbraucherschutzgesetzbuch) enthalten.
9 Artikel L. 132-1 des Verbraucherschutzgesetzbuchs in der Fassung des Gesetzes Nr. 95-96 vom 1. Februar 1995 über missbräuchliche Klauseln und die Form der Verträge legt fest, was unter missbräuchlichen Klauseln" zu verstehen ist, und bestimmt, dass diese als nicht geschrieben gelten". Nach dem Vorlageurteil steht diese Sanktion einer Nichtigkeit gleich, die nach den allgemeinen vertragsrechtlichen Vorschriften im Klagewege innerhalb von fünf Jahren und einredehalber unbefristet geltend gemacht werden kann.
10 Artikel L. 311-37 des Verbraucherschutzgesetzbuchs, auf den sich das Vorlageurteil bezieht, steht in Buch III (Verschuldung") Titel I (Darlehen") Kapitel 1 (Verbraucherkredite"). Dieses Kapitel enthält insbesondere detaillierte Formvorschriften.
11 Artikel L. 311-37 Absatz 1 des Verbraucherschutzgesetzbuchs bestimmt:
Für Streitigkeiten aus der Anwendung des vorliegenden Kapitels ist das Tribunal d'instance zuständig. Klagen sind innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach dem die Streitigkeit auslösenden Ereignis bei diesem Gericht zu erheben..."
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
12 Die Klägerin gewährte dem Beklagten mit Vertrag vom 26. Januar 1998 einen Kredit. Weil fällige Forderungen unbeglichen blieben, verklagte die Klägerin den Beklagten mit Klageschrift vom 24. August 2000 vor dem Tribunal d'instance Vienne auf Zahlung der geschuldeten Beträge.
13 Nach dem Vorlageurteil bestand das Kreditangebot aus einem beidseitig bedruckten Blatt, das auf der Vorderseite mit der in großen Schriftzeichen gedruckten Angabe Demande Gratuite de Réserve d'Argent" (Kostenloser Antrag auf Geldreserve) versehen war, während die Angaben zum vertraglich vereinbarten Zinssatz und Hinweise auf eine Konventionalstrafe in kleinen Schriftzeichen auf der Rückseite gedruckt waren. Das Tribunal d'instance Vienne hat aus diesen Feststellungen geschlossen, dass die finanziellen Klauseln unzureichend lesbar" seien und dass [d]iese mangelnde Lesbarkeit... in Zusammenhang mit dem Hinweis ,kostenlos zu sehen" sei, der besonders auffällig" herausgestellt worden und geeignet sei, den Verbraucher irrezuführen. Daher seien die finanziellen Klauseln... als missbräuchlich anzusehen".
14 Da es sich jedoch um ein Verbraucherkreditgeschäft handele, gelte die in Artikel L. 311-37 des Verbraucherschutzgesetzbuchs vorgesehene Ausschlussfrist von zwei Jahren, die es dem Gericht verwehre, die Klauseln, deren Missbräuchlichkeit es festgestellt habe, für nichtig zu erklären.
15 Unter diesen Umständen hat das Tribunal d'instance Vienne das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Der Schutz, den die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen den Verbrauchern gewährt, erfordert, dass ein nationales Gericht, das vor oder nach der genannten Richtlinie erlassene nationale Vorschriften anwendet, diese möglichst nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Richtlinie auslegt.
Ergibt sich aus diesem Erfordernis einer Auslegung, die mit dem in der Richtlinie vorgesehenen Verbraucherschutzsystem in Einklang steht, dass ein nationales Gericht, das mit der Zahlungsklage eines Gewerbetreibenden gegen einen Verbraucher, mit dem er einen Vertrag geschlossen hat, befasst ist, eine Verfahrensvorschrift über eine Einrede wie die des Artikels L. 311-37 des Verbraucherschutzgesetzbuchs nicht anwenden darf, die es ihm verwehrt, den Vertrag beeinträchtigende missbräuchliche Vertragsklauseln auf Antrag des Verbrauchers oder von Amts wegen für nichtig zu erklären, wenn der Vertrag früher als zwei Jahre vor Klageerhebung geschlossen worden ist, und die es damit dem Gewerbetreibenden ermöglicht, diese Klauseln vor Gericht geltend zu machen und seine Klage auf sie zu stützen?
Zur Vorlagefrage
16 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der den Verbrauchern durch die Richtlinie gewährte Schutz einer innerstaatlichen Regelung entgegensteht, die es dem nationalen Gericht im Rahmen einer von einem Gewerbetreibenden gegen einen Verbraucher erhobenen Klage, die auf einen von ihnen geschlossenen Vertrag gestützt wird, verwehrt, nach Ablauf einer Ausschlussfrist von Amts wegen oder auf eine vom Verbraucher erhobene Einrede hin die Missbräuchlichkeit einer in diesem Vertrag enthaltenen Klausel festzustellen.
Zur Zulässigkeit
17 Vorab äußern die Klägerin und die französische Regierung Zweifel an der Erheblichkeit der Vorlagefrage für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits und damit an der Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens.
18 Die Klägerin trägt vor, die vom vorlegenden Gericht als missbräuchlich angesehenen Klauseln fielen nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie. Da es sich bei ihnen um finanzielle Klauseln eines Kreditvertrags handele, beträfen sie dessen Hauptgegenstand. Sie seien daher nach Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie von deren Anwendungsbereich ausgenommen. Die fraglichen Klauseln könnten nicht als unklar beanstandet werden, da sie nur ein vom nationalen Gesetzgeber ausgearbeitetes Vertragsmuster wiedergäben, das der Richtlinie nach ihrem Artikel 1 Absatz 2 nicht unterliege.
19 Sie fügt hinzu, das vorlegende Gericht habe die Ausschlussfrist des für Verbraucherkredite geltenden Artikels L. 311-37 des Verbraucherschutzgesetzbuchs zu Unrecht als auf den Bereich der missbräuchlichen Klauseln anwendbar angesehen. Die französische Regierung stellt fest, dass in dieser Frage tatsächlich Zweifel bestuenden und dass die französische Cour de Cassation noch keine Gelegenheit gehabt habe, sich hierzu zu äußern.
20 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen der durch Artikel 234 EG geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts ist, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Das Ersuchen eines nationalen Gerichts kann nur zurückgewiesen werden, wenn offensichtlich kein Zusammenhang zwischen der von diesem Gericht erbetenen Auslegung des Gemeinschaftsrechts oder Prüfung der Gültigkeit einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts und den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens besteht (vgl. u. a. Urteile vom 22. Juni 2000 in der Rechtssache C-318/98, Fornasar u. a., Slg. 2000, I-4785, Randnr. 27, und vom 10. Mai 2001 in den Rechtssachen C-223/99 und C-260/99, Agorà und Excelsior, Slg. 2001, I-3605, Randnrn. 18 und 20).
21 Im vorliegenden Fall hält das vorlegende Gericht einige der vorgedruckten finanziellen Klauseln, über die es zu entscheiden hat, für nicht klar und verständlich genug. Dieser Mangel hänge insbesondere mit der Verwendung von aus der Werbung entlehnten Formulierungen auf dem von der Klägerin verwendeten Vordruck, die eine angebliche Unentgeltlichkeit des Kreditgeschäfts suggerierten, zusammen, die nach Ansicht des vorlegenden Gerichts geeignet waren, den Verbraucher irrezuführen.
22 Hierzu ist festzustellen, dass die fraglichen Klauseln, die sich nicht darauf beschränken, zwingende Rechtsvorschriften wiederzugeben, und deren Wortlaut als mehrdeutig gerügt wird, nicht offensichtlich dem Anwendungsbereich der Richtlinie entzogen sind, wie er durch deren Artikel 1 Absatz 2 und Artikel 4 Absatz 2 eingegrenzt ist.
23 Diese Klauseln fallen jedoch nur dann in den Anwendungsbereich der Richtlinie, wenn sie die Tatbestandsmerkmale des Artikels 3 Absatz 1 der Richtlinie erfuellen, d. h. nicht im Einzelnen ausgehandelt worden sind und entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursachen. Obwohl das vorlegende Gericht zum letztgenannten Punkt keine Ausführungen gemacht hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Voraussetzung erfuellt ist.
24 Ob die Ausschlussfrist des Artikels L. 311-37 des Verbraucherschutzgesetzbuchs auf missbräuchliche Klauseln anwendbar ist, ist eine Frage, die nach dem nationalen Recht zu beantworten und als solche der Zuständigkeit des Gerichtshofes entzogen ist.
25 Unter diesen Umständen ist nicht offensichtlich, dass kein Zusammenhang zwischen der Vorlagefrage und den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens besteht.
26 Das Vorabentscheidungsersuchen ist daher zulässig. Es ist mithin zu beantworten, wobei davon auszugehen ist, dass die vom vorlegenden Gericht als missbräuchlich angesehenen Klauseln die Tatbestandsmerkmale der Artikel 1 Absatz 2, 3 Absatz 1 und 4 Absatz 2 der Richtlinie erfuellen.
Zur Begründetheit
27 Die Klägerin und die französische Regierung führen zunächst aus, das Ausgangsverfahren unterscheide sich von der Rechtssache, die zum Urteil vom 27. Juni 2000 in den Rechtssachen C-240/98 bis C-244/98 (Océano Grupo Editorial und Salvat Editores, Slg. 2000, I-4941) geführt hat. Soweit es der Gerichtshof dort zugelassen habe, dass das nationale Gericht von Amts wegen die Frage der Missbräuchlichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung prüfe, habe er es ihm lediglich erlaubt, seine eigene Unzuständigkeit festzustellen. Im Ausgangsverfahren gehe es aber um die Frage, ob das Gericht eine vom nationalen Gesetzgeber vorgeschriebene Ausschlussfrist zu beachten habe oder nicht.
28 Die Klägerin und die französische Regierung machen zweitens geltend, da die Richtlinie keine Bestimmung über eine Ausschlussfrist enthalte, sei die Frage der Geltung einer solchen Frist nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie zu beantworten. Demnach sei es Sache jedes Mitgliedstaats, in seinem innerstaatlichen Recht unter Beachtung der Grundsätze der Gleichwertigkeit und der Effektivität die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die zur Wahrung derjenigen Rechte erhoben würden, die der Einzelne aus der Richtlinie ableite. Der Gerichtshof habe jedoch bereits mehrfach festgestellt, dass kürzere Ausschlussfristen als die Zweijahresfrist des Artikels L. 311-37 des Verbraucherschutzgesetzbuchs mit diesen Grundsätzen vereinbar seien (Urteile vom 16. Dezember 1976 in der Rechtssache 33/76, Rewe, Slg. 1976, 1989, und vom 10. Juli 1997 in der Rechtssache C-261/95, Palmisani, Slg. 1997, I-4025).
29 Nach Ansicht des Beklagten ist das Urteil Océano Grupo Editorial und Salvat Editores weit auszulegen. Der Gerichtshof habe in diesem Urteil die Befugnis des nationalen Gerichts, von Amts wegen die Rechtswidrigkeit einer missbräuchlichen Klausel zu berücksichtigen, als ein Mittel angesehen, mit dem sich das in Artikel 6 der Richtlinie vorgeschriebene Ziel erreichen, also gewährleisten lasse, dass der Verbraucher nicht durch missbräuchliche Klauseln gebunden sei. Dieses Ziel könne jedoch nicht erreicht werden, wenn diese Befugnis einer Frist unterliege. Im Fall von Verbraucherkreditverträgen würden die meisten Verfahren vom gewerblichen Kreditgeber angestrengt, der nur den Ablauf dieser Frist abwarten müsse, um Zahlungsklage zu erheben, wodurch dem Verbraucher der durch die Richtlinie eingeführte Schutz genommen werde.
30 Die österreichische Regierung führt aus, zwar lasse die Richtlinie den Mitgliedstaaten einen erheblichen Ermessensspielraum und eine Verjährungsfrist könne zur Rechtssicherheit beitragen, doch sei angesichts der Ausschlusswirkung und der Kürze der fraglichen Frist zweifelhaft, ob diese die Erreichung des in den Artikeln 6 und 7 der Richtlinie vorgeschriebenen Zieles ermögliche.
31 Die Kommission, die ebenfalls eine weite Auslegung des Urteils Océano Grupo Editorial und Salvat Editores befürwortet, vertritt die Ansicht, die Festlegung einer zeitlichen Begrenzung der dem Gericht eingeräumten Befugnis, die Rechtswidrigkeit einer missbräuchlichen Klausel von Amts wegen festzustellen, verstoße gegen die Ziele der Richtlinie. Außerdem würde es dem Grundsatz der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts zuwiderlaufen, wenn den Mitgliedstaaten die Festlegung solcher - möglicherweise unterschiedlicher - Grenzen gestattet wäre.
32 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Randnummer 28 des Urteils Océano Grupo Editorial und Salvat Editores ausgeführt hat, dass die Befugnis des Gerichts, von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Klausel zu prüfen, als ein Mittel anzusehen ist, das geeignet ist, das in Artikel 6 der Richtlinie festgelegte Ziel, zu verhindern, dass der einzelne Verbraucher an eine missbräuchliche Klausel gebunden ist, zu erreichen und die Verwirklichung des Zieles des Artikels 7 der Richtlinie zu fördern, da eine solche Prüfung abschreckend wirken kann und damit dazu beiträgt, dass der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch Gewerbetreibende in Verbraucherverträgen ein Ende gesetzt wird.
33 Diese Befugnis des Gerichts hat der Gerichtshof als notwendig angesehen, um den wirksamen Schutz des Verbrauchers insbesondere angesichts der nicht zu unterschätzenden Gefahr zu gewährleisten, dass dieser seine Rechte nicht kennt oder Schwierigkeiten hat, sie auszuüben (Urteil Océano Grupo Editorial und Salvat Editores, Randnr. 26).
34 Somit erstreckt sich der den Verbrauchern durch die Richtlinie gewährte Schutz auf alle Fälle, in denen sich der Verbraucher, der mit einem Gewerbetreibenden einen Vertrag geschlossen hat, der eine missbräuchliche Klausel enthält, nicht auf die Missbräuchlichkeit dieser Klauseln beruft, weil er entweder seine Rechte nicht kennt oder durch die Kosten, die eine Klage vor Gericht verursachen würde, von der Geltendmachung seiner Rechte abgeschreckt wird.
35 Daher ist in von Gewerbetreibenden gegen Verbraucher angestrengten Verfahren, die auf die Durchsetzung missbräuchlicher Klauseln gerichtet sind, die Festlegung einer zeitlichen Begrenzung für die Befugnis des Gerichts, solche Klauseln von Amts wegen oder auf eine vom Verbraucher erhobene Einrede hin unberücksichtigt zu lassen, geeignet, die Effektivität des von den Artikeln 6 und 7 der Richtlinie gewollten Schutzes zu beeinträchtigen. Die Gewerbetreibenden brauchten nämlich, um dem Verbraucher diesen Schutz zu nehmen, nur den Ablauf der vom nationalen Gesetzgeber festgelegten Frist abzuwarten, um sodann Klage zur Durchsetzung der weiter in ihren Vorträgen verwendeten missbräuchlichen Klauseln zu erheben.
36 Daher ist eine Verfahrensbestimmung, die es dem nationalen Gericht nach Ablauf einer Ausschlussfrist verwehrt, von Amts wegen oder auf eine von einem Verbraucher erhobene Einrede hin die Missbräuchlichkeit einer Klausel festzustellen, zu deren Durchsetzung der Gewerbetreibende Klage erhoben hat, geeignet, in Rechtsstreitigkeiten, in denen der Verbraucher Beklagter ist, die Gewährung des Schutzes, den die Richtlinie dem Verbraucher zukommen lassen will, übermäßig zu erschweren.
37 Dieser Auslegung steht nicht entgegen, dass, wie die Klägerin und die französische Regierung geltend machen, der Gerichtshof bereits mehrmals entschieden hat, dass kürzere Ausschlussfristen als die, um die es im Ausgangsverfahren geht, mit dem Schutz der dem Einzelnen durch das Gemeinschaftsrecht verliehenen Rechte nicht unvereinbar sind (Urteile Rewe und Palmisani). Hierzu genügt der Hinweis, dass jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Gemeinschaftsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren vor den verschiedenen nationalen Stellen sowie des Ablaufs und der Besonderheiten dieses Verfahrens zu prüfen ist (Urteil vom 14. Dezember 1995 in der Rechtssache C-312/93, Peterbroeck, Slg. 1995, I-4599, Randnr. 14). Die von der Klägerin und der französischen Regierung angeführten Entscheidungen Rewe und Palmisani sind daher lediglich das Ergebnis von Einzelfallbeurteilungen, die unter Berücksichtigung des gesamten tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhangs der jeweiligen Rechtssache vorgenommen wurden und nicht automatisch auf andere Bereiche als die übertragen werden können, in deren Rahmen sie getroffen wurden.
38 Somit ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass der den Verbrauchern durch die Richtlinie gewährte Schutz einer innerstaatlichen Regelung entgegensteht, die es dem nationalen Gericht im Rahmen einer von einem Gewerbetreibenden gegen einen Verbraucher erhobenen Klage, die auf einen von ihnen geschlossenen Vertrag gestützt wird, verwehrt, nach Ablauf einer Ausschlussfrist von Amts wegen oder auf eine vom Verbraucher erhobene Einrede hin die Missbräuchlichkeit einer in diesem Vertrag enthaltenen Klausel festzustellen.
Kostenentscheidung:
Kosten
39 Die Auslagen der französischen und der österreichischen Regierung sowie der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorliegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Tribunal d'instance Vienne mit Urteil vom 15. Dezember 2000, berichtigt durch Urteil vom 26. Januar 2001, vorgelegte Frage für Recht erkannt:
Die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen steht einer innerstaatlichen Regelung entgegen, die es dem nationalen Gericht im Rahmen einer von einem Gewerbetreibenden gegen einen Verbraucher erhobenen Klage, die auf einen von ihnen geschlossenen Vertrag gestützt wird, verwehrt, nach Ablauf einer Ausschlussfrist von Amts wegen oder auf eine vom Verbraucher erhobene Einrede hin die Missbräuchlichkeit einer in diesem Vertrag enthaltenen Klausel festzustellen.
Ende der Entscheidung
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Sofern Sie eine Entscheidung in einem bestimmten Format benötigen, können Sie sich auch per E-Mail an info@protecting.net unter Nennung des Gerichtes, des Aktenzeichens, des Entscheidungsdatums und Ihrer Rechnungsanschrift wenden. Wir erstellen Ihnen eine Rechnung über den Bruttobetrag von € 4,- mit ausgewiesener Mehrwertsteuer und übersenden diese zusammen mit der gewünschten Entscheidung im PDF- oder einem anderen Format an Ihre E-Mail Adresse. Die Bearbeitungsdauer beträgt während der üblichen Geschäftszeiten in der Regel nur wenige Stunden.