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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 27.02.2002
Aktenzeichen: C-477/01 P (R)
Rechtsgebiete: EGV, EG-Satzung


Vorschriften:

EGV Art. 225
EGV Art. 81
EG-Satzung Art. 50 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Aussetzung des Vollzugs und einstweilige Maßnahmen können vom Richter der einstweiligen Anordnung nur angeordnet werden, wenn insbesondere feststeht, dass sie in dem Sinne dringlich sind, dass es zur Verhinderung eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers erforderlich ist, dass sie bereits vor der Entscheidung zur Hauptsache erlassen werden und ihre Wirkungen entfalten. Einstweilige Maßnahmen, die schon nicht geeignet wären, den vom Antragsteller angeführten schweren und nicht wieder gutzumachenden Schaden zu verhindern, können dafür erst recht nicht erforderlich sein. Ohne ein Interesse des Antragstellers an der Anordnung der beantragten einstweiligen Maßnahmen können diese somit nicht das Dringlichkeitskriterium erfuellen.

Der Erlass einer abschließenden Entscheidung in einem Verfahren zur Anwendung der Wettbewerbsregeln nimmt dem Betroffenen jedes Interesse an der Fortführung eines auf die Aussetzung des Vollzugs einer Handlung im Rahmen dieses Verfahrens und des gegen ihn eingeleiteten Verfahrens gerichteten Verfahrens der einstweiligen Anordnung.

( vgl. Randnrn. 23-26 )


Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 27. Februar 2002. - Reisebank AG gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Rechtsmittel - Beschluss des Präsidenten des Gerichts erster Instanz in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - Rechtsschutzinteresse - Erledigung des Verfahrens. - Rechtssache C-477/01 P (R).

Parteien:

In der Rechtssache C-477/01 P(R)

Reisebank AG mit Sitz in Frankfurt am Main (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte M. Klusmann und F. Wiemer,

Rechtsmittelführerin,

betreffend ein Rechtsmittel gegen den Beschluss des Präsidenten des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 5. Dezember 2001 in der Rechtssache T-216/01 R (Reisebank/Kommission, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) wegen Aufhebung dieses Beschlusses sowie

- Aussetzung des Verfahrens der Kommission in der Sache COMP/E-1/37.919 - Bankgebühren für den Umtausch von Währungen der Euro-Zone: Deutschland (Deutsche Verkehrsbank/Reisebank) bis zur Entscheidung des Gerichts zur Hauptsache in der Rechtssache T-216/01,

- gegebenenfalls Zurückverweisung der Rechtssache an das Gericht und

- Vorbehalt der Kostenentscheidung,

andere Verfahrensbeteiligte:

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch S. Rating als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Antragsgegnerin im ersten Rechtszug,

erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTSHOFES

nach Anhörung des Generalanwalts A. Tizzano

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

1 Die Reisebank AG hat mit Rechtsmittelschrift, die am 10. Dezember 2001 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß den Artikeln 225 EG und 50 Absatz 2 der EG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen den Beschluss des Präsidenten des Gerichts erster Instanz vom 5. Dezember 2001 in der Rechtssache T-216/01 R (Reisebank/Kommission, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, im Folgenden: angefochtener Beschluss) eingelegt, mit dem dieser ihren Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung der Kommission vom 14. August 2001, mit der der Rechtsmittelführerin die Einsicht in bestimmte Unterlagen über die Einstellung des Verfahrens gegen andere Banken in der Sache COMP/E-1/37.919 - Bankgebühren für den Umtausch von Währungen der Euro-Zone verweigert wurde (im Folgenden: Entscheidung vom 14. August 2001), und auf Aussetzung des Verfahrens nach Artikel 81 EG in dieser Sache in Bezug auf die Rechtsmittelführerin zurückgewiesen hat.

2 Neben der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses beantragt die Rechtsmittelführerin,

- das Verfahren in der Sache COMP/E-1/37.919 - Bankgebühren für den Umtausch von Währungen der Euro-Zone: Deutschland (Deutsche Verkehrsbank/Reisebank) bis zur Entscheidung des Gerichts zur Hauptsache in der Rechtssache T-216/01 auszusetzen,

- gegebenenfalls die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen und

- die Kostenentscheidung vorzubehalten.

3 Mit Schriftsatz, der am 15. Januar 2002 bei der Kanzlei eingegangen ist, hat die Kommission ihre Stellungnahme gegenüber dem Gerichtshof abgegeben.

Rechtlicher Rahmen, Sachverhalt und Verfahren vor dem Gericht

4 Wegen des rechtlichen Rahmens, des dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Sachverhalts und des Verfahrens vor dem Gericht wird auf die Randnummern 1 bis 21 des angefochtenen Beschlusses verwiesen.

Der angefochtene Beschluss

5 Mit dem angefochtenen Beschluss wies der Präsident des Gerichts den Antrag auf einstweilige Anordnung als unzulässig zurück, da es keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür gebe, dass die Klage zulässig sein könnte.

6 Hierzu heißt es im angefochtenen Beschluss im Wesentlichen, die Entscheidung vom 14. August 2001 stelle eine vorbereitende Maßnahme in einem Verwaltungsverfahren dar und könne daher nicht selbständig angefochten werden.

7 Um zu diesem Ergebnis zu kommen, verwarf der Präsident des Gerichts zunächst das Vorbringen zur Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. L 145, S. 43), da diese Verordnung erst ab 3. Dezember 2001 gelte und daher im vorliegenden Fall keine Rolle spiele.

8 Er wies sodann auf die Rechtsprechung hin, nach der im Fall von Handlungen oder Entscheidungen, die in einem mehrphasigen Verfahren, insbesondere am Ende eines internen Verfahrens, ergingen, eine mit einer Nichtigkeitsklage anfechtbare Handlung grundsätzlich nur bei Maßnahmen vorliege, die den Standpunkt des Organs am Ende dieses Verfahrens endgültig festlegten, nicht aber bei Zwischenmaßnahmen, die die abschließende Entscheidung vorbereiten sollten.

9 Dies gelte auch für Handlungen der Kommission, mit denen eine Akteneinsicht in Wettbewerbssachen verweigert werde; diese brächten im Grundsatz lediglich beschränkte Wirkungen hervor, wie sie für eine vorbereitende Maßnahme in einem Verwaltungsverfahren kennzeichnend seien.

10 Insoweit sei das Vorbringen der Rechtsmittelführerin, dass kurzfristig eine für sie nachteilige abschließende Bußgeldentscheidung ergehen werde, irrelevant, denn dieses Vorbringen sei nicht hinreichend genau, da es den Inhalt einer etwaigen die Rechtsmittelführerin betreffenden Entscheidung nicht erkennen lasse.

11 Zu dem auf die Verletzung ihrer Rechte als Adressatin einer Mitteilung der Beschwerdepunkte gestützten Vorbringen der Rechtsmittelführerin heißt es im angefochtenen Beschluss, eine solche Verletzung könne bindende Rechtswirkungen, die die Interessen der Rechtsmittelführerin beeinträchtigen könnten, erst dann entfalten, wenn die Kommission gegebenenfalls die Entscheidung erlassen haben werde, in der das Vorliegen der der Rechtsmittelführerin zur Last gelegten Zuwiderhandlung festgestellt werde.

12 Schließlich wird zum Vorbringen in Bezug auf den Beschluss 2001/462/EG, EGKS der Kommission vom 23. Mai 2001 über das Mandat von Anhörungsbeauftragten in bestimmten Wettbewerbsverfahren (ABl. L 162, S. 21) im angefochtenen Beschluss ausgeführt, die Rechtsmittelführerin habe keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Rechtsprechung zur Akteneinsicht in Wettbewerbssachen nicht mehr anwendbar sei.

13 Zum Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nach Artikel 81 EG gegen die Rechtsmittelführerin stellte der Präsident des Gerichts fest, dass die Rechtsmittelführerin nichts zur Glaubhaftmachung des Vorliegens außergewöhnlicher Umstände vorgebracht habe, die den Erlass einer solchen Maßnahme rechtfertigen würden.

Das Rechtsmittel

14 Die Rechtsmittelführerin stützt ihr Rechtsmittel auf vier Gründe.

15 Erstens sei im angefochtenen Beschluss die Verordnung Nr. 1049/2001 zu Unrecht nicht berücksichtigt worden, da sie am 3. Dezember 2001 und damit vor dem Erlass des angefochtenen Beschlusses in Kraft getreten sei.

16 Zweitens hätte der Präsident des Gerichts beachten müssen, dass der Abschluss des Verwaltungsverfahrens vor der Kommission durch eine Bußgeldentscheidung unmittelbar bevorgestanden habe. Er habe dadurch, dass er sich mit dem theoretischen und allgemeinen Argument begnügt habe, die Kommission könne sich noch eines anderen besinnen, die Verfahrenslage verkannt.

17 Drittens ergebe sich aus dem angefochtenen Beschluss, dass die Tragweite des Beschlusses 2001/462 verkannt worden sei.

18 Viertens sei Randnummer 52 des angefochtenen Beschlusses insofern rechtsfehlerhaft, als der Präsident des Gerichts durch die Weigerung, anstelle der Kommission rein administrative Befugnisse auszuüben, die ihm im Rahmen des auf Erlass einstweiliger Maßnahmen gerichteten Eilverfahrens obliegenden Ermessenspflichten verkannt habe.

Rechtliche Würdigung

19 Da die schriftlichen Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten alle für die Entscheidung über das Rechtsmittel erforderlichen Informationen enthalten, bedarf es keiner mündlichen Anhörung.

20 Zunächst ist zu prüfen, ob die Rechtsmittelführerin nach den Umständen des vorliegenden Falles ein Rechtsschutzinteresse geltend machen kann.

21 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass ein Rechtsschutzinteresse eines Rechtsmittelführers voraussetzt, dass ihm das Rechtsmittel im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann (Urteile vom 19. Oktober 1995 in der Rechtssache C-19/93 P, Rendo u. a./Kommission, Slg. 1995, I-3319, Randnr. 13, und vom 13. Juli 2000 in der Rechtssache C-174/99 P, Parlament/Richard, Slg. 2000, I-6189, Randnr. 33).

22 Außerdem kommt der Beurteilung des Interesses eines Antragstellers an den beantragten Maßnahmen in einem Verfahren der einstweiligen Anordnung besondere Bedeutung zu (Beschluss vom 30. April 1997 in der Rechtssache C-89/97 P[R], Moccia Irme/Kommission, Slg. 1997, I-2327, Randnr. 43).

23 Die Aussetzung des Vollzugs und einstweilige Maßnahmen können vom Richter der einstweiligen Anordnung nämlich nur angeordnet werden, wenn insbesondere feststeht, dass sie in dem Sinne dringlich sind, dass es zur Verhinderung eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers erforderlich ist, dass sie bereits vor der Entscheidung zur Hauptsache erlassen werden und ihre Wirkungen entfalten. Einstweilige Maßnahmen, die schon nicht geeignet wären, den vom Antragsteller angeführten schweren und nicht wieder gutzumachenden Schaden zu verhindern, können dafür erst recht nicht erforderlich sein. Ohne ein Interesse des Antragstellers an der Anordnung der beantragten einstweiligen Maßnahmen können diese somit nicht das Dringlichkeitskriterium erfuellen (Beschluss Moccia Irme/Kommission, Randnr. 44).

24 Im vorliegenden Fall zielt das Verfahren der einstweiligen Anordnung, in dessen Rahmen das vorliegende Rechtsmittel eingelegt wurde, im Wesentlichen darauf ab, die Kommission daran zu hindern, in der Sache COMP/E-1/37.919 eine abschließende Entscheidung in Bezug auf die Rechtsmittelführerin zu treffen, bevor das Gericht über die Rechtmäßigkeit der Entscheidung vom 14. August 2001 befunden hat.

25 Diese abschließende Entscheidung wurde von der Kommission aber am 11. Dezember 2001, einen Tag nach der Einlegung des vorliegenden Rechtsmittels, erlassen.

26 Der Erlass dieser abschließenden Entscheidung nahm der Rechtsmittelführerin somit jedes Interesse an der Fortführung des Verfahrens der einstweiligen Anordnung.

27 Im Übrigen geht aus der Rechtsmittelschrift hervor, dass die Rechtsmittelführerin die Absicht der Kommission kannte, kurzfristig eine solche abschließende Entscheidung zu erlassen. Unter diesen Umständen hätte sie in ihrer Rechtsmittelschrift gegebenenfalls auf das Vorliegen besonderer Umstände hinweisen können, die den Fortbestand eines Interesses an der Fortführung des Verfahrens der einstweiligen Anordnung trotz des absehbaren Erlasses der genannten abschließenden Entscheidung belegen würden; dies hat sie jedoch nicht getan.

28 Da die Rechtsmittelführerin folglich kein Interesse an der Fortführung des Verfahrens der einstweiligen Anordnung mehr hat, ist das Rechtsmittel gegenstandslos geworden, so dass das Verfahren erledigt ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

29 Nach Artikel 69 § 6 der Verfahrensordnung, der gemäß Artikel 118 der Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, entscheidet der Gerichtshof über die Kosten nach freiem Ermessen, wenn er die Hauptsache für erledigt erklärt.

30 Im Rahmen der Kostenentscheidung ist die Erledigung im vorliegenden Fall einer Zurückweisung des Rechtsmittels gleichzustellen. Aus diesem Grund sind der Rechtsmittelführerin die gesamten Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTSHOFES

beschlossen:

1. Das Verfahren ist erledigt.

2. Die Reisebank AG trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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