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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 14.11.1995
Aktenzeichen: C-484/93
Rechtsgebiete: EG-Vertrag


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 177
EG-Vertrag Art. 56
EG-Vertrag Art. 67
EG-Vertrag Art. 71
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Artikel 67 des Vertrages verwehrt es einem Mitgliedstaat, die Gewährung einer sozialen Beihilfe für den Wohnungsbau, insbesondere einer Zinsvergütung, davon abhängig zu machen, daß die Darlehen zur Finanzierung des Baus, des Erwerbs oder der Verbesserung der subventionierten Wohnung bei einem Kreditinstitut aufgenommen wurden, das in diesem Mitgliedstaat zugelassen ist, was voraussetzt, daß es dort niedergelassen ist.

Diese Voraussetzung ist nämlich geeignet, die Darlehensnehmer davon abzuschrecken, sich an in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Banken zu wenden, so daß sie ein Hindernis für den liberalisierten Kapitalverkehr darstellt, zu dem Bankdarlehen gehören.

2. Artikel 59 des Vertrages verwehrt es einem Mitgliedstaat, die Gewährung einer sozialen Beihilfe für den Wohnungsbau, insbesondere einer Zinsvergütung, davon abhängig zu machen, daß die Darlehen zur Finanzierung des Baus, des Erwerbs oder der Verbesserung der subventionierten Wohnung bei einem Kreditinstitut aufgenommen wurden, das in diesem Mitgliedstaat zugelassen ist, was voraussetzt, daß es dort niedergelassen ist.

Durch diese Voraussetzung wird nämlich auf dem Gebiet der Dienstleistungen ° und von Banken gewährte Baudarlehen stellen Dienstleistungen dar ° eine Diskriminierung der in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Leistungserbringer vorgenommen, die nach Artikel 59 verboten ist und die weder in den in Artikel 56 des Vertrages zugelassenen Abweichungen ° dieser Artikel kann nicht zur Verfolgung wirtschaftlicher Interessen angeführt werden ° noch in der Notwendigkeit, die Kohärenz des innerstaatlichen Steuersystems zu gewährleisten, eine Rechtfertigung findet, da zwischen der Gewährung der Vergütung an die Darlehensnehmer und der Finanzierung dieser Vergütung durch die auf die Gewinne der Finanzinstitute erhobene Steuer kein unmittelbarer Zusammenhang besteht.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 14. NOVEMBER 1995. - PETER SVENSSON UND LENA GUSTAVSSON GEGEN MINSTRE DU LOGEMENT ET DE L'URBANISME. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: CONSEIL D'ETAT - GROSSHERZOGTUM LUXEMBURG. - FREIER KAPITALVERKEHR - FREIER DIENSTLEISTUNGSVERKEHR - ZINSVERGUETUNG FUER BAUDARLEHEN - DARLEHEN, DAS BEI EINEM KREDITINSTITUT AUFGENOMMEN WURDE, DAS IN DEM DIE VERGUETUNG GEWAEHRENDEN MITGLIEDSTAAT NICHT ZUGELASSEN IST.

Entscheidungsgründe:

1 Der luxemburgische Conseil d' État hat mit Urteil vom 28. Dezember 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Dezember 1993, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Bestimmungen dieses Vertrages und insbesondere der Artikel 67 und 71 zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen den Eheleuten Svensson-Gustavsson (im folgenden: Kläger), die die schwedische Staatsangehörigkeit besitzen und in Luxemburg wohnen, und dem Ministre du logement et de l' urbanisme (Minister für den Wohnungs- und Städtebau; im folgenden: Beklagter), der es mit Entscheidung vom 5. November 1992 abgelehnt hatte, den Klägern eine Zinsvergütung zugunsten von Eltern unterhaltsberechtigter Kinder für ein bei der Comptoir d' Escompte de Belgique S. A. mit Sitz in Lüttich (Belgien) aufgenommenes Darlehen zum Bau einer Wohnung in Bereldange zu gewähren.

3 Diese Ablehnung wurde auf Artikel 1 Nr. 3 der Großherzoglichen Verordnung vom 17. Juni 1991 zur Festlegung der Bestimmungen über die Gewährung der Zinsvergütung für den Bau, den Erwerb oder die Verbesserung einer Wohnung gestützt, der die Gewährung einer Zinsvergütung nur an die Personen zulässt, die ein Darlehen bei einem in Luxemburg zugelassenen Kreditinstitut aufgenommen haben. Diese Voraussetzung erfuellt das Comptoir d' Escompte de Belgique jedoch nicht.

4 Der mit der Klage gegen diese Entscheidung befasste luxemburgische Conseil d' État hat zunächst festgestellt, daß die Großherzogliche Verordnung die Grenzen der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage nicht überschritten habe, und hat sodann das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Verwehren es die Bestimmungen des Vertrages von Rom, insbesondere die Artikel 67 und 71, einem Mitgliedstaat, die Gewährung einer sozialen Beihilfe für den Wohnungsbau, insbesondere einer Zinsvergütung, davon abhängig zu machen, daß die Darlehen zur Finanzierung des Baus, des Erwerbs oder der Verbesserung der subventionierten Wohnung bei einem Kreditinstitut aufgenommen wurden, das in diesem Mitgliedstaat zugelassen ist?

5 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (vgl. insbesondere Urteil vom 11. November 1981 in der Rechtssache 203/80, Casati, Slg. 1981, 2595, Randnrn. 8 bis 13) bedeutet Artikel 67 Absatz 1 des Vertrages nicht, daß die Beschränkungen des Kapitalverkehrs bereits zum Ende der Übergangszeit zu beseitigen waren. Die Beseitigung dieser Beschränkungen ergibt sich nämlich aus den auf der Grundlage des Artikels 69 erlassenen Richtlinien des Rates.

6 Die Beschränkungen des Kapitalverkehrs sind mit der auf der Grundlage der Artikel 69 und 70 Absatz 1 des Vertrages erlassenen und zur maßgeblichen Zeit geltenden Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages (ABl. L 178, S. 5) beseitigt worden. Deren Artikel 1 bestimmt:

"Unbeschadet der nachstehenden Bestimmungen beseitigen die Mitgliedstaaten die Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Gebietsansässigen in den Mitgliedstaaten. Zur Erleichterung der Durchführung dieser Richtlinie wird der Kapitalverkehr entsprechend der Nomenklatur in Anhang I gegliedert."

7 In Punkt VII dieses Anhangs sind aber gerade kurzfristige, mittelfristige und langfristige Darlehen und Finanzkredite aufgenommen worden. Folglich ist der Kapitalverkehr, der mit diesen Geschäften zusammenhängt, bereits liberalisiert.

8 Es ist also zu prüfen, ob eine Regelung wie die vorliegende ein Hindernis für den in dieser Weise liberalisierten Kapitalverkehr enthält.

9 Nach Artikel 1 der genannten Großherzoglichen Verordnung wird die Zinsvergütung nur gewährt, wenn die Antragsteller neben der Erfuellung bestimmter Voraussetzungen ausserdem nachweisen, daß sie "bei einem im Großherzogtum Luxemburg zugelassenen Kreditinstitut oder bei Pensionseinrichtungen der sozialen Sicherheit ein Darlehen zum Bau, zum Erwerb oder zur Verbesserung einer im Gebiet des Großherzogtums Luxemburg gelegenen und vom Antragsteller tatsächlich und auf Dauer bewohnten Wohnung [aufgenommen haben]". Aus der Antwort der luxemburgischen Regierung auf eine Frage des Gerichtshofes geht hervor, daß die Bank, um die Zulassung zu erhalten, als Tochterunternehmen oder Zweigniederlassung in Luxemburg gegründet oder niedergelassen sein muß.

10 Bestimmungen, die die Niederlassung einer Bank in einem Mitgliedstaat als Voraussetzung dafür aufstellen, daß die in diesem Staat ansässigen Darlehensnehmer eine vom Staat aus öffentlichen Mitteln gewährte Zinsvergütung erhalten können, sind jedoch geeignet, die Interessenten davon abzuschrecken, sich an in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Banken zu wenden, so daß diese Bestimmungen ein Hindernis für den Verkehr von Kapital wie Bankdarlehen darstellen.

11 Ausserdem wird nach Artikel 61 Absatz 2 des Vertrages die "Liberalisierung der mit dem Kapitalverkehr verbundenen Dienstleistungen der Banken und Versicherungen... im Einklang mit der schrittweisen Liberalisierung des Kapitalverkehrs durchgeführt". Da Geschäfte wie von Banken gewährte Baudarlehen Dienstleistungen im Sinne des Artikels 59 des Vertrages darstellen, ist somit weiter zu prüfen, ob die vom vorlegenden Gericht bezeichnete Regelung mit den Bestimmungen des Vertrages über den freien Dienstleistungsverkehr vereinbar ist.

12 Zunächst ist festzustellen, daß eine Regelung, die die Gewährung von Zinsvergütungen davon abhängig macht, daß die Darlehen bei einem im fraglichen Mitgliedstaat zugelassenen Kreditinstitut aufgenommen wurden, auch eine nach Artikel 59 Absatz 1 des Vertrages verbotene Diskriminierung der in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Kreditinstitute darstellt.

13 Sodann ist zu prüfen, ob eine solche Regelung nach den Bestimmungen des Vertrages gerechtfertigt werden kann. Dazu führt die luxemburgische Regierung, unterstützt durch die griechische Regierung, aus, das fragliche Erfordernis füge sich in eine Politik mit sozialer Zielsetzung ein, deren finanzielle und wirtschaftliche Auswirkungen beträchtlich seien. So weise der Haushaltsplan des Staates, wenn man allein das Jahr 1994 berücksichtige, für die Vergütungen einen Betrag von 1 410 236 417 BFR aus, d. h. etwa 1 % des Gesamthaushalts. Das Großherzogtum Luxemburg erlange jedoch einen erheblichen Teil, nämlich etwa die Hälfte, der als Zinsvergütung gezahlten Mittel über die Steuer auf die Gewinne der Finanzinstitute wieder zurück, was es ihm ermögliche, eine den Wohnungsbau fördernde Sozialpolitik zu verfolgen und hohe Beträge einem besonderen Wohnungsbaufonds zuzuweisen.Daraus folge, daß die Politik der Unterstützung des Wohnungsbaus ohne die fragliche Regelung zum Scheitern verurteilt wäre, zumindest jedoch nicht so großzuegig wie die jetzige sein könnte, so daß eine solche Regelung mit Artikel 59 Absatz 1 des Vertrages vereinbar sei.

14 Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen.

15 Wie nämlich in Randnummer 12 festgestellt worden ist, führt die fragliche Regelung zu einer Diskriminierung aus Gründen der Niederlassung. Eine solche Diskriminierung kann jedoch nur aus den Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, die in Artikel 56 Absatz 1 des Vertrages genannt sind, auf den Artikel 66 verweist; wirtschaftliche Ziele gehören nicht zu diesen Gründen (siehe insbesondere Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-288/89, Collectieve Antennevoorziening Gouda u. a., Slg. 1991, I-4007, Randnr. 11).

16 Zwar hat der Gerichtshof in seinen Urteilen vom 28. Januar 1992 in der Rechtssache C-204/90 (Bachmann, Slg. 1992, I-249) und in der Rechtssache C-300/90 (Kommission/Belgien, Slg. 1992, I-305) ausgeführt, daß eine Regelung, die geeignet ist, sowohl die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer als auch den freien Dienstleistungsverkehr zu beschränken, durch die Notwendigkeit, die Kohärenz einer Steuerregelung zu gewährleisten, gerechtfertigt sein kann.

17 Dies trifft jedoch auf den vorliegenden Fall nicht zu.

18 Denn während in den genannten Rechtssachen zwischen der Abzugsfähigkeit der Beiträge und der Besteuerung der von den Versicherern in Erfuellung der Verträge über die Alters- und Todesfallversicherung zu zahlenden Beträge ein unmittelbarer Zusammenhang bestand, der zur Wahrung der Kohärenz der fraglichen Steuerregelung aufrechtzuerhalten war, besteht im vorliegenden Fall kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Gewährung der Zinsvergütung an die Darlehensnehmer und der Finanzierung dieser Vergütung durch die auf die Gewinne der Finanzinstitute erhobene Steuer.

19 Daher ist dem nationalen Gericht zu antworten, daß es die Artikel 59 und 67 einem Mitgliedstaat verwehren, die Gewährung einer sozialen Beihilfe für den Wohnungsbau, insbesondere einer Zinsvergütung, davon abhängig zu machen, daß die Darlehen zur Finanzierung des Baus, des Erwerbs oder der Verbesserung der subventionierten Wohnung bei einem Kreditinstitut aufgenommen wurden, das in diesem Mitgliedstaat zugelassen ist, was voraussetzt, daß es dort niedergelassen ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

20 Die Auslagen der luxemburgischen und der griechischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom luxemburgischen Conseil d' État mit Urteil vom 28. Dezember 1993 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Die Artikel 59 und 67 EG-Vertrag verwehren es einem Mitgliedstaat, die Gewährung einer sozialen Beihilfe für den Wohnungsbau, insbesondere einer Zinsvergütung, davon abhängig zu machen, daß die Darlehen zur Finanzierung des Baus, des Erwerbs oder der Verbesserung der subventionierten Wohnung bei einem Kreditinstitut aufgenommen wurden, das in diesem Mitgliedstaat zugelassen ist, was voraussetzt, daß es dort niedergelassen ist.

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