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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 07.02.2002
Aktenzeichen: C-5/00
Rechtsgebiete: EGV, Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit, ArbSchG, ASiG, SGB VII


Vorschriften:

EGV Art. 10
EGV Art. 249
Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit Art. 9 Abs. 1 Buchst. a
Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit Art. 10 Abs. 3 Buchst. a
ArbSchG § 6 Abs. 1
ASiG § 14 Abs. 1
ASiG § 14 Abs. 2
SGB VII § 15 Abs. 4
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 89/391 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit verpflichtet den Arbeitgeber, über Dokumente zu verfügen, die eine Evaluierung der am Arbeitsplatz bestehenden Gefahren für die Sicherheit und die Gesundheit enthalten und zu denen die Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmervertreter mit einer besonderen Funktion bei der Sicherheit und beim Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer nach Artikel 10 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie Zugang haben müssen.

Ein Mitgliedstaat verstößt gegen die genannten Bestimmungen, wenn er nicht sicherstellt, dass die Pflicht, über Dokumente mit einer Evaluierung dieser Gefahren zu verfügen, unter allen Umständen auch für Arbeitgeber mit zehn oder weniger Beschäftigten gilt.

( vgl. Randnrn. 24, 37, Tenor 1 )


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 7. Februar 2002. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Richtlinie 89/391/EWG - Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit - Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a und 10 Absatz 3 Buchstabe a - Pflicht des Arbeitgebers, über Dokumente zu verfügen, die eine Evaluierung der am Arbeitsplatz bestehenden Gefahren für die Sicherheit und die Gesundheit enthalten. - Rechtssache C-5/00.

Parteien:

In der Rechtssache C-5/00

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch W. Bogensberger als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch W.-D. Plessing und B. Muttelsee-Schön als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen Feststellung, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 5 und 189 EG-Vertrag (jetzt Artikel 10 EG und 249 EG) sowie aus den Artikeln 9 Absatz 1 Buchstabe a und 10 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (ABl. L 183, S. 1) verstoßen hat, dass sie nach § 6 Absatz 1 des Gesetzes über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz - ArbSchG, BGBl. 1996 I S. 1246) Arbeitgeber mit zehn oder weniger Beschäftigten von der Pflicht befreit, über Dokumente zu verfügen, die die Ergebnisse einer Evaluierung der Gefahren enthalten,

erlässtDER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer S. von Bahr (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter D. A. O. Edward, A. La Pergola, M. Wathelet und C. W. A. Timmermans,

Generalanwalt: L. A. Geelhoed

Kanzler: R. Grass

aufgrund des Berichts des Berichterstatters,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Juni 2001,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 6. Januar 2000 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 226 EG Klage auf Feststellung erhoben, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 5 und 189 EG-Vertrag (jetzt Artikel 10 EG und 249 EG) sowie aus den Artikeln 9 Absatz 1 Buchstabe a und 10 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (ABl. L 183, S. 1, im Folgenden: Richtlinie) verstoßen hat, dass sie nach § 6 Absatz 1 des Gesetzes über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (BGBl. 1996 I S. 1246, im Folgenden: ArbSchG) Arbeitgeber mit zehn oder weniger Beschäftigten von der Pflicht befreit, über Dokumente zu verfügen, die die Ergebnisse einer Evaluierung der Gefahren enthalten.

Die Gemeinschaftsregelung

2 Wie sich aus ihrem Artikel 1 Absatz 2 ergibt, enthält die Richtlinie allgemeine Grundsätze für die Verhütung berufsbedingter Gefahren, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit, die Ausschaltung von Risiko- und Unfallfaktoren, die Information, die Anhörung und die ausgewogene Beteiligung der Arbeitnehmer sowie allgemeine Regeln für die Durchführung dieser Grundsätze.

3 Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie verpflichtet den Arbeitgeber "je nach Art der Tätigkeiten des Unternehmens bzw. Betriebes" zur "Beurteilung von Gefahren für Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer". Die vom Arbeitgeber aufgrund dieser Beurteilung getroffenen Maßnahmen zur Gefahrenverhütung sowie die von ihm angewandten Arbeits- und Produktionsverfahren müssen erforderlichenfalls einen höheren Grad an Sicherheit und einen besseren Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gewährleisten und in alle Tätigkeiten des Unternehmens bzw. des Betriebes einbezogen werden.

4 Artikel 9 der Richtlinie ("Sonstige Pflichten des Arbeitgebers") sieht in Absatz 1 Buchstabe a vor:

"Der Arbeitgeber muss

a) über eine Evaluierung der am Arbeitsplatz bestehenden Gefahren für die Sicherheit und die Gesundheit auch hinsichtlich der besonders gefährdeten Arbeitnehmergruppen verfügen."

5 Artikel 10 der Richtlinie ("Unterrichtung der Arbeitnehmer") bestimmt in Absatz 3:

"Der Arbeitgeber trifft die geeigneten Maßnahmen, damit die Arbeitnehmer mit einer besonderen Funktion bei der Sicherheit und beim Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmervertreter mit einer besonderen Funktion bei der Sicherheit und beim Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer zur Ausübung ihrer jeweiligen Tätigkeiten gemäß den nationalen Rechtsvorschriften bzw. Praktiken Zugang haben

a) zu der in Artikel 9 Absatz 1 Buchstaben a) und b) vorgesehenen Evaluierung der Gefahren und zu der Aufstellung der zu ergreifenden Schutzmaßnahmen."

Die nationale Regelung

6 § 5 ArbSchG ("Beurteilung der Arbeitsbedingungen") sieht in Absatz 1 vor, dass der Arbeitgeber durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln hat, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind.

7 § 6 ArbSchG ("Dokumentation") bestimmt in seinem Absatz 1:

"Der Arbeitgeber muss über die je nach Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten erforderlichen Unterlagen verfügen, aus denen das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung, die von ihm festgelegten Maßnahmen des Arbeitsschutzes und das Ergebnis ihrer Überprüfung ersichtlich sind.... Soweit in sonstigen Rechtsvorschriften nichts anderes bestimmt ist, gilt Satz 1 nicht für Arbeitgeber mit zehn oder weniger Beschäftigten; die zuständige Behörde kann, wenn besondere Gefährdungssituationen gegeben sind, anordnen, dass Unterlagen verfügbar sein müssen...."

8 Nach § 2 Absatz 4 ArbSchG sind "sonstige Rechtsvorschriften" im Sinne dieses Gesetzes Regelungen über Maßnahmen des Arbeitsschutzes in anderen Gesetzen, in Rechtsverordnungen und Unfallverhütungsvorschriften (im Folgenden: UVV).

9 Gemäß § 1 des Gesetzes über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Arbeitssicherheitsgesetz) vom 12. Dezember 1973 (BGBl. 1973 I S. 1885) mit der Änderung durch Artikel 10 des Gesetzes vom 25. September 1996 (BGBl. 1996 I S. 1476) (im Folgenden: ASiG) hat der Arbeitgeber Betriebsärzte und Fachkräfte für die Arbeitssicherheit zu bestellen, die ihn beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung unterstützen sollen, um zu erreichen, dass die dem Arbeitsschutz und der Unfallverhütung dienenden Vorschriften den besonderen Betriebsverhältnissen entsprechend angewandt werden.

10 § 2 Absatz 1 ASiG sieht vor, dass der Arbeitgeber Betriebsärzte schriftlich zu bestellen und ihnen die in § 3 des Gesetzes genannten Aufgaben zu übertragen hat, soweit dies im Hinblick auf erstens die Betriebsart und die damit für die Arbeitnehmer verbundenen Unfall- und Gesundheitsgefahren, zweitens die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer und die Zusammensetzung der Arbeitnehmerschaft und drittens die Betriebsorganisation, insbesondere im Hinblick auf die Zahl und die Art der für den Arbeitsschutz und die Unfallverhütung verantwortlichen Personen erforderlich ist.

11 Nach § 3 Absatz 1 ASiG haben die Betriebsärzte die Aufgabe, den Arbeitgeber beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung in allen Fragen des Gesundheitsschutzes zu unterstützen. Sie haben insbesondere den Arbeitgeber und die sonst für den Arbeitsschutz und die Unfallverhütung verantwortlichen Personen nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe g bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen zu beraten.

12 Daneben bestimmt § 5 Absatz 1 ASiG, dass der Arbeitgeber Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Sicherheitsingenieure, -techniker, -meister) schriftlich zu bestellen und ihnen die in § 6 des Gesetzes genannten Aufgaben zu übertragen hat. Die Aufgabe der Fachkräfte für Arbeitssicherheit hinsichtlich der Beurteilung der Arbeitsbedingungen ist in § 6 Nummer 1 Buchstabe e ASiG mit den gleichen Worten festgelegt wie die der Betriebsärzte in § 3 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe g dieses Gesetzes.

13 Die §§ 3 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe g und 6 Nummer 1 Buchstabe e ASiG wurden durch Artikel 2 des Gesetzes zur Umsetzung der EG-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz und weiterer Arbeitsschutz-Richtlinien vom 7. August 1996 (BGBl. 1996 I S. 1246) eingefügt, das die Richtlinie in deutsches Recht umsetzte und dessen Artikel 1 das ArbSchG enthält.

14 § 14 ASiG ("Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen") sieht in Absatz 1 vor:

"Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung kann mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung bestimmen, welche Maßnahmen der Arbeitgeber zur Erfuellung der sich aus diesem Gesetz ergebenden Pflichten zu treffen hat. Soweit die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung ermächtigt sind, die gesetzlichen Pflichten durch Unfallverhütungsvorschriften näher zu bestimmen, macht der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung von der Ermächtigung erst Gebrauch, nachdem innerhalb einer von ihm gesetzten angemessenen Frist der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung eine entsprechende Unfallverhütungsvorschrift nicht erlassen hat oder eine unzureichend gewordene Unfallverhütungsvorschrift nicht ändert."

15 § 14 Absatz 2 ASiG lautet:

"Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung kann mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung

1. feststellen, dass für bestimmte Betriebsarten unter Berücksichtigung der in § 2 Abs. 1 Nr. 2 und 3 und § 5 Abs. 1 Nr. 2 und 3 genannten Umstände die in den §§ 3 und 6 genannten Aufgaben ganz oder zum Teil nicht erfuellt zu werden brauchen,

2. bestimmen, dass die in den §§ 3 und 6 genannten Aufgaben in bestimmten Betriebsarten nicht oder nur zu einem Teil erfuellt zu werden brauchen, soweit dies unvermeidbar ist, weil nicht genügend Betriebsärzte oder Fachkräfte für Arbeitssicherheit zur Verfügung stehen."

16 § 15 Absatz 1 Nummer 6 des Sozialgesetzbuchs VII (Siebtes Buch - Sozialgesetzbuch, BGBl. 1996 I S. 1254, im Folgenden: SGB VII) sieht vor, dass die Unfallversicherungsträger UVV über die Maßnahmen, die der Unternehmer zur Erfuellung der sich aus dem ASiG ergebenden Pflichten zu treffen hat, als autonomes Recht erlassen.

17 § 15 Absatz 4 SGB VII bestimmt:

"Die Vorschriften nach Absatz 1 bedürfen der Genehmigung durch das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung. Die Entscheidung hierüber wird im Benehmen mit den zuständigen obersten Verwaltungsbehörden der Länder getroffen. Soweit die Vorschriften von einem Unfallversicherungsträger erlassen werden, welcher der Aufsicht eines Landes untersteht, entscheidet die zuständige oberste Landesbehörde über die Genehmigung im Benehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung."

Das vorprozessuale Verfahren

18 Da die Kommission der Ansicht war, dass die Richtlinie nicht hinreichend ins deutsche Recht umgesetzt worden sei, leitete sie das Vertragsverletzungsverfahren ein. Nachdem sie der Bundesrepublik Deutschland zunächst Gelegenheit zur Äußerung gegeben hatte, richtete sie mit Schreiben vom 19. Oktober 1998 an diese eine mit Gründen versehene Stellungnahme mit der Aufforderung, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Stellungnahme die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um den Verpflichtungen aus der Richtlinie nachzukommen.

19 Da die Antwort der deutschen Regierung auf die mit Gründen versehene Stellungnahme die Kommission nicht zufrieden stellte, hat sie die vorliegende Klage erhoben.

Würdigung durch den Gerichtshof

20 Die Kommission macht geltend, § 6 ArbSchG, der Arbeitgeber mit zehn oder weniger Beschäftigten von der Pflicht befreie, über die erforderlichen Unterlagen zu verfügen, aus denen das Ergebnis der Beurteilung der Gefährdung der Arbeitnehmer bei der Arbeit ersichtlich sei, verstoße gegen Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie, der alle Arbeitgeber verpflichte, über eine solche Evaluierung zu verfügen, und Artikel 10 Absatz 3 Buchstabe a dieser Richtlinie, der bestimmten Personen den Zugang zu dieser Evaluierung garantiere.

21 Die deutsche Regierung trägt vor, dass nach dem ASiG in Verbindung mit § 15 Absatz 1 Nummer 6 SGB VII und den UVV, die von den Unfallversicherungsträgern für jede Branche erlassen worden seien, alle Unternehmen einschließlich der Unternehmen mit zehn oder weniger Beschäftigten, verpflichtet seien, Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit zu bestellen, die wiederum verpflichtet seien, Berichte zu erstellen, die eine Evaluierung der Gefahren am Arbeitsplatz enthielten, so dass die Verpflichtung aus Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie vollständig erfuellt sei.

22 Die Kommission erhebt zwei Rügen gegenüber den Vorschriften, auf die sich die deutsche Regierung beruft.

23 Die Kommission macht erstens geltend, dass die Berichtspflicht der Betriebsärzte und der Fachkräfte für Arbeitssicherheit über die Erfuellung ihrer Aufgabe, die sich aus dem ASiG in Verbindung mit § 15 Absatz 1 Nummer 6 SGB VII und den UVV ergebe, nicht mit der Verpflichtung des Arbeitgebers nach Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie gleichzusetzen sei, über eine Evaluierung der Gefahren in Form von Dokumenten zu verfügen. Zum einen obliege die Berichtspflicht nicht dem Arbeitgeber, sondern den Betriebsärzten und den Fachkräften für Arbeitssicherheit, und der Arbeitgeber sei nicht verpflichtet, die in diesen Berichten enthaltenen Ratschläge zu befolgen. Zum anderen sei der Inhalt der von den Betriebsärzten und den Fachkräften für Arbeitssicherheit erstellten Berichte nicht mit dem Inhalt der Dokumente gleichzusetzen, die die Richtlinie verlange.

24 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie den Arbeitgeber verpflichtet, über Dokumente zu verfügen, die eine Evaluierung der am Arbeitsplatz bestehenden Gefahren für die Sicherheit und die Gesundheit enthalten und zu denen die Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmervertreter mit einer besonderen Funktion bei der Sicherheit und beim Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer nach Artikel 10 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie Zugang haben müssen.

25 Wie der Generalanwalt in Nummer 60 seiner Schlussanträge festgestellt hat, schreibt Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie nicht vor, wer die Dokumente, die eine Gefahrenevaluierung enthalten, zu erstellen hat.

26 Außerdem ergibt sich die Verpflichtung des Arbeitgebers, aufgrund des Ergebnisses der Gefahrenevaluierung Maßnahmen zu erlassen, nicht aus dieser Vorschrift, sondern aus Artikel 6 der Richtlinie, der nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist.

27 Somit geht es um die Frage, ob die Berichte der Betriebsärzte und der Fachkräfte für Arbeitssicherheit über die Erfuellung ihrer Aufgabe, die in den Vorschriften vorgesehen sind, auf die sich die deutsche Regierung beruft, also im ASiG, in § 15 Absatz 1 Nummer 6 SGB VII und in den UVV, denselben Gegenstand haben wie die in Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie geforderten Dokumente, die eine Gefahrenevaluierung enthalten, so dass beide einen gleichartigen Inhalt haben.

28 Insoweit ist festzustellen, dass zum einen die Berichte, die die Betriebsärzte und die Fachkräfte für Arbeitssicherheit gemäß dem ASiG in Verbindung mit § 15 Absatz 1 Nummer 6 SGB VII und den UVV erstellen, ausweislich der Akten das Ergebnis einer Beurteilung der Arbeitsbedingungen enthalten müssen. Zum anderen stellt § 5 ArbSchG ("Beurteilung der Arbeitsbedingungen") die Verpflichtung auf, die am Arbeitsplatz bestehenden Gefahren für die Sicherheit und die Gesundheit zu beurteilen.

29 Folglich scheint der Gegenstand der Berichte der Betriebsärzte und der Fachkräfte für Arbeitssicherheit nach dem ASiG in Verbindung mit § 15 Absatz 1 Nummer 6 SGB VII und den UVV kein anderer zu sein als der der in § 6 Absatz 1 ArbSchG vorgesehenen Unterlagen über das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung.

30 In Bezug auf den Gegenstand der im ArbSchG vorgesehenen Unterlagen über das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung erhebt die Kommission keine Rüge, und er scheint auf den ersten Blick dem Gegenstand der von der Richtlinie geforderten Dokumente über eine Gefahrenevaluierung zu entsprechen.

31 Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Kommission nicht dargetan hat, dass die Berichte der Betriebsärzte und der Fachkräfte für Arbeitssicherheit nach dem ASiG in Verbindung mit § 15 Absatz 1 Nummer 6 SGB VII und den UVV einen anderen Gegenstand haben als die von Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a geforderten Dokumente über eine Gefahrenevaluierung und dass der Inhalt beider unterschiedlich ist.

32 Daher ist die erste Rüge der Kommission als unbegründet zurückzuweisen.

33 Die Kommission trägt zweitens vor, dass der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung - mit Zustimmung des Bundesrates - gemäß § 14 Absatz 2 ASiG für bestimmte Betriebsarten unter Berücksichtigung insbesondere der Zahl der Beschäftigten die Betriebsärzte und die Fachkräfte für Arbeitssicherheit ganz oder teilweise von den in den §§ 3 und 6 dieses Gesetzes genannten Aufgaben, darunter der Berichtspflicht, befreien und mithin Betriebe, die verpflichtet seien, über diese Berichte zu verfügen, freistellen könne, so dass Ausnahmen von der Verpflichtung nach Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie erlaubt seien.

34 Nach Ansicht der deutschen Regierung kann der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung von seiner Befugnis zur Befreiung gemäß § 14 Absatz 2 ASiG nur dann Gebrauch machen, wenn die Unfallversicherungsträger keine UVV erlassen oder unzureichend gewordene UVV nicht geändert hätten, also unter den gleichen Voraussetzungen, die für den Erlass von Rechtsverordnungen durch den Minister gemäß § 14 Absatz 1 dieses Gesetzes vorgesehen seien. Da alle Unfallversicherungsträger angemessene UVV erlassen hätten, sei eine Befreiung von der Berichtspflicht nicht mehr möglich.

35 Hierzu ist festzustellen, dass eine Vorschrift, die dem zuständigen Bundesminister für bestimmte Betriebsarten insbesondere nach Maßgabe der Zahl der Beschäftigten die Befugnis gibt, die Betriebsärzte und die Fachkräfte für Arbeitssicherheit von der Erstellung von Berichten über die Beurteilung der Arbeitsbedingungen zu befreien, eindeutig gegen die Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a und 10 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie verstößt, da die Betriebe mit zehn oder weniger Beschäftigten auf diese Weise von der Verpflichtung, über eine Gefahrenevaluierung in Form von Dokumenten zu verfügen, freigestellt wären.

36 Außerdem ergibt sich weder aus dem Wortlaut des § 14 Absatz 1 ASiG noch aus dem des § 14 Absatz 2 dieses Gesetzes, noch aus irgendeinem Umstand dieser Rechtssache, dass die in der letzteren Vorschrift vorgesehene Freistellungsbefugnis von der Voraussetzung abhängig wäre, dass die Unfallversicherungsträger keine UVV erlassen haben oder unzureichend gewordene UVV nicht geändert haben.

37 Nach alledem hat die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 9 Absatz 1 Buchstabe a und 10 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie verstoßen, dass sie nicht sichergestellt hat, dass die von der Richtlinie vorgesehene Pflicht, über eine Evaluierung der am Arbeitsplatz bestehenden Gefahren für die Sicherheit und die Gesundheit zu verfügen, unter allen Umständen für Arbeitgeber mit zehn oder weniger Beschäftigten gilt.

Kostenentscheidung:

Kosten

38 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 9 Absatz 1 Buchstabe a und 10 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie verstoßen, dass sie nicht sichergestellt hat, dass die von der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit vorgesehene Pflicht, über eine Evaluierung der am Arbeitsplatz bestehenden Gefahren für die Sicherheit und die Gesundheit zu verfügen, unter allen Umständen für Arbeitgeber mit zehn oder weniger Beschäftigten gilt.

2. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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