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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 20.09.1990
Aktenzeichen: C-5/89
Rechtsgebiete: EWGV
Vorschriften:
EWGV Art. 93 | |
EWGV Art. 93 Abs. 2 Unterabs. 1 | |
EWGV Art. 92 |
Dem Gemeinschaftsrecht widerspricht es nicht, wenn nationales Recht im Bereich der Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger nationaler Beihilfen berechtigtes Vertrauen und Rechtssicherheit schützt.
Angesichts des zwingenden Charakters der Überprüfung der staatlichen Beihilfen durch die Kommission nach Artikel 93 EWG-Vertrag ist das Vertrauen eines beihilfebegünstigten Unternehmens in die Ordnungsmässigkeit einer Beihilfe grundsätzlich jedoch nur dann geschützt, wenn diese unter Beachtung des dort vorgesehenen Verfahrens gewährt wurde.
Sicherlich ist nicht auszuschließen, daß der Empfänger einer rechtswidrigen Beihilfe sich ausnahmsweise auf Umstände berufen kann, aufgrund deren sein Vertrauen in die Ordnungsmässigkeit der Beihilfe geschützt ist, so daß er sie nicht zurückzuerstatten braucht. In einem solchen Fall ist es Sache des nationalen Gerichts, so es befasst wird, alle Umstände zu würdigen und dem Gerichtshof gegebenenfalls Auslegungsfragen vorzulegen.
Ein Mitgliedstaat, dessen Behörden eine Beihilfe unter Verletzung des Verfahrens des Artikels 93 EWG-Vertrag gewährt haben, kann sich hingegen nicht unter Berufung auf das geschützte Vertrauen der Begünstigten der Verpflichtung entziehen, die Maßnahmen zur Durchführung einer Entscheidung der Kommission zu ergreifen, die die Rückforderung der Beihilfe anordnet.
Ebensowenig kann sich ein Mitgliedstaat darauf berufen, daß die Verpflichtungen, die für die zuständige Behörde aus der besonderen Ausgestaltung des Vertrauensschutzes in einer nationalen Bestimmung hinsichtlich der Frist für die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts erwachsen, die Durchführung einer solchen Entscheidung absolut unmöglich machen. Eine solche Bestimmung muß nämlich dergestalt angewandt werden, daß die gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebene Rückforderung der Beihilfe nicht praktisch unmöglich und das Gemeinschaftsinteresse voll berücksichtigt wird.
URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 20. SEPTEMBER 1990. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND. - STAATLICHE BEIHILFEN - UNTERNEHMEN, DAS HALBZEUG UND FERTIGPRODUKTE AUS ALUMINIUM HERSTELLT - RUECKFORDERUNG. - RECHTSSACHE C-5/89.
Entscheidungsgründe:
1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 6. Januar 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 93 Absatz 2 Unterabsatz 2 EWG-Vertrag Klage auf Feststellung erhoben, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, daß sie der Entscheidung 88/174/EWG der Kommission vom 17. November 1987 über eine vom Land Baden-Württemberg der Bundesrepublik Deutschland gewährte Beihilfe an BUG-Alutechnik, ein Unternehmen, das Halbzeug und Fertigprodukte aus Aluminium herstellt ( ABl. 1988, L 79, S. 29 ), nicht nachgekommen ist.
2 Die Kommission war von der fraglichen Beihilfe nicht unterrichtet worden. Aufgrund von Presseberichten wandte sie sich mit Schreiben vom 21. Mai 1985 an die Bundesregierung und bat um Auskunft, ob das Land Baden-Württemberg der BUG-Alutechnik GmbH anläßlich ihres Ankaufs durch die Kaiser Aluminium Europe Incorporation Subventionen und Kreditbürgschaften gewährt habe. Mit Verbalnote vom 24. Juni 1985 bestätigte die Bundesregierung die Gewährung dieser Beihilfe und ergänzte ihre Angaben auf Bitten der Kommission durch zwei weitere Verbalnoten vom 8. August und 2. Oktober 1985.
3 Nach Abschluß des Verfahrens nach Artikel 93 Absatz 2 EWG-Vertrag übermittelte die Kommission der Bundesrepublik Deutschland mit Schreiben vom 22. Dezember 1987 die Entscheidung 88/174. Nach Artikel 1 dieser Entscheidung ist die fragliche Beihilfe rechtswidrig, "da sie unter Verstoß gegen Artikel 93 Absatz 3 EWG-Vertrag gewährt wurde. Ausserdem ist sie im Sinne von Artikel 92 EWG-Vertrag mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar ".
4 Artikel 2 bestimmt folgendes : "Die genannte Beihilfe ist zurückzufordern. Die deutsche Regierung unterrichtet die Kommission binnen zwei Monaten nach Bekanntgabe dieser Entscheidung von den Maßnahmen, die sie getroffen hat, um dieser Entscheidung nachzukommen."
5 Die Bundesrepublik Deutschland hat die Entscheidung nicht angefochten. Mit Verbalnote vom 19. April 1988 übersandte die Bundesregierung der Kommission eine Mitteilung vom 13. April 1988, in der sie die Würdigung des Sachverhalts in der Entscheidung und die daraus gezogenen Schlüsse unter verschiedenen Gesichtspunkten kritisierte. Mit Schreiben vom 11. Juli 1988 forderte die Kommission, die dieses Vorbringen nicht für erheblich erachtete, die Bundesrepublik Deutschland auf, die Entscheidung durchzuführen.
6 Mit Verbalnote vom 9. Dezember 1988 übersandte die Bundesregierung der Kommission eine Mitteilung vom 2. Dezember 1988, in der vorgeschlagen wurde, das Urteil in dem rechtlich ähnlich gelagerten Fall Alcan ( Urteil vom 2. Februar 1989 in der Rechtssache 94/87, Kommission/Deutschland, Slg. 1989, 175 ) abzuwarten. Mit Schreiben vom 23. Dezember 1988 teilte die Kommission der Bundesregierung mit, sie könne sich mit weiteren Verzögerungen nicht einverstanden erklären; sie hat daher die vorliegende Klage erhoben.
7 Weitere Einzelheiten des vorprozessualen Verfahrens, des Verfahrensablaufs sowie des Parteivorbringens finden sich im Sitzungsbericht, auf den verwiesen wird. Der Inhalt der Akten ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.
8 Unstreitig hat die Bundesrepublik Deutschland keine Maßnahmen getroffen, um die Rückzahlung der Beihilfe entsprechend der Entscheidung 88/174 zu erreichen.
9 Die Bundesrepublik beruft sich jedoch darauf, die Durchführung der Entscheidung sei aus Gründen des Vertrauensschutzes absolut unmöglich, der in dem im vorliegenden Fall anwendbaren § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für Baden-Württemberg ( VwVfG ) seinen Ausdruck gefunden habe.
10 Nach dieser Bestimmung und nach deutschen Verfassungsgrundsätzen dürfe die Behörde einen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt nur nach Abwägung der einschlägigen Interessen zurücknehmen. Im vorliegenden Fall sei das Vertrauensschutzinteresse des begünstigten Unternehmens höher zu bewerten als das Gemeinschaftsinteresse an der Rückforderung.
11 Ausserdem stehe der Rückforderung der Beihilfe § 48 VwVfG entgegen, wonach ein begünstigender Verwaltungsakt nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zurückgenommen werden könne, an dem die Behörde Kenntnis von den Tatsachen erhalten habe, welche die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigten.
12 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ( vergleiche zuletzt Urteil vom 21. März 1990 in der Rechtssache C-142/87, Belgien/Kommission, Slg. 1990, I-959 ) findet die Rückforderung einer rechtswidrigen Beihilfe grundsätzlich nach Maßgabe des einschlägigen nationalen Rechts statt; jedoch darf dessen Anwendung die gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebene Rückforderung nicht praktisch unmöglich machen ( Randnr. 61 ).
13 Nach der Rechtsprechung ist weiter der Grundsatz des Vertrauensschutzes Bestandteil der Rechtsordnung der Gemeinschaft; daher kann es nicht als dieser Rechtsordnung widersprechend angesehen werden, wenn nationales Recht in einem Bereich wie dem der Rückforderung von zu Unrecht gezahlten Gemeinschaftsbeihilfen berechtigtes Vertrauen und Rechtssicherheit schützt ( Urteil vom 21. September 1983 in den verbundenen Rechtssachen 205/82 bis 215/82, Deutsche Milchkontor, Slg. 1983, 2633, Randnr. 30 ).
14 Dasselbe muß für die Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger nationaler Beihilfen gelten. Da die Überwachung der staatlichen Beihilfen durch die Kommission in Artikel 93 EWG-Vertrag zwingend vorgeschrieben ist, darf ein beihilfebegünstigtes Unternehmen auf die Ordnungsmässigkeit der Beihilfe jedoch grundsätzlich nur dann vertrauen, wenn diese unter Beachtung des dort vorgesehenen Verfahrens gewährt wurde. Einem sorgfältigen Gewerbetreibenden ist es regelmässig möglich, sich zu vergewissern, ob dieses Verfahren beachtet wurde.
15 Zudem hat die Kommission durch Mitteilung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften die potentiellen Empfänger einer staatlichen Beihilfe davon unterrichtet, daß sie bei Beihilfen, die ihnen mißbräuchlich gewährt worden seien, insofern mit Schwierigkeiten zu rechnen hätten, als sie diese gegebenenfalls zurückzahlen müssten ( ABl. 1983, C 318, S. 3 ).
16 Sicherlich ist nicht auszuschließen, daß der Empfänger einer rechtswidrigen Beihilfe sich ausnahmsweise auf Umstände berufen kann, aufgrund deren sein Vertrauen in die Ordnungsmässigkeit der Beihilfe geschützt ist, so daß er sie nicht zurückzuerstatten braucht. In einem solchen Fall ist es Sache des nationalen Gerichts, so es befasst wird, alle Umstände zu würdigen und dem Gerichtshof gegebenenfalls Auslegungsfragen vorzulegen.
17 Ein Mitgliedstaat, dessen Behörden eine Beihilfe unter Verletzung des Verfahrens des Artikels 93 gewährt haben, kann sich hingegen nicht unter Berufung auf das geschützte Vertrauen der Begünstigten der Verpflichtung entziehen, Maßnahmen zur Durchführung einer Entscheidung der Kommission zu ergreifen, die die Rückforderung der Beihilfe anordnet. Andernfalls wären die Artikel 92 und 93 EWG-Vertrag insoweit wirkungslos, als die nationalen Behörden sich auf ihr eigenes rechtswidriges Verhalten stützen könnten, um Entscheidungen der Kommission nach diesen Bestimmungen ihrer Wirkung zu berauben.
18 Schließlich ergibt sich eine absolute Unmöglichkeit der Durchführung der Entscheidung der Kommission für die Bundesrepublik auch nicht aus den Verpflichtungen, die für die zuständige Behörde aus der besonderen Ausgestaltung des Vertrauensschutzes in § 48 VwVfG hinsichtlich der Abwägung der einschlägigen Interessen und der Frist für die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts erwachsen. Nach ständiger Rechtsprechung kann sich ein Mitgliedstaat nämlich nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen, um sich der Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtungen zu entziehen.
19 Insbesondere muß eine Bestimmung, die die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts nur binnen einer bestimmten Frist zulässt, wie alles andere nationale Recht dergestalt angewandt werden, daß die gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebene Rückforderung nicht praktisch unmöglich und das Gemeinschaftsinteresse voll berücksichtigt wird.
20 Nach alledem ist die Vertragsverletzung antragsgemäß festzustellen.
Kostenentscheidung:
Kosten
21 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung trägt die unterliegende Partei die Kosten. Da die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, ist sie in die Kosten zu verurteilen.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
für Recht erkannt und entschieden :
1 ) Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen, daß sie der Entscheidung 88/174/EWG der Kommission vom 17. November 1987 über eine vom Land Baden-Württemberg der Bundesrepublik Deutschland gewährte Beihilfe an BUG-Alutechnik, ein Unternehmen, das Halbzeug und Fertigprodukte aus Aluminium herstellt, nicht nachgekommen ist.
2 ) Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten des Verfahrens.
Ende der Entscheidung
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