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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 08.07.1999
Aktenzeichen: C-5/93 P
Rechtsgebiete: EG-Satzung, Entscheidung 86/398/EWG, EGV, Verfahrensordnung


Vorschriften:

EG-Satzung Art. 49
EG-Satzung Art. 41
Entscheidung 86/398/EWG
EGV Art. 81
Verfahrensordnung Art. 62
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 Gegen Entscheidungen, durch die das Gericht Wiederaufnahmeanträge zurückweist, kann ein Rechtsmittel eingelegt werde. Das Gegenteil würde offensichtlich Artikel 49 Absatz 1 der Satzung des Gerichtshofes zuwiderlaufen, wonach gegen die Endentscheidungen des Gerichts ein Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt werden kann.

Bei der Auslegung der in Artikel 41 Absatz 1 der Satzung des Gerichtshofes enthaltenen Wendung "Tatsache von entscheidender Bedeutung..., die vor Verkündung des Urteils dem Gerichtshof und der die Wiederaufnahme beantragenden Partei unbekannt war", handelt es um eine Rechtsfrage, die im Rechtsmittelverfahren geprüft werden kann.

2 Im Rahmen der auf Artikel 173 des Vertrages (nach Änderung jetzt Artikel 230 EG) gestützten Rechtmässigkeitskontrolle sind die Gemeinschaftsgerichte nicht befugt, Anordnungen zu erlassen. Ebenso verhält es sich, wenn ein Gemeinschaftsgericht aufgrund von Artikel 17 der Verordnung Nr. 17 die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung gemäß Artikel 172 des Vertrages (jetzt Artikel 229 EG) hat.

3 Aus dem Wortlaut des Artikels 41 der Satzung des Gerichtshofes ergibt sich, daß ein Wiederaufnahmeantrag nur zulässig sein kann, wenn die angeführte Tatsache der die Wiederaufnahme beantragenden Partei bei Verkündung des Urteils unbekannt war. Das Gericht kann daher davon ausgehen, daß bei Nichterfuellung dieser Voraussetzung nicht geprüft zu werden braucht, ob die angeführten Tatsachen neu sind.

Ferner kann das angerufene Gericht nach Artikel 41 Absatz 2 der Satzung des Gerichtshofes die Sache nur dann materiell prüfen, wenn es das Vorliegen der neuen Tatsache feststellt, ihr die für die Eröffnung des Wiederaufnahmeverfahrens erforderlichen Merkmale zuerkennt und deshalb den Antrag für zulässig erklärt. Solange das Vorliegen einer neuen Tatsache nicht festgestellt worden ist, kann das angerufene Gericht somit nicht mit Hilfe des Wiederaufnahmeverfahrens dazu veranlasst werden, neue Beweiserhebungen durchzuführen. Daher wendet das Gericht Artikel 41 der Satzung des Gerichtshofes richtig an, wenn es die Anordnung von Beweiserhebungen zur Entdeckung neuer Tatsachen ablehnt, deren Vorliegen die Rechtsmittelführerin in ihrem Antrag nicht dargetan hat; auch darf es seine Prüfung auf die Tatsachen beschränken, die die Rechtsmittelführerin in ihrem Wiederaufnahmeantrag angeführt hat.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 8. Juli 1999. - DSM NV gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Rechtsmittel - Antrag auf Wiederaufnahme - Zulässigkeit. - Rechtssache C-5/93 P.

Entscheidungsgründe:

1 Die DSM NV hat mit Rechtsmittelschrift, die am 7. Januar 1993 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen den Beschluß des Gerichts erster Instanz vom 4. November 1992 in der Rechtssache T-8/89 REV (DSM/Kommission, Slg. 1992, II-2399; im folgenden: angefochtener Beschluß) eingelegt, mit dem ihr Antrag auf Wiederaufnahme des mit Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-8/89 (DSM/Kommission, Slg. 1991, II-1833) abgeschlossenen Verfahrens als unzulässig zurückgewiesen worden war.

Sachverhalt und Verfahren vor dem Gericht

2 Dem Rechtsmittel liegt folgender Sachverhalt, wie er sich aus dem genannten Urteil DSM/Kommission und dem angefochtenen Beschluß ergibt, zugrunde.

3 Mehrere in der europäischen Petrochemieindustrie tätige Unternehmen erhoben beim Gericht Nichtigkeitsklage gegen die Entscheidung 86/398/EWG der Kommission vom 23. April 1986 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/31.149 - Polypropylen) (ABl. L 230, S. 1; nachstehend: Polypropylen-Entscheidung).

4 Gemäß den insoweit durch das Gericht bestätigten Feststellungen der Kommission wurde der Polypropylenmarkt vor 1977 von zehn Herstellern beliefert, von denen vier (Montedison SpA, Hoechst AG, Imperial Chemical Industries plc und Shell International Chemical Company Ltd) zusammen 64 % des Marktes innehatten. Nach dem Auslaufen der Hauptpatente der Montedison SpA traten 1977 auf dem Markt neue Hersteller auf, was zu einem erheblichen Anwachsen der realen Produktionskapazität führte, ohne daß es dadurch zu einem entsprechenden Anstieg der Nachfrage kam. Dies hatte einen zwischen 1977 bei 60 % und 1983 bei 90 % liegenden Auslastungsgrad der Produktionskapazitäten zur Folge. Jeder der damals in der Gemeinschaft niedergelassenen Hersteller verkaufte in die meisten, wenn nicht in alle Mitgliedstaaten.

5 Die Rechtsmittelführerin gehört zu den Herstellern, die 1977 neu auf dem Markt auftraten. Sie hatte am westeuropäischen Markt einen Anteil etwa zwischen 3,1 % und 4,8 %.

6 Im Anschluß an gleichzeitig in mehreren Unternehmen des Wirtschaftszweigs durchgeführte Nachprüfungen richtete die Kommission an mehrere Polyropylenhersteller Auskunftsverlangen nach Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204). Aus Randnummer 6 des oben erwähnten Urteils DSM/Kommission geht hervor, daß die Kommission anhand des im Rahmen dieser Nachprüfungen und Auskunftsverlangen entdeckten Beweismaterials zu der vorläufigen Auffassung gelangte, die Hersteller hätten von 1977 bis 1983 unter Verstoß gegen Artikel 85 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG) durch Preisinitiativen regelmässig Zielpreise festgesetzt und ein System jährlicher Mengenkontrolle entwickelt, um den verfügbaren Markt nach vereinbarten Prozentsätzen oder Mengen unter sich aufzuteilen. Die Kommission leitete deshalb ein Verfahren gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 ein und übermittelte mehreren Unternehmen, darunter der Rechtsmittelführerin, die schriftliche Mitteilung der Beschwerdepunkte.

7 Am Ende des Verfahrens erließ die Kommission die Polypropylen-Entscheidung, mit der sie feststellte, daß die Rechtsmittelführerin gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verstossen habe, indem sie zusammen mit anderen Unternehmen von einem Zeitpunkt zwischen 1977 und 1979 bis mindestens November 1983 an einer von Mitte 1977 stammenden Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligt gewesen sei, durch die die Gemeinschaft mit Polypropylen beliefernden Hersteller

- miteinander Verbindung gehabt und sich regelmässig (von Anfang 1981 an zweimal monatlich) in einer Reihe geheimer Sitzungen getroffen hätten, um ihre Geschäftspolitik zu erörtern und festzulegen;

- von Zeit zu Zeit für den Absatz ihrer Erzeugnisse in jedem Mitgliedstaat der EWG Ziel- (oder Mindest-)Preise festgelegt hätten;

- verschiedene Maßnahmen getroffen hätten, um die Durchsetzung dieser Zielpreise zu erleichtern, (vor allem) u. a. durch vorübergehende Absatzeinschränkungen, den Austausch von Einzelangaben über ihre Verkäufe, die Veranstaltung lokaler Sitzungen und ab Ende 1982 ein System der "Kundenführerschaft" zwecks Durchsetzung der Preiserhöhungen gegenüber Einzelkunden;

- gleichzeitige Preiserhöhungen vorgenommen hätten, um die besagten Ziele durchzusetzen;

- den Markt aufgeteilt hätten, indem jedem Hersteller ein jährliches Absatzziel bzw. eine Quote (1979, 1980 und zumindest für einen Teil des Jahres 1983) zugeteilt worden sei oder, falls es zu keiner endgültigen Vereinbarung für das ganze Jahr gekommen sei, die Hersteller aufgefordert worden seien, ihre monatlichen Verkäufe unter Bezugnahme auf einen vorausgegangenen Zeitraum (1981, 1982) einzuschränken (Artikel 1 der Polypropylen-Entscheidung).

8 Sodann verpflichtete die Kommission die verschiedenen betroffenen Unternehmen, die festgestellten Zuwiderhandlungen unverzueglich abzustellen und in Zukunft von allen Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, die dasselbe oder ähnliches bezwecken oder bewirken, Abstand zu nehmen. Ferner erlegte ihnen die Kommission auf, jedes Verfahren zum Austausch von Informationen, die normalerweise dem Geschäftsgeheimnis unterliegen, abzustellen und dafür Sorge zu tragen, daß Verfahren zum Austausch allgemeiner Informationen (wie das Fides-System) unter Ausschluß sämtlicher Informationen geführt werden, aus denen sich das Marktverhalten einzelner Hersteller ableiten lässt (Artikel 2 der Polypropylen-Entscheidung).

9 Gegen die Rechtsmittelführerin wurde eine Geldbusse von 2 750 000 ECU bzw. 6 657 640 HFL festgesetzt (Artikel 3 der Polypropylen-Entscheidung).

10 Am 31. Juli 1986 erhob die Rechtsmittelführerin beim Gerichtshof Klage auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung. Mit Beschluß vom 15. November 1989 verwies der Gerichtshof die Rechtssache gemäß dem Beschluß 88/591/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 319, S. 1) an das Gericht.

11 Die Rechtsmittelführerin beantragte beim Gericht, die Polypropylen-Entscheidung ganz oder teilweise für nichtig zu erklären, die festgesetzte Geldbusse aufzuheben oder herabzusetzen, alle vom Gericht für zweckmässig erachteten Verfügungen und Maßnahmen zu treffen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

12 Die Kommission beantragte, die Klage abzuweisen und der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

13 Mit dem oben angeführten Urteil DSM/Kommission wies das Gericht die Klage zurück und erlegte der Rechtsmittelführerin die Kosten auf.

14 Nach Erlaß des Urteils des Gerichts vom 27. Februar 1992 in den Rechtssachen T-79/89, T-84/89, T-85/89, T-86/89, T-89/89, T-91/89, T-92/89, T-94/89, T-96/89, T-98/89, T-102/89 und T-104/89 (BASF u. a./Kommission, Slg. 1992, II-315; im folgenden: PVC-Urteil) hat die Rechtsmittelführerin am 5. Mai 1992 bei der Kommission beantragt, ihr entweder die von ihr an die Kommission gezahlte Geldbusse sowie die mit der Bankbürgschaft, die sie in dem Verfahren in der Rechtssache T-8/89 habe stellen müssen, verbundenen Kosten und Zinsen als zu Unrecht gezahlt zurückzuzahlen, oder, falls die Kommission der Ansicht sei, daß die Geldbusse nicht zu Unrecht gezahlt worden sei, ihr vor dem 19. Mai 1992 die Gründe hierfür zu erläutern. Die Kommission ließ das Antragsschreiben unbeantwortet.

15 Die Rechtsmittelführerin hat mit Schriftsatz, der am 26. Mai 1992 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, gemäß Artikel 41 des Protokolls über die EG-Satzung des Gerichtshofes und Artikel 125 der Verfahrensordnung des Gerichts einen Antrag auf Wiederaufnahme des mit dem Urteil DSM/Kommission abgeschlossenen Verfahrens gestellt.

16 Die Rechtsmittelführerin hat beim Gericht beantragt, festzustellen, daß der Wiederaufnahmeantrag fristgemäß gestellt wurde, eine Beweisaufnahme anzuordnen, die insbesondere die in Artikel 64 § 3 Buchstaben c und d seiner Verfahrensordnung genannten Maßnahmen umfasst, das Urteil DSM/Kommission in der Weise abzuändern, daß die Polypropylen-Entscheidung für inexistent oder zumindest für nichtig erklärt wird, die gegen sie festgesetzte Geldbusse aufzuheben oder zumindest herabzusetzen, der Kommission aufzugeben, die ihr aufgrund eines inexistenten oder zumindest nichtigen Titels gezahlte Geldbusse einschließlich der in ihrem Schreiben an die Kommission vom 5. Mai 1992 aufgeführten Zinsen und Kosten unverzueglich zurückzuzahlen und der Kommission die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten des Verfahrens, das zum Urteil DSM/Kommission geführt hat, aufzuerlegen. Aus Randnummer 6 des angefochtenen Beschlusses geht hervor, daß nach Ansicht der Rechtsmittelführerin Zweifel am Bestand der Polypropylen-Entscheidung bestehen, da diese mit denselben Mängeln behaftet sein könne wie das PVC-Urteil.

17 Die Kommission hat beantragt, die Anträge für unzulässig zu erklären, hilfsweise, die Anträge als unbegründet abzuweisen, und auf jeden Fall der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.

Der angefochtene Beschluß

18 Wie aus Randnummer 14 des angefochtenen Beschlusses hervorgeht, hat das Gericht, nachdem es an den Inhalt von Artikel 41 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes erinnert hatte, der gemäß Artikel 46 Absatz 1 dieser Satzung für das Verfahren vor dem Gericht entsprechend gilt, festgestellt, aus dieser Bestimmung ergebe sich, daß die Wiederaufnahme des Verfahrens kein Rechtsmittel sei, sondern ein ausserordentlicher Rechtsbehelf, der es erlaube, die Rechtskraft eines verfahrensabschließenden Urteils aufgrund der tatsächlichen Feststellungen, auf die sich das Gericht gestützt habe, in Frage zu stellen. Die Wiederaufnahme setze voraus, daß vor dem Erlaß des Urteils liegende Umstände tatsächlicher Art entdeckt würden, die dem Gericht, das dieses Urteil erlassen habe, und der die Wiederaufnahme beantragenden Partei bis dahin unbekannt gewesen seien und die das Gericht, wenn es sie hätte berücksichtigen können, zu einer anderen Entscheidung des Rechtsstreits, als sie ergangen ist, hätten veranlassen können.

19 In Randnummer 15 hat das Gericht ausgeführt, die von ihm zu entscheidende Frage gehe dahin, ob die Antragstellerin nachgewiesen habe, daß ihr die in ihrem Wiederaufnahmeantrag vorgetragenen Tatsachen - daß das Kommissionskollegium nicht über den ihr mitgeteilten Wortlaut der Polypropylen-Entscheidung beraten und nicht über die niederländische Fassung der Entscheidung verfügt habe, und die anderen im PVC-Urteil aufgeführten Mängel - erst nach der Verkündung des Urteils DSM/Kommission bekanntgeworden seien. Insofern solle die "neue Tatsache", auf die die Rechtsmittelführerin ihren Wiederaufnahmeantrag stütze, aus der Kombination verschiedener Tatsachen und Anhaltspunkte bestehen, die zu verschiedenen Zeitpunkten eingetreten und bekanntgeworden seien. Daher sei, so das Gericht in Randnummer 16, zu prüfen, ob der Rechtsmittelführerin in Anbetracht dieser Tatsachen und Anhaltspunkte die von ihr angeführten Tatsachen vor der Verkündung des Urteils DSM/Kommission bekannt gewesen seien.

20 In Randnummer 17 hat das Gericht ausgeführt, in bezug auf die angeblichen sachlichen Änderungen und Ergänzungen des Textes der der Rechtsmittelführerin mitgeteilten Polypropylen-Entscheidung sei festzustellen, daß die von der Rechtsmittelführerin geltend gemachten typographischen Unterschiede im Text der am 30. Mai 1986 mitgeteilten Polypropylen-Entscheidung enthalten gewesen und ihr folglich seit diesem Zeitpunkt bekannt gewesen seien. Gleiches gelte für die Tatsache, daß die Seiten der Polypropylen-Entscheidung nicht fortlaufend numeriert gewesen seien, für die Angabe "Entscheidungsentwurf vom 23. Mai 1986" auf dem Deckblatt der mitgeteilten Entscheidung und für die Länge der zwischen dem Erlaß der Entscheidung und ihrer Übermittlung verstrichenen Zeit.

21 Randnummer 18 des Beschlusses des Gerichts lautet:

"Darüber hinaus ist die Tragweite der von der Antragstellerin angeführten Änderungen und Ergänzungen in der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 1991 in den PVC-Rechtssachen hinreichend geklärt worden, in der die Bevollmächtigten der Kommission erklärt haben, daß das in diesen Rechtssachen angewandte Verfahren einer ständigen Praxis entsprochen habe. Die Antragstellerin hat an dieser Verhandlung teilgenommen und ist dort durch denselben Rechtsanwalt vertreten worden wie in dem Verfahren, das zum Urteil vom 17. Dezember 1991 geführt hat. Sie hätte folglich vor der Verkündung des Urteils unter Berufung auf die in Randnummer 6 genannten Tatsachen einen Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung stellen können. Die Antragstellerin verfügte zwar im Gegensatz zu den Klägerinnen in den Rechtssachen T-9/89 bis T-15/89 (vgl. die Urteile vom 10. März 1992 in den Rechtssachen T-9/89, Hüls/Kommission, Randnrn. 382 bis 385, T-10/89, Hoechst/Kommission, Randnrn. 372 bis 375, T-11/89, Shell/Kommission, Randnrn. 372 bis 374, T-12/89, Solvay/Kommission, Randnrn. 345 bis 347, T-13/89, ICI/Kommission, Randnrn. 399 bis 401, T-14/89, Montedipe/Kommission, Randnrn. 389 bis 391, und T-15/89, Linz/Kommission, Randnrn. 393 bis 395, Slg. 1992, II-499 ff.) noch nicht über die vom Gericht im Urteil vom 27. Februar 1992 vorgenommene rechtliche Beurteilung der PVC-Entscheidung. Dies ändert jedoch nichts an der Feststellung, daß die Antragstellerin die fraglichen Tatsachen vor der Verkündung des Urteils gekannt hat (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 19. März 1991 in der Rechtssache C-403/85 REV, Ferrandi/Kommission, Slg. 1991, I-1215, Randnr. 13)."

22 Daraus leitet das Gericht in Randnummer 19 ab, daß die verschiedenen von der Rechtsmittelführerin erwähnten Änderungen und Ergänzungen sowie deren Tragweite so offenkundig gewesen seien, daß die Rechtsmittelführerin die im Wiederaufnahmeantrag genannten Tatsachen nach der Lektüre der ihr mitgeteilten Entscheidung und jedenfalls während der mündlichen Verhandlung in den PVC-Rechtssachen vom 10. Dezember 1991 hätte zur Kenntnis nehmen können. Diese Tatsachen könnten deshalb keinesfalls Tatsachen darstellen, die der Rechtsmittelführerin vor der Verkündung des Urteils DSM/Kommission im Sinne von Artikel 41 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes unbekannt gewesen seien, so daß sie nicht zur Wiederaufnahme des mit diesem Urteil abgeschlossenen Verfahrens führen könnten.

23 Überdies weist das Gericht in Randnummer 20 darauf hin, daß das PVC-Urteil als solches sowie das der Kommission am 5. Mai 1992 von der Rechtsmittelführerin übersandte Schreiben und die Tatsache, daß dieses unbeantwortet geblieben sei, unerheblich seien. Die Rechtsmittelführerin habe nämlich durch keines dieser Ereignisse von Tatsachen Kenntnis erlangt, die ihr bis dahin unbekannt gewesen seien.

24 Schließlich stellte das Gericht in Randnummer 21 fest:

"Nach alledem können die von der Antragstellerin in ihrem Antrag vorgetragenen Tatsachen weder für sich genommen noch insgesamt gesehen eine neue Tatsache im Sinne von Artikel 41 der Satzung des Gerichtshofes darstellen, so daß der Wiederaufnahmeantrag als unzulässig zurückzuweisen ist."

Das Rechtsmittel

25 In ihrer Rechtsmittelschrift beantragt die Rechtsmittelführerin,

- festzustellen, daß das Rechtsmittel fristgerecht eingelegt worden ist;

- den angefochtenen Beschluß aufzuheben;

- das oben angegebene Urteil DSM/Kommission aufzuheben;

- die an sie gerichtete Polypropylen-Entscheidung für inexistent oder jedenfalls für nichtig zu erklären sowie die von der Kommission gegen sie verhängte Geldbusse aufzuheben oder jedenfalls herabzusetzen;

- die Kommission zu verpflichten, die auf der Grundlage einer inexistenten oder jedenfalls nichtigen Entscheidung und des Urteils DSM/Kommission am 19. Februar 1992 von ihr gezahlte Geldbusse einschließlich Zinsen und Kosten, wie in ihrem Schreiben an die Kommission näher beschrieben, unverzueglich zurückzuzahlen;

- hilfsweise, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die Sache zu dem Zweck an das Gericht zurückzuverweisen, daß es gemäß der Entscheidung des Gerichtshofes den von ihr erhobenen Wiederaufnahmeantrag in der Sache prüft, insbesondere indem es Beweiserhebungen gemäß ihrem Antrag oder gemäß dem, was dem Gerichtshof geboten erscheint, erhebt oder jedenfalls Maßnahmen trifft, die der Gerichtshof oder das Gericht gemäß der Entscheidung des Gerichtshofes für geboten hält;

- der Kommission die Kosten aufzuerlegen einschließlich der im Rechtsmittelverfahren angefallenen oder noch anfallenden Kosten und insbesondere derjenigen des Verfahrens, das zum Erlaß des oben angegebenen Urteils DSM/Kommission geführt hat.

26 Die Kommission beantragt,

- das Rechtsmittel ganz oder jedenfalls hinsichtlich des fünften Antrags für unzulässig zu erklären;

- hilfsweise, das Rechtsmittel als unbegründet zurückzuweisen, und

- der Rechtsmittelführerin auf jeden Fall die Kosten aufzuerlegen.

27 Zur Begründung ihres Rechtsmittels bringt die Rechtsmittelführerin zehn Rechtsmittelgründe vor: erstens Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch unrichtige Auslegung von Artikel 41 der EG-Satzung des Gerichtshofes; zweitens Verstoß gegen die Begründungspflicht, weil das Gericht die Tatsachen im Sinne von Artikel 41 der EG-Satzung des Gerichtshofes nur hinsichtlich der in den Randnummern 6 und 15 des angefochtenen Beschlusses angeführten Tatsachen geprüft habe; drittens Verstoß gegen die Begründungspflicht, weil das Gericht die Änderungen und Ergänzungen der zugestellten Fassung der Polypropylen-Entscheidung gegenüber der von der Kommission angenommenen Fassung als "neue Tatsachen" bewertet habe; viertens Verstoß gegen die Begründungspflicht, weil das Gericht unter Berufung auf die Ausführungen in der mündlichen Verhandlung in den PVC-Sachen angenommen habe, daß die nachträglichen Änderungen und Ergänzungen der Rechtsmittelführerin bekannt gewesen seien; fünftens Verstoß gegen die Begründungspflicht, weil das Gericht die von der Rechtsmittelführerin erwähnten Änderungen und Ergänzungen als "so offenkundig" und als rechtserhebliche "Tatsachen" bewertet habe; sechstens Verstoß gegen die Begründungspflicht, weil das Gericht das PVC-Urteil als solches sowie ein Schreiben der Rechtsmittelführerin an die Kommission und dessen Nichtbeantwortung als unerheblich angesehen habe; siebtens Verstoß gegen die Begründungspflicht, weil das Gericht den Wiederaufnahmeantrag nicht in der Sache geprüft habe; achtens Verletzung des Gleichheitssatzes, weil das Gericht anders als in den PVC-Sachen den Wiederaufnahmeantrag nicht in der Sache geprüft habe; neuntens Verletzung des Gleichheitssatzes, weil das Gericht die durch das Polypropylenverfahren betroffenen Unternehmen je nach dem Zeitpunkt des Urteilserlasses unterschiedlich behandelt habe; zehntens Verletzung des Gemeinschaftsrechts, weil das Gericht nicht beachtet habe, daß jede Rüge bezueglich der Inexistenz eines Rechtsakts eines Gemeinschaftsorgans zum Ordre public gehöre.

28 Durch Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofes vom 28. Juli 1993 ist das Verfahren ohne Widerspruch der Beteiligten zur Prüfung der Folgen, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 15. Juni 1994 in der Rechtssache C-137/92 P (Kommission/BASF u. a., Slg. 1994, I-2555) ergeben, bis zum 15. September 1994 ausgesetzt worden.

Zur Zulässigkeit

29 Die Kommission trägt erstens vor, das Rechtsmittel sei unzulässig. Zum einen sei es eine Tatsachenfrage, ob eine Tatsache oder eine neue Tatsache eingetreten sei; somit beziehe sich das Rechtsmittel nicht, wie es Artikel 51 der EG-Satzung des Gerichtshofes vorsehe, auf Rechtsfragen. Zum anderen sei ein Wiederaufnahmeantrag, wenn schon mangels einer neuen Tatsache, so erst recht dann für unzulässig zu erklären, wenn die Rechtsmittelführerin vortrage, daß sie nicht einmal eine Tatsache habe ausfindig machen können.

30 Zum ersten Punkt ist zunächst zu bemerken, daß die Argumentation der Kommission, wenn ihr zu folgen wäre, dazu führen würde, Rechtsmittel gegen Entscheidungen auszuschließen, durch die das Gericht Wiederaufnahmeanträge zurückweist. Dies würde offensichtlich Artikel 49 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes zuwiderlaufen, wonach gegen die Endentscheidungen des Gerichts ein Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt werden kann.

31 Ferner handelt es sich jedenfalls bei der Auslegung der in Artikel 41 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes enthaltenen Wendung "Tatsache von entscheidender Bedeutung..., die vor Verkündung des Urteils dem Gerichtshof und der die Wiederaufnahme beantragenden Partei unbekannt war" um eine Rechtsfrage, die im Rechtsmittelverfahren geprüft werden kann.

32 Schließlich könnten sich einige der verschiedenen von der Rechtsmittelführerin vorgebrachten Rechtsmittelgründe vorbehaltlich ihrer Einzelprüfung auch auf andere, mit Verfahrensfehlern oder einer Verletzung des Gemeinschaftsrechts im Sinne von Artikel 51 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes zusammenhängende Rechtsfragen beziehen, die nach der genannten Vorschrift Gegenstand eines Rechtsmittels sein können.

33 Die von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit ist somit zurückzuweisen, soweit sie sich auf das Rechtsmittel insgesamt bezieht.

34 Hilfsweise macht die Kommission geltend, jedenfalls der Antrag der Rechtsmittelführerin, die Kommission zur Rückzahlung der Geldbusse zu verpflichten, sei unzulässig, da weder der Gerichtshof noch das Gericht eine solche Anordnung im Rahmen von Artikel 173 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 230 EG) erlassen könnte.

35 Der genannte Antrag der Rechtsmittelführerin setzt voraus, daß der Gerichtshof dem Rechtsmittel stattgibt, den angefochtenen Beschluß aufhebt, über die Zulässigkeit des Antrags auf Wiederaufnahme des durch das oben genannte Urteil DSM/Kommission abgeschlossenen Verfahrens entscheidet, diesen für zulässig erklärt, ihn in der Sache prüft und ihm stattgibt sowie die in der ersten Instanz erhobene Nichtigkeitsklage prüft. Insoweit würde der Gerichtshof nach Artikel 17 der Verordnung Nr. 17 über die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung im Sinne von Artikel 172 EG-Vertrag (jetzt Artikel 229 EG) verfügen.

36 Nach ständiger Rechtsprechung sind die Gemeinschaftsgerichte im Rahmen der auf Artikel 173 EG-Vertrag gestützten Rechtmässigkeitskontrolle nicht befugt, Anordnungen zu erlassen (siehe u. a. Beschluß vom 26. Oktober 1995 in den Rechtssachen C-199/94 P und C-200/94 P, Slg. 1995, I-3709, Randnr. 24). Ebenso verhält es sich, wenn ein Gemeinschaftsgericht die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung gemäß Artikel 172 EG-Vertrag hat.

37 Somit ist das Rechtsmittel unzulässig, soweit es darauf gerichtet ist, die Kommission zur Rückzahlung der von der Rechtsmittelführerin gezahlten Geldbusse zu verpflichten.

Zur Begründetheit

Zum ersten und zum zweiten Rechtsmittelgrund: Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch unrichtige Auslegung von Artikel 41 der EG-Satzung des Gerichtshofes und Verstoß gegen die Begründungspflicht, weil das Gericht die Tatsachen im Sinne von Artikel 41 der EG-Satzung des Gerichtshofes nur hinsichtlich der in den Randnummern 6 und 15 des angefochtenen Beschlusses angeführten Tatsachen geprüft habe

38 Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin geltend, die Randnummern 14 und 15 des angefochtenen Beschlusses beruhten auf einer unrichtigen Auslegung des Artikels 41 der EG-Satzung des Gerichtshofes, der nach Artikel 46 dieser Satzung auch für das Wiederaufnahmeverfahren vor dem Gericht gilt.

39 Dieser Rechtsmittelgrund ist in drei Teile untergliedert. Erstens ergebe sich die in Randnummer 14 des angefochtenen Beschlusses erwähnte Voraussetzung der Vorzeitigkeit der zu einem Wiederaufnahmeantrag berechtigenden Tatsachen nicht aus Artikel 41 der EG-Satzung des Gerichtshofes; darin werde lediglich die Voraussetzung aufgestellt, daß die angeführte Tatsache vor Verkündung des Urteils dem Gericht und der die Wiederaufnahme beantragenden Partei unbekannt sein müsse. Zweitens habe das Gericht seine Prüfung zu Unrecht auf die Voraussetzung der Unbekanntheit beschränkt, ohne die vorgeschaltete Voraussetzung des Bekanntwerdens einer neuen Tatsache zu prüfen. Drittens sei nicht dargetan, daß die Tatsachen im Sinne des genannten Artikels 41 schon bekannt gewesen seien, d. h., daß sie für das Gericht und die Antragstellerin in Form einer Dokumentation und von Informationen verfügbar gewesen seien. Ihr an die Kommission gerichteter Antrag vom 5. Mai 1992 sei gerade dahin gegangen, eine solche Dokumentation zu erlangen, und ihr im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens gestellter Antrag, Beweiserhebungen anzuordnen, habe im gleichen Zusammenhang gestanden. Das Gericht habe dadurch, daß es keine dahin gehende Prüfung vorgenommen habe, Artikel 41 der EG-Satzung des Gerichtshofes unrichtig ausgelegt.

40 Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin geltend, das Gericht habe dadurch gegen das Gemeinschaftsrecht und insbesondere die Begründungspflicht verstossen, daß es seine Prüfung auf die in den Randnummern 6 und 15 des angefochtenen Beschlusses angeführten "Tatsachen" - betreffend die fehlende Beratung des Kommissionskollegiums über den Wortlaut der mitgeteilten Polypropylen-Entscheidung und insbesondere über deren niederländische Fassung sowie weitere im PVC-Urteil aufgeführte Mängel - beschränkt und ferner ausser acht gelassen habe, daß im Wiederaufnahmeantrag verschiedene neue "Tatsachen" genannt gewesen seien, die durch die beantragten Beweiserhebungen hätten geklärt werden sollen.

41 Zum ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes genügt es festzustellen, daß das Gericht in Randnummer 14 des angefochtenen Beschlusses zwar die Voraussetzung der Vorzeitigkeit der zu einem Wiederaufnahmeantrag berechtigenden Tatsachen angesprochen, aber weder aus dieser Voraussetzung eine Konsequenz gezogen noch auf sie die Ablehnung des Wiederaufnahmeantrags der Rechtsmittelführerin gestützt hat. Daher ist diese Rüge unerheblich und nicht vom Gerichtshof zu prüfen.

42 Was den zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes angeht, so ergibt sich aus dem Wortlaut des Artikels 41 der EG-Satzung des Gerichtshofes gerade, daß ein Wiederaufnahmeantrag nur zulässig sein kann, wenn die angeführte Tatsache der die Wiederaufnahme beantragenden Partei bei Verkündung des Urteils unbekannt war. Das Gericht hat daher zu Recht festgestellt, daß wegen Nichterfuellung dieser Voraussetzung nicht geprüft zu werden brauchte, ob die angeführten Tatsachen neu waren.

43 Schließlich ist zum dritten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes und zum zweiten Rechtsmittelgrund, die zweckmässigerweise zusammen zu prüfen sind, darauf hinzuweisen, daß nach Artikel 41 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes ein Wiederaufnahmeantrag darauf gestützt sein muß, daß eine oder mehrere Tatsachen bekannt geworden sind. Nach Absatz 2 dieser Bestimmung kann das angerufene Gericht die Sache nur dann materiell prüfen, wenn es das Vorliegen der neuen Tatsache feststellt, ihr die für die Eröffnung des Wiederaufnahmeverfahrens erforderlichen Merkmale zuerkennt und deshalb den Antrag für zulässig erklärt.

44 Solange das Vorliegen einer neuen Tatsache nicht festgestellt worden ist, kann das angerufene Gericht somit nicht mit Hilfe des Wiederaufnahmeverfahrens dazu veranlasst werden, neue Beweiserhebungen durchzuführen. Im übrigen hätte die Rechtsmittelführerin im vorliegenden Fall schon im Hauptsacheverfahren die Beweiserhebungen beantragen können, um die sie anläßlich der Wiederaufnahme ersucht hat. Daher hat das Gericht Artikel 41 der EG-Satzung des Gerichtshofes richtig angewandt, als es die Anordnung von Beweiserhebungen zur Entdeckung neuer Tatsachen abgelehnt hat, deren Vorliegen die Rechtsmittelführerin in ihrem Antrag nicht dargetan hatte; auch hat es seine Prüfung zu Recht auf die Tatsachen beschränkt, die die Rechtsmittelführerin in ihrem Wiederaufnahmeantrag angeführt hatte.

45 Somit sind der erste und der zweite Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

Zum dritten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen die Begründungspflicht, weil das Gericht die Änderungen und Ergänzungen der zugestellten Fassung der Polypropylen-Entscheidung gegenüber der von der Kommission angenommenen Fassung als "neue Tatsachen" bewertet habe

46 Die Rechtsmittelführerin weist darauf hin, daß sie in ihren Wiederaufnahmeantrag eine eingehende Aufstellung der möglichen Änderungen am Wortlaut der Polypropylen-Entscheidung aufgenommen habe, bei der sie sich auf Unterschiede in den Schrifttypen gestützt habe, die in der zugestellten Fassung verwendet worden seien. Sie habe nicht geltend gemacht, daß diese mutmaßlichen Änderungen und Ergänzungen eine im Sinne des PVC-Urteils als besonders schwer und offenkundig anzusehende Tatsache seien, denn diese neue Tatsache könnte nur anhand der authentischen Fassung zutage gebracht werden, die von der Kommission zur Verfügung gestellt werden müsste. Mangels einer solchen Feststellungsmöglichkeit sei die Äusserung des Gerichts, daß die fraglichen Unterschiede in den Schrifttypen der Rechtsmittelführerin von der Mitteilung der Entscheidung an bekannt gewesen seien, irrelevant. Gleiches gelte für ihre anderen Hinweise, so z. B. für die nichtfortlaufende Seitennumerierung, die Überschrift "Entscheidungsentwurf der Kommission vom 23. Mai 1986" auf dem Deckblatt und den mußmaßlichen Zeitablauf zwischen dem Erlaß und der Übermittlung der Polypropylen-Entscheidung. Auch handele es sich um Vermutungen, nicht um nachgewiesene Tatsachen; deren Nachweis sei nur anhand der bei der Kommission angeforderten Dokumentation möglich. Somit sei die Annahme des Gerichts insoweit in tatsächlicher Hinsicht unzutreffend, da es sich um Tatsachen handele, die bis heute dem Gericht und ihr selbst unbekannt seien.

47 Soweit dieser Rechtsmittelgrund die vom Gericht durchgeführte Prüfung der Unterschiede in den Schrifttypen in der am 30. Mai 1986 mitgeteilten Fassung der Polypropylen-Entscheidung betreffen sollte, ist lediglich festzustellen, daß diese Tatsachen von der Rechtsmittelführerin in ihrem Antrag angeführt wurden und das Gericht daher, wie es das getan hat, über sie zu entscheiden hatte.

48 Soweit die Rechtsmittelführerin rügt, das Gericht habe keine anderen als die im Wiederaufnahmeantrag angeführten Tatsachen geprüft, deckt sich dieser Rechtsmittelgrund mit dem dritten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes und dem zweiten Rechtsmittelgrund und ist aus denselben Gründen zurückzuweisen.

49 Somit ist der dritte Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

Zum vierten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen die Begründungspflicht, weil das Gericht unter Berufung auf die Ausführungen in der mündlichen Verhandlung in den PVC-Sachen angenommen habe, daß die nachträglichen Änderungen und Ergänzungen der Rechtsmittelführerin bekannt gewesen seien

50 Mit dem ersten Teil dieses Rechtsmittelgrundes macht die Rechtsmittelführerin geltend, die Erklärung des Vertreters der Kommission in der mündlichen Verhandlung in den PVC-Sachen, daß Artikel 12 der Geschäftsordnung der Kommission nicht angewandt worden sei, habe eine andere Sache betroffen und sage nichts über die Möglichkeit aus, daß Änderungen an der Polypropylen-Entscheidung vorgenommen worden seien. Die Ausführung des Gerichts in Randnummer 18 des angefochtenen Beschlusses, daß die Rechtsmittelführerin die von ihr angeführten Tatsachen vor Verkündung des Urteils im Rahmen der Verhandlungen in den PVC-Sachen erfahren habe, sei daher unerheblich und in tatsächlicher Hinsicht unzutreffend.

51 Mit dem zweiten Teil macht die Rechtsmittelführerin geltend, sie sei nicht verpflichtet gewesen, die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu beantragen, da das Gericht nach Artikel 62 seiner Verfahrensordnung eine solche Wiedereröffnung von sich aus anordnen könne. Das Gericht sei im vorliegenden Fall sogar gehalten gewesen, dies von Amts wegen zu prüfen. Überdies hätte ein Wiedereröffnungsantrag keine praktischen Konsequenzen gehabt, da das Urteil, dessen Verkündung auf den 17. Dezember 1991 festgesetzt gewesen sei, bis zum 10. Dezember 1991 - dem Tag der mündlichen Verhandlung in den PVC-Sachen - unbestreitbar bereits eine endgültige Form angenommen habe.

52 Nach den Artikeln 168a EG-Vertrag (jetzt Artikel 225 EG) und 51 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes kann ein Rechtsmittel nur auf die Verletzung von Rechtsvorschriften durch das Gericht, nicht aber auf die Würdigung von Tatsachen gestützt werden. Demnach hat die Kommission zu Recht darauf hingewiesen, daß die Rechtsmittelführerin mit diesem Teil ihres vierten Rechtsmittelgrundes eine Tatsachenfeststellung des Gerichts beanstandet und das Rechtsmittel daher insoweit unzulässig ist.

53 Soweit - mit dem zweiten Teil dieses Rechtsmittelgrundes - gerügt wird, daß das Gericht nicht von sich aus die mündliche Verhandlung wiedereröffnet habe, richtet sich dies nicht gegen den angefochtenen Beschluß, sondern gegen das Urteil DSM/Kommission, das nicht Gegenstand dieses Rechtsmittelverfahrens ist.

54 Der vierte Rechtsmittelgrund ist daher ebenfalls zurückzuweisen.

Zum fünften Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen die Begründungspflicht, weil das Gericht die von der Rechtsmittelführerin erwähnten Änderungen und Ergänzungen sowie deren Tragweite als "so offenkundig" und als rechtserhebliche "Tatsachen" bewertet habe

55 Unter Hinweis auf Randnummer 19 des angefochtenen Beschlusses vertritt die Rechtsmittelführerin die Ansicht, das Gericht habe dadurch gegen die Begründungspflicht verstossen, als es die von ihr erwähnten Änderungen und Ergänzungen sowie deren Tragweite als "so offenkundig" und als rechtserhebliche Tatsachen bewertet habe. Die Bewertung der angeblichen Tatsachen als so offenkundig sei rechtlich unerheblich und in tatsächlicher Hinsicht unzutreffend.

56 Soweit mit diesem Rechtsmittelgrund gerügt wird, daß das Gericht die von der Rechtsmittelführerin erwähnten Änderungen und Ergänzungen als hinreichend offenkundig beurteilt habe, bezieht sich diese Rüge auf Tatsachenfragen, die als solche im Rechtsmittelverfahren nicht geprüft werden dürfen.

57 Soweit beanstandet wird, daß das Gericht die genannten Änderungen und Ergänzungen als erheblich angesehen habe, genügt es festzustellen, daß die Rechtsmittelführerin sich in ihrem Antrag auf sie berufen hatte, so daß dem Gericht ihre Prüfung oblag.

58 Somit ist der fünfte Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

Zum sechsten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen die Begründungspflicht, weil das Gericht das PVC-Urteil als solches sowie ein Schreiben der Rechtsmittelführerin an die Kommission und dessen Nichtbeantwortung als unerheblich angesehen habe

59 Die Rechtsmittelführerin trägt vor, das Gericht habe dadurch gegen seine Begründungspflicht verstossen, daß es in Randnummer 20 des angefochtenen Beschlusses die Ansicht vertreten habe, daß das PVC-Urteil als solches sowie das der Kommission am 5. Mai 1992 übersandte Schreiben und dessen Nichtbeantwortung unerheblich seien. Das Schreiben an die Kommission sei aber insbesondere auf die Erlangung der Dokumentation gerichtet gewesen, durch die sie von den ihr bis dahin unbekannten Tatsachen hätte Kenntnis erlangen können, und sei daher erheblich. Die Parteien könnten die Wiederaufnahme eines Verfahrens beantragen, wenn sie Grund zu der Annahme hätten, daß neue Tatsachen von entscheidender Bedeutung für den Verfahrensausgang vorlägen.

60 Die in Randnummer 20 des angefochtenen Beschlusses geäusserte Ansicht, daß die Rechtsmittelführerin durch das PVC-Urteil sowie das der Kommission am 5. Mai 1992 von ihr übersandte Schreiben und die Tatsache, daß dieses unbeantwortet geblieben sei, nicht von Tatsachen Kenntnis erlangt habe, die ihr bis dahin unbekannt gewesen seien, ist eine Tatsachenfeststellung, die der Zuständigkeit des Gerichtshofes im Rechtsmittelverfahren entzogen ist.

61 Ausserdem ergibt sich aus Artikel 41 der EG-Satzung des Gerichtshofes ausdrücklich, daß ein Wiederaufnahmeantrag nur darauf gestützt werden kann, daß eine Tatsache bekanntwird. Zu Recht hat das Gericht daher angenommen, daß blosse Vermutungen, die noch im Rahmen einer Beweisaufnahme zu überprüfen waren, im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens unerheblich seien.

62 Der sechste Rechtsmittelgrund ist daher zurückzuweisen.

Zum siebten und zum achten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen die Begründungspflicht und Verletzung des Gleichheitssatzes, weil das Gericht anders als in den PVC-Sachen den Wiederaufnahmeantrag nicht in der Sache geprüft habe

63 Mit ihrem siebten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin geltend, das Gericht habe gegen die Begründungspflicht verstossen, weil es im Gegensatz zu seiner Rechtsprechung auf diesem Gebiet den Wiederaufnahmeantrag nicht in der Sache geprüft habe.

64 Mit ihrem achten Klagegrund macht die Rechtsmittelführerin geltend, das Gericht habe den Gleichheitssatz verletzt, weil es im Unterschied zu seinem Vorgehen in den PVC-Sachen den Wiederaufnahmeantrag nicht - auf der Grundlage ihrer Angaben - in der Sache geprüft habe. Die vom Gericht in den PVC-Sachen angeordneten Beweiserhebungen unterschieden sich nicht von ihren Auskunftsersuchen.

65 Diese Rechtsmittelgründe, die zweckmässigerweise zusammen zu prüfen sind, beruhen auf einer unzutreffenden Analyse des Wiederaufnahmeverfahrens. Artikel 41 Absatz 2 der EG-Satzung des Gerichtshofes sieht nämlich ausdrücklich vor, daß das Wiederaufnahmeverfahren durch eine Entscheidung eröffnet wird, die das Vorliegen der neuen Tatsache ausdrücklich feststellt, ihr die für die Eröffnung des Wiederaufnahmeverfahrens erforderlichen Merkmale zuerkennt und deshalb den Antrag für zulässig erklärt. Nach Artikel 127 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts entscheidet dieses "[a]ufgrund der schriftlichen Stellungnahmen der Parteien... über die Zulässigkeit des Antrags, ohne der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen". Nach Artikel 127 § 3 tritt das Gericht nur dann in die Prüfung der Hauptsache ein, wenn es dem Antrag stattgibt.

66 Diese Gliederung des Verfahrens in zwei Stadien, von denen das erste die Zulässigkeit und das zweite die Sache betrifft, erklärt sich aus der Strenge der Voraussetzungen für die Eröffnung des Wiederaufnahmeverfahrens, die ihrerseits dadurch verständlich wird, daß die Wiederaufnahme die Rechtskraft eines Urteils beseitigt (Urteil vom 10. Januar 1980 in der Rechtssache 116/78 rev., Bellintani u. a./Kommission, Slg. 1980, 23, Randnr. 3).

67 Daher ist nicht zu beanstanden, daß das Gericht lediglich über die Zulässigkeit des Antrags entschieden und kein Argument aus der Art und Weise seines Vorgehens in den PVC-Sachen hergeleitet hat.

68 Der siebte und der achte Rechtsmittelgrund sind somit zurückzuweisen.

Zum neunten Rechtsmittelgrund: Verletzung des Gleichheitssatzes, weil das Gericht die durch das Polypropylenverfahren betroffenen Unternehmen je nach dem Zeitpunkt des Urteilserlasses unterschiedlich behandelt habe

69 Die Rechtsmittelführerin macht geltend, das Gericht habe den Gleichheitssatz verletzt, weil es die durch das Polypropylenverfahren betroffenen Unternehmen je nach dem Zeitpunkt des Urteilserlasses unterschiedlich behandelt habe. In drei Fällen sei das Urteil am 24. Oktober 1991, in vier Fällen am 17. Dezember 1991 und in sieben Fällen am 10. März 1992 ergangen. Die letztgenannten Unternehmen hätten so gestützt auf aus dem PVC-Urteil abgeleitete Gründe ein Rechtsmittel einlegen können. Da es sich um verbundene Sachen gehandelt habe, sei dieser Unterschied in der Behandlung um so wichtiger, als die Parteien keinen Einfluß auf die Terminierung der Entscheidungen des Gerichts hätten nehmen können. In Randnummer 18 des angefochtenen Beschlusses werde diese Ungleichheit eingeräumt, doch werde aus ihr mit der Begründung, daß die Rechtsmittelführerin die fraglichen Tatsachen schon vor der Verkündung des Urteils gekannt habe, keine Konsequenz gezogen. Diese Beurteilung sei nicht nur rechtlich unerheblich und in tatsächlicher Hinsicht falsch, sondern auch zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung ungeeignet.

70 Die Rüge, daß das Gericht in zusammenhängenden Sachen nicht am selben Tag seine Urteile verkündet habe, betrifft das mit dem Urteil DSM/Kommission abgeschlossene Hauptsacheverfahren und nicht das Wiederaufnahmeverfahren, das zu dem mit dem vorliegenden Rechtsmittel angefochtenen Beschluß geführt hat.

71 Soweit mit dieser Rüge aber die Feststellung des Gerichts beanstandet wird, daß die Rechtsmittelführerin die zur Begründung des Wiederaufnahmeantrags angeführten Tatsachen vor der Verkündung des Urteils in dem Verfahren gekannt habe, dessen Wiederaufnahme beantragt wurde, bezieht sie sich auf Tatsachenfragen und ist daher im Rechtsmittelverfahren nicht zulässig.

72 Somit ist der neunte Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

Zum zehnten Rechtsmittelgrund: Verletzung des Gemeinschaftsrechts, weil das Gericht nicht beachtet habe, daß jede Rüge bezueglich der Inexistenz eines Rechtsakts eines Gemeinschaftsorgans zum Ordre public gehöre

73 Die Rechtsmittelführerin macht geltend, das Gericht habe das Gemeinschaftsrecht verletzt, weil es nicht beachtet habe, daß jede Rüge bezueglich der Inexistenz eines Rechtsakts der Gemeinschaftsorgane zum Ordre public gehöre, daß die Parteien sie ohne Bindung an eine Frist vorbringen könnten und daß das Gemeinschaftsgericht sie von Amts wegen zu prüfen habe. Im PVC-Urteil habe das Gericht die Ansicht vertreten, daß eine Rüge bezueglich der Inexistenz eines Rechtsakts der Gemeinschaftsorgane zum Ordre public gehöre, daß die Parteien sie ohne Fristbindung im Laufe des Verfahrens erheben könnten und daß das Gemeinschaftsgericht sie von Amts wegen zu prüfen habe. Der Kläger könne diese Rüge daher in jedem Verfahrensstadium und damit auch nach der Verkündung des Urteils ohne Bindung an eine Frist vorbringen, und das Gericht habe sie in der Sache zu prüfen. Soweit es dazu einer Beweisaufnahme bedürfe, habe das Gericht sie vorzunehmen.

74 Es brauchen weder die im PVC-Urteil zugrunde gelegte Auslegung des Begriffes der Inexistenz noch die Voraussetzungen geprüft zu werden, unter denen die Inexistenz eines Rechtsakts im Rahmen eines Rechtsstreits wegen Nichtigerklärung festgestellt werden kann. Es genügt festzustellen, daß das Gericht im angefochtenen Beschluß nur über die Zulässigkeit des Antrags auf Wiederaufnahme des mit dem Urteil DSM/Kommission abgeschlossenen Verfahrens zu entscheiden hatte und in diesem Rahmen nicht über die Polypropylen-Entscheidung befinden musste.

75 Der zehnte Rechtsmittelgrund ist zurückzuweisen.

76 Da nach alledem keiner der angeführten Rechtsmittelgründe durchgreift, ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

77 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung, der nach Artikel 118 auf das Rechtsmittelverfahren anwendbar ist, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Rechtsmittelführerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsmittelführerin trägt die Kosten.

Ende der Entscheidung

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