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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 08.07.2004
Aktenzeichen: C-502/01
Rechtsgebiete: EG-Vertrag, Verordnung (EWG) Nr. 1408/71


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 17
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 8. Juli 2004. - Silke Gaumain-Cerri gegen Kaufmännische Krankenkasse - Pflegekasse und Maria Barth gegen Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Sozialgericht Hannover und Sozialgericht Aachen - Deutschland. - Soziale Sicherheit - Freizügigkeit der Arbeitnehmer - EG-Vertrag - Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 - Leistungen zur Deckung des Risikos der Pflegebedürftigkeit - Übernahme der Rentenversicherungsbeiträge des eine pflegebedürftige Person pflegenden Dritten durch die Pflegeversicherung. - Verbundene Rechtssachen C-502/01 und C-31/02.

Parteien:

In den verbundenen Rechtssachen C-502/01 und C-31/02

betreffend dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Sozialgericht Hannover (Deutschland) (C-502/01) und vom Sozialgericht Aachen (Deutschland) (C-31/02) in den bei diesen anhängigen Rechtsstreitigkeiten

Silke Gaumain-Cerri

gegen

Kaufmännische Krankenkasse - Pflegekasse,

Beigeladene:

Bundesversicherungsanstalt für Angestellte,

Maria Barth

gegen

Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz,

Beigeladene:

PAX Familienfürsorge Krankenversicherung,

Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung,

vorgelegte Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Bestimmungen des EG-Vertrags und des abgeleiteten Rechts über die Freizügigkeit der Unionsbürger und insbesondere der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter J.-P. Puissochet (Berichterstatter) und R. Schintgen sowie der Richterinnen F. Macken und N. Colneric,

Generalanwalt: A. Tizzano,

Kanzler: R. Grass,

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der Kaufmännischen Krankenkasse-Pflegekasse, vertreten durch K. Böttcher als Bevollmächtigten,

- der deutschen Regierung, vertreten durch C.-D. Quassowski und M. Lumma als Bevollmächtigte (C-31/02),

- der griechischen Regierung, vertreten durch D. Kalogiros und G. Alexaki als Bevollmächtigte (C-31/02),

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H. Michard und H. Kreppel als Bevollmächtigte,

aufgrund des Berichts des Berichterstatters,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom

2. Dezember 2003,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Mit Beschlüssen vom 12. Dezember 2001 und vom 18. Januar 2002, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Dezember 2001 (C-502/01) und am 4. Februar 2002 (C-31/02), haben das Sozialgericht Hannover und das Sozialgericht Aachen gemäß Artikel 234 EG Fragen nach der Auslegung des EG-Vertrags und des abgeleiteten Rechts über die Freizügigkeit der Unionsbürger und insbesondere der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2. Diese Fragen stellen sich in Rechtsstreitigkeiten zwischen Frau Gaumain-Cerri und der Kaufmännischen Krankenkasse - Pflegekasse (im Folgenden: Pflegekasse bei der KKH) und zwischen Frau Barth und der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz über Bescheide dieser beiden Stellen, mit denen die Tragung von Rentenversicherungsbeiträgen abgelehnt wurde, auf die die Klägerinnen als Dritte, die eine pflegebedürftige Person betreuten, die Leistungen aus der deutschen Pflegeversicherung (im Folgenden: Pflegeversicherung) erhalte, Anspruch erheben.

Nationale Rechtsvorschriften

3. Die Pflegeversicherung wurde in Deutschland mit Wirkung vom 1. Januar 1995 durch das Pflegeversicherungsgesetz eingeführt, das das Elfte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB) bildet. Sie soll die Kosten decken, die durch die Pflegebedürftigkeit der Versicherten, d. h. durch das dauerhafte Bedürfnis verursacht werden, sich in großem Umfang der Hilfe Dritter zu bedienen, um die Verrichtungen des täglichen Lebens (u. a. Körperpflege, Ernährung, Mobilität, Führung des Haushalts) zu erledigen.

4. Sämtliche Personen, die in der Krankenversicherung pflichtversichert oder freiwillig versichert sind, haben Beiträge zur Pflegeversicherung zu entrichten.

5. Die Pflegeversicherung eröffnet zunächst Anspruch auf Leistungen zur Deckung der Kosten, die durch von Dritten im Haus des Pflegebedürftigen geleistete Pflege entstehen. Diese Leistungen der häuslichen Pflege, deren Umfang vom Grad der Pflegebedürftigkeit der betreffenden Person abhängt, können nach Wahl des Begünstigten in Form der Pflege durch zugelassene Dienste oder in Form einer monatlichen Beihilfe, des Pflegegeldes, erbracht werden, was es dem Begünstigten ermöglicht, die Form der Hilfe zu wählen, die seines Erachtens seinem Zustand am angemessensten ist.

6. Die Pflegeversicherung eröffnet ferner Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Pflege des Versicherten in Wohnheimen oder Pflegeeinrichtungen, auf Leistungen für urlaubsbedingte Kosten der Vertretung des Dritten, der den Pflegebedürftigen gewöhnlich pflegt, sowie auf Leistungen und Entschädigungen zur Deckung verschiedener durch die Pflegebedürftigkeit des Versicherten verursachter Kosten, etwa für Kauf und Anbringung von Pflegehilfsmitteln oder für Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfelds.

7. Schließlich trägt die Pflegeversicherung unter bestimmten Umständen die Beiträge zur Renten-, Invaliditäts- und Unfallversicherung des Dritten, der den Versicherten pflegt.

8. Um diese Tragung der Beiträge zur Rentenversicherung geht es in den beiden Ausgangsverfahren.

Die Ausgangsverfahren und die Vorlagefragen

9. Frau Gaumain-Cerri, eine deutsche Staatsangehörige, und ihr Ehemann, der französischer Staatsangehöriger ist, wohnen in Frankreich und arbeiten als Grenzgänger in Teilzeitbeschäftigung bei einem in Deutschland ansässigen Unternehmen. Aus diesem Grund sind sie in Deutschland pflegeversichert. Ihr Sohn, der mit ihnen zusammen wohnt, ist behindert und erhält als anspruchsberechtigter Angehöriger seiner Eltern Leistungen der Pflegeversicherung, insbesondere Pflegegeld. Die Eltern nehmen selbst zu Hause ehrenamtlich die Aufgabe eines einen Pflegebedürftigen pflegenden Dritten wahr. Die Pflegekasse bei der KKH, die in dieser Rechtssache der das Risiko der Pflegebedürftigkeit versichernde Träger ist, weigert sich, die Rentenversicherungsbeiträge von Frau Gaumain-Cerri und ihrem Ehemann aufgrund von deren Pflegetätigkeit für eine pflegebedürftige Person zu tragen, weil sie nicht in Deutschland wohnten. Aus den einschlägigen Bestimmungen des SGB ergebe sich, dass sie, da sie diese Tätigkeit nicht erwerbsmäßig ausübten und keinen Wohnsitz in Deutschland hätten, weder versicherungspflichtig seien noch einen Anspruch auf die gesetzliche Rentenversicherung hätten. Da es an der Erwerbsmäßigkeit der in Rede stehenden Tätigkeit fehle, seien sie auch keine Arbeitnehmer, die sich auf die Verordnung Nr. 1408/71 berufen könnten.

10. Frau Barth, ebenfalls deutsche Staatsangehörige, wohnt in Belgien in der Nähe der deutschen Grenze und pflegt in Deutschland einen Beamten im Ruhestand. Von diesem erhält sie ein monatliches Entgelt in Höhe von etwa 400 Euro. Nach den einschlägigen Bestimmungen des SGB gilt die Pflegetätigkeit von Frau Barth ebenfalls als nicht erwerbsmäßige Tätigkeit. Frau Barth steht in keinem sonstigen Beschäftigungsverhältnis. Die pflegebedürftige Person, die sie betreut, erhält Leistungen der Pflegeversicherung von zwei Stellen, dem Landesamt für Besoldung und Versorgung Nordrhein-Westfalen als dem Basis-Sozialversicherungsträger der Beamten im Ruhestand und der PAX Familienfürsorge Krankenversicherung (im Folgenden: PAX) als Träger einer zusätzlichen Versicherung aufgrund eines privaten Vertrages, dessen Abschluss obligatorisch ist und der kraft Gesetzes Bedingungen unterliegt, die den für den Basisversicherungsträger geltenden entsprechen. Aus ähnlichen, auf ihrem Wohnsitz außerhalb Deutschlands beruhenden Gründen wie bei Frau Gaumain-Cerri veranlasste die Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz, dass die Zahlung der Beiträge, die Frau Barth den Erwerb von Rentenanwartschaften ermöglichen würden, eingestellt wurde; diese Zahlungen waren bis dahin von der PAX und dem Landesamt geleistet worden.

11. Frau Gaumain-Cerri und Frau Barth erhoben Klage vor dem Sozialgericht Hannover und dem Sozialgericht Aachen gegen die sie betreffenden ablehnenden Bescheide und fordern aufgrund ihrer Pflegetätigkeiten bei einem Pflegebedürftigen die Tragung der Rentenversicherungsbeiträge durch die Pflegeversicherung.

12. Das Sozialgericht Hannover hat daraufhin das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Können und gegebenenfalls unter welchen Umständen können die Begriffe Leistung bei Krankheit bzw. Leistung im Alter im Sinne des Artikels 1 der Verordnung Nr. 1408/71 Leistungen eines Versicherungsträgers an einen anderen Versicherungsträger umfassen, wenn der Versicherte davon nur einen abstrakten mittelbaren Vorteil hat (Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen durch die Pflegekasse für eine ehrenamtlich tätige Person)?

2. Folgt aus einem primär- oder sekundärrechtlichen Diskriminierungsverbot, dass eine unter 1. beschriebene Leistung unabhängig davon zu gewähren ist, ob die leistungsbegründende Tätigkeit im In- oder im EU-Ausland erbracht wird und wo der Versicherte oder der unmittelbar Begünstigte seinen Wohnsitz hat?

13. Das Sozialgericht Aachen hat das Verfahren ebenfalls ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Sind die Vorschriften der Verordnung Nr. 1408/71 auch auf das deutsche Pflegeversicherungssystem anwendbar, wenn die Absicherung gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit gemäß § 23 in Verbindung mit § 110 Sozialgesetzbuch - soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) (ggf. teilweise) auf dem Abschluss eines privaten Pflegeversicherungsvertrags beruht?

2. Handelt es sich bei den gemäß § 44 SGB XI in Verbindung mit § 3 Satz 1 Nr. 1a in Verbindung mit § 166 Absatz 2 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) von den Trägern der Pflegeversicherung für nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen zur gesetzlichen Rentenversicherung zu entrichtenden Beiträgen um eine Leistung bei Krankheit im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71? Falls ja: Kann eine derartige Leistung auch für Pflegepersonen erbracht werden, die im Land des zuständigen Trägers pflegen, jedoch in einem anderen Mitgliedstaat wohnen?

3. Sind Pflegepersonen im Sinne des § 19 SGB XI Arbeitnehmer im Sinne des Artikels 39 EG? Falls ja: Ist es deshalb untersagt, ihnen die Leistung Beitragszahlung zur Rentenversicherung zu versagen, weil sie nicht im Gebiet des zuständigen Staates wohnen oder dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben?

Zu den Vorlagefragen

Zulässigkeit

14. Die deutsche Regierung führt aus, dass die vom Sozialgericht Aachen gestellten Fragen nicht erheblich seien. Frau Barth habe bereits nach nationalem Recht einen Anspruch auf Zahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung, da die Pflegetätigkeit in Deutschland ausgeübt werde. Auf ihren Wohnsitz komme es nicht an, und ihrer Klage hätte stattgegeben werden müssen.

15. Wie der Gerichtshof wiederholt hervorgehoben hat, ist das in Artikel 234 EG vorgesehene Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen ihm und den nationalen Gerichten, in dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts geben kann, die sie zur Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten benötigen. Dagegen ist der Gerichtshof nicht dafür zuständig, im Rahmen dieses Verfahrens das interne Recht eines Mitgliedstaats auszulegen, und von Ausnahmefällen abgesehen ist es Aufgabe des nationalen Gerichts, das allein über eine unmittelbare Kenntnis des Sachverhalts und des Parteivorbringens verfügt und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, in voller Sachkenntnis die Erheblichkeit der in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit aufgeworfenen Rechtsfragen und die Notwendigkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils zu beurteilen (vgl. u. a. Urteil vom 14. Februar 1980 in der Rechtssache 53/79, Damiani, Slg. 1980, 273, Randnr. 5). Der Kontext der vom Sozialgericht Aachen vorgelegten Fragen stellt keinen Ausnahmefall dar, der es rechtfertigen würde, diese Fragen nicht zu prüfen.

Begründetheit

16. Die von den beiden vorlegenden Gerichten gestellten Fragen betreffen im Wesentlichen zwei Aspekte.

17. Erstens fragen diese Gerichte danach, ob eine Leistung wie die Tragung der Rentenversicherungsbeiträge des Dritten, der für einen Pflegebedürftigen unter den Umständen der Ausgangsverfahren Leistungen der häuslichen Pflege erbringt, durch den das Risiko der Pflegebedürftigkeit versichernden Träger eine Leistung bei Krankheit oder eine Leistung im Alter im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 darstellt. Das Sozialgericht Aachen fragt zudem, ob der Umstand, dass diese Leistung von einem privaten Träger erbracht wird, der unter den für die PAX geltenden Bedingungen gegenüber der von Frau Barth betreuten Person tätig wird, Einfluss auf die Antwort hat (jeweils erste Frage des Sozialgerichts Hannover und des Sozialgerichts Aachen und erster Teil der zweiten Frage des Sozialgerichts Aachen).

18. Zweitens fragen die vorlegenden Gerichte danach, ob der Vertrag, insbesondere Artikel 39 EG, die Verordnung Nr. 1408/71 oder sonstige Vorschriften des abgeleiteten Rechts dem entgegenstehen, dass diese Leistung mit der Begründung verweigert wird, dass - je nach Umständen der Ausgangsverfahren - der Pflegebedürftige oder der pflegende Dritte seinen Wohnsitz außerhalb des zuständigen Staates hat, d. h. des Staates des Trägers, bei dem der Pflegebedürftige gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit versichert ist (zweite Frage des Sozialgerichts Hannover sowie zweiter Teil der zweiten Frage und dritte Frage des Sozialgerichts Aachen).

Zur Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 auf die Tragung der Rentenversicherungsbeiträge für einen Dritten, der einen Pflegebedürftigen unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren pflegt

19. Im Urteil vom 5. März 1998 in der Rechtssache C-160/96 (Molenaar, Slg. 1998, I-843), das auf eine Vorlagefrage erging, die sich in einem Rechtsstreit über die Weigerung stellte, das Pflegegeld an Pflegeversicherungspflichtige zu zahlen, weil diese ihren Wohnsitz nicht in Deutschland hatten, führte der Gerichtshof aus:

22 [Es] ergibt sich aus den Akten, dass die Leistungen der Pflegeversicherung die Selbständigkeit der Pflegebedürftigen, namentlich in finanzieller Hinsicht, fördern sollen. Die Pflegeversicherung soll insbesondere Vorbeugung und Rehabilitation gegenüber der Pflege fördern und der häuslichen Pflege den Vorzug vor der Pflege im Heim geben.

23 Die Pflegeversicherung eröffnet Anspruch auf Übernahme sämtlicher oder eines Teils bestimmter durch die Pflegebedürftigkeit des Versicherten verursachter Kosten, etwa für die häusliche oder stationäre Pflege, für den Kauf von Pflegehilfsmitteln, für Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes sowie auf Zahlung eines monatlichen Pflegegeldes, mit dem der Versicherte die Pflege in der von ihm selbst gewählten Weise sicherstellen, beispielsweise Pflegepersonen entlohnen kann. Die Pflegeversicherung gewährleistet ferner unter bestimmten Umständen den Pflegepersonen eine Absicherung der Risiken von Unfall, Alter und Invalidität.

24 Leistungen dieser Art bezwecken somit im Wesentlichen eine Ergänzung der Leistungen der Krankenversicherung, mit der sie auch organisatorisch verknüpft sind, um den Gesundheitszustand und die Lebensbedingungen der Pflegebedürftigen zu verbessern.

25 Sie sind daher ungeachtet gewisser Besonderheiten Leistungen bei Krankheit im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung 1408/71.

20. Aus dieser Entscheidung ergibt sich, dass die Leistungen zur Absicherung des Risikos des Alters eines Dritten, der eine pflegebedürftige Person pflegt, wie die von der Pflegeversicherung vorgesehenen Leistungen im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 ebenfalls Leistungen bei Krankheit zugunsten des Pflegebedürftigen darstellen. Im vorliegenden Verfahren ist kein besonderer Umstand ersichtlich, der dazu Anlass gäbe, diese Beurteilung zu überprüfen.

21. Insbesondere der Umstand, dass dem Dritten, der den Pflegebedürftigen betreut, eine solche Leistung persönlich zugute kommt, wie dies die PAX hervorhebt, ändert nichts daran, dass die Person, deren Pflegebedürftigkeit die Gewährung sämtlicher Pflegegeldleistungen rechtfertigt, auf diese Weise in den Genuss einer Regelung kommt, die ihr helfen soll, unter möglichst günstigen Bedingungen die Pflege zu bekommen, die ihr Zustand erfordert. Aus diesem Grund gehört diese Leistung somit zum Zweig der Krankenversicherung. Die gleiche Feststellung trifft im Übrigen auf das Pflegegeld im eigentlichen Sinne zu, wenn es ganz oder teilweise dafür verwendet wird, die Person zu entlohnen, die den Pflegebedürftigen betreut, wie es bei Frau Barth der Fall ist.

22. Auch wenn die Pflegeversicherung mitunter ganz oder teilweise von einem privaten Versicherer auf der Grundlage eines privaten Vertrages erbracht wird, ist sie dadurch nicht dem Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 entzogen, da sich der Abschluss eines derartigen Vertrages unmittelbar aus der Anwendung der in Rede stehenden sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften ergibt. Entgegen der von der griechischen Regierung in ihren Erklärungen vor dem Gerichtshof geäußerten Annahme folgt die fragliche Verpflichtung nicht aus tarifvertraglichen Rechtsvorschriften im Sinne von Artikel 1 Buchstabe j zweiter Absatz der Verordnung Nr. 1408/71, die grundsätzlich vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgeschlossen sind.

23. Daher ist auf die erste Gruppe von Vorlagefragen, wie sie in Randnummer 17 dieses Urteils zusammengefasst ist, zu antworten, dass eine Leistung wie die Tragung der Rentenversicherungsbeiträge des Dritten, der unter den Umständen der Ausgangsverfahren für einen Pflegebedürftigen Leistungen der häuslichen Pflege erbringt, durch den Träger der Pflegeversicherung eine Leistung bei Krankheit zugunsten des Pflegebedürftigen darstellt, die von der Verordnung Nr. 1408/71 erfasst wird.

Zu der Frage, ob die Tragung der Rentenversicherungsbeiträge des Dritten, der einen Pflegebedürftigen betreut, mit der Begründung verweigert werden kann, dass eine dieser Personen ihren Wohnsitz im Gebiet eines anderen als des zuständigen Mitgliedstaats hat

24. Vorab ist zu prüfen, ob in einem Fall wie dem von Frau Gaumain-Cerri, in dem der Wohnsitzstaat des Pflegebedürftigen nicht der zuständige Staat ist, die Tragung der Rentenversicherungsbeiträge des Dritten, der den Pflegebedürftigen betreut, nach den Rechtsvorschriften des Wohnsitzstaats des Pflegebedürftigen oder nach denen des zuständigen Staates erfolgen muss.

25. In dieser Hinsicht hat der Gerichtshof im Urteil Molenaar geprüft, ob die verschiedenen Leistungen der Pflegeversicherung Sachleistungen oder Geldleistungen bei Krankheit darstellten. Nach den Artikeln 19 und 20 der Verordnung Nr. 1408/71, die im Bereich der Versicherung der Arbeitnehmer oder Selbständigen und ihrer Familienangehörigen bei Krankheit und Mutterschaft Situationen betreffen, in denen die Betroffenen, etwa als Grenzgänger, ihren Wohnsitz in einem anderen als dem zuständigen Staat haben, kann die Antwort auf die Frage, welche Rechtsvorschriften anwendbar sind, davon abhängen, ob Leistungen Sachleistungen oder Geldleistungen sind.

26. Im Urteil Molenaar hat der Gerichtshof entschieden:

31 Bereits im Urteil vom 30. Juni 1966 in der Rechtssache 61/65 (Vaassen-Göbbels, Slg. 1966, 583, besonders 607) hat der Gerichtshof in Bezug auf die Verordnung (EWG) Nr. 3 des Rates vom 25. September 1958 über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer (ABl. 1958, Nr. 30, S. 561), die Vorläuferin der Verordnung Nr. 1408/71, in der dieselben Begriffe verwendet wurden, ausgeführt, dass der Begriff Sachleistungen auch solche Leistungen einschließt, die durch Zahlung des verpflichteten Trägers, insbesondere in der Form der Kostenübernahme oder erstattung, erbracht werden, und dass der Begriff Geldleistungen im Wesentlichen die Leistungen deckt, die dazu bestimmt sind, den Verdienstausfall des kranken Arbeitnehmers auszugleichen.

32 Wie... oben... ausgeführt, bestehen die Leistungen der Pflegeversicherung zum Teil in der Übernahme oder Erstattung der durch die Pflegebedürftigkeit des Betroffenen entstandenen Kosten, insbesondere der durch diesen Zustand verursachten Kosten für ärztliche Behandlung. Solche Leistungen, die die häusliche oder stationäre Pflege des Versicherten, den Kauf von Pflegehilfsmitteln und bestimmte Maßnahmen decken sollen, fallen unbestreitbar unter den Begriff Sachleistungen in [Artikel] 19 Absatz 1 Buchstabe a... der Verordnung Nr. 1408/71.

33 Demgegenüber soll zwar auch das Pflegegeld bestimmte Kosten decken, die durch die Pflegebedürftigkeit verursacht worden sind, insbesondere Aufwendungen für eine Pflegeperson, und nicht einen Verdienstausfall des Begünstigten ausgleichen. Gleichwohl weist es aber Merkmale auf, die es von den Sachleistungen der Krankenversicherung unterscheiden.

34 Erstens erfolgt die Zahlung des Pflegegeldes periodisch; sie hängt weder davon ab, dass zuvor bestimmte Auslagen, etwa für Pflege, entstanden sind, noch gar davon, dass Nachweise über entstandene Auslagen vorgelegt werden. Zweitens handelt es sich beim Pflegegeld um einen festen Betrag, der von den Ausgaben unabhängig ist, die der Begünstigte tatsächlich bestritten hat, um für seinen täglichen Lebensunterhalt aufzukommen. Drittens verfügt der Begünstigte bei der Verwendung des Pflegegeldes über weitgehende Freiheit. Insbesondere kann das Pflegegeld, wie die deutsche Regierung selbst angegeben hat, vom Begünstigten dazu verwendet werden, einen Angehörigen seiner Familie oder seiner Umgebung, der ihn unentgeltlich pflegt, zu belohnen.

35 Das Pflegegeld stellt sich somit als eine finanzielle Unterstützung dar, die es ermöglicht, den Lebensstandard der Pflegebedürftigen insgesamt durch einen Ausgleich der durch ihren Zustand verursachten Mehrkosten zu verbessern.

36 Daher zählt eine Leistung wie das Pflegegeld zu den in [Artikel] 19 Absatz 1 Buchstabe b... der Verordnung Nr. 1408/71 genannten Geldleistungen der Krankenversicherung.

27. Die Tragung der Rentenversicherungsbeiträge des Dritten, von dem sich ein Pflegebedürftiger Leistungen der häuslichen Pflege erbringen lässt, muss selbst auch als Geldleistung der Krankenversicherung qualifiziert werden, da sie in dem Sinne zum eigentlichen Pflegegeld akzessorisch ist, als sie dieses unmittelbar für eine seiner möglichen Verwendungen vervollständigt, nämlich die Inanspruchnahme der von einem Dritten geleisteten häuslichen Pflege, die sie erleichtern soll.

28. Aus Artikel 19 Absatz 1 Buchstabe b und Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 ergibt sich, dass Familienangehörige eines Arbeitnehmers, die im Gebiet eines anderen als des zuständigen Mitgliedstaats wohnen, in ihrem Wohnsitzstaat Geldleistungen der Krankenversicherung in Anspruch nehmen können müssen, die sie vom zuständigen Träger des anderen Mitgliedstaats nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften erhalten, sofern sie nicht aufgrund der Rechtsvorschriften des Staates, in dessen Gebiet sie wohnen, Anspruch auf diese Leistungen haben. Daher ist die Tragung der Rentenversicherungsbeiträge des Dritten, der einen Pflegebedürftigen betreut, welcher in Frankreich wohnt und Familienangehöriger eines in der deutschen Pflegeversicherung versicherten Arbeitnehmers ist, vom zuständigen deutschen Träger nach den deutschen Rechtsvorschriften über die Pflegeversicherung so sicherzustellen, wie wenn der Pflegebedürftige in Deutschland wohnte, es sei denn, dieser hat nach den französischen Rechtsvorschriften Anspruch auf eine gleichwertige Leistung.

29. Aus den Akten geht nicht hervor, dass die Pflegekasse bei der KKH im ersten Ausgangsverfahren behauptet hätte, dass die französischen Rechtsvorschriften die Tragung der Rentenversicherungsbeiträge für Frau Gaumain-Cerri ermöglichten, weil diese ihren pflegebedürftigen Sohn betreut. Besteht eine solche Möglichkeit nicht, sind daher die Rechtsvorschriften des zuständigen Staates, im vorliegenden Fall Deutschlands, unter den in der vorstehenden Randnummer in Erinnerung gerufenen Voraussetzungen anwendbar.

30. In einem Fall wie dem des von Frau Barth betreuten Pflegebedürftigen sind unstreitig die Rechtsvorschriften des zuständigen Staates anwendbar, im vorliegenden Fall diejenigen Deutschlands, wo dieser Pflegebedürftige seinen Wohnsitz hat.

31. Es bleibt somit in einem Fall, in dem die Rechtsvorschriften des zuständigen Staates Anwendung finden, zu prüfen, ob der zuständige Träger die Gewährung einer besonderen Leistung der Pflegeversicherung, nämlich die Tragung der Rentenversicherungsbeiträge des den Pflegebedürftigen betreuenden Dritten, verweigern kann, weil dieser Dritte nicht im Gebiet des zuständigen Mitgliedstaats wohnt.

32. Dies ist jedenfalls in Fällen wie denen der Ausgangsverfahren zu verneinen, ohne dass es erforderlich ist, sich zur Arbeitnehmereigenschaft der betreffenden Dritten im Sinne des Artikels 39 EG oder der Verordnung Nr. 1408/71 zu äußern, wie dies einige Beteiligte, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, getan haben.

33. Unstreitig besitzen nämlich diese Dritten in den Ausgangsverfahren die durch Artikel 17 EG verliehene Unionsbürgerschaft.

34. Der Unionsbürgerstatus gibt denjenigen Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, die sich in der gleichen Situation befinden, im Geltungsbereich des EG-Vertrags vorbehaltlich der hiervon ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen Anspruch auf gleiche rechtliche Behandlung (vgl. u. a. Urteil vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C-224/98, D'Hoop, Slg. 2002, I-6191, Randnr. 28).

35. In Fällen wie denen der Ausgangsverfahren führt die Weigerung, die Rentenversicherungsbeiträge eines Dritten zu tragen, der eine pflegebedürftige Person betreut, allein mit der Begründung, dass er nicht im Gebiet des zuständigen Staates wohne, dessen Rechtsvorschriften Anwendung finden, dazu, dass Personen, die sich in der gleichen Situation befinden, nämlich solche, die Begünstigte der Pflegeversicherung, die unter diese Rechtsvorschriften fallen, im Sinne der Rechtsvorschriften des zuständigen Staates nicht erwerbsmäßig pflegen, unterschiedlich behandelt werden. In einem solchen Zusammenhang erscheint - unter Berücksichtigung des Zweckes der von Dritten ausgeübten Pflegetätigkeit - das Kriterium des Wohnsitzes dieser Dritten nämlich nicht als eine Gegebenheit, die objektiv eine unterschiedliche Situation begründet und eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigt, sondern als eine Ungleichbehandlung vergleichbarer Situationen, die eine vom Gemeinschaftsrecht verbotene Diskriminierung darstellt.

36. Daher ist auf die zweite Gruppe von Vorlagefragen, wie sie in Randnummer 18 dieses Urteils zusammengefasst ist, wie folgt zu antworten: Was Leistungen wie die der deutschen Pflegeversicherung angeht, die unter den Umständen der Ausgangsverfahren einem Versicherten mit Wohnsitz im Gebiet des zuständigen Staates oder einer Person mit Wohnsitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats, die als Familienangehöriger eines Arbeitnehmers dieser Versicherung angeschlossen ist, erbracht werden, stehen der Vertrag, insbesondere Artikel 17 EG, und die Verordnung Nr. 1408/71 dem entgegen, dass die Tragung der Rentenversicherungsbeiträge eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der die Aufgabe des pflegenden Dritten gegenüber dem durch diese Leistungen Begünstigten wahrnimmt, vom zuständigen Träger mit der Begründung verweigert wird, dass dieser Dritte oder der Begünstigte in einem anderen als dem zuständigen Staat wohnt.

Kostenentscheidung:

Kosten

37. Die Auslagen der deutschen und der griechischen Regierung sowie der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Gerichte.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

auf die ihm vom Sozialgericht Hannover mit Beschluss vom 12. Dezember 2001 und vom Sozialgericht Aachen mit Beschluss vom 18. Januar 2002 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Eine Leistung wie die Tragung der Rentenversicherungsbeiträge des Dritten, der unter den Umständen der Ausgangsverfahren für einen Pflegebedürftigen Leistungen der häuslichen Pflege erbringt, durch den Träger der Pflegeversicherung stellt eine Leistung bei Krankheit zugunsten des Pflegebedürftigen dar, die von der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung erfasst wird.

2. Was Leistungen wie die der deutschen Pflegeversicherung angeht, die unter den Umständen der Ausgangsverfahren einem Versicherten mit Wohnsitz im Gebiet des zuständigen Staates oder einer Person mit Wohnsitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats, die als Familienangehöriger eines Arbeitnehmers dieser Versicherung angeschlossen ist, erbracht werden, stehen der Vertrag, insbesondere Artikel 17 EG, und die Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung dem entgegen, dass die Tragung der Rentenversicherungsbeiträge eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der die Aufgabe des pflegenden Dritten gegenüber dem durch diese Leistungen Begünstigten wahrnimmt, vom zuständigen Träger mit der Begründung verweigert wird, dass dieser Dritte oder der Begünstigte in einem anderen als dem zuständigen Staat wohnt.

Ende der Entscheidung

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