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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 16.02.2006
Aktenzeichen: C-502/04
Rechtsgebiete: Beschluss Nr. 1/80, Assoziation EWG-Türkei


Vorschriften:

Beschluss Nr. 1/80 Art. 7 Abs. 2
Assoziation EWG-Türkei
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)

16. Februar 2006

"Assoziation EWG-Türkei - Freizügigkeit der Arbeitnehmer - Artikel 7 Absatz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates - Volljähriges Kind eines türkischen Arbeitnehmers, das im Aufnahmemitgliedstaat eine Berufsausbildung abgeschlossen hat - Strafrechtliche Verurteilung - Auswirkung auf das Aufenthaltsrecht"

Parteien:

In der Rechtssache C-502/04

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 3. August 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Dezember 2004, in dem Verfahren

Ergün Torun

gegen

Stadt Augsburg ,

Beteiligte:

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht ,

Landesanwaltschaft Bayern ,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, des Richters R. Schintgen (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter G. Arestis und J. Klucka,

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- des E. Torun, vertreten durch Rechtsanwalt K. Lehner,

- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Schulze-Bahr als Bevollmächtigte,

- der slowakischen Regierung, vertreten durch R. Procházka als Bevollmächtigten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch G. Rozet und B. Martenczuk als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 7 Absatz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: Beschluss Nr. 1/80). Der Assoziationsrat wurde durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichtet, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnet und durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde.

2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem türkischen Staatsangehörigen Torun und der Stadt Augsburg wegen eines Verfahrens zur Ausweisung aus Deutschland.

Rechtlicher Rahmen

3. Artikel 6 Absätze 1 und 2 des Beschlusses Nr. 1/80 lautet:

"(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat

- nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

- nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaats eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;

- nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche."

4. Artikel 7 des Beschlusses Nr. 1/80 bestimmt:

"Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,

- haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;

- haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.

Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war."

5. Artikel 14 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 lautet:

"Dieser Abschnitt gilt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind."

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

6. Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich, dass der türkische Staatsangehörige Torun am 13. April 1976 in Deutschland geboren wurde, wo er auch stets gewohnt hat. Seit Mai 1992 besitzt er für diesen Mitgliedstaat eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

7. Herr Torun, der seit seiner Geburt in Deutschland gelebt hat und Sohn eines türkischen Arbeitnehmers ist, der seit 1972 in diesem Mitgliedstaat rechtmäßig beschäftigt war, absolvierte nach dem Besuch der Grund- und Hauptschule vom 1. September 1991 bis 28. Februar 1995 eine Berufsausbildung als Industriemechaniker, die er erfolgreich mit der Gesellenprüfung abschloss.

8. Nach Abschluss seiner Berufsausbildung arbeitete Herr Torun bis Ende 1996 meist für zwei bis drei Monate bei wechselnden Unternehmen. Zwischen diesen Beschäftigungen war er arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe. Seit Anfang 1997 war er heroinabhängig sowie arbeitslos und Empfänger von Arbeitslosenhilfe, deren Bewilligung jedoch rückwirkend zum 23. Februar 1998 aufgehoben wurde, weil er sich nicht zu einem Vorstellungsgespräch bei einer Zeitarbeitsfirma eingefunden hatte, bei der ihm eine Stelle als Mechaniker angeboten worden war.

9. Herr Torun, der im Oktober 1997 erstmals strafrechtlich verurteilt worden war, wurde - nach seiner Festnahme im Mai 1998 - im März 1999 wegen schweren Raubes und unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt.

10. Mit Bescheid vom 2. September 1999 wies die Stadt Augsburg Herrn Torun aus Deutschland aus und drohte seine Abschiebung an. Nachdem die Regierung von Schwaben seinen Widerspruch zurückgewiesen hatte, erhob Herr Torun beim Verwaltungsgericht Augsburg gegen die Ausweisung Klage, die mit Urteil vom 10. Oktober 2000 abgewiesen wurde.

11. Gegen dieses Urteil legte Herr Torun beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Berufung ein, die dieser mit Urteil vom 7. August 2002 zurückwies.

12. Auch wenn das vorlegende Gericht der Auffassung ist, dass die Ausweisung dem nationalen Recht entspreche, wonach ein Ausländer ausgewiesen werde, wenn er rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren oder wegen einer Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, so äußert es doch Zweifel an der Vereinbarkeit der Ausweisung mit dem Beschluss Nr. 1/80.

13. Unter diesen Umständen hat das Bundesverwaltungsgericht, das von Herrn Torun mit der Revision angerufen wurde, beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Verliert das volljährige Kind eines in der Bundesrepublik Deutschland seit mehr als drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigten türkischen Arbeitnehmers, das eine Berufsausbildung als Industriemechaniker mit der Gesellenprüfung abgeschlossen hat, sein aus dem Recht nach Artikel 7 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 ... (ARB 1/80), sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, abgeleitetes Aufenthaltsrecht - außer in den Fällen des Artikels 14 ARB 1/80 und bei Verlassen des Aufnahmemitgliedstaates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe - auch dann, wenn es

a) wegen schweren Raubes und Betäubungsmitteldelikten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden ist, diese Strafe - auch im Nachhinein - nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist und es die gesamte Strafe unter Anrechnung erlittener Untersuchungshaft verbüßt hat,

b) selbst einer Beschäftigung als Arbeitnehmer im regulären Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland nachgegangen ist und dadurch in eigener Person ein aus dem Recht auf Zugang zur Beschäftigung abgeleitetes Aufenthaltsrecht nach Artikel 6 Absatz 1 zweiter oder dritter Spiegelstrich ARB 1/80 erworben und später wieder verloren hat?

Ist ein solcher Verlust dadurch eingetreten, dass es

aa. eine ihm vom Arbeitsamt angebotene Beschäftigung - hier: nach mehr als einjähriger Arbeitslosigkeit - nicht angenommen hat,

bb. wegen schweren Raubes und Betäubungsmitteldelikten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden ist, diese Strafe - auch im Nachhinein - nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, die gesamte Strafe unter Anrechnung erlittener Untersuchungshaft verbüßt und während dieser Zeit dem regulären Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden, aber einen Monat nach seiner Haftentlassung erneut eine Beschäftigung gefunden hat, ohne dabei über ein innerstaatliches Aufenthaltsrecht zu verfügen?

2. Für den Fall, dass die Frage 1 zu bejahen ist: Verliert ein türkischer Staatsangehöriger das aus dem Recht auf Zugang zur Beschäftigung nach Artikel 6 Absatz 1 zweiter oder dritter Spiegelstrich ARB 1/80 abgeleitete Aufenthaltsrecht unter den oben unter Frage 1 b genannten Voraussetzungen?

Zu den Vorlagefragen

14. Vorab ist festzustellen, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens nach Auffassung des vorlegenden Gerichts alle Voraussetzungen des Artikels 7 Absatz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 erfüllt und mit der ihm durch diese Bestimmung verliehenen Rechtsposition danach auch ein Aufenthaltsrecht erworben hat.

15. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Vorlagebeschluss, dass die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 14 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 im vorliegenden Fall unstreitig nicht vorliegen.

Zur ersten Frage

16. Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, unter welchen Umständen ein türkischer Staatsangehöriger wie Herr Torun, der im Aufnahmemitgliedstaat nach Artikel 7 Absatz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 das Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis hat, dieses Recht verlieren kann.

17. Um diese Frage zu beantworten, ist zunächst daran zu erinnern, dass nach dem System des Beschlusses Nr. 1/80 dessen Kapitel II Abschnitt 1, der u. a. die Artikel 6, 7 und 14 enthält, insbesondere die Rechte der türkischen Staatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat auf dem Gebiet der Beschäftigung regelt. Dabei wird zwischen der Situation türkischer Arbeitnehmer, die im betreffenden Mitgliedstaat eine bestimmte Zeit ordnungsgemäß beschäftigt waren (Artikel 6), und der Situation der im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats anwesenden Familienangehörigen dieser Arbeitnehmer (Artikel 7) unterschieden.

18. Hinsichtlich der zweiten Personengruppe unterscheidet der Beschluss Nr. 1/80 zwischen den Familienangehörigen, die die Genehmigung erhalten haben, zum Arbeitnehmer in den Aufnahmemitgliedstaat zu ziehen, und die dort für eine gewisse Zeit ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz gehabt haben (Artikel 7 Absatz 1), und den Kindern eines solchen Arbeitnehmers, die im betreffenden Mitgliedstaat eine Berufsausbildung abgeschlossen haben (Artikel 7 Absatz 2) (vgl. Urteil vom 19. November 1998 in der Rechtssache C-210/97, Akman, Slg. 1998, I-7519, Randnr. 21).

19. Was im Einzelnen Artikel 7 Absatz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 angeht, auf den sich die erste Frage des vorlegenden Gerichts bezieht, so ist erstens festzustellen, dass diese Bestimmung, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, ebenso wie Artikel 6 Absatz 1 (vgl. Urteil vom 20. September 1990 in der Rechtssache C-192/89, Sevince, Slg. 1990, I-3461, Randnr. 26) und Artikel 7 Absatz 1 (vgl. Urteil vom 17. April 1997 in der Rechtssache C-351/95, Kadiman, Slg. 1997, I-2133, Randnr. 28) in den Mitgliedstaaten unmittelbare Wirkung hat, so dass sich die türkischen Staatsangehörigen, die die Voraussetzungen dieser Bestimmung erfüllen, unmittelbar auf die ihnen dadurch verliehenen Rechte berufen können (Urteile vom 5. Oktober 1994 in der Rechtssache C-355/93, Eroglu, Slg. 1994, I-5113, Randnr. 17, und Akman, Randnr. 23).

20. Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass die Rechte, die Artikel 7 Absatz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 dem Kind eines türkischen Arbeitnehmers hinsichtlich der Beschäftigung in dem betreffenden Mitgliedstaat verleiht, zwangsläufig die Existenz eines entsprechenden Aufenthaltsrechts des Betroffenen voraussetzen, da dem Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt und auf tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung sonst jede Wirkung genommen würde (Urteile Eroglu, Randnrn. 20 und 23, und Akman, Randnr. 24).

21. Drittens ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung die Rechte, die Artikel 7 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 den Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers, die die Voraussetzungen dieses Absatzes erfüllen, zuerkennt, nur nach Maßgabe des Artikels 14 Absatz 1 des Beschlusses beschränkt werden können, d. h. aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit oder aufgrund des Umstands, dass der Betroffene das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat (Urteile vom 16. März 2000 in der Rechtssache C-329/97, Ergat, Slg. 2000, I-1487, Randnrn. 45, 46 und 48, vom 11. November 2004 in der Rechtssache C-467/02, Cetinkaya, Slg. 2004, I-10895, Randnrn. 36 und 38, sowie vom 7. Juli 2005 in der Rechtssache C-373/03, Aydinli, Slg. 2005, I-0000, Randnr. 27).

22. Viertens ist festzustellen, dass die in Artikel 7 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 aufgestellten Voraussetzungen strenger sind als die, die nach Absatz 2 des Artikels nur zugunsten der Kinder eines türkischen Arbeitnehmers gelten, die im Aufnahmemitgliedstaat eine Berufsausbildung abgeschlossen haben (Urteil Akman, Randnr. 35).

23. Wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt, stellt Artikel 7 Absatz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 eine gegenüber Absatz 1 des Artikels günstigere Bestimmung dar, die unter den Familienangehörigen der türkischen Arbeitnehmer die Kinder besonders behandeln wollte, indem sie ihnen den Eintritt in den Arbeitsmarkt nach Abschluss einer Berufsausbildung zu erleichtern sucht, damit die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gemäß dem Zweck dieses Beschlusses schrittweise verwirklicht wird (Urteil Akman, Randnr. 38).

24. Daraus folgt, dass Absatz 2 dieses Artikels nicht restriktiver ausgelegt werden kann als Absatz 1 und dass die Rechte, die er den türkischen Staatsangehörigen verleiht, die den Tatbestand dieses Absatzes 2 erfüllen, daher umso weniger unter anderen Voraussetzungen als denen, die im Rahmen des Absatzes 1 des Artikels anwendbar sind, eingeschränkt werden können.

25. Folglich kann es nur zwei Arten von Beschränkungen der durch Artikel 7 Absatz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 verliehenen Rechte geben, nämlich entweder stellt die Anwesenheit des türkischen Wanderarbeitnehmers im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche und schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit im Sinne von Artikel 14 Absatz 1 des Beschlusses dar, oder der Betroffene hat das Hoheitsgebiet dieses Staates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen (vgl. entsprechend Urteile Cetinkaya, Randnr. 36, und Aydinli, Randnr. 27).

26. Daher können entgegen der von der deutschen Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen vertretenen Auffassung die durch Artikel 7 Absatz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 verliehenen Rechte nicht unter den gleichen Umständen beschränkt werden wie die durch Artikel 6 des Beschlusses verliehenen. Der türkische Staatsangehörige, dem solche Rechte zuerkannt worden sind, kann dieser Rechte also weder deshalb verlustig gehen, weil er wegen einer strafrechtlichen Verurteilung zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe keine Beschäftigung ausgeübt hat, noch aufgrund der Tatsache, dass er das Aufenthaltsrecht verloren hat, das aus dem zuvor nach Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses erworbenen Recht auf Beschäftigung abgeleitet wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil Aydinli, Randnr. 31).

27. Schließlich ist festzustellen, dass Artikel 7 Absatz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 nicht dahin ausgelegt werden kann, dass er nur für die Situation eines Minderjährigen gilt, der das Kind eines dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers ist, nicht aber für die eines Volljährigen, der das Kind eines solchen Arbeitnehmers ist.

28. Zunächst trifft Artikel 7 in Absatz 2 keine solche Unterscheidung. Sodann würde dieser Absatz durch eine derartige Auslegung einen großen Teil seiner Substanz verlieren. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass Artikel 7 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 auch für die Situation eines Volljährigen gilt, der das Kind eines dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Cetinkaya, Randnr. 34, und Aydinli, Randnrn. 22 und 23), und dass nach dem mit diesem Beschluss eingeführten System Absatz 2 des Artikels 7 nicht restriktiver ausgelegt werden kann als Absatz 1 des Artikels (vgl. Randnrn. 22 bis 24 des vorliegenden Urteils).

29. Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass das volljährige Kind eines in einem Mitgliedstaat seit mehr als drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigten türkischen Wanderarbeitnehmers, das in diesem Staat eine Berufsausbildung abgeschlossen hat und die Voraussetzungen des Artikels 7 Absatz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 erfüllt, das aus dem Recht nach dieser Bestimmung, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, abgeleitete Aufenthaltsrecht nur in den Fällen des Artikels 14 Absatz 1 dieses Beschlusses oder dann verliert, wenn es das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlässt.

Zur zweiten Frage

30. Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich, dass die zweite Frage nur für den Fall vorgelegt wird, dass die erste Frage zu bejahen ist.

31. In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage braucht die zweite Frage daher nicht beantwortet zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

32. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Das volljährige Kind eines in einem Mitgliedstaat seit mehr als drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigten türkischen Wanderarbeitnehmers, das in diesem Staat eine Berufsausbildung abgeschlossen hat und die Voraussetzungen des Artikels 7 Absatz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation erfüllt, der von dem durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten Assoziationsrat erlassen wurde, verliert das aus dem Recht nach dieser Bestimmung, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, abgeleitete Aufenthaltsrecht nur in den Fällen des Artikels 14 Absatz 1 dieses Beschlusses oder dann, wenn es das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlässt.



Ende der Entscheidung

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