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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 14.10.2008
Aktenzeichen: C-518/07
Rechtsgebiete: Richtlinie 95/46


Vorschriften:

Richtlinie 95/46 Art. 28 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

BESCHLUSS DES PRÄSIDENTEN DES GERICHTSHOFS

14. Oktober 2008

"Streithilfe"

Parteien:

In der Rechtssache C-518/07

betreffend eine Vertragsverletzungsklage gemäß Art. 226 EG, eingereicht am 22. November 2007,

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch C. Docksey, C. Ladenburger und H. Krämer als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch M. Lumma und J. Möller als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTSHOFS

aufgrund des Vorschlags des Berichterstatters K. Schiemann,

nach Anhörung des Generalanwalts J. Mazák

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

1 Mit ihrer Klageschrift beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtung aus Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 95/46 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281, S. 31), die völlige Unabhängigkeit der mit der Überwachung der Anwendung der zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften beauftragten Stellen nach Landesrecht staatlicher Aufsicht unterwirft, soweit sie nicht-öffentliche Stellen überwachen.

2 Mit Antragsschrift vom 11. März 2008 hat der Europäische Datenschutzbeauftragte (im Folgenden: Datenschutzbeauftragter) beantragt, in der vorliegenden Rechtssache als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden.

3 Dieser Antrag ist auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr (ABl. 2001, L 8, S. 1) gestellt worden, die aufgrund von Art. 286 Abs. 2 EG zur Errichtung der Stelle des Datenschutzbeauftragten erlassen wurde. Art. 47 Abs. 1 Buchst. i dieser Verordnung bestimmt unter der Überschrift "Befugnisse", dass der Datenschutzbeauftragte "beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anhängigen Verfahren beitreten" kann.

Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

4 Der Datenschutzbeauftragte macht geltend, dass der Gerichtshof in früheren Beschlüssen das Recht des Datenschutzbeauftragten anerkannt habe, als Streithelfer in beim Gerichtshof anhängigen Rechtssachen zugelassen zu werden. Er verweist dazu auf die Beschlüsse vom 17. März 2005, Parlament/Rat (C-317/04, Slg. 2005, I-2457), und Parlament/Kommission (C-318/04, Slg. 2005, I-2467).

5 In den Rechtssachen, in denen diese Beschlüsse ergangen seien, habe der Gerichtshof den Datenschutzbeauftragten als Streithelfer zugelassen, obwohl dieses Recht nicht auf Art. 40 der Satzung des Gerichtshofs gestützt werden könne. Der Gerichtshof habe Art. 47 Abs. 1 Buchst. i der Verordnung Nr. 45/2001 als eine hinreichende Rechtsgrundlage angesehen. Aus diesen Beschlüssen ergebe sich auch, dass das Recht des Datenschutzbeauftragten, als Streithelfer zugelassen zu werden, dort seine Grenzen finde, wo die ihm übertragene Aufgabe ende.

6 Die von der Klage der Kommission erfasste Vorschrift der Richtlinie 95/46 sei eine der Grundlagen des Schutzes persönlicher Daten innerhalb der Europäischen Union; die Unabhängigkeit der Kontrollstellen sei ein wesentlicher Bestandteil dieses Schutzes.

7 Die Kommission vertritt die Ansicht, der Datenschutzbeauftragte könne auf der Grundlage des Art. 47 Abs. 1 Buchst. i der Verordnung Nr. 45/2001 in einem Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 226 EG, das sich auf die Verletzung einer Verpflichtung aus der Richtlinie 95/46 beziehe, nicht als Streithelfer zugelassen werden.

8 In jeder Verfahrenskonstellation sei zu prüfen, ob eine Zulassung des Datenschutzbeauftragten als Streithelfer geeignet sei, die praktische Wirksamkeit des Art. 286 Abs. 2 zu gewährleisten. Dies sei bei einem wegen Verletzung einer Verpflichtung aus der Richtlinie 95/46 eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren nicht der Fall, da Art. 286 EG den Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft betreffe, während die Maßnahmen, die von einem wegen Verletzung einer Verpflichtung aus der Richtlinie 95/46 eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren erfasst würden, sich notwendigerweise auf die Verarbeitung solcher Daten durch die öffentlichen Organe der Mitgliedstaaten oder durch private Einrichtungen bezögen.

9 Darüber hinaus habe eine Einbeziehung des Datenschutzbeauftragten in Vertragsverletzungsverfahren zur Folge, dass das im EG-Vertrag geregelte institutionelle Gleichgewicht gefährdet werde. Die Kommission müsse über einen weiten Ermessensspielraum in Bezug auf die Zweckmäßigkeit der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens und die Argumentation, die sie sich zu eigen machen wolle, verfügen. Wenn sich die Aufgabe des Datenschutzbeauftragten in gleicher Weise auf die Tätigkeit der Kommission bei der Einleitung und dem Ablauf von Vertragsverletzungsverfahren bezöge, würde diese Aufgabe zwangsläufig auch das vorprozessuale Verfahren und die Ausübung des Ermessens der Kommission in Bezug auf die Erhebung einer Klage erfassen. Ein solches Ergebnis stünde jedoch in Widerspruch zu der Funktion des Vertragsverletzungsverfahrens.

10 Ergänzend trägt die Kommission vor, dass die von den Mitgliedstaaten im Rahmen der Richtlinie 95/46 ergriffenen Maßnahmen gemäß Art. 28 dieser Richtlinie ausschließlich in die Zuständigkeit der mit dem Schutz personenbezogener Daten beauftragten nationalen Stellen fielen. Im Umkehrschluss könne daher angenommen werden, dass die beratende Aufgabe des Datenschutzbeauftragten sich nicht auf derartige Maßnahmen erstrecke.

11 Die Bundesrepublik Deutschland hat darauf verzichtet, Erklärungen zu dem Antrag auf Zulassung als Streithelfer abzugeben.

Zu dem Antrag auf Zulassung als Streithelfer

12 Vorab ist festzustellen, dass unabhängig von der Art der jeweiligen Klage der Gegenstand des Rechtsstreits als solcher, der zu der Klage geführt hat, das Recht des Datenschutzbeauftragten auf Zulassung als Streithelfer begründen muss.

13 Die von der Kommission geäußerte Befürchtung, dass eine Zulassung des Datenschutzbeauftragten als Streithelfer in einem Vertragsverletzungsverfahren das Funktionieren des in Art. 226 EG geregelten Verfahrens beeinträchtigen würde, ist im Übrigen im vorliegenden Fall grundlos, da es im Rahmen des hier gestellten Antrags allein um die Frage geht, ob der Datenschutzbeauftragte einem Verfahren als Streithelfer beitreten darf, sobald dieses beim Gerichtshof anhängig ist.

14 Gegenstand des Rechtsstreits ist die Auslegung des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 95/46, der in Bezug auf die öffentlichen Stellen, die von den Mitgliedstaaten damit beauftragt werden, die Anwendung der zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften in ihrem Hoheitsgebiet zu überwachen, Folgendes vorsieht:

"Diese Stellen nehmen die ihnen zugewiesenen Aufgaben in völliger Unabhängigkeit wahr."

15 Die Kommission hat in diesem Zusammenhang auf Art. 44 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 45/2001 hingewiesen, in dem es unter der Überschrift "Unabhängigkeit" heißt:

"(1) Der ... Datenschutzbeauftragte übt sein Amt in völliger Unabhängigkeit aus.

(2) Der ... Datenschutzbeauftragte ersucht in Ausübung seines Amtes niemanden um Weisung und nimmt keine Weisungen entgegen."

16 Die Kommission macht dazu geltend, dass der Rechtsbegriff "völlige Unabhängigkeit" in der Verordnung Nr. 45/2001 und in der Richtlinie 95/46 in der gleichen Weise auszulegen sei.

17 Nach Art. 41 Abs. 2 der Verordnung Nr. 45/2001 besteht die Aufgabe des Datenschutzbeauftragten aber u. a. in der Überwachung und der Durchsetzung der Anwendung der Bestimmungen dieser Verordnung sowie in der Beratung der Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und der betroffenen Personen in allen die Verarbeitung personenbezogener Daten betreffenden Angelegenheiten.

18 Unter diesen Voraussetzungen kann die Definition des Rechtsbegriffs "völlige Unabhängigkeit", die in dem in der vorliegenden Rechtssache zu erlassenden Urteil festgelegt wird, von grundlegender Bedeutung für die Stellung des Datenschutzbeauftragten gegenüber den Gemeinschaftsorganen und damit für dessen Fähigkeit zur Durchsetzung der Anwendung der Verordnung Nr. 45/2001 auf die Verarbeitung personenbezogener Daten durch ein Organ oder eine Einrichtung der Gemeinschaft und zur unabhängigen Beratung dieser Organe und Einrichtungen sein.

19 Nach alledem ist dem Antrag des Datenschutzbeauftragten auf Zulassung als Streithelfer stattzugeben.

Kostenentscheidung:

Kosten

20 Da dem Antrag des Datenschutzbeauftragten auf Zulassung als Streithelfer stattgegeben wird, bleibt die Entscheidung über die Kosten dieser Streithilfe vorbehalten.

Tenor:

Aus diesen Gründen beschließt der Präsident des Gerichtshofs:

1. Der Europäische Datenschutzbeauftragte wird in der Rechtssache C-518/07 als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zugelassen.

2. Dem Europäischen Datenschutzbeauftragten wird eine Frist zur schriftlichen Begründung seiner Anträge gesetzt.

3. Dem Europäischen Datenschutzbeauftragten werden durch die Kanzlei Abschriften aller Verfahrensschriftstücke übermittelt.

4. Die Entscheidung über die Kosten bleibt vorbehalten.

Ende der Entscheidung

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