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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.10.2005
Aktenzeichen: C-522/03
Rechtsgebiete: Brüsseler Übereinkommen vom 27.09.1968


Vorschriften:

Brüsseler Übereinkommen vom 27. September 1968 Art. 27 Nummer 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Parteien:

In der Rechtssache C-522/03

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach dem Protokoll vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof, eingereicht vom Oberlandesgericht München (Deutschland) mit Entscheidung vom 31. Oktober 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Dezember 2003, in dem Verfahren

Scania Finance France SA

gegen

Rockinger Spezialfabrik für Anhängerkupplungen GmbH Co.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann (Berichterstatter) sowie der Richter K. Schiemann, K. Lenaerts, E. Juhász und M. Ilešic,

Generalanwalt: L. A. Geelhoed,

Kanzler: R. Grass,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der Scania Finance France SA, vertreten durch Rechtsanwalt W. Hildmann,

- der Rockinger Spezialfabrik für Anhängerkupplungen GmbH Co., vertreten durch Rechtsanwalt A. Vigier,

- der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch R. Wagner als Bevollmächtigten,

- der Französischen Republik, vertreten durch A. Bodard-Hermant, A. L. Hare und G. de Bergues als Bevollmächtigte,

- der Republik Österreich, vertreten durch E. Riedl als Bevollmächtigten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A.-M. Rouchaud-Joët und S. Grünheid als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. März 2005

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 27 Nummer 2 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der durch das Übereinkommen vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. L 304, S. 1 und - geänderte Fassung - S. 77), das Übereinkommen vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland (ABl. L 388, S. 1), das Übereinkommen vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik (ABl. L 285, S. 1) und das Übereinkommen vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden (ABl. 1997, C 15, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen oder EuGVÜ) und Artikel IV des Protokolls zum EuGVÜ.

2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits der Scania Finance France SA (im Folgenden: Scania) mit Sitz in Angers (Frankreich) gegen die Rockinger Spezialfabrik für Anhängerkupplungen GmbH Co. (im Folgenden: Rockinger) mit Sitz in München (Deutschland) wegen der Vollstreckung eines Urteils der Cour d'appel Amiens (Frankreich), mit dem Rockinger zur Zahlung von 615 566,72 FRF an Scania verurteilt wurde, in Deutschland.

Rechtlicher Rahmen

Das Brüsseler Übereinkommen

3. Artikel 20 EuGVÜ, der zu Titel II - Zuständigkeit - gehört, bestimmt:

"Lässt sich der Beklagte, der seinen Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat und der vor den Gerichten eines anderen Vertragsstaats verklagt wird, auf das Verfahren nicht ein, so hat sich das Gericht von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn seine Zuständigkeit nicht aufgrund der Bestimmungen dieses Übereinkommens begründet ist.

Das Gericht hat die Entscheidung so lange auszusetzen, bis festgestellt ist, dass es dem Beklagten möglich war, das den Rechtsstreit einleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück so rechtzeitig zu empfangen, dass er sich verteidigen konnte oder dass alle hierzu erforderlichen Maßnahmen getroffen worden sind.

An die Stelle des vorstehenden Absatzes tritt Artikel 15 des Haager Übereinkommens vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen, wenn das den Rechtsstreit einleitende Schriftstück gemäß dem erwähnten Übereinkommen zu übermitteln war."

4. Artikel 26 Absatz 1 EuGVÜ, der sich in Titel III - Anerkennung und Vollstreckung - befindet, lautet:

"Die in einem Vertragsstaat ergangenen Entscheidungen werden in den anderen Vertragsstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf."

5. Nach Artikel 27 Nummer 2 EuGVÜ werden jedoch die in einem Vertragsstaat ergangenen Entscheidungen nicht in den anderen Vertragsstaaten anerkannt, "wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das dieses Verfahren einleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht ordnungsmäßig und nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte".

6. Artikel IV des dem Brüsseler Übereinkommen beigefügten Protokolls, das nach Artikel 65 EuGVÜ Bestandteil des Übereinkommens ist (im Folgenden: Protokoll), sieht vor:

"Gerichtliche und außergerichtliche Schriftstücke, die in einem Vertragsstaat ausgefertigt sind und einer in dem Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaats befindlichen Person zugestellt werden sollen, werden nach den zwischen den Vertragsstaaten geltenden Übereinkommen oder Vereinbarungen übermittelt.

Sofern der Staat, in dessen Hoheitsgebiet die Zustellung bewirkt werden soll, nicht durch eine Erklärung, die an den Generalsekretär des Rates der Europäischen Gemeinschaften zu richten ist, widersprochen hat, können diese Schriftstücke auch von den gerichtlichen Amtspersonen des Staates, in dem sie angefertigt worden sind, unmittelbar den gerichtlichen Amtspersonen des Staates übersandt werden, in dessen Hoheitsgebiet sich die Person befindet, für welche das Schriftstück bestimmt ist. In diesem Fall übersendet die gerichtliche Amtsperson des Ursprungsstaats eine Abschrift des Schriftstücks der gerichtlichen Amtsperson des Bestimmungslands, die für die Übermittlung an den Empfänger zuständig ist. Diese Übermittlung wird in den Formen vorgenommen, die das Recht des Bestimmungslands vorsieht. Sie wird durch ein Zeugnis festgestellt, das der gerichtlichen Amtsperson des Ursprungsstaats unmittelbar zugesandt wird."

Das Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen (im Folgenden: Haager Übereinkommen)

7. Nach seinem Artikel 1 ist das Haager Übereinkommen in Zivil- oder Handelssachen in allen Fällen anzuwenden, in denen ein gerichtliches oder außergerichtliches Schriftstück zum Zweck der Zustellung in das Ausland zu übermitteln ist.

8. Artikel 15 des Haager Übereinkommens bestimmt:

"War zur Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens eine Ladung oder ein entsprechendes Schriftstück nach diesem Übereinkommen zum Zweck der Zustellung in das Ausland zu übermitteln und hat sich der Beklagte nicht auf das Verfahren eingelassen, so hat der Richter das Verfahren auszusetzen, bis festgestellt ist,

a) dass das Schriftstück in einer der Formen zugestellt worden ist, die das Recht des ersuchten Staates für die Zustellung der in seinem Hoheitsgebiet ausgestellten Schriftstücke an dort befindliche Personen vorschreibt, oder

b) dass das Schriftstück entweder dem Beklagten selbst oder aber in seiner Wohnung nach einem anderen in diesem Übereinkommen vorgesehenen Verfahren übergeben worden ist

und dass in jedem dieser Fälle das Schriftstück so rechtzeitig zugestellt oder übergeben worden ist, dass der Beklagte sich hätte verteidigen können.

..."

Die nationale Regelung

9. Nach französischem Recht wird ein Schriftstück, das für eine Person mit Wohnsitz im Ausland bestimmt ist, gemäß Artikel 684 des neuen Code de procédure civile (Zivilprozessordnung) an die Staatsanwaltschaft zugestellt. Die Zustellung wird nach Artikel 685 der Zivilprozessordnung dadurch bewirkt, dass ein Gerichtsvollzieher zwei Kopien des Schriftstücks bei der französischen Staatsanwaltschaft niederlegt. Diese versieht das Original mit einem Sichtvermerk und leitet die Kopien des Schriftstücks an das Justizministerium zum Zweck der Übermittlung weiter. Nach Artikel 686 der Zivilprozessordnung muss der Gerichtsvollzieher am selben Tag oder spätestens am ersten darauf folgenden Werktag eine beglaubigte Kopie des Schriftstücks mittels eingeschriebenen Briefes an den Empfänger übersenden. Gemäß Artikel 683 der Zivilprozessordnung schließen diese Bestimmungen die Anwendung von Verträgen, die andere Zustellungsverfahren vorsehen, nicht aus.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

10. Scania erhob gegen Rockinger Klage beim Tribunal de commerce Amiens. Die Zustellung der Klageschrift erfolgte durch Niederlegung bei der Staatsanwaltschaft.

11. Ein deutscher Rechtspfleger wurde beauftragt, die Klageschrift Rockinger zu übergeben. Die Annahme wurde jedoch u. a. mit der Begründung verweigert, dass das Schriftstück nicht ins Deutsche übersetzt sei. Rockinger wurde die Klageschrift dann auf dem Postweg wiederum ohne Übersetzung übersandt.

12. Mit Versäumnisurteil vom 8. September 2000 verurteilte die Cour d'appel Amiens Rockinger zur Zahlung von 615 566,72 FRF an Scania.

13. Auf Antrag von Scania erteilte das Landgericht München I mit Beschluss vom 3. April 2002 die Vollstreckungsklausel für das Urteil der Cour d'appel Amiens. Das mit der hiergegen gerichteten Beschwerde von Rockinger befasste Oberlandesgericht München hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Artikel 27 Nummer 2 EuGVÜ in Verbindung mit Artikel IV Absatz 1 des Protokolls dahin auszulegen, dass eine Zustellung eines gerichtlichen Schriftstücks an einen Beklagten, der im Zeitpunkt der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks seinen Wohnsitz in einem anderen Vertragsstaat als dem Gerichtsstaat hat, nur nach den zwischen den Vertragsstaaten geltenden Übereinkommen durchzuführen ist?

2. Falls die Frage 1 verneint wird: Ist Artikel 12 EG dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die eine Zustellung eines gerichtlichen Schriftstücks an einen im Zeitpunkt der Zustellung in einem anderen Mitgliedstaat wohnenden Beklagten wie eine fiktive Inlandszustellung behandelt, indem der Gerichtsvollzieher des Gerichts das verfahrenseinleitende Schriftstück bei der Staatsanwaltschaft niederlegt und die Staatsanwaltschaft die Schriftstücke zur Übermittlung auf vertraglichem oder diplomatischem Weg weiterleitet und der Gerichtsvollzieher die ausländische Partei durch Einschreibebrief gegen Rückschein von der erfolgten Zustellung benachrichtigt?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Vorlagefrage

14. Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Artikel 27 Nummer 2 EuGVÜ und Artikel IV Absatz 1 des Protokolls dahin auszulegen sind, dass, sofern zwischen dem Urteilsstaat und dem Vollstreckungsstaat ein internationales Übereinkommen gilt, die Ordnungsgemäßheit der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks an einen Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, ausschließlich nach den Bestimmungen dieses Übereinkommens zu beurteilen ist, oder ob sie auch anhand des im Urteilsstaat geltenden nationalen Rechts bewertet werden kann, falls dessen Anwendung in dem betreffenden Übereinkommen nicht ausgeschlossen worden ist.

15. Zunächst ist festzustellen, dass das Brüsseler Übereinkommen zwar, wie aus seiner Präambel hervorgeht, die Vereinfachung der Förmlichkeiten für die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen sicherstellen soll, dass dieses Ziel aber nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht dadurch erreicht werden darf, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör in irgendeiner Weise beeinträchtigt wird (Urteile vom 11. Juni 1985 in der Rechtssache 49/84, Debaecker und Plouvier, Slg. 1985, 1779, Randnr. 10, vom 3. Juli 1990 in der Rechtssache C-305/88, Lancray, Slg. 1990, I-2725, Randnr. 21, und vom 28. März 2000 in der Rechtssache C-7/98, Krombach, Slg. 2000, I-1935, Randnr. 43).

16. In Anbetracht dessen soll mit Artikel 27 Nummer 2 EuGVÜ sichergestellt werden, dass eine Entscheidung nach den Bestimmungen dieses Übereinkommens weder anerkannt noch vollstreckt wird, wenn es dem Beklagten nicht möglich war, sich vor dem Gericht des Urteilsstaats zu verteidigen (Urteil vom 16. Juni 1981 in der Rechtssache 166/80, Klomps, Slg. 1981, 1593, Randnr. 9).

17. Zu diesem Zweck sieht Artikel 27 Nummer 2 EuGVÜ vor, dass die in einem anderen Vertragsstaat ergangenen Entscheidungen nicht anerkannt werden, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das dieses Verfahren einleitende Schriftstück nicht "ordnungsmäßig" und nicht "rechtzeitig" zugestellt worden ist.

18. Das Brüsseler Übereinkommen harmonisiert nicht die unterschiedlichen Systeme, die in den Mitgliedstaaten für die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke im Ausland gelten (Urteile vom 15. Juli 1982 in der Rechtssache 228/81, Pendy Plastic, Slg. 1982, 2723, Randnr. 13, und Lancray, Randnr. 28). Gemäß Artikel IV Absatz 1 des Protokolls werden jedoch gerichtliche Schriftstücke, die in einem Vertragsstaat ausgefertigt sind und in einem anderen Vertragsstaat zugestellt werden sollen, nach den zwischen den Vertragsstaaten geltenden Übereinkommen übermittelt.

19. Dem Wortlaut dieser Bestimmung ist zu entnehmen, dass die Ordnungsgemäßheit der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks für den Fall, dass zwischen dem Urteilsstaat und dem Vollstreckungsstaat ein Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke existiert, anhand der Vorschriften dieses Übereinkommens zu überprüfen ist.

20. Scania und die deutsche Regierung haben geltend gemacht, Artikel IV Absatz 1 des Protokolls sei dahin auszulegen, dass er auch auf alle Zustellungsformen verweise, die nach dem Recht der betroffenen Staaten vorgesehen seien, sofern sie nicht durch die zwischen diesen Staaten geltenden Übereinkommen ausgeschlossen seien.

21. Dieser Auslegung kann nicht gefolgt werden.

22. Artikel IV des Protokolls sieht nämlich in seinen beiden Absätzen zwei Methoden für die Übermittlung von Schriftstücken vor: die erste nach den Verfahren, die in den zwischen den Vertragsstaaten geltenden Übereinkommen niedergelegt sind, die zweite, wenn der Staat, in dem die Zustellung erfolgen soll, dieser Methode nicht offiziell widersprochen hat, unmittelbar zwischen gerichtlichen Amtspersonen. Die Worte "können ... auch" in Artikel IV Absatz 2 des Protokolls machen deutlich, dass diese beiden Übermittlungsmöglichkeiten in dem Sinne abschließend geregelt sind, dass die Übermittlung nur dann, wenn von keiner dieser beiden Möglichkeiten Gebrauch gemacht werden kann, nach dem Recht erfolgen kann, das vor dem Gericht des Ursprungsstaats anwendbar ist.

23. Dass Artikel IV des Protokolls eine abschließende Regelung enthält, wird dadurch bestätigt, dass mit dem Brüsseler Übereinkommen die Prüfung der Frage, ob das verfahrenseinleitende Schriftstück ordnungsgemäß zugestellt worden ist, in dem Bestreben, dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, einen wirksamen Schutz seiner Rechte zu gewährleisten, nicht nur - im Stadium der Anerkennung und Vollstreckung - dem Gericht des Staates, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, oder des Vollstreckungsstaats, sondern auch - im Stadium der Zuständigkeitsprüfung - dem Gericht des Urteilsstaats übertragen worden ist, das nach Artikel 20 EuGVÜ zu dieser Prüfung aufgerufen ist (Urteile Pendy Plastic, Randnr. 13, und Lancray, Randnr. 28).

24. Aus diesem Grund hat das Gericht nach Artikel 20 Absatz 2 EuGVÜ für den Fall, dass sich der Beklagte, der seinen Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat und der vor den Gerichten eines anderen Vertragsstaats verklagt wird, auf das Verfahren nicht einlässt, die Entscheidung so lange auszusetzen, bis festgestellt ist, dass es dem Beklagten möglich war, das den Rechtsstreit einleitende Schriftstück so rechtzeitig zu empfangen, dass er sich verteidigen konnte. Gemäß Artikel 20 Absatz 3 EuGVÜ tritt an die Stelle dieser Bestimmungen Artikel 15 des Haager Übereinkommens, wenn das den Rechtsstreit einleitende Schriftstück gemäß dem erwähnten Übereinkommen zu übermitteln war.

25. Ebenso wie in Artikel 20 Absatz 2 EuGVÜ ist in Artikel 15 des Haager Übereinkommens - allerdings erheblich ausführlicher und genauer - geregelt, unter welchen Voraussetzungen davon ausgegangen werden kann, dass ein den Rechtsstreit einleitendes Schriftstück dem im Ausland wohnhaften Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht einlässt, zugestellt oder übergeben worden ist (Urteil Pendy Plastic, Randnr. 12).

26. Da nach dem mit dem Brüsseler Übereinkommen geschaffenen System, wie die Kommission geltend gemacht hat, sowohl das Gericht des Urteilsstaats als auch das Gericht des Vollstreckungsstaats prüfen, ob das verfahrenseinleitende Schriftstück ordnungsgemäß zugestellt worden ist, ist es für die Funktionsfähigkeit dieses Systems unabdingbar, dass die betreffende Prüfung so weit wie möglich nach Maßgabe derselben Rechtsordnung erfolgt. Ist von der in Artikel IV Absatz 2 des Protokolls eröffneten Möglichkeit kein Gebrauch gemacht worden und gilt in den Beziehungen zwischen dem Urteilsstaat und dem Vollstreckungsstaat das Haager Übereinkommen, dann haben sowohl das Gericht des Urteilsstaats als auch das Gericht des Vollstreckungsstaats allein nach Artikel 15 des Haager Übereinkommens, auf den Artikel 20 Absatz 3 EuGVÜ verweist, zu beurteilen, ob das verfahrenseinleitende Schriftstück ordnungsgemäß zugestellt worden ist.

27. Im Ausgangsverfahren hat das vorlegende Gericht festgestellt, dass die Französische Republik und die Bundesrepublik Deutschland zum Zeitpunkt der fraglichen Zustellung Vertragsstaaten des Haager Übereinkommens waren.

28. Um als ordnungsgemäß im Sinne von Artikel 27 Nummer 2 EuGVÜ angesehen werden zu können, muss die betreffende Zustellung folglich nach den Regeln des Haager Übereinkommens durchgeführt worden sein.

29. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, für die Zwecke der Anerkennung und Vollstreckung der im Urteilsstaat ergangenen gerichtlichen Entscheidung zu prüfen, ob Artikel 15 des Haager Übereinkommens im Verfahren vor dem Gericht des Urteilsstaats in Bezug auf die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks an den Beklagten beachtet worden ist (Urteil Pendy Plastic, Randnrn. 13 und 14).

30. Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Artikel 27 Nummer 2 EuGVÜ in Verbindung mit Artikel IV Absatz 1 des Protokolls dahin auszulegen ist, dass, sofern zwischen dem Urteilsstaat und dem Vollstreckungsstaat ein internationales Übereinkommen gilt, die Ordnungsgemäßheit der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks an einen Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, ausschließlich nach den Bestimmungen dieses Übereinkommens zu beurteilen ist, es sei denn, es wird auf die Übermittlungsmethode der unmittelbaren Übersendung zwischen gerichtlichen Amtspersonen gemäß Artikel IV Absatz 2 des Protokolls zurückgegriffen und der Vollstreckungsstaat hat dieser Methode nicht offiziell widersprochen.

Zur zweiten Vorlagefrage

31. In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage braucht die zweite Frage nicht beantwortet zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

32. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Artikel 27 Nummer 2 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der durch das Übereinkommen vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, das Übereinkommen vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland, das Übereinkommen vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik und das Übereinkommen vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden geänderten Fassung in Verbindung mit Artikel IV Absatz 1 des diesem Übereinkommen beigefügten Protokolls ist dahin auszulegen, dass, sofern zwischen dem Urteilsstaat und dem Vollstreckungsstaat ein internationales Übereinkommen gilt, die Ordnungsgemäßheit der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks an einen Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, ausschließlich nach den Bestimmungen dieses Übereinkommens zu beurteilen ist, es sei denn, es wird auf die Übermittlungsmethode der unmittelbaren Übersendung zwischen gerichtlichen Amtspersonen gemäß Artikel IV Absatz 2 des Protokolls zurückgegriffen und der Vollstreckungsstaat hat dieser Methode nicht offiziell widersprochen.

Ende der Entscheidung

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