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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 16.10.2008
Aktenzeichen: C-527/06
Rechtsgebiete: EG


Vorschriften:

EG Art. 39
EG Art. 56
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

16. Oktober 2008

"Freizügigkeit der Arbeitnehmer - Artikel 39 EG - Steuerrecht - Einkommensteuer - Ermittlung der Besteuerungsgrundlage - Angehöriger eines Mitgliedstaats, der in diesem sein gesamtes oder nahezu sein gesamtes steuerpflichtiges Einkommen erzielt - Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat"

Parteien:

In der Rechtssache C-527/06

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) mit Entscheidung vom 22. Dezember 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Dezember 2006, in dem Verfahren

R. H. H. Renneberg

gegen

Staatssecretaris van Financiën

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas (Berichterstatter), der Richter A. Ó Caoimh, J. Klucka und U. Lõhmus sowie der Richterin P. Lindh,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. Mai 2008,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- von Herrn Renneberg,

- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster und M. de Grave als Bevollmächtigte,

- der schwedischen Regierung, vertreten durch K. Wistrand als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal, A. Weimar und W. Roels als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Juni 2008

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 39 EG und 56 EG.

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem niederländischen Staatsangehörigen R. H. H. Renneberg und dem Staatssecretaris van Financiën (Staatssekretär für Finanzen) über die Weigerung der Finanzverwaltung, Verluste aus Vermietung aus einer von Herrn Renneberg bewohnten, ihm gehörenden in Belgien belegenen Immobilie bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlage für die von ihm in den Niederlanden, wo er sein gesamtes Arbeitseinkommen erzielt, geschuldete Einkommensteuer zu berücksichtigen.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrechtliche Abkommen

3 Das Abkommen zwischen der Regierung des Königreichs der Niederlande und der Regierung des Königreichs Belgien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Einkommen- und Vermögensteuer und zur Regelung anderer steuerrechtlicher Fragen (Overeenkomst tussen de Regering van het Koninkrijk der Nederlanden en de Regering van het Koninkrijk België tot het vermijden van dubbele belasting op het gebied van belastingen naar het inkomen en naar het vermogen en tot vaststellen van enige andere regelen verband houdende met de belastingheffing), unterzeichnet am 19. Oktober 1970 (Tractatenblad 1970, Nr. 192, im Folgenden: Steuerabkommen), bestimmt in Art. 4 ("Steuerlicher Wohnsitz") § 1:

"Im Sinne dieses Abkommens bezeichnet der Ausdruck 'in einem der Staaten ansässige Person' eine Person, die nach dem Recht dieses Staates dort aufgrund ihres Wohnorts, ihres Aufenthaltsorts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist; ..."

4 Art. 6 § 1 des Steuerabkommens sieht vor:

"Einkünfte aus Immobilien sind in dem Staat zu versteuern, in dem sie belegen sind."

5 Art. 19 § 1 Abs. 1 des Steuerabkommens lautet:

"Die Gehälter, einschließlich der Ruhegehälter, die einer der Staaten oder eine seiner politischen Untereinheiten entweder unmittelbar oder durch Entnahmen aus den von ihnen gebildeten Fonds einer natürlichen Person für Dienste zahlt, die diesem Staat oder dieser politischen Untereinheit erbracht wurden, sind in dem genannten Staat steuerpflichtig."

6 Art. 24 § 1 Nrn. 1 und 2 des Steuerabkommens bestimmt:

"Für in den Niederlanden ansässige Personen wird die Doppelbesteuerung wie folgt vermieden,

1. [Das Königreich der] Niederlande [kann] bei der Besteuerung gebietsansässiger Personen die Einkommens- und Vermögensbestandteile, die nach diesem Abkommen in Belgien zu versteuern sind, in die Besteuerungsgrundlage einbeziehen;

2. [Das Königreich der] Niederlande [gewährt] vorbehaltlich der Anwendung der Vorschriften über den Verlustausgleich, die in der internen Regelung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung enthalten sind, eine Minderung des nach Nr. 1 berechneten Steuerbetrags. Diese Minderung erfolgt in Höhe des Steueranteils, der dem Verhältnis zwischen dem Einkommens- oder Vermögensbetrag, der in der Besteuerungsgrundlage im Sinne von Nr. 1 enthalten ist und u. a. gemäß Art. 6 des Abkommens in Belgien zu versteuern ist, und dem Gesamteinkommens- oder Gesamtvermögensbetrag, der die Besteuerungsgrundlage im Sinne von Nr. 1 bildet, entspricht."

7 Art. 25 ("Nichtdiskriminierung") des Steuerabkommens bestimmt in Abs. 3:

"Natürlichen Personen mit Wohnsitz in einem der beiden Staaten stehen im anderen Staat die persönlichen Abzüge, Freibeträge und Minderungen zu, die dieser Staat seinen eigenen Einwohnern wegen ihrer persönlichen Lage oder Belastungen gewährt."

Nationales Recht

8 Die Wet op de Inkomstenbelasting 1964 (Einkommensteuergesetz 1964) vom 16. Dezember 1964 (Staatsblad 1964, Nr. 519) in der zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung (im Folgenden: WIB) definiert in Art. 1 "nationale" Steuerpflichtige (im Folgenden: gebietsansässige Steuerpflichtige) als natürliche Personen, die in den Niederlanden ansässig sind, im Gegensatz zu "ausländischen" Steuerpflichtigen (im Folgenden: gebietsfremde Steuerpflichtige), als die natürliche Personen bezeichnet werden, die in diesem Mitgliedstaat Einkünfte erzielen, ohne dort ansässig zu sein.

9 Gebietsansässige Steuerpflichtige müssen alle Einkünfte versteuern, während gebietsfremde Steuerpflichtige nur ihre in den Niederlanden erzielten Einkünfte versteuern müssen.

10 Bei gebietsansässigen Steuerpflichtigen besteht die Besteuerungsgrundlage aus dem weltweiten Bruttoeinkommen, das um die abzugsfähigen Verluste gemindert wird (Art. 3 WIB). Zu diesem Einkommen zählen u. a. die Nettoeinkünfte aus Arbeit und Vermögen (Art. 4 Abs. 1 Buchst. c WIB), darunter auch der Vorteil, den der Steuerpflichtige erzielt, indem er in einer ihm gehörenden Wohnung wohnt.

11 Gemäß Art. 42a Abs. 1 WIB wird für diesen Vorteil ein Pauschalbetrag angesetzt und bleiben andere Vorteile sowie Kosten, Belastungen und Abschreibungen, die keine Schuldzinsen und Darlehenskosten oder regelmäßig wiederkehrende Zahlungen aufgrund von Erbpacht- oder Erbbaurechten sind, außer Betracht.

12 Ergibt die Berechnung der Nettoeinkünfte einen negativen Betrag, wird nach Art. 4 Abs. 2 WIB das steuerpflichtige Bruttoeinkommen um diesen negativen Betrag gemindert.

13 Es steht fest, dass das Zusammenwirken dieser Bestimmungen bei einem gebietsansässigen Steuerpflichtigen dazu führt, dass Zinszahlungen auf eine Verbindlichkeit, die zur Finanzierung einer Eigentumswohnung eingegangen wurde, das Bruttoeinkommen und damit das steuerpflichtige Einkommen in voller Höhe mindern, auch soweit die Zinszahlungen den Vorteil übertreffen, den der Steuerpflichtige durch das Bewohnen der eigenen Wohnung erzielt.

14 Wie das vorlegende Gericht feststellt, kann bei einem gebietsansässigen Steuerpflichtigen, der ein negatives Einkommen aufgrund einer in Belgien belegenen Immobilie hat, dieser negative Einkommensbestandteil von dem in den Niederlanden steuerpflichtigen Einkommen in der Weise abgezogen werden, dass dieser Verlust in einem späteren Steuerjahr, in dem ein positives Einkommen aus dieser Immobilie erzielt wird, bei der Berechnung der Minderung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von diesem positiven Einkommen gemäß Art. 24 § 1 Nr. 2 des Steuerabkommens in Verbindung mit Art. 3 Abs. 4 des Besluit voorkoming dubbele belasting 1989 (Verordnung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung 1989) vom 21. Dezember 1989 (Staatsblad 1989, Nr. 594, im Folgenden: Verordnung von 1989) abgezogen wird.

Steuerliche Behandlung eines in Belgien ansässigen Steuerpflichtigen mit Arbeitseinkünften in den Niederlanden

15 Für die steuerliche Behandlung eines in Belgien ansässigen Steuerpflichtigen mit Arbeitseinkünften in den Niederlanden sind die WIB und das Steuerabkommen maßgeblich.

16 Nach Art. 48 WIB wird die Steuer bei gebietsfremden Steuerpflichtigen vom inländischen Einkommen erhoben, d. h., dem während des Kalenderjahrs erzielten Bruttoinlandseinkommen.

17 Nach Art. 49 Buchst. c WIB besteht das Bruttoinlandseinkommen u. a. aus dem Gesamtbetrag der Nettoeinkünfte, die eine nicht in den Niederlanden ansässige Person aus einer Arbeit, soweit diese in den Niederlanden ausgeübt wird oder wurde, oder aus in diesem Mitgliedstaat belegenen Immobilien bezieht.

18 Gemäß Art. 2 Abs. 2 WIB gilt ein niederländischer Staatsangehöriger, der nicht in den Niederlanden ansässig ist und bei einer niederländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts beschäftigt ist, grundsätzlich als in den Niederlanden ansässig. Nach den Ausführungen des Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) geht jedoch aus seinem Urteil Nr. 19180 vom 12. März 1980 (BNB, 1980/170) hervor, dass für Einkünfte, die das Steuerabkommen einer Besteuerung durch das Königreich Belgien zuweise, die Wohnortbestimmung des Art. 2 Abs. 2 WIB gegenüber den Bestimmungen des genannten Steuerabkommens zurücktrete.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

19 Herr Renneberg verlegte im Dezember 1993 seinen Wohnort aus den Niederlanden nach Belgien. Dort bewohnte er in den Jahren 1996 und 1997 eine Eigentumswohnung, die er 1993 erworben und mittels Hypothekendarlehen einer niederländischen Bank finanziert hatte.

20 In den Jahren 1996 und 1997 war Herr Renneberg im öffentlichen Dienst bei der niederländischen Gemeinde Maastricht beschäftigt. In diesen zwei Jahren erzielte er sein gesamtes Arbeitseinkommen in den Niederlanden.

21 In Belgien wurde von Herr Renneberg für seine Eigentumswohnung die Immobiliensteuer erhoben. Es ist unstreitig, dass sich die negativen Einkünfte von Herrn Renneberg aus seiner belgischen Wohnung auf die Höhe dieser Steuer nicht auswirkten.

22 Bei seiner Veranlagung in den Niederlanden zur Einkommensteuer 1996 und 1997 beantragte Herr Renneberg den Abzug der negativen Einkünfte im Zusammenhang mit seiner belgischen Eigentumswohnung. Dieser Antrag betraf den Saldo aus dem Mietwert der Wohnung und den gezahlten Raten zur Abzahlung des Hypothekendarlehens.

23 In den Niederlanden erließ die niederländische Steuerverwaltung für diese Jahre Steuerbescheide für ein steuerpflichtiges Einkommen in Höhe von 75 265 NLG bzw. 78 600 NLG, ohne die negativen Einkünfte im Zusammenhang mit der belgischen Wohnung von Herrn Renneberg von seinen niederländischen Einkünften abzuziehen. Seiner Steuererklärung zufolge beliefen sich die negativen Einkünfte 1996 auf 8 165 NLG und 1997 auf 8 195 NLG.

24 Die Einsprüche gegen diese Steuerbescheide wurden zurückgewiesen.

25 Der Gerechtshof te 's-Hertogenbosch wies die Klagen gegen diese Entscheidungen mit zwei Urteilen vom 31. Oktober 2002 ab, gegen die Herr Renneberg beim Hoge Raad der Nederlanden Kassationsbeschwerde einlegte.

26 Aus den Feststellungen des vorlegenden Gerichts ergibt sich, dass Herr Renneberg gemäß Art. 4 des Steuerabkommens als in Belgien ansässige Person gilt.

27 Folglich gilt Herr Renneberg in den Niederlanden nicht als unbeschränkt steuerpflichtig, sondern unterliegt dort im Hinblick auf die Einkünfte, die das Steuerabkommen der Besteuerung durch das Königreich Belgien zuweist, der Regelung, die für gebietsfremde Steuerpflichtige gilt. Somit wirken sich weder die negativen noch die positiven Einkünfte, die nach dem Steuerabkommen im Königreich Belgien versteuert werden, auf die Besteuerung der positiven und negativen Einkünfte aus, die nach dem Steuerabkommen im Königreich der Niederlande versteuert werden.

28 Herr Renneberg beruft sich in seiner Kassationsbeschwerde auf das Urteil des Gerichtshofs vom 14. Februar 1995, Schumacker (C-279/93, Slg. 1995, I-225). Er macht geltend, dass er, nachdem er von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht habe, in den Niederlanden Anspruch auf die Vorteile habe, die gebietsansässigen Steuerpflichtigen gewährt würden, da seine Situation hinsichtlich seiner steuerpflichtigen Einkünfte und des Ortes, an dem er sie erzielt habe, mit der Situation dieser Steuerpflichtigen weitgehend vergleichbar sei.

29 Der Hoge Raad der Nederlanden führt aus, dass der im Ausgangsverfahren in Frage stehende Steuervorteil im Unterschied zu jenen in der Rechtssache Schumacker nicht auf der persönlichen und familiären Lage des Steuerpflichtigen beruhe.

30 Anders als bei der Berücksichtigung der persönlichen und familiären Lage bei der Erhebung direkter Steuern nach dem Grundsatz der Progression sei die Möglichkeit, innerhalb ein und desselben Steuersystems negative Einkünfte aus einer bestimmten Einkommenskategorie mit positiven Einkünften aus einer anderen Einkommenskategorie zu verrechnen, kein allgemein gültiges Merkmal der Erhebung direkter Steuern, das einem Steuerpflichtigen, der unter Inanspruchnahme eines vom EG-Vertrag garantierten Freiheitsrechts in verschiedenen Mitgliedstaaten steuerpflichtig sei, auf jeden Fall in einem dieser Staaten zugute kommen müsse.

31 Nach Ansicht des Hoge Raad der Nederlanden wirft das Ausgangsverfahren jedoch Probleme der Auslegung des Gemeinschaftsrechts auf. Er hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und den Gerichtshof um Vorabentscheidung über folgende Frage ersucht:

Sind die Art. 39 EG und 56 EG dahin auszulegen, dass es nach einem dieser Artikel oder beiden Artikeln unzulässig ist, dass es einem Steuerpflichtigen, der aus einer von ihm bewohnten Eigentumswohnung in seinem Wohnmitgliedstaat letztlich negative Einkünfte hat und seine positiven Einkünfte, insbesondere Arbeitseinkünfte, vollständig in einem anderen Mitgliedstaat als dem erzielt, in dem er wohnt, vom anderen Mitgliedstaat (dem Beschäftigungsmitgliedstaat) verwehrt wird, die negativen Einkünfte von seinen steuerpflichtigen Arbeitseinkünften abzuziehen, während der Beschäftigungsmitgliedstaat ein solches Abzugsrecht Gebietsansässigen einräumt?

32 Mit am 4. April 2008 zugestelltem Schreiben hat der Gerichtshof der niederländischen Regierung zu bestimmten Aspekten des in den Niederlanden zu dem für den Sachverhalt maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Steuerrechts zwei Fragen gestellt, die diese Regierung mit am 24. April 2008 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangenem Schreiben beantwortet hat.

Zur Vorlagefrage

33 Die Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob die Art. 39 EG und/oder 56 EG dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, nach der ein Gemeinschaftsangehöriger, der nicht in dem Mitgliedstaat wohnt, in dem er Einkünfte erzielt, die sein gesamtes oder nahezu sein gesamtes zu versteuerndes Einkommen ausmachen, bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlage für diese Einkünfte in diesem Mitgliedstaat nicht die negativen Einkünfte betreffend ein ihm gehörendes, in einem anderen Mitgliedstaat belegenes Wohngebäude geltend machen kann, während ein im erstgenannten Mitgliedstaat Ansässiger solche negativen Einkünfte bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlage für seine Einkünfte geltend machen kann.

Zur Vorlagefrage, soweit sie sich auf Art. 39 EG bezieht

Zur Anwendbarkeit von Art. 39 EG

34 Zunächst ist festzustellen, dass nicht geltend gemacht worden ist, eine Person wie Herr Renneberg falle nicht in den Anwendungsbereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, weil die von dieser Person ausgeübte Beschäftigung bei der Gemeinde Maastricht eine Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung im Sinne von Art. 39 Abs. 4 EG darstelle. Im Übrigen findet sich in den Akten kein Anhaltspunkt in diesem Sinne. Folglich ist von der Prämisse auszugehen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende wirtschaftliche Tätigkeit keine Beschäftigung ist, die nach Art. 39 Abs. 4 EG vom Anwendungsbereich der Abs. 1 bis 3 dieses Artikels ausgenommen wäre.

35 Die niederländische Regierung und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften vertreten in ihren schriftlichen Erklärungen die Ansicht, es handele sich, was die Freizügigkeit der Arbeitnehmer angeht, vorliegend um einen rein internen Sachverhalt. Ein niederländischer Staatsangehöriger, der nach seinem privat veranlassten Umzug nach Belgien seine wirtschaftliche Tätigkeit in den Niederlanden fortsetze, sei kein Wanderarbeitnehmer und habe nicht vom Recht auf Freizügigkeit der Arbeitnehmer Gebrauch gemacht.

36 Hierzu ist festzustellen, dass jeder Gemeinschaftsangehörige, der in einem anderen Mitgliedstaat als seinem Wohnstaat abhängig beschäftigt ist, unabhängig von seinem Wohnort und seiner Staatsangehörigkeit in den Anwendungsbereich des Art. 39 EG fällt (vgl. in diesem Sinne u. a., Urteile vom 21. Februar 2006, Ritter-Coulais, C-152/03, Slg. 2006, I-1711, Randnr. 31; vom 18. Juli 2007, Hartmann, C-212/05, Slg. 2007, I-6303, Randnr. 17; vom 18. Juli 2007, Lakebrink und Peters-Lakebrink, C-182/06, Slg. 2007, I-6705, Randnr. 15; vom 11. September 2007, Hendrix, C-287/05, Slg. 2007, I-6909, Randnr. 46, und vom 17. Januar 2008, Kommission/Deutschland, C-152/05, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 20).

37 Demzufolge fällt die Situation eines Gemeinschaftsangehörigen wie Herrn Renneberg, der, nachdem er seinen Wohnsitz aus einem Mitgliedstaat in einen anderen Staat verlegt hat, in einem anderen Mitgliedstaat als seinem Wohnstaat abhängig beschäftigt ist, von dieser Verlegung an in den Anwendungsbereich von Art. 39 EG.

38 Folglich ist zu prüfen, ob Art. 39 EG, wie von Herrn Renneberg vorgetragen und von der Kommission in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, in einer Situation wie der von Herrn Renneberg der Anwendung einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht.

Zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer

- Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

39 Die niederländische und die schwedische Regierung sind der Ansicht, dass, sofern der Gerichtshof Art. 39 EG auf eine Situation wie die im Ausgangsverfahren fragliche für anwendbar erklären sollte, die unterschiedliche Behandlung von Herr Renneberg gegenüber gebietsansässigen Steuerpflichtigen nicht gegen diesen Artikel verstoße, da sie ausschließlich auf der im Steuerabkommen vorgesehenen Aufteilung der Steuerhoheit beruhe.

40 Nach Auffassung der niederländischen Regierung ist aufgrund dieser Aufteilung ausschließlich das Königreich Belgien befugt, die negativen bzw. positiven Einkünfte aus der belgischen Wohnung von Herrn Renneberg zu berücksichtigen. Das Königreich der Niederlande könne nur dessen Arbeitseinkünfte besteuern und sei nicht berechtigt, seine Einkünfte aus Immobilien in die Besteuerungsgrundlage einzubeziehen. Der EG-Vertrag garantiere im Übrigen einem Unionsbürger nicht, dass die Verlagerung seiner Tätigkeiten in einen anderen Mitgliedstaat als denjenigen, in dem er bis dahin gewohnt habe, hinsichtlich der Besteuerung neutral sei.

41 Folglich beruhe die in Rede stehende unterschiedliche Behandlung auf Situationen, die objektiv nicht vergleichbar seien, und stelle keine Diskriminierung dar.

42 Dagegen ist die Kommission der Auffassung, dass vom Standpunkt des Beschäftigungsmitgliedstaats aus betrachtet die Situation eines Gebietsansässigen und die Situation eines Gebietsfremden, die ihre gesamten oder nahezu ihre gesamten steuerpflichtigen Einkünfte in diesem Staat erzielten, vergleichbar seien. Die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung führe allein aufgrund des Wohnsitzes zu einer unterschiedlichen Behandlung dieser beiden Gruppen von Steuerpflichtigen. Ein solche unterschiedliche steuerliche Behandlung stelle eine nach Art. 39 EG verbotene mittelbare Diskriminierung dar, da die negativen Einkünfte betreffend eine in Belgien belegene Wohnung in den Niederlanden im Fall eines gebietsansässigen Steuerpflichtigen berücksichtigt würden, im Fall eines gebietsfremden Steuerpflichtigen aber nicht.

- Würdigung durch den Gerichtshof

43 Nach ständiger Rechtsprechung sollen sämtliche Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit den Gemeinschaftsangehörigen die Ausübung beruflicher Tätigkeiten aller Art im Gebiet der Europäischen Gemeinschaft erleichtern und stehen Maßnahmen entgegen, die die Gemeinschaftsangehörigen benachteiligen könnten, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben wollen (vgl. u. a. Urteile vom 13. November 2003, Schilling und Fleck-Schilling, C-209/01, Slg. 2003, I-13389, Randnr. 24, Ritter-Coulais, Randnr. 33, Lakebrink und Peters-Lakebrink, Randnr. 17, sowie Kommission/Deutschland, Randnr. 21).

44 Aus den oben in den Randnrn. 36 und 43 angeführten Urteilen lässt sich herleiten, dass sich die in der vorstehenden Randnummer dargelegte Rechtsprechung auf Maßnahmen bezieht, die diejenigen Gemeinschaftsangehörigen benachteiligen könnten, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sie wohnen, einer Berufstätigkeit nachgehen, womit insbesondere die Gemeinschaftsangehörigen erfasst werden, die in einem bestimmten Mitgliedstaat eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben wollen, nachdem sie ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt haben.

45 Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass Herr Renneberg, der in den Niederlanden arbeitet und in Belgien wohnt, anders als Personen, die in den Niederlanden arbeiten und wohnen, nach den niederländischen Rechtsvorschriften keinen Anspruch auf Berücksichtigung der negativen Einkünfte im Zusammenhang mit seiner in Belgien belegenen Immobilie bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlage für seine in den Niederlanden erzielten Einkünfte hat.

46 Folglich ist die Behandlung, die eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche für gebietsfremde Steuerpflichtige vorsieht, ungünstiger als die für gebietsansässige Steuerpflichtige.

47 Somit ist zu prüfen, ob, wie die niederländische und die schwedische Regierung vortragen, eine solche unterschiedliche steuerliche Behandlung der nicht im betroffenen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen etwa deshalb nicht gegen Art. 39 EG verstößt, weil sie auf der Aufteilung der Steuerhoheit nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung wie dem Steuerabkommen beruht.

48 Zwar bleiben nach ständiger Rechtsprechung in Ermangelung gemeinschaftlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen die Mitgliedstaaten dafür zuständig, die Kriterien für die Besteuerung der Einkünfte und des Vermögens festzulegen, um die Doppelbesteuerung gegebenenfalls im Wege eines Abkommens zu beseitigen. Dabei können die Mitgliedstaaten im Rahmen bilateraler Abkommen zur Beseitigung der Doppelbesteuerung die Anknüpfungspunkte für die Bestimmung ihrer jeweiligen Steuerhoheit festlegen (vgl. u. a. Urteile vom 21. September 1999, Saint-Gobain ZN, C-307/97, Slg. 1999, I-6161, Randnr. 57; vom 12. Dezember 2002, de Groot, C-385/00, Slg. 2002, I-11819, Randnr. 93, und vom 19. Januar 2006, Bouanich, C-265/04, Slg. 2006, I-923, Randnr. 49).

49 Im vorliegenden Fall haben das Königreich der Niederlande und das Königreich Belgien durch die Vereinbarung der Art. 6 und 19 § 1 des Steuerabkommens von ihrer Freiheit Gebrauch gemacht, die Anknüpfungspunkte für die Aufteilung der Steuerhoheit festzulegen. So werden nach Art. 6 des Steuerabkommens die Einkünfte aus in Belgien belegenen Immobilien vom Königreich Belgien besteuert, während nach Art. 19 § 1 des Steuerabkommens die Bezüge eines Angehörigen des niederländischen öffentlichen Dienstes wie Herrn Renneberg in den Niederlanden besteuert werden.

50 Diese Aufteilung der Steuerhoheit erlaubt es den Mitgliedstaaten jedoch nicht, Maßnahmen anzuwenden, die gegen die vom EG-Vertrag garantierten Verkehrsfreiheiten verstoßen (vgl. in diesem Sinne Urteile Bouanich, Randnr. 50, vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, C-374/04, Slg. 2006, I-11673, Randnr. 54, und vom 8. November 2007, Amurta, C-379/05, Slg. 2007, I-9569, Randnr. 24).

51 Bei der Ausübung der in dieser Weise in bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen aufgeteilten Steuerhoheit sind die Mitgliedstaaten nämlich verpflichtet, den Gemeinschaftsvorschriften nachzukommen (in diesem Sinne Urteil Saint-Gobain ZN, Randnr. 58, und Bouanich, Randnr. 50) und insbesondere den Grundsatz der Inländerbehandlung von Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten und ihrer eigenen Staatsangehörigen zu wahren, die von den durch den EG-Vertrag garantierten Freiheiten Gebrauch gemacht haben (vgl. Urteil de Groot, Randnr. 94).

52 In Bezug auf das Ausgangsverfahren ist festzustellen, dass der Umstand, dass die Parteien des Steuerabkommens von ihrer Freiheit Gebrauch gemacht haben, die Anknüpfungspunkte für die Bestimmung ihrer jeweiligen Steuerhoheit festzulegen, jedoch nicht dazu führt, dass dem Königreich der Niederlande jegliche Befugnis abgesprochen wird, bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlage für das Einkommen eines gebietsfremden Steuerpflichtigen, der einen wesentlichen Teil oder die Gesamtheit seiner steuerpflichtigen Einkünfte in den Niederlanden erzielt, die negativen Einkünfte im Zusammenhang mit einer in Belgien belegenen Immobilie zu berücksichtigen.

53 Wie der Generalanwalt in Nr. 81 seiner Schlussanträge festgestellt hat, steht nämlich bei gebietsansässigen Steuerpflichtigen die bloße Tatsache, dass sie aus einer im Königreich Belgien belegenen Immobilie, für die dieser Mitgliedstaat seine Steuerhoheit ausübt, Einkünfte erzielen, einer Einbeziehung dieser Immobilieneinkünfte durch das Königreich der Niederlande in die Besteuerungsgrundlage für die von diesen Steuerpflichtigen geschuldete Einkommensteuer nicht entgegen.

54 Dieser Umstand, den das vorlegende Gericht hervorgehoben hat, ist im Übrigen von der niederländischen Regierung in ihren Antworten auf die schriftlichen Fragen des Gerichtshofs bestätigt worden.

55 Genau genommen wird im Fall von positiven Einkünften aus einer in Belgien belegenen Immobilie, die gemäß Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 des Steuerabkommens in die Besteuerungsgrundlage für die in den Niederlanden geschuldete Steuer einbezogen werden, gemäß Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 des Steuerabkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung eine Steuerminderung gewährt, die dem Anteil dieser Einkünfte an der Besteuerungsgrundlage entspricht.

56 Hinsichtlich negativer Einkünfte betreffend eine in Belgien belegene Immobilie geht aus der Vorlageentscheidung und den Antworten der niederländischen Regierung auf die schriftlichen Fragen des Gerichtshofs hervor, dass sie zwecks Festsetzung des steuerpflichtigen Einkommens von gebietsansässigen Steuerpflichtigen berücksichtigt werden und dass im Fall eines positiven Auslandseinkommens aus dieser Immobilie in einem späteren Steuerjahr bei der Berechnung der Minderung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von diesem positiven Einkommen gemäß Art. 3 Abs. 4 der Verordnung von 1989 abgezogen werden, der zu den Vorschriften über den Verlustausgleich gehört, die in der niederländischen Regelung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung enthalten sind, auf die Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 des Steuerabkommens verweist.

57 Da dieses Abkommen der Berücksichtigung von negativen Einkünften betreffend eine in Belgien belegene Immobilie bei der Berechnung der Einkommensteuer eines gebietsansässigen Steuerpflichtigen nicht entgegensteht, beruht also die Ablehnung des von einem Steuerpflichtigen wie Herrn Renneberg geltend gemachten Abzugs entgegen der Auffassung der niederländischen Regierung offensichtlich nicht auf der mit diesem Abkommen getroffenen Entscheidung, die Befugnis zur Besteuerung der Immobilieneinkünfte von Steuerpflichtigen, die dem Geltungsbereich des Steuerabkommens unterliegen, dem Mitgliedstaat zuzuweisen, in dessen Hoheitsgebiet die Immobilie belegen ist.

58 Die Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung der betroffenen negativen Einkünfte hängt also in Wirklichkeit davon ab, ob diese Steuerpflichtigen in den Niederlanden als Gebietsansässige gelten oder nicht.

59 Zur direkten Besteuerung hat der Gerichtshof zwar in Rechtssachen, die die Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen betrafen, entschieden, dass sich in einem bestimmten Mitgliedstaat ansässige Personen und Gebietsfremde in der Regel nicht in einer gleichartigen Situation befinden, da zwischen ihnen sowohl hinsichtlich der Einkunftsquelle als auch hinsichtlich der persönlichen Steuerkraft oder der Berücksichtigung der persönlichen Lage und des Familienstands objektive Unterschiede bestehen (Urteil vom 22. März 2007, Talotta, C-383/05, Slg. 2007, I-2555, Randnr. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

60 Jedoch kann bei einer Steuervergünstigung, die Gebietsfremden nicht gewährt wird, eine unterschiedliche Behandlung dieser beiden Gruppen von Steuerpflichtigen als Diskriminierung im Sinne des Vertrags angesehen werden, wenn kein objektiver Unterschied zwischen den beiden Gruppen von Steuerpflichtigen besteht, der eine solche unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnte (Urteil Talotta, Randnr. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

61 Dies ist insbesondere der Fall, wenn ein gebietsfremder Steuerpflichtiger in seinem Wohnmitgliedstaat keine nennenswerten Einkünfte hat und sein zu versteuerndes Einkommen im Wesentlichen aus einer Tätigkeit bezieht, die er im Beschäftigungsmitgliedstaat ausübt, so dass der Wohnmitgliedstaat nicht in der Lage ist, ihm die Vergünstigungen zu gewähren, die sich aus der Berücksichtigung seiner persönlichen Lage und seines Familienstands ergeben (vgl. u. a. Urteil Schumacker, Randnr. 36, sowie Lakebrink und Peters-Lakebrink, Randnr. 30).

62 In einer solchen Situation besteht die Diskriminierung darin, dass die persönliche Lage und der Familienstand eines Gebietsfremden, der in einem anderen Mitgliedstaat als seinem Wohnmitgliedstaat den wesentlichen Teil seiner Einkünfte und praktisch seine ganzen Familieneinkünfte erzielt, weder im Wohnmitgliedstaat noch im Beschäftigungsmitgliedstaat berücksichtigt werden (Urteile Schumacker, Randnr. 38, sowie Lakebrink und Peters-Lakebrink, Randnr. 31).

63 Der Gerichtshof hat in Randnr. 34 des Urteils Lakebrink und Peters-Lakebrink festgestellt, dass sich die im Urteil Schumacker entwickelte Rechtsprechung auf alle steuerlichen Vergünstigungen im Zusammenhang mit der Steuerkraft des Gebietsfremden bezieht, die weder im Wohnmitgliedstaat noch im Beschäftigungsmitgliedstaat gewährt werden.

64 Diese Rechtsprechung ist auch auf eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zu übertragen.

65 Ein Steuerpflichtiger wie Herr Renneberg kann nämlich bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlage für die von ihm in den Niederlanden geschuldete Steuer auf seine Arbeitseinkünfte nicht die Berücksichtigung der Verluste aus Vermietung aus einer in Belgien belegenen Immobilie, die ihm gehört, beantragen, im Gegensatz zu einem Steuerpflichtigen, der in den Niederlanden wohnt und arbeitet und der Verluste aus Vermietung, die ihm aus einer in den Niederlanden belegenen Immobilie, in der er selbst wohnt, oder aus einer in Belgien belegenen Immobilie, in der er nicht selbst ständig wohnt, bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlage für die Einkommensteuer in den Niederlanden geltend machen kann.

66 Soweit eine Person wie Herr Renneberg zwar in einem Mitgliedstaat wohnt, aber den wesentlichen Teil ihrer zu versteuernden Einkünfte aus einer abhängigen Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat bezieht, ohne in ihrem Wohnmitgliedstaat nennenswerte Einkünfte zu haben, ist ihre Situation im Hinblick auf ihren Beschäftigungsmitgliedstaat für die Zwecke der Berücksichtigung ihrer Steuerkraft objektiv der Situation einer Person vergleichbar, die in diesem Beschäftigungsmitgliedstaat ansässig ist und ebenfalls dort eine abhängige Beschäftigung ausübt.

67 Offensichtlich kann jedoch eine Person, die in ihrem Wohnmitgliedstaat außer der vorab erhobenen Immobiliensteuer keine Steuer auf Immobilieneinkünfte schuldet, die Berücksichtigung der negativen Einkünfte im Zusammenhang mit ihrer in diesem Mitgliedstaat belegenen Immobilie nicht beantragen und hat im Übrigen keine Möglichkeit, diese negativen Einkünfte bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlage für ihre in ihrem Beschäftigungsmitgliedstaat steuerpflichtigen Einkünfte geltend zu machen.

68 Art. 39 EG gebietet es daher, dass in einer Situation wie der von Herrn Renneberg die negativen Einkünfte betreffend eine im Wohnmitgliedstaat belegene Immobilie von den Steuerbehörden des Beschäftigungsmitgliedstaats bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlage für die im letztgenannten Staat zu versteuernden Einkünfte berücksichtigt werden.

69 Würde das Königreich der Niederlande gebietsfremde Steuerpflichtige, die wie Herr Renneberg ihre gesamten oder nahezu ihre gesamten steuerpflichtigen Einkünfte in den Niederlanden beziehen, genauso behandeln wie gebietsansässige Steuerpflichtige, so würde dies, wie der Generalanwalt in Nr. 84 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Rechte, die dem Königreich Belgien nach dem Steuerabkommen zustehen, nicht in Frage stellen und für diesen Mitgliedstaat keine neuen Verpflichtungen begründen.

70 Im Übrigen hat der Gerichtshof im Urteil de Groot in Randnr. 101 festgestellt, dass die zur Vermeidung der Doppelbesteuerung verwendeten Mechanismen oder die nationalen Steuersysteme, die eine Ausschließung oder Milderung der Doppelbesteuerung bewirken, den Steuerpflichtigen der betreffenden Mitgliedstaaten jedoch gewährleisten müssen, dass ihre gesamte persönliche und familiäre Situation im Ganzen gebührend berücksichtigt wird, unabhängig davon, wie die betreffenden Mitgliedstaaten diese Verpflichtung untereinander aufgeteilt haben, da andernfalls eine mit den Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer unvereinbare Ungleichbehandlung entstünde, die sich keineswegs aus den Unterschieden zwischen den nationalen Steuervorschriften ergeben würde. Angesichts der oben in Randnr. 63 angeführten Erkenntnisse aus dem Urteil Lakebrink und Peters-Lakebrink gelten diese Erwägungen auch im Hinblick auf die Berücksichtigung der Gesamtsteuerkraft eines Arbeitnehmers.

71 Soweit das Königreich der Niederlande, wie oben in Randnr. 56 dargelegt, bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlage für die von gebietsansässigen Steuerpflichtigen geschuldete Einkommensteuer negative Einkünfte im Zusammenhang mit einer in Belgien belegenen Immobilie berücksichtigt, ist es auch bei in diesem Mitgliedstaat ansässigen Personen, die ihre gesamten oder nahezu ihre gesamten steuerpflichtigen Einkünfte in den Niederlanden beziehen und in ihrem Wohnmitgliedstaat keine nennenswerten Einkünfte haben, verpflichtet, diese negativen Einkünfte für diese Zwecke zu berücksichtigen, weil sonst die Situation dieser Steuerpflichtigen in keinem der beiden betreffenden Mitgliedstaaten berücksichtigt würde.

72 Allerdings ist das Vorbringen der niederländischen Regierung zu prüfen, die nachteiligen steuerrechtlichen Auswirkungen, die sich für Herrn Renneberg aus dem Erwerb seiner Wohnung in Belgien ergäben, beruhten auf dem Unterschied zwischen den nationalen Steuersystemen der beiden betroffenen Mitgliedstaaten.

73 Dieser Unterschied bestehe darin, dass das niederländische Steuerrecht den Abzug der Raten zur Abzahlung von Hypothekendarlehen von den Arbeitseinkünften gestatte, während das belgische Steuerrecht dies nicht zulasse. Nach belgischem Steuerrecht könnten die Raten zur Abzahlung von Hypothekendarlehen stets nur von den Immobilieneinkünften abgezogen werden. Somit hätte der Betroffene selbst dann, wenn er ein Arbeitseinkommen in Belgien gehabt hätte, den Negativsaldo der Raten zur Abzahlung von Hypothekendarlehen nicht davon abziehen können.

74 Die nachteiligen steuerrechtlichen Auswirkungen für Herrn Renneberg ergäben sich nicht aus der Anwendung des niederländischen Systems, sondern daraus, dass der Abzug der Raten zur Abzahlung von Hypothekendarlehen nach belgischem Steuerrecht in geringerem Umfang zulässig sei als nach niederländischem Steuerrecht. Dass Herr Renneberg in Belgien keine Möglichkeit habe, die Berücksichtigung seiner negativen Einkünfte zu erwirken, sei die Folge der Verlegung seines Wohnsitzes in diesen Mitgliedstaat und nicht der Anwendung des niederländischen Steuerrechts. Wenn sich jedoch eine Beschränkung der durch den EG-Vertrag garantierten Freiheiten allein aus der Unterschiedlichkeit der nationalen Steuersystemen ergebe, sei sie vom Gemeinschaftsrecht nicht verboten.

75 Hierzu ist festzustellen, dass die unterschiedliche Behandlung, die im Ausgangsverfahren in Frage steht, anders als von der niederländischen Regierung behauptet, nicht allein auf die Unterschiedlichkeit der beiden in Rede stehenden nationalen Steuersysteme zurückzuführen ist. Denn selbst wenn das belgische System der Einkommensteuer der Darstellung der niederländischen Regierung entspräche und sogar wenn das Königreich Belgien die Berücksichtigung von Verlusten wie den im Ausgangsverfahren fraglichen bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlage für die Einkommensteuer der Gebietsansässigen gestattete, könnte nämlich eine solche Vergünstigung jedenfalls einem Steuerpflichtigen, der sich in einer Situation wie Herr Renneberg befindet und seine gesamten oder nahezu seine gesamten Einkünfte in den Niederlanden erzielt, nicht zugute kommen.

76 Zurückzuweisen ist ferner ein weiteres Argument, das die niederländische Regierung in diesem Zusammenhang in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat und das im Wesentlichen auf das Risiko einer doppelten Berücksichtigung der Verluste aus der in Belgien belegenen Immobilie eines gebietsfremden Steuerpflichtigen gestützt ist.

77 Zum einen soll nämlich die nationale Regelung über die Doppelbesteuerung in Verbindung mit Art. 24 § 1 Nr. 1 des Steuerabkommens einem solchen Risiko vorbeugen, soweit es die gebietsansässigen Steuerpflichtigen betrifft, denen Verluste im Zusammenhang mit einer in Belgien belegenen Immobilie entstehen und deren Situation mit der eines gebietsfremden Steuerpflichtigen wie Herrn Renneberg vergleichbar ist.

78 Zum anderen kann ein Mitgliedstaat in einem Fall, in dem ein Teil der von einem Steuerpflichtigen getätigten Umsätze in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem er seine abhängige Beschäftigung ausübt, bewirkt wird, nach der Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern (ABl. L 336, S. 15) die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats um alle Auskünfte ersuchen, die er für die ordnungsgemäße Festsetzung der Einkommensteuer benötigt oder die er für erforderlich hält, um die genaue Höhe der Einkommensteuer zu ermitteln, die ein Steuerpflichtiger nach Maßgabe der von ihm angewandten Rechtsvorschriften schuldet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juni 2003, Skandia und Ramstedt, C-422/01, Slg. 2003, I-6817, Randnr. 42).

79 Folglich stellt eine unterschiedliche Behandlung aufgrund des Wohnsitzes, wie sie im Ausgangsverfahren in Frage steht, eine Diskriminierung dar, da negative Immobilieneinkünfte im Zusammenhang mit einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Immobilie vom betroffenen Mitgliedstaat bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlage insbesondere für Arbeitseinkünfte von Steuerpflichtigen, die in diesem Mitgliedstaat beschäftigt und ansässig sind, berücksichtigt werden, während sie im Fall eines Steuerpflichtigen, der seine gesamten oder nahezu seine gesamten steuerpflichtigen Einkünfte aus einer abhängigen Beschäftigung in diesem Mitgliedstaat bezieht, aber nicht dort ansässig ist, nicht berücksichtigt werden können.

80 Daraus folgt, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche eine nach Art. 39 EG grundsätzlich verbotene Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer darstellt.

81 Allerdings ist zu prüfen, ob diese Beschränkung zugelassen werden kann. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann eine Maßnahme, mit der die durch den Vertrag garantierten grundlegenden Freiheiten eingeschränkt werden, nur zugelassen werden, wenn mit ihr ein legitimes Ziel verfolgt wird und sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. In diesem Fall muss die Anwendung der Maßnahme aber außerdem geeignet sein, die Erreichung des fraglichen Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne u. a., Urteile vom 17. März 2005, Kranemann, C-109/04, Slg. 2005, I-2421, Randnr. 33, und vom 11. Januar 2007, Lyyski, C-40/05, Slg. 2007, I-99, Randnr. 38).

82 Weder haben die Regierungen, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, eine mögliche Rechtfertigung angeführt, noch wurde eine solche vom vorlegenden Gericht in Betracht gezogen.

83 Somit ist es nach Art. 39 EG unzulässig, dass sich in der Situation eines gebietsfremden Steuerpflichtigen wie Herrn Renneberg, der seine gesamten oder nahezu seine gesamten steuerpflichtigen Einkünfte in einem Mitgliedstaat erzielt, die Steuerverwaltung dieses Mitgliedstaats weigert, die negativen Einkünfte betreffend in einem anderen Mitgliedstaat belegene Immobilien zu berücksichtigen.

84 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 39 EG dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach der ein Gemeinschaftsangehöriger, der nicht in dem Mitgliedstaat wohnt, in dem er Einkünfte erzielt, die sein gesamtes oder nahezu sein gesamtes zu versteuerndes Einkommen ausmachen, bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlage für diese Einkünfte in diesem Mitgliedstaat nicht die negativen Einkünfte betreffend ein ihm gehörendes, in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Wohngebäude geltend machen kann, während ein im erstgenannten Mitgliedstaat Ansässiger solche negativen Einkünfte bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlage für seine Einkünfte geltend machen kann.

Zur Vorlagefrage, soweit sie sich auf Art. 56 EG bezieht

85 Angesichts der Antwort auf die Vorlagefrage zu den Auswirkungen von Art. 39 EG auf die Anwendbarkeit einer Steuerregelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche erübrigt sich eine Prüfung, ob die Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr dieser Regelung ebenfalls entgegenstehen.

Kostenentscheidung:

Kosten

86 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 39 EG ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach der ein Gemeinschaftsangehöriger, der nicht in dem Mitgliedstaat wohnt, in dem er Einkünfte erzielt, die sein gesamtes oder nahezu sein gesamtes zu versteuerndes Einkommen ausmachen, bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlage für diese Einkünfte in diesem Mitgliedstaat nicht die negativen Einkünfte betreffend ein ihm gehörendes, in einem anderen Mitgliedstaat belegenes Wohngebäude geltend machen kann, während ein im erstgenannten Mitgliedstaat Ansässiger solche negativen Einkünfte bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlage für seine Einkünfte geltend machen kann.

Ende der Entscheidung

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