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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 19.07.2009
Aktenzeichen: C-56/08
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 2658/87, Verordnung (EG) Nr. 85/2006


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 Anhang I Unterpositionen 0511 91 10 der Kombinierten Nomenklatur
Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 Anhang I Unterpositionen 0303 22 00 der Kombinierten Nomenklatur
Verordnung (EG) Nr. 85/2006 Art. 1 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

16. Juli 2009

"Gemeinsamer Zolltarif - Kombinierte Nomenklatur - Tarifierung - Unterposition KN 0511 91 10 - Unterposition KN 0303 22 00 - Gefrorenes Rückgrat von gezüchtetem Atlantischem Lachs - Verordnung (EG) Nr. 85/2006 - Antidumpingzölle"

Parteien:

In der Rechtssache C-56/08

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tallinna Halduskohus (Estland) mit Entscheidung vom 16. Januar 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Februar 2008, in dem Verfahren

Pärlitigu OÜ

gegen

Maksu- ja Tolliameti Põhja maksu- ja tollikeskus

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász, G. Arestis (Berichterstatter) und J. Malenovský,

Generalanwältin: V. Trstenjak,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Februar 2009,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der Pärlitigu OÜ, vertreten durch M. Maksing, advokaat,

- der estnischen Regierung, vertreten durch L. Uibo als Bevollmächtigten,

- des Rates der Europäischen Union, vertreten durch T. Tobreluts und J.-P. Hix als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt G. Berrisch,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch K. Saaremäel-Stoilov, H. van Vliet und A. Sipos als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Unterpositionen 0511 91 10 und 0303 22 00 der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1719/2005 der Kommission vom 27. Oktober 2005 (ABl. L 286, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: KN) sowie die Gültigkeit von Art. 1 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 85/2006 des Rates vom 17. Januar 2006 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls und zur endgültigen Vereinnahmung des vorläufigen Zolls auf die Einfuhren von Zuchtlachs mit Ursprung in Norwegen (ABl. L 15, S. 1).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Maksu- ja Tolliameti Põhja maksu- ja tollikeskus (im Folgenden: PMTK), einer estnischen Steuer- und Zollbehörde, und der Pärlitigu OÜ (im Folgenden: Pärlitigu), einer Gesellschaft estnischen Rechts, über einen an diese Gesellschaft ergangenen Steuerbescheid.

Rechtlicher Rahmen

3 Teil I Titel I Buchstabe A der KN, der die Allgemeinen Vorschriften für deren Auslegung enthält, sieht vor:

"Für die Einreihung von Waren in die [KN] gelten folgende Grundsätze:

1. Die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel sind nur Hinweise. Maßgebend für die Einreihung sind der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln und - soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln nichts anderes bestimmt ist - die nachstehenden Allgemeinen Vorschriften.

2. a) Jede Anführung einer Ware in einer Position gilt auch für die unvollständige oder unfertige Ware, wenn sie im vorliegenden Zustand die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale der vollständigen oder fertigen Ware hat. Sie gilt auch für eine vollständige oder fertige oder nach den vorstehenden Bestimmungen dieser Vorschrift als solche geltende Ware, wenn diese zerlegt oder noch nicht zusammengesetzt gestellt wird.

...

6. Maßgebend für die Einreihung von Waren in die Unterpositionen einer Position sind der Wortlaut dieser Unterpositionen, die Anmerkungen zu den Unterpositionen und - sinngemäß - die vorstehenden Allgemeinen Vorschriften. Einander vergleichbar sind dabei nur Unterpositionen der gleichen Gliederungsstufe. Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten bei Anwendung dieser Allgemeinen Vorschrift auch die Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln."

4 Teil II Abschnitt I ("Lebende Tiere und Waren tierischen Ursprungs") der KN enthält fünf Kapitel.

5 Eines dieser Kapitel, das Kapitel 3 ("Fische und Krebstiere, Weichtiere und andere wirbellose Wassertiere"), enthält die Position 0303. Diese Position ("Fische, gefroren, ausgenommen Fischfilets und anderes Fischfleisch der Position 0304") teilt sich wie folgt auf:

"- Pazifischer Lachs (Oncorhynchus nerka, Oncorhynchus gorbuscha, Oncorhynchus keta, Oncorhynchus tschawytscha, Oncorhynchus kisutch, Oncorhynchus masou und Oncorhynchus rhodurus), ausgenommen Fischlebern, Fischrogen und Fischmilch:

...

0303 22 00 - - Atlantischer Lachs (Salmo salar) und Donaulachs (Hucho hucho)

..."

6 In den Anmerkungen zu Kapitel 3 heißt es:

"1. Zu Kapitel 3 gehören nicht:

...

c) Fische (einschließlich Fischlebern, Fischrogen und Fischmilch) und Krebstiere, Weichtiere und andere wirbellose Wassertiere, nicht lebend und nach Art oder Beschaffenheit ungenießbar (Kapitel 5); ...

..."

7 In Teil II Abschnitt I Kapitel 5 ("Andere Waren tierischen Ursprungs, anderweit weder genannt noch inbegriffen") der KN steht die Position 0511 ("Waren tierischen Ursprungs, anderweit weder genannt noch inbegriffen; nicht lebende Tiere des Kapitels 1 oder 3, ungenießbar"), die sich wie folgt aufteilt:

"0511 10 00 - Rindersperma

- andere

0511 91 - - Waren aus Fischen oder Krebstieren, Weichtieren oder anderen wirbellosen Wassertieren; nicht lebende Tiere des Kapitels 3:

0511 91 10 - - - Abfälle von Fischen

..."

8 In den Anmerkungen zu Kapitel 5 wird erläutert:

"1. Zu Kapitel 5 gehören nicht:

a) genießbare Waren (ausgenommen flüssiges oder getrocknetes Tierblut und ganze oder zerteilte Därme, Blasen und Mägen von Tieren);

..."

9 Die Unterpositionen des Integrierten Tarifs der Gemeinschaft (Tarif Intégré des Communautés européennes, TARIC) zu Teil II Abschnitt I Kapitel 3 der KN teilen sich wie folgt auf:

"0303 22 00 11 - - - Atlantischer Lachs (Salmo salar)

0303 22 00 11 - - - - wilde

0303 22 00 12 - - - - andere

0303 22 00 12 - - - - - ganze

0303 22 00 13 - - - - - ausgenommen, mit Kopf

0303 22 00 15 - - - - - andere".

10 Die Verordnung Nr. 85/2006 bestimmt in ihrem Art. 1:

"(1) Auf die Einfuhren von gezüchtetem (anderem als wilden) Lachs, auch filetiert, frisch, gekühlt oder gefroren, der KN-Codes ex 0302 12 00, ex 0303 11 00, ex 0303 19 00, ex 0303 22 00, ex 0304 10 13 und ex 0304 20 13 (nachstehend 'Zuchtlachs' genannt) mit Ursprung in Norwegen wird ein endgültiger Antidumpingzoll eingeführt.

...

(4) Für alle ... Unternehmen [außer der Nordlaks Oppdrett AS] (TARIC-Zusatzcode A999) entspricht der endgültige Antidumpingzoll der Differenz zwischen dem in Absatz 5 festgesetzten Mindesteinfuhrpreis und dem Nettopreis frei Grenze der Gemeinschaft, unverzollt, wenn letzterer niedriger ist als der Mindesteinfuhrpreis. Wenn der Nettopreis frei Grenze der Gemeinschaft dem jeweiligen, in Absatz 5 festgelegten Mindesteinfuhrpreis entspricht oder diesen übersteigt, werden keine Zölle vereinnahmt.

(5) Für die Zwecke von Absatz 4 gelten die in der zweiten Spalte der nachstehenden Tabelle genannten Mindesteinfuhrpreise. Ergibt eine nach der Einfuhr durchgeführte Überprüfung, dass der von dem ersten unabhängigen Abnehmer in der Gemeinschaft tatsächlich gezahlte Nettopreis frei Grenze der Gemeinschaft (nachstehend 'Nacheinfuhrpreis' genannt) niedriger ist als der in der Zollanmeldung angegebene Nettopreis frei Grenze der Gemeinschaft, unverzollt, und dass der Nacheinfuhrpreis niedriger ist als der Mindesteinfuhrpreis, so gelten die in der dritten Spalte der nachstehenden Tabelle genannten spezifischen Antidumpingzölle, außer wenn die Anwendung des in der dritten Spalte genannten spezifischen Zolls zuzüglich des Nacheinfuhrpreises zu einem Betrag führt (tatsächlich gezahlter Preis zuzüglich spezifischer Zoll), der unter dem in der zweiten Spalte der nachstehenden Tabelle genannten Mindesteinfuhrpreis liegt. Ist dies der Fall, so entspricht die Höhe des Zolls der Differenz zwischen dem in der zweiten Spalte der nachstehenden Tabelle genannten Mindesteinfuhrpreis und dem Nacheinfuhrpreis. Im Falle einer rückwirkenden Erhebung wird der spezifische Zoll abzüglich aller bereits entrichteten Antidumpingzölle auf der Grundlage des Mindesteinfuhrpreises vereinnahmt.

 Aufmachung des ZuchtlachsesMindesteinfuhrpreis in EUR/kg NettogewichtSpezifischer Zoll in EUR/kg NettogewichtTARIC Code
Ganzer Fisch, frisch, gekühlt oder gefroren2,800,400302 12 00 12, 0302 12 00 33, 0302 12 00 93, 0303 11 00 93, 0303 19 00 93, 0303 22 00 12, 0303 22 00 83
Ausgenommen, mit Kopf, frisch, gekühlt oder gefroren3,110,450302 12 00 13, 0302 12 00 34, 0302 12 00 94, 0303 11 00 94, 0303 19 00 94, 0303 22 00 13, 0303 22 00 84
Sonstige (einschließlich ausgenommen, ohne Kopf), frisch, gekühlt oder gefroren3,490,500302 12 00 15, 0302 12 00 36, 0302 12 00 96, 0303 11 00 18, 0303 11 00 96, 0303 19 00 18, 0303 19 00 96, 0303 22 00 15, 0303 22 00 86
Ganzfischfilets und Stücke von Filets mit einem Gewicht von mehr als 300 g/Filet, frisch, gekühlt oder gefroren, mit Haut5,010,730304 10 13 13, 0304 10 13 94, 0304 20 13 13, 0304 20 13 94
Ganzfischfilets und Stücke von Filets mit einem Gewicht von mehr als 300 g/Filet, frisch, gekühlt oder gefroren, ohne Haut6,400,930304 10 13 14, 0304 10 13 95, 0304 20 13 14, 0304 20 13 95
Andere Ganzfischfilets und Stücke von Filets mit einem Gewicht von 300 g/Filet oder weniger, frisch, gekühlt oder gefroren7,731,120304 10 13 15, 0304 10 13 96, 0304 20 13 15, 0304 20 13 96

..."

11 Durch die Verordnung (EG) Nr. 319/2009 des Rates vom 16. April 2009 zur Präzisierung der Warendefinition für die mit der Verordnung Nr. 85/2006 eingeführten endgültigen Antidumpingzölle (ABl. L 101, S. 1) erhielt Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 85/2006 folgende Fassung:

"Auf die Einfuhren von gezüchtetem (anderem als wilden) Lachs, auch filetiert, frisch, gekühlt oder gefroren, der KN-Codes ex 0302 12 00, ex 0303 11 00, ex 0303 19 00, ex 0303 22 00, ex 0304 10 13 und ex 0304 20 13 (nachstehend 'Zuchtlachs' genannt) mit Ursprung in Norwegen wird ein endgültiger Antidumpingzoll eingeführt. Für Rückgrat vom Lachs - bestehend aus einem zum Teil mit Fleischresten bedeckten Fischknochen - das ein essbares Nebenerzeugnis der Fischwirtschaft ist und unter den KN-Codes ex 0302 12 00, ex 0303 11 00, ex 0303 19 00, ex 0303 22 00 eingereiht wird, gilt der endgültige Antidumpingzoll nicht, sofern der Gewichtsanteil der sich am Rückgrat befindenden Fleischreste nicht mehr als 40 % des Gewichts des Rückgrats vom Lachs beträgt."

12 Art. 2 der Verordnung Nr. 319/2009 sieht vor:

"Die endgültigen Antidumpingzölle, die für Waren, die nicht unter Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 85/2006 in ihrer durch diese Verordnung geänderten Fassung fallen, gemäß Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 85/2006 in ihrer ursprünglichen Fassung entrichtet oder buchmäßig erfasst wurden, und die gemäß Artikel 2 jener Verordnung endgültig vereinnahmten vorläufigen Antidumpingzölle werden erstattet oder erlassen.

..."

13 Nach ihrem Art. 3 gilt die Verordnung Nr. 319/2009 rückwirkend ab dem 21. Januar 2006.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

14 Am 19. Januar 2006 erwarb Pärlitigu in Norwegen 13 050 kg gefrorenes Rückgrat von gezüchtetem Atlantischem Lachs (Salmo salar), das man nach dem Filetieren des Fischs erhält, zum Preis von 6,54 EEK/kg, wobei die entsprechende Rechnung von der Fossen AS ausgestellt wurde. Aus der Vorlageentscheidung, insbesondere dem Wortlaut der ersten Vorlagefrage, geht hervor, dass es sich um eine genießbare Ware handelt, die gewöhnlich als Nahrungsmittel vermarktet wird.

15 Am 23. Januar 2006 führte Pärlitigu diese Ware nach Estland ein, und zwar auf der Grundlage der Zollanmeldung Nr. I 5446, in der sie sie als Abfälle von Fischen mit dem KN-Code 0511 91 10 bezeichnete, auf die keine Zölle erhoben werden. Am gleichen Tag akzeptierte das PMTK die Anmeldung und überführte die Ware in den zollrechtlich freien Verkehr. Pärlitigu zahlte dabei Umsatzsteuer in Höhe von 15 370 EEK.

16 Am 25. Januar 2006 verkaufte Pärlitigu die Ware zum Preis von 8,47 EEK/kg an die Alkfish OÜ weiter.

17 Am 23. März 2006 nahm ein für nachträgliche Kontrollen zuständiger Bediensteter des PMTK im Lager der Alkfish OÜ eine Probe der betreffenden Ware, um zu überprüfen, ob der in der Einfuhranmeldung angegebene KN-Code zutraf. Die Analyse dieser Probe führte zu dem Ergebnis, dass die Ware genießbar ist.

18 In Anbetracht dieses Ergebnisses ordnete das PMTK der Ware den neuen KN-Code 0303 22 00 zu und reihte sie in den TARIC-Code 0303 22 00 15 ein. Am 30. März 2007 erließ es den Steuerbescheid Nr. 12-5/177, mit dem insbesondere der in der Verordnung Nr. 85/2006 vorgesehene Antidumpingzoll festgesetzt wurde.

19 Am 11. April 2007 erhob Pärlitigu gegen diesen Bescheid Klage beim Tallinna Halduskohus (Verwaltungsgericht Tallinn), mit der sie die Nichtigerklärung dieses Bescheids und - als vorläufige Maßnahme - die Aussetzung seiner Vollziehung beantragt.

20 Unter diesen Umständen hat das Tallinna Halduskohus beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist die KN so auszulegen, dass gefrorenes Rückgrat (Gräten mit Fischfleisch) von gezüchtetem Atlantischem Lachs (Salmo salar), das man nach dem Filetieren des Fischs erhält, das genießbar ist und gewöhnlich als Nahrungsmittel vermarktet wird,

a) in die Unterposition 0511 91 10 ("Abfälle von Fischen")

oder

b) in die Unterposition 0303 22 00 15 ("andere" Teile von "andere[m]" "Atlantische[m] Lachs [Salmo salar]")

einzureihen ist?

2. Wenn die erste Frage entsprechend Buchstabe b zu beantworten ist, ist dann die in Art. 1 Abs. 5 der Verordnung Nr. 85/2006 enthaltene Tabelle insofern wegen eines Verstoßes gegen den in Art. 5 EG niedergelegten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ungültig, als nach dieser Tabelle der für gefrorenes Lachsrückgrat festgesetzte Mindesteinfuhrpreis höher ist als der für ganzen Fisch sowie für ausgenommenen Fisch mit Kopf festgesetzte Mindesteinfuhrpreis?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

21 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob gefrorenes Rückgrat von gezüchtetem Atlantischem Lachs, das man nach dem Filetieren des Fischs erhält, als Abfall von Fischen in die Unterposition 0511 91 10 der KN oder als Atlantischer Lachs (Salmo salar) in die Unterposition 0303 22 00 der KN und insbesondere in die TARIC-Unterposition 0303 22 00 15 einzureihen ist.

22 Pärlitigu meint, dass die KN so auszulegen sei, dass die streitige Ware in die Unterposition 0511 91 10 ("Abfälle von Fischen") der KN einzureihen sei, da diese Bezeichnung der Natur der Ware entspreche und es keine andere, präzisere Unterposition gebe, die ihr entspreche. Die estnische Regierung und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften sind dagegen der Ansicht, dass die Ware, da sie genießbar sei, in die Unterposition 0303 22 00 der KN und, noch genauer, in die TARIC-Unterposition 0303 22 00 15 einzureihen sei.

23 In einem Vorabentscheidungsverfahren auf dem Gebiet der Tarifierung ist es Aufgabe des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht die Kriterien aufzuzeigen, anhand deren es die betreffenden Waren in die KN einreihen kann, nicht aber, diese Einreihung selbst vorzunehmen, zumal der Gerichtshof nicht immer über die hierfür erforderlichen Angaben verfügt. Das nationale Gericht ist hierzu jedenfalls besser in der Lage (Urteile vom 7. November 2002, Lohmann und Medi Bayreuth, C-260/00 bis C-263/00, Slg. 2002, I-10045, Randnr. 26, und vom 16. Februar 2006, Proxxon, C-500/04, Slg. 2006, I-1545, Randnr. 23). Um diesem eine sachdienliche Antwort zu geben, kann ihm der Gerichtshof jedoch im Geist der Zusammenarbeit mit den nationalen Gerichten alle Hinweise geben, die er für erforderlich hält (vgl. u. a. Urteil vom 1. Juli 2008, MOTOE, C-49/07, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 30).

24 Im Übrigen ist nach ständiger Rechtsprechung im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (vgl. u. a. Urteile vom 16. September 2004, DFDS, C-396/02, Slg. 2004, I-8439, Randnr. 27, vom 15. September 2005, Intermodal Transports, C-495/03, Slg. 2005, I-8151, Randnr. 47, und vom 15. Februar 2007, RUMA, C-183/06, Slg. 2007, I-1559, Randnr. 27).

25 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Ware weder im Wortlaut der fraglichen Positionen der KN noch in den Anmerkungen zu den entsprechenden Abschnitten bzw. Kapiteln der KN ausdrücklich genannt wird. Fest steht allerdings, dass diese Ware zu Teil II Abschnitt I ("Lebende Tiere und Waren tierischen Ursprungs") der KN gehört. Dieser Abschnitt ist in fünf Kapitel unterteilt, darunter Kapitel 3 ("Fische und Krebstiere, Weichtiere und andere wirbellose Wassertiere") und Kapitel 5 ("Andere Waren tierischen Ursprungs, anderweit weder genannt noch inbegriffen"). Aus dem Wortlaut dieser letztgenannten Überschrift geht klar hervor, dass Kapitel 5 diejenigen Waren erfasst, die keiner der Bezeichnungen der vier anderen Kapitel dieses Abschnitts entsprechen. Überdies wird in Anmerkung 1 Buchst. a zu diesem Kapitel 5 ausgeführt, dass genießbare Waren mit Ausnahme von Tierblut sowie Därmen, Blasen und Mägen von Tieren nicht zu diesem Kapitel gehören. In diesem Kontext sind die Kriterien zu bestimmen, die eine eventuelle Einreihung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Ware in eine Unterposition von Teil II Abschnitt I Kapitel 3 der KN rechtfertigen könnten.

26 Nach ständiger Rechtsprechung sind sowohl die Anmerkungen zu den Kapiteln des Gemeinsamen Zolltarifs als auch die Erläuterungen zur Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens wichtige Hilfsmittel dafür, eine einheitliche Anwendung des Zolltarifs zu gewährleisten, und stellen deshalb wertvolle Erkenntnismittel für die Auslegung des Tarifs dar (vgl. Urteile vom 20. November 1997, Wiener SI, C-338/95, Slg. 1997, I-6495, Randnr. 11, und vom 7. Februar 2002, Turbon International, C-276/00, Slg. 2002, I-1389, Randnr. 22).

27 Für den vorliegenden Fall gibt Anmerkung 1 Buchst. c zu Teil II Abschnitt I Kapitel 3 der KN an, dass zu diesem Kapitel keine Fische gehören, die nach Art oder Beschaffenheit ungenießbar sind. Aus dem Wortlaut dieser Anmerkung geht somit hervor, dass das entscheidende Kriterium für die Bestimmung, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Ware zu dem genannten Kapitel 3 gehört, ihre Genießbarkeit ist. Demnach kommt es darauf an, ob diese Ware in Form von gefrorenem Rückgrat von gezüchtetem Atlantischem Lachs, das man nach dem Filetieren des Fischs erhält, zur Zeit der Zollabfertigung genießbar war (vgl. entsprechend Urteile vom 9. August 1994, Neckermann Versand, C-395/93, Slg. 1994, I-4027, Randnr. 8, und vom 13. Juli 2006, Anagram International, C-14/05, Slg. 2006, I-6763, Randnr. 26), was vom nationalen Gericht zu prüfen ist.

28 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens trägt dazu vor, dass der begrenzte Wert der Ware, auch wenn das entsprechende Erzeugnis unter bestimmten Voraussetzungen genießbar sei, zeige, dass es nicht als Lebensmittel angesehen werden könne. Teil II Abschnitt I Kapitel 3 der KN betreffe seinem Aufbau nach nämlich Fische, deren Bestandteile oder Erzeugnisse noch als ganze Fische oder wesentliche Teile davon verwendet werden könnten. Fischrückgrat entspreche diesen Voraussetzungen indessen nicht, da es nicht mehr diese wesentlichen Eigenschaften und Merkmale aufweise, die auf objektiven Grundlagen und nach wirtschaftlichen Erwägungen eine Einreihung in eine Unterposition in Kapitel 3 erlaubten.

29 Da allerdings die Einreihung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Ware nach der in Randnr. 24 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung auf der Grundlage ihrer objektiven, im Wortlaut der Positionen von Teil II Abschnitt I Kapitel 3 der KN und den Anmerkungen dazu festgelegten Merkmale und Eigenschaften vorzunehmen ist, ist eindeutig, dass der entscheidende Faktor für die Einreihung dieser Ware ihre Genießbarkeit und nicht ihr Wert oder ihre Menge ist.

30 Nach alledem ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass die KN so auszulegen ist, dass gefrorenes Rückgrat von gezüchtetem Atlantischem Lachs (Salmo salar), das man nach dem Filetieren des Fischs erhält, in den KN-Code 0303 22 00 einzureihen ist, sofern die Ware zum Zeitpunkt der Zollabfertigung genießbar ist, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

Zur zweiten Frage

31 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 5 der Verordnung Nr. 85/2006 ungültig ist, da er insoweit gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt, als damit für gefrorenes Lachsrückgrat ein höherer Mindesteinfuhrpreis festgesetzt wird als für ganzen Fisch und für ausgenommenen Fisch mit Kopf.

32 Mit dieser Verordnung wird auf Einfuhren von gezüchtetem Lachs, auch filetiert, frisch, gekühlt oder gefroren, mit Ursprung in Norwegen für Waren des TARIC-Codes 0303 22 00 15 ("Sonstige [einschließlich ausgenommen, ohne Kopf], frisch, gekühlt oder gefroren"), in den die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Waren nach dem vom PMTK erlassenen Steuerbescheid Nr. 12-5/177 einzureihen sind, ein endgültiger Antidumpingzoll eingeführt. In Art. 1 Abs. 4 sieht diese Verordnung vor, dass der endgültige Antidumpingzoll der Differenz zwischen dem in Abs. 5 desselben Artikels festgesetzten Mindesteinfuhrpreis und dem Nettopreis frei Grenze der Gemeinschaft, unverzollt, entspricht, wenn Letzterer niedriger ist als der Mindesteinfuhrpreis. Für Waren des TARIC-Codes 0303 22 00 15 wird in der in diesem Abs. 5 enthaltenen Tabelle ein Mindesteinfuhrpreis von 3,49 Euro/kg festgesetzt, der in der Tat höher ist als der jeweils für ganze Fische oder ausgenommene Fische mit Kopf festgesetzte Mindesteinfuhrpreis von 2,80 bzw. 3,11 Euro/kg.

33 Der Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 85/2006 wurde später mit der am 16. April 2009 in Kraft getretenen Verordnung Nr. 319/2009 präzisiert.

34 Aus den Erwägungsgründen 5 bis 7 dieser Verordnung ergibt sich, dass die Kommission angesichts der zweiten im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsverfahrens gestellten Frage eine auf die Warendefinition beschränkte teilweise Interimsüberprüfung der Antidumpingmaßnahmen gegenüber den Einfuhren von Zuchtlachs mit Ursprung in Norwegen eingeleitet hat. Es wurde als angezeigt erachtet, zu prüfen, ob gefrorenes Rückgrat vom Lachs von der Definition der von der Verordnung Nr. 85/2006 betroffenen Waren, insbesondere derjenigen mit der Bezeichnung "Sonstige (einschließlich ausgenommen, ohne Kopf), frisch, gekühlt oder gefroren", die u. a. dem TARIC-Code 0303 22 00 15 entsprechen, erfasst wird.

35 Diese Überprüfung führte zu dem Ergebnis, dass Rückgrat vom Lachs und Zuchtlachs im Sinne der Definition in Art. 1 der Verordnung Nr. 85/2006 zwei verschiedene Waren sind, da sie nicht austauschbar sind und auf dem Gemeinschaftsmarkt nicht miteinander im Wettbewerb stehen. Demzufolge sieht Art. 1 Abs. 1 dieser Verordnung in der Fassung der Verordnung Nr. 319/2009 nunmehr vor, dass der in der Verordnung Nr. 85/2006 vorgesehene endgültige Antidumpingzoll für Rückgrat vom Lachs - bestehend aus einem zum Teil mit Fleischresten bedeckten Fischknochen -, das ein essbares Nebenerzeugnis der Fischwirtschaft ist und in den KN-Codes ex 0302 12 00, ex 0303 11 00, ex 0303 19 00 und ex 0303 22 00 eingereiht wird, nicht gilt, sofern der Gewichtsanteil der sich am Rückgrat befindenden Fleischreste nicht mehr als 40 % des Gewichts des Rückgrats vom Lachs beträgt.

36 Außerdem bestimmt Art. 3 der Verordnung Nr. 319/2009, dass diese Verordnung rückwirkend ab dem 21. Januar 2006 gilt. Dementsprechend sieht ihr Art. 2 vor, dass die endgültigen Antidumpingzölle, die für Waren, die nicht unter Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 85/2006 in ihrer durch die Verordnung Nr. 319/2009 geänderten Fassung fallen, gemäß Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 85/2006 in ihrer ursprünglichen Fassung entrichtet oder buchmäßig erfasst wurden, und die endgültig vereinnahmten vorläufigen Antidumpingzölle erstattet oder erlassen werden.

37 Es ist festzustellen, dass die rückwirkende Änderung der Verordnung Nr. 85/2006 durch die Verordnung Nr. 319/2009 dazu geführt hat, dass die Beantwortung der zweiten vom vorlegenden Gericht gestellten Frage durch den Gerichtshof für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht mehr von Interesse ist.

38 Aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt sich nämlich, dass dieses Gericht über von der Klägerin vorgelegte Beweise verfügt, die belegen, dass bei der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Ware das an dem Lachsrückgrat verbliebene Fleisch 24 % des Gewichts des Rückgrats nicht übersteigt, was das vorlegende Gericht gerade dazu veranlasst hat, sich die Frage zu stellen, ob die nach der Verordnung Nr. 85/2006 auf diese Ware angewandten Antidumpingzölle im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stehen.

39 Angesichts dieses belegten tatsächlichen Umstands zeigt sich, dass diese Ware nach der Verordnung Nr. 319/2009 als nie von der Anwendung der mit der Verordnung Nr. 85/2006 eingeführten Antidumpingzölle erfasst gilt.

40 Unter diesen Umständen ist die zweite Frage nicht mehr zu beantworten.

Kostenentscheidung:

Kosten

41 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

Die Kombinierte Nomenklatur für den Gemeinsamen Zolltarif in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1719/2005 der Kommission vom 27. Oktober 2005 geänderten Fassung ist so auszulegen, dass gefrorenes Rückgrat von gezüchtetem Atlantischem Lachs (Salmo salar), das man nach dem Filetieren des Fischs erhält, in den KN-Code 0303 22 00 einzureihen ist, sofern die Ware zum Zeitpunkt der Zollabfertigung genießbar ist, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.



Ende der Entscheidung

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