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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 29.02.1996
Aktenzeichen: C-56/93
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 173
EWG-Vertrag Art. 93 Abs. 2
EWG-Vertrag Art. 92
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Es kann als Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages angesehen werden, wenn ein Mitgliedstaat oder eine von ihm beeinflusste Einrichtung einen Tarif anwendet, der auf einem niedrigeren Niveau als üblich angesetzt wird. In einer solchen Situation handelt der Mitgliedstaat oder die Einrichtung nicht wie ein normaler Wirtschaftsteilnehmer, sondern benutzt den Vorzugstarif, um bestimmten Unternehmen einen finanziellen Vorteil dadurch zukommen zu lassen, daß er auf einen Gewinn verzichtet, den er üblicherweise erzielen könnte. Dagegen stellt ein Vorzugstarif, der im Kontext des betreffenden Marktes objektiv durch unternehmerische Gründe wie die Notwendigkeit gerechtfertigt ist, auf diesem Markt im Wettbewerb zu bestehen, keine Beihilfemaßnahme dar.

Vorzugstarife, die ein Mitgliedstaat bei Erdgaslieferungen für sehr grosse gewerbliche Abnehmer eines bestimmten Produktionssektors anwendet, stellen keine staatlichen Beihilfen dar, sofern sie erstens durch die Notwendigkeit gerechtfertigt werden, gegen den Wettbewerb durch Einfuhren aus Drittländern vorzugehen und einen bedeutenden Kundenstamm zu erhalten, und es zweitens der einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Vertreiber von Erdgas gewährte Exportpreis diesem ermöglicht, den sehr grossen gewerblichen Abnehmern des gleichen Produktionssektors in dem zweiten Mitgliedstaat einen vergleichbaren Tarif zu gewähren.

2. Die gerichtliche Kontrolle einer die Würdigung komplexer wirtschaftlicher Gegebenheiten einschließenden Handlung, durch die die Kommission die Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages feststellt, ist auf die Prüfung der Fragen zu beschränken, ob die Verfahrens- und Begründungsvorschriften eingehalten worden sind, ob der Sachverhalt, der der getroffenen Entscheidung zugrunde gelegt wurde, zutreffend festgestellt worden ist und ob keine offensichtlich fehlerhafte Würdigung dieses Sachverhalts und kein Ermessensmißbrauch vorliegen.

3. Artikel 92 des Vertrages erfasst finanzielle Maßnahmen eines Staates nicht nach ihren Gründen oder Zielen, sondern nach ihren Auswirkungen auf den Wettbewerb und den Handel zwischen Mitgliedstaaten. Hieraus folgt, daß eine Praxis eines Mitgliedstaats, die objektiv durch unternehmerische Gründe gerechtfertigt ist, nicht allein deshalb, weil sie zugleich die Verwirklichung eines politischen Ziels ermöglicht, als staatliche Beihilfe anzusehen ist.

4. Die nach Artikel 190 des Vertrages vorgeschriebene Begründung muß der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, daß die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und der Gerichtshof seine Kontrolle ausüben kann. In der Begründung eines Rechtsakts brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Artikels 190 des Vertrages genügt, nicht nur im Hinblick auf ihren Wortlaut zu beurteilen ist, sondern auch anhand ihres Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet.

In einem Fall, in dem einer Entscheidung der Kommission, mit der die Vereinbarkeit einer staatlichen Maßnahme mit Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages festgestellt wird, eine andere Entscheidung der Kommission betreffend die gleiche Maßnahme, ein durch die Schlussanträge des Generalanwalts erläutertes Urteil des Gerichtshofes, mit dem diese Entscheidung aufgehoben wurde, und eine Mitteilung der Kommission, mit der das nach Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages eingeleitete Verfahren wiedereröffnet wurde, vorausgingen, und in der Entscheidung auf alle diese Vorgänge Bezug genommen wird, sind diese Umstände bei der Prüfung der Frage, ob sie ausreichend begründet ist, zu berücksichtigen.


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 29. Februar 1996. - Königreich Belgien gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Staatliche Beihilfen - Vorzugstarife, die niederländischen Erzeugern von Stickstoffdünger bei der Lieferung von Erdgas gewährt werden. - Rechtssache C-56/93.

Entscheidungsgründe:

1 Das Königreich Belgien hat mit Klageschrift, die am 2. März 1993 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Nichtigerklärung der am 29. Dezember 1992 den übrigen Mitgliedstaaten und anderen Beteiligten mitgeteilten Entscheidung der Kommission gemäß Artikel 93 Absatz 2 EWG-Vertrag in bezug auf die in den Niederlanden zugunsten der Erzeuger von Stickstoffdünger bei der Lieferung von Erdgas gewährten Vorzugstarife (ABl. C 344, S. 4, im folgenden: Entscheidung).

2 Die Kommission hatte am 25. Oktober 1983 ein Verfahren nach Artikel 93 Absatz 2 EWG-Vertrag in bezug auf die Vorzugstarife eröffnet, die den niederländischen Erzeugern von Stickstoffdünger durch die NV Nederlandse Gasunie (im folgenden: Gasunie), ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen, das sich unmittelbar oder mittelbar zu 50 % im Eigentum des niederländischen Staates befindet, gewährt werden.

3 Während dieses Verfahrens hatte die Gasunie ihr Tarifschema u. a. dadurch geändert, daß sie rückwirkend zum 1. November 1983 einen neuen, den sogenannten "Tarif F" eingeführt hatte, der gewerblichen Grösstabnehmern in den Niederlanden mit Ausnahme der Unternehmen des Energiesektors berechnet werden sollte, die bestimmte Voraussetzungen hinsichtlich der verbrauchten Gasmengen und der Betriebszeit erfuellten sowie mit Unterbrechungen der Lieferungen und mit der Belieferung mit Gasarten unterschiedlichen Heizwerts einverstanden waren. In der Praxis sollte der Tarif F vor allem den niederländischen Herstellern von Ammoniak für die Stickstoffdüngererzeugung zugute kommen. Er entsprach dem Tarif für gewerbliche Grossabnehmer abzueglich eines variablen Preisnachlasses von maximal 5 Cent/m3.

4 Am 17. April 1984 hatte die Kommission beschlossen, das Verfahren nach Artikel 93 Absatz 2 EWG-Vertrag einzustellen, da der Tarif F keines der Tatbestandsmerkmale einer staatlichen Beihilfe erfuelle. Sie hatte dabei u. a. in Betracht gezogen, daß die Gasunie mit Rücksicht auf die Bedeutung der Betriebszeit und die von den gewerblichen Grossabnehmern, insbesondere den Stickstoffdüngemittelerzeugern, erfuellten Lieferbedingungen erhebliche Einsparungen bei den Lieferkosten erziele.

5 Auf eine von französichen Ammoniakherstellern erhobene Klage hat der Gerichtshof diese Entscheidung mit Urteil vom 12. Juli 1990 in der Rechtssache C-169/84 (CdF Chimie AZF/Kommission, Slg. 1990, I-3083) aufgehoben. Das Urteil beruht auf einem vom Gerichtshof eingeholten Sachverständigengutachten, nach dem sich die Einsparungen, die die Gasunie bei Erdgaslieferungen zum Tarif F hatte, auf höchstens 0,5 Cent/m3 beliefen, während die Kommission dieselben Faktoren mit 5 Cent/m3 veranschlagt habe; die Nachlässe für Kunden, denen der Tarif F gewährt worden sei, hätten daher wohl auf anderen Erwägungen beruht. Der Gerichtshof hat hieraus geschlossen, daß der Kommission ein offensichtlicher Fehler bei der Beurteilung des Sachverhalts unterlaufen war.

6 Die Kommission kam bei einer von ihr daraufhin vorgenommen erneuten Prüfung der Vereinbarkeit des Tarifs F mit den Artikeln 92 und 93 EWG-Vertrag zu dem Ergebnis, daß sich dieser Tarif aus wirtschaftlichen Gründen rechtfertigen lasse, daß den niederländischen Ammoniakherstellern dadurch keine Vorteile gegenüber den Wettbewerbern in anderen Mitgliedstaaten erwüchsen und daß der niederländische Staat keinen Einfluß auf die Tarifgestaltung ausgeuebt habe, der über das für einen Anteilseigner übliche Maß hinausgegangen wäre, da er keine Einkommensverluste in Kauf genommen habe. Sie hat diesen Tarif daher als vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt angesehen und beschlossen, das Verfahren nach Artikel 93 Absatz 2 EWG-Vertrag einzustellen.

7 Gegen diese Einstellungsentscheidung hat das Königreich Belgien die vorliegende Klage erhoben. Es stützt diese Klage auf drei Klagegründe, mit denen eine offensichtlich fehlerhafte Würdigung des Sachverhalts, eine irrige Auslegung von Artikel 92 EWG-Vertrag und eine unzureichende Begründung beanstandet werden.

8 Ausweislich der Akten führte die Gasunie ein neues Tarifsystem ein, so daß der Tarif F nach dem 31. Dezember 1991 nicht mehr angewendet wurde.

Zum Klagegrund einer offensichtlich fehlerhaften Würdigung des Sachverhalts

9 Mit diesem Klagegrund beanstandet das Königreich Belgien, daß die Kommission zu dem Ergebnis gelangt sei, der Tarif F sei aus unternehmerischen Gründen gerechtfertigt gewesen und den niederländischen Ammoniakherstellern seien dadurch keine Vorteile gegenüber den Wettbewerbern in anderen Mitgliedstaaten erwachsen.

Zum Ergebnis der Kommission, daß der Tarif F aus unternehmerischen Gründen gerechtfertigt gewesen sei

10 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes kann es als Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EWG-Vertrag angesehen werden, wenn ein Mitgliedstaat oder eine von ihm beeinflusste Einrichtung einen Tarif anwendet, der auf einem niedrigeren Niveau als üblich angesetzt wird. In einer solchen Situation handelt der Mitgliedstaat oder die Einrichtung nicht wie ein normaler Wirtschaftsteilnehmer, sondern benutzt den Vorzugstarif, um bestimmten Unternehmen einen finanziellen Vorteil dadurch zukommen zu lassen, daß er auf einen Gewinn verzichtet, den er üblicherweise erzielen könnte. Dagegen stellt ein Vorzugstarif, der im Kontext des betreffenden Marktes objektiv durch unternehmerische Gründe wie die Notwendigkeit gerechtfertigt ist, auf diesem Markt im Wettbewerb zu bestehen, keine Beihilfemaßnahme dar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Februar 1988 in den verbundenen Rechtssachen 67/85, 68/85 und 70/85, Van der Kooy/Kommission, Slg. 1988, 219, Randnrn. 28 bis 30).

11 Dabei geht es um die Würdigung komplexer wirtschaftlicher Gegebenheiten. Nach ständiger Rechtsprechung ist die gerichtliche Kontrolle einer Handlung der Kommission, die eine solche Würdigung einschließt, auf die Prüfung der Fragen zu beschränken, ob die Verfahrens- und Begründungsvorschriften eingehalten worden sind, ob der Sachverhalt, der der getroffenen Entscheidung zugrunde gelegt wurde, zutreffend festgestellt worden ist und ob keine offensichtlich fehlerhafte Würdigung dieses Sachverhalts und kein Ermessensmißbrauch vorliegen (vgl. insbesondere Urteile vom 29. Oktober 1980 in der Rechtssache 138/79, Roquette/Rat, Slg. 1980, 3333, Randnr. 25; vom 17. November 1987 in den verbundenen Rechtssachen 142/84 und 156/84, BAT und Reynolds/Kommission, Slg. 1987, 4487, Randnr. 62; vom 10. März 1992 in der Rechtssache C-174/87, Ricoh/Rat, Slg. 1992, I-1335, Randnr. 68, und vom 15. Juni 1993 in der Rechtssache C-225/91, Matra/Kommission, Slg. 1993, I-3202, Randnr. 25).

12 Die Kommission, unterstützt vom Königreich der Niederlande, macht geltend, der Tarif F sei dadurch gerechtfertigt, daß sich die Gasunie auf dem Markt für Ammoniak im Wettbewerb mit Ammoniakeinfuhren aus Drittländern behaupten müsse.

13 Die Kommission führt aus, Erdgas stelle den Hauptgrundstoff für die Ammoniakherstellung dar und mache ungefähr 75 % der Gestehungskosten von Ammoniak aus. Ammoniak wiederum sei der Grundstoff für die Herstellung von Stickstoffdünger und mache ungefähr 60 % von dessen Gestehungskosten aus. Die niederländischen Erzeuger von Stickstoffdünger stellten in der Regel das von ihnen benötigte Ammoniak selbst her und nähmen jährlich rund 30 % der Erdgaslieferungen der Gasunie an die niederländische Industrie ab. Sofern der Preis des für die Ammoniakherstellung verwendeten Erdgases jedoch zu hoch sei, würden die Düngemittelhersteller das Ammoniak kaufen, statt es selbst herzustellen.

14 Nach Auffassung der Kommission und des Königreichs der Niederlande war die Situation der Ammoniakindustrie der Gemeinschaft in den achtziger Jahren derart, daß für die Gasunie die Gefahr des Verlustes eines wesentlichen Absatzmarktes bestanden hätte, wenn sie den niederländischen Erzeugern von Stickstoffdünger keine Sondertarife gewährt hätte. Es lägen daher keine Anhaltspunkte dafür vor, daß sich die Gasunie mit ihren Gaslieferungen zum Tarif F an die niederländischen Erzeuger von Stiffstoffdünger anders verhalten habe als ein normales privatwirtschaftliches Unternehmen.

15 Das Königreich Belgien macht geltend, der Tarif F sei nicht durch unternehmerische Gründe gerechtfertigt gewesen, er sei vielmehr aus politischen Gründen angewendet worden, nämlich um den niederländischen Ammoniakherstellern einen Vorteil zu verschaffen. Es beanstandet insoweit die Begründung der angefochtenen Entscheidung in mehreren Punkten.

16 Allerdings sei der Tarif F nicht geheim und stelle den Leitpreis für Erdgaslieferungen an Ammoniakhersteller im Nordwesten von Kontinentaleuropa dar. Er sei jedoch erstens nicht öffentlich, da er im Gegensatz zu den anderen Tarifen der Gasunie nicht veröffentlicht werde.

17 Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen. Nach Randnummer 15 des Urteils CdF Chimie AZF/Kommission, auf die die Kommission hingewiesen hat, war der Tarif F ein öffentlicher Tarif, dessen Anwendungsvoraussetzungen allgemein bekannt und völlig klar waren.

18 Das Königreich Belgien macht zweitens geltend, aus der Feststellung der Kommission, daß die Gasunie während der gesamten Geltungsdauer des Tarifs F stets Gewinne verzeichnet habe (Absatz 16 der Entscheidung), folge nicht, daß dieser Tarif eine übliche unternehmerische, weil wirtschaftlich vertretbare, Praxis gewesen sei. Der jährliche Gewinn der Gasunie sei nämlich in einer Vereinbarung zwischen den Aktionären der Gasunie und den niederländischen Erdgasherstellern pauschal auf 80 Millionen HFL festgesetzt worden. Die Gasunie beziehe das Gas von der Nederlandse Aardolie Maatschappij (im folgenden: NAM), einem weitgehend im Eigentum der Gesellschaften Shell und Esso stehenden Konsortium. Die NAM beute die niederländischen Erdgasvorkommen für Rechnung der Maatschap Groningen aus, an der sie zu 60 % und der niederländische Staat zu 40 % beteiligt seien. Der niederländische Staat erhalte ungefähr 80 % der Gewinne aus dem Erdgasverkauf. Entsprechend dem System der Preisfestsetzung des sogenannten "Netback" beziehe die Gasunie das Erdgas von der NAM zu einem Preis, der dem von ihr auf ihren verschiedenen Märkten berechneten Endverkaufspreis abzueglich ihrer Transportkosten und sonstigen Unkosten sowie ihres jährlichen pauschal berechneten Gewinns entspreche. Die Gasunie stelle daher nur eine Kostenstelle dar und trage kein Risiko, da ihre Kosten und ihr Gewinn unabhängig von dem ihren Kunden berechneten Preis gewährleistet seien.

19 Die Kommission macht, unterstützt vom Königreich der Niederlande, geltend, der Gewinn von 80 Millionen HFL jährlich stelle den Gewinn dar, den die Gasunie höchstens behalten dürfe, da darüber hinausgehende Beträge an die NAM abgeführt würden. Ihre tatsächlichen Gewinne während der Geltungsdauer des Tarifs F seien nämlich wesentlich höher gewesen. Auf diese tatsächlichen Gewinne habe die Kommission in ihrer Entscheidung Bezug genommen.

20 Wie das Königreich Belgien in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, sind die von der Kommission angesprochenen tatsächlichen Gewinne in Wirklichkeit die Gewinne der Lieferanten der Gasunie, so daß es der Entscheidung der Kommission insoweit in der Tat an Klarheit und Eindeutigkeit fehlt. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, daß der Kommission bei der Würdigung des Sachverhalts ein offensichtlicher Fehler unterlaufen sei. Wie das Königreich der Niederlande betont hat, wollte die Kommission mit ihrer Feststellung zeigen, daß die Anwendung des Tarifs F eine übliche unternehmerische, wirtschaftlich vertretbare Praxis darstelle. Für diese Frage ist nicht von ausschlaggebender Bedeutung, ob die Gewinne letztlich nicht bei der Gasunie, sondern bei der Maatschap Groningen anfielen. Das Vorbringen des Königreichs Belgien ist daher zurückzuweisen.

21 Das Königreich Belgien beanstandet drittens die Auffassung der Kommission, die variablen Kosten und die Fixkosten der Gasunie hätten deutlich unter dem Tarif F gelegen, so daß die Gasunie in der Lage gewesen sei, ihre Nettöinkünfte zu steigern, indem sie das Gas zum Tarif F verkauft habe und so einen bedeutenden Kundenstamm an sich habe binden können, den sie ohne die Einräumung des Tarifs F unter Umständen verloren hätte (Absatz 17 der Entscheidung). Diese Feststellung steht nach Auffassung des Königreichs Belgien in Widerspruch zu den Jahresberichten der Gasunie für 1990 und 1991, aus denen sich ergebe, daß der von der Gasunie im Durchschnitt bezahlte Ankaufspreis für Erdgas über dem Tarif F gelegen habe.

22 Daß der durchschnittliche Ankaufspreis, wie die Kommission und das Königreich der Niederlande bestätigen, über dem Tarif F lag, spricht nicht gegen die Auffassung der Kommission. Vielmehr ergab sich der durchschnittliche Ankaufspreis der Gasunie aus den unterschiedlichen Endabnehmerpreisen auf ihren verschiedenen Märkten abzueglich ihrer Kosten und ihres Gewinns. Angaben über den durchschnittlichen Ankaufspreis sind daher keine ausreichende Grundlage, um die Feststellung der Kommission hinsichtlich der variablen Kosten und der Fixkosten der Gasunie zu widerlegen. Dieses Vorbringen ist daher gleichfalls zurückzuweisen.

23 Das Königreich Belgien macht viertens geltend, die Kommission habe zu Unrecht angenommen, für die Gasunie habe die Notwendigkeit bestanden, die niederländischen Hersteller von Kunstdünger als Kunden an sich zu binden, weil sie 1982 wichtige Marktanteile in Frankreich verloren habe (Absatz 24 der Entscheidung). Dieser Verlust sei nämlich eine Folge der Politik der Gasunie gewesen, da die Niederlande in den siebziger Jahren mit Rücksicht auf die erste Erdölkrise von 1973/74 beschlossen hätten, den Umfang der für die Ausfuhr bestimmten Erdgasproduktion zu verringern.

24 Wie die Kommission und das Königreich der Niederlande zu Recht ausführen, hat das Königreich Belgien einen relevanten Zusammenhang zwischen der Entscheidung von 1974 und dem Umstand, daß die Gasunie 1982 Marktanteile in Frankreich verloren hatte, nicht beweisen können. Dieses Vorbringen ist daher zurückzuweisen.

25 Das Königreich Belgien beanstandet fünftens folgende Feststellung der Kommission: "... Ist das bei der Ammoniaksynthese verwendete Gas zu teuer, wird [ein Stickstoffdüngemittelerzeuger] voraussichtlich ° sofern er die Möglichkeit dazu hat ° das Ammoniak von anderen Herstellern zu einem im Vergleich zur Eigenproduktion niedrigeren Selbstkostenpreis beziehen (wie dies z. B. 1983 in Belgien der Fall war)..." (Absatz 21 der Entscheidung). Die belgischen Erzeuger von Stickstoffdünger führten alljährlich Ammoniak ein, um die Differenz zwischen der Produktion und dem Verbrauch zu decken; es werde weder festgestellt, daß die Einfuhren des Jahres 1983 andere Gründe gehabt hätten, noch, daß das Produktionsniveau ungewöhnlich niedrig gewesen sei.

26 Die Kommission hat Daten über die belgischen Ammoniakeinfuhren von 1980 bis 1991 vorgelegt, die einen erheblichen Rückgang der belgischen Ammoniakherstellung zeigen. So stieg der durch Einfuhren gedeckte Anteil des belgischen Ammoniakbedarfs von 38 % in 1982 auf 51 % in 1983, und weiter auf mehr als 70 % Anfang der neunziger Jahre. Diese vom Königreich Belgien nicht bestrittenen Zahlen zeigen, daß die Kommission für ihre Auffassung bezueglich der Reaktionen der Stickstoffdüngemittelerzeuger auf einen relativ hohen Erdgaspreis auf das Beispiel Belgiens verweisen konnte. Dieses Vorbringen ist daher gleichfalls zurückzuweisen.

27 Das Königreich Belgien rügt sechstens, daß die Kommission bei ihrer Behauptung, die festgestellten oder geschätzten Erdgaspreise für Ammoniakhersteller in den Vereinigten Staaten, Venezuela, Trinidad und Tobago sowie im Nahen Osten hätten von 1981 bis 1991 stets deutlich unter den in den Niederlanden geltenden Tarifen gelegen (Absatz 22 der Entscheidung), auf Märkte Bezug nehme, die nicht vergleichbar seien. Die in diesen Ländern geltenden niedrigen Preise entsprächen dem tatsächlichen Wert des Erdgases auf den dortigen Märkten, während der Tarif F unter dem Wert des Erdgases auf dem europäischen Markt liege. Das Königreich Belgien legt hierfür Zahlen vor, nach denen der Tarif F unter dem Tarif liegt, der in verschiedenen europäischen Ländern für Lieferungen mit Unterbrechungsmöglichkeit an gewerbliche Grossabnehmer mit Zwei-Brennstoffbrennern gilt.

28 Im übrigen bestuenden auf dem Ammoniakmarkt im Gegensatz zum letztgenannten Markt schwer zu überwindende technische und kommerzielle Hindernisse für Lieferungsunterbrechungen, da es für die Ammoniakhersteller keinen substituierbaren Grundstoff gebe. Da die Lieferungen regelmässig und ohne Unterbrechung erfolgen müssten, habe das Erdgas für die Ammoniakhersteller einen höheren tatsächlichen Wert als für Hersteller anderer gewerblicher Bereiche.

29 Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen. Die Kommission weist zunächst zu Recht darauf hin, daß sie die erwähnten Märkte der Drittländer nicht mit dem Markt der Gemeinschaft habe vergleichen wollen, sondern nur aufgezeigt habe, daß die Ammoniakhersteller in diesen Drittländern tatsächliche und bedeutende Wettbewerber der Ammoniakhersteller in der Gemeinschaft seien.

30 Ferner ist das Vorbringen des Königreichs Belgien, daß der Tarif F unter dem Wert von Erdgas auf dem Gemeinschaftsmarkt gelegen habe, angesichts des Verfahrens für die Erdgaspreisbildung ohne Bedeutung. Da der Wert des Erdgases durch den Markt, für den es bestimmt ist ° also im vorliegenden Fall durch das Marktsegment der Ammoniakhersteller °, festgelegt wird, ist das Verhältnis zwischen dem Tarif F und dem Erdgaspreis für gewerbliche Grossabnehmer mit Zwei-Brennstoffbrennern dafür, ob die Kommission ihre Entscheidung auf diese Weise begründen konnte, nicht erheblich. Ausschlaggebend ist nämlich, ob die Wettbewerbsbedingungen des Marktes es rechtfertigten, daß die Gasunie den niederländischen Ammoniakherstellern einen niedrigeren Preis als anderen gewerblichen Sektoren gewährte. Auf diese Frage soll später eingegangen werden.

31 Auch das Vorbringen des Königreichs Belgien, eine Unterbrechung der Gaslieferungen für die Ammoniakhersteller sei tatsächlich nicht möglich gewesen, was den Wert des Gases für diesen Markt beeinflusst habe, ist nicht erheblich. Selbst wenn es nämlich zuträfe, würde es nicht die Feststellung der Kommission widerlegen, daß die Stickstoffdüngemittelerzeuger die Ammoniakherstellung einstellen würden, wenn der Gaspreis im Vergleich mit dem Preis eingeführten Ammoniaks zu hoch wäre.

32 Das Königreich Belgien wendet sich siebtens gegen die Auffassung der Kommission, die für den Export ° vor allem nach Belgien, Deutschland und Frankreich ° bestimmten Lieferungen seien sowohl vom Preis als auch von der Notwendigkeit zu Neuinvestitionen her weniger bedeutend als die Lieferungen an die gewerblichen Grossabnehmer gewesen (Absatz 24 der Entscheidung). Es macht geltend, die Ausfuhrpreise hätten über dem Tarif F gelegen, die bestehende Infrastruktur habe eine Erhöhung des Ausfuhrvolumens ohne Neuinvestitionen ermöglicht und es habe auf den Ausfuhrmärkten eine ausreichende Nachfrage bestanden, um einen Rückgang der Verkäufe an niederländische Erzeuger von Stickstoffdünger auszugleichen. Dieser Rückgang wäre nämlich in Anbetracht der bedeutenden Investitionen der niederländischen Stickstoffdüngemittelerzeuger wahrscheinlich schrittweise erfolgt.

33 Das Königreich der Niederlande habe ferner beschließen können, die Produktion von niederländischem Erdgas herabzusetzen, damit seine Erdgasvorräte länger hielten.

34 Die Kommission und das Königreich der Niederlande machen geltend, daß die Gasunie ohne die Anwendung des Tarifs F plötzlich einen wesentlichen Absatzmarkt verloren hätte, ohne diesen durch Ausfuhrmärkte ersetzen zu können. Die Ausfuhrverträge für Erdgas würden im Hinblick auf eine Gewährleistung der Versorgung langfristig abgeschlossen, so daß es für die Gasunie unmöglich gewesen sei, ihre Verkäufe an niederländische Ammoniakhersteller innerhalb kurzer Zeit durch Ausfuhren zu ersetzen. Die Verkäufe der Gasunie an die niederländischen Ammoniakhersteller machten ein Drittel der Verkäufe an die niederländische Industrie aus und entsprächen volumenmässig etwa den gesamten Erdgasverkäufen der Gasunie nach Belgien. Für eine Erhöhung der Ausfuhren hätten ferner technische Probleme, u. a. hinsichtlich der Qualität des Erdgases und seines Druckes, bestanden. Im übrigen habe der Ausfuhrpreis über dem Tarif F gelegen, weil er dem Mittel der verschiedenen auf den Sektormärkten des Einfuhrlandes geltenden Preise entsprochen habe. Da der Ausfuhrmarkt gesättigt gewesen sei, hätten die beträchtlichen weiteren Erdgasmengen nur zu wesentlich niedrigeren Preisen ausgeführt werden können. Die Kommission führt weiter aus, die Gefahr, die für Gasunie bestanden habe, werde dadurch belegt, daß in den Jahren 1992 und 1993 zahlreiche Ammoniakfabriken in der Gemeinschaft wegen der beträchtlichen Ammoniakeinfuhren aus Ländern des Ostens geschlossen worden seien.

35 Angesichts des Vorbringens der Kommission und des Königreichs der Niederlande hat das Königreich Belgien nicht dargetan, daß der Kommission mit der Feststellung, die Gasunie sei nicht in der Lage gewesen, einen Rückgang der Verkäufe an niederländische Erzeuger von Stickstoffdünger durch eine Erhöhung des Auslandsabsatzes auszugleichen, ein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen ist.

36 Zur Möglichkeit der Produktionseinschränkung weist der Generalanwalt in Nummer 71 seiner Schlussanträge zu Recht darauf hin, daß diese zu einem Rückgang der Erträge und damit zu einer weniger raschen Abschreibung der Investitionen geführt hätte. Unter diesen Umständen hat das Königreich Belgien nicht bewiesen, daß die von ihm vorgeschlagene Lösung unter unternehmerischen Gesichtspunkten zweckmässig gewesen wäre.

37 Das Königreich Belgien zieht schließlich die Erwägung der Kommission als solche in Zweifel, der Tarif F sei durch die Notwendigkeit gerechtfertigt gewesen, sich auf dem Ammoniakmarkt im Wettbewerb mit Einfuhren aus Drittländern zu behaupten. Dagegen spreche, daß der Tarif F den niederländischen Erzeugern von Stickstoffdünger auch dann gewährt worden sei, wenn der Wettbewerb mit dem eingeführten Ammoniak dies nicht erfordert habe, da der Ammoniakpreis hoch gewesen sei. Dies ergebe sich aus den von der Kommission vorgelegten Aufstellungen, nach denen der Preisnachlaß von maximal 5 Cent/m3 des Tarifs F auch zu Zeiten hoher Preise für eingeführtes Ammoniak gewährt worden sei, während bei niedrigen Ammoniakpreisen zeitweise ein geringerer Preisnachlaß gewährt worden sei.

38 Wie die Kommission und das Königreich der Niederlande zu Recht ausgeführt haben, sind bei der Beurteilung der Schwankungen des Tarifs F die Preise für Erdgas und für eingeführtes Ammoniak, unabhängig von ihrer absoluten Höhe, zueinander in Relation zu setzen. Ist der Preis für Erdgas im Verhältnis zum Preis für eingeführtes Ammoniak hoch, so kann es für einen Erzeuger von Stickstoffdünger unter unternehmerischen Gesichtspunkten lohnend sein, das Ammoniak zu kaufen, statt es selbst herzustellen.

39 Wie der Generalanwalt in den Nummern 86 bis 91 seiner Schlussanträge festgestellt hat, ergibt sich aus den von der Kommission vorgelegten Aufstellungen, daß der Tarif F grundsätzlich den Schwankungen der Märkte für Erdgas und für Ammoniak folgte, und daß sich bestimmte Verzögerungen durch zeitweilige Anpassungsprobleme erklären ließen. Da das Königreich Belgien keine näheren Angaben gemacht und keine ergänzenden Beweise vorgelegt hat, hat es nicht dargetan, daß die Kommission dadurch ihre Beurteilungsbefugnis in diesem Bereich überschritten hat, daß sie den Tarif F als erforderlich ansah, um auf dem Ammoniakmarkt gegen den Wettbewerb durch Einfuhren aus Drittländern vorzugehen und einen bedeutenden Kundenstamm zu erhalten.

40 Nach alledem ist der erste Teil dieses Klagegrundes nicht begründet.

Zum Ergebnis der Kommission, den niederländischen Ammoniakherstellern seien durch den Tarif F keine Vorteile gegenüber Wettbewerbern in anderen Mitgliedstaaten erwachsen

41 Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß der Bestimmung des zwischen der Gasunie und dem belgischen Versorgungsunternehmen Distrigaz vereinbarten Exportpreises das "Netback"-Verfahren zugrunde gelegt wurde, nach dem der Ankaufspreis auf der Grundlage des Marktwerts von Erdgas im Hinblick auf die verschiedenen im Einfuhrland dafür bestehenden Verwendungen unter Abzug der Transport- und Vertriebskosten sowie der Gewinnspanne der Distrigaz festgelegt wird. Der Exportpreis war ein unter Berücksichtigung der für die einzelnen Bereiche vorgesehenen Mengen festgesetzter Mittelwert der verschiedenen Marktwerte des Erdgases. Der Marktwert des Erdgases für die einzelnen Sektoren richtete sich weitgehend nach dem Preis der damit im Wettbewerb stehenden Erdölerzeugnisse ° Gasöl für den Sektor Haushalt/Gewerbe und schweres Heizöl für den industriellen Sektor ° zuzueglich eines Zuschlags für die Vorzuege des Erdgases.

42 Jedoch bildete dieses Verfahren nur die Grundlage für Verhandlungen zwischen den Parteien, in denen jede Partei versuchte, einen möglichst günstigen Preis zu erreichen. Bei diesen Verhandlungen wurde ein Globalpreis für alle Erdgasverkäufe der Gasunie an die Distrigaz festgelegt. Dieser Exportpreis wurde alle drei Jahre neu ausgehandelt.

43 Das Königreich Belgien bestreitet die Feststellung der Kommission, daß die Versorgungsunternehmen in Frankreich, Belgien und Deutschland die für die Stickstoffdüngemittelindustrie bestimmten Mengen zu einem Exportpreis bezogen hätten, der weitgehend dem Tarif F entsprochen habe (vgl. Absatz 8, vierter Gedankenstrich der Entscheidung).

44 Erstens habe der Exportpreis für die Ausfuhr von niederländischem Erdgas nach Belgien während langer Zeit über dem Tarif F gelegen.

45 Dieses Vorbringen ist nicht begründet. Wie die Kommission und das Königreich der Niederlande ausgeführt haben, gibt es Marktsektoren, wie den Sektor Haushalt, auf denen höhere Verkaufspreise erzielt werden können als auf den gewerblichen Sektoren, einschließlich des Sektors der Stickstoffdüngemittelerzeuger. Hieraus ergibt sich, daß der Exportpreis als Globalpreis, der einen Mittelwert der unterschiedlichen Preise auf den verschiedenen Marktsektoren darstellt, höher als der Tarif F sein kann.

46 Das Königreich Belgien macht zweitens geltend, es habe sich bei dem Exportpreis um einen für den gesamten Markt ausgehandelten Einheitspreis gehandelt, bei dem eine objektive Aufteilung auf die einzelnen Marktsektorenpreise nicht möglich sei. Hierfür spreche, daß es sich bei dem Zuschlag, der für Erdgas gegenüber den Ersatzenergien gezahlt worden sei, um einen für den gesamten Markt global vereinbarten Zuschlag gehandelt habe. Ferner habe sich die bei nicht vollständiger Abnahme der vertraglich vereinbarten Jahresmengen zu zahlende Entschädigung (Grundsatz des "take or pay") oder im Falle von Mehrabnahmen der Verkaufspreis nach dem einheitlichen Exportpreis gerichtet, unabhängig davon, welcher Marktsektor von der Verringerung oder Vergrösserung des Volumens betroffen gewesen sei.

47 Auch dieses Vorbringen ist zurückzuweisen. Auch wenn es sich bei dem Exportpreis um einen Einheitspreis handeln würde, bei dem sich die Sektorpreise nachträglich nicht mehr ermitteln lassen, wäre dies nicht ausschlaggebend, da feststeht, daß dieser Exportpreis teilweise auf der Grundlage eines Preisbildungsverfahrens bestimmt wurde, bei dem der Marktwert des Erdgases in den verschiedenen Marktsektoren berücksichtigt wird.

48 Drittens und abschließend bestreitet das Königreich Belgien, daß bei den zwischen der Gasunie und der Distrigaz geführten Verhandlungen über den Exportpreis der Markt der belgischen Erzeuger von Stickstoffdünger besonders berücksichtigt worden sei. Der Marktwert, der bei den für diesen Markt bestimmten Mengen zugrunde gelegt worden sei, habe sich nicht wesentlich von dem für die anderen gewerblichen Verwendungen berücksichtigten Marktwert unterschieden und daher nicht weitgehend dem Tarif F entsprochen.

49 Nach den Ausführungen der Kommission und des Königreichs der Niederlande wird der Marktpreis für Erdgas, das nicht als Brenn- oder Treibstoff, sondern als Grundstoff verwendet wird, nicht nur durch den Preis der konkurrierenden Erdölerzeugnisse, sondern auch durch den Preis der anderen Grundstoffe, darunter im vorliegenden Fall das eingeführte Ammoniak, beeinflusst.

50 Das Königreich Belgien bestreitet wohl nicht, daß der Marktwert des für die Hersteller von Stickstoffdünger bestimmten Erdgases auch durch den Preis für eingeführtes Ammoniak beeinflusst wird. Es weist im übrigen selbst darauf hin, daß die Distrigaz den belgischen Herstellern von Stickstoffdünger während eines grossen Teils des in Rede stehenden Zeitraums einen mit dem Tarif F vergleichbaren Preisnachlaß gewährt habe.

51 Diese Auffassung wird ferner durch das vom Gerichtshof in der Rechtssache CdF Chimie AZF/Kommission eingeholte Sachverständigengutachten bestätigt, dessen einschlägige Passage in Absatz 18 der streitigen Entscheidung zitiert wird. Wenn Erdgas in einem industriellen Verarbeitungsprozeß als Grundstoff Anwendung findet und der Preis dieses Grundstoffs bei der Ermittlung der Gestehungskosten des Endprodukts eine wesentliche Rolle spielt ° wie bei der Ammoniakherstellung °, ist nach Ansicht der Sachverständigen bei der Bestimmung des Marktpreises für den betreffenden Grundstoff nicht nur der Preis von Ersatzgrundstoffen ein maßgeblicher Faktor, sondern es kommt auch dem Verkaufspreis des Endproduktes wesentliche Bedeutung zu. Der Preis, den ein Ammoniakhersteller für den Grundstoff (z. B. Erdgas) höchstens zahlen würde, um die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Markt für das betreffende Endprodukt (z. B. Ammoniak) nicht zu verlieren, werde in einem komplizierten Verfahren festgestellt.

52 Das Königreich Belgien führt dagegen aus, bei den Verhandlungen zwischen der Gasunie und der Distrigaz über den Exportpreis seien die Erdgasverkäufe an die belgischen Erzeuger von Stickstoffdünger nicht als ein getrennter Marktsektor angesehen worden. Diese Verkäufe seien einfach Teil der Erdgasverkäufe auf dem gewerblichen Markt im allgemeinen gewesen und ihr Preis sei daher nur durch den Preis für schweres Heizöl und nicht durch den Preis für Ammoniak beeinflusst worden. Tatsächlich habe sich die Gasunie stets geweigert, den Erdgasverkaufspreis zu berücksichtigen, der von den gewerblichen Sektoren mit den niedrigsten Preisen, wie dem Ammoniaksektor, gezahlt werde, da sie der Auffassung gewesen sei, daß es Sache der Distrigaz sei, für die an diese Sektoren verkauften Mengen Preisnachlässe bei den norwegischen und algerischen Lieferanten auszuhandeln.

53 Die belgische Regierung führt ferner aus, der vertraglich vereinbarte Exportpreis sei lediglich an den Index der Preisentwicklung der Erdölerzeugnisse gebunden gewesen. Eine Indexbindung an die Entwicklung des Ammoniakpreises sei nicht vorgesehen gewesen.

54 Die belgische Regierung legt zur Stützung ihres Vorbringens eine Aufstellung mit der Überschrift "Simplified Presentation of Netback Analysis" vor, in der lediglich zwei Sektoren aufgeführt sind: der Sektor Haushalt/Gewerbe, für den der Marktwert unter Bezugnahme auf den Gasölpreis berechnet wird, und der Sektor Industrie, für den der Marktwert auf der Grundlage von schwerem Heizöl berechnet wird.

55 Das Königreich Belgien ist der Auffassung, daß die von der Kommission vorgelegte Aufstellung über das Verfahren der Preisbildung nicht als Grundlage für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits herangezogen werden könne. Jedenfalls könne diese Aufstellung die Auffassung der Kommission nicht stützen. Selbst wenn davon ausgegangen würde, daß bei der Bestimmung des Exportpreises ein gesonderter Marktwert für jeden industriellen Sektor berücksichtigt worden sei, zeige die Aufstellung, daß für den Sektor Stickstoffdünger der Marktwert ebenfalls auf der Grundlage des Preises für schweres Heizöl, nicht des Ammoniakpreises, bestimmt worden sei.

56 Die Distrigaz habe dadurch, daß sie ihren Preis für Erdgas für die belgischen Erzeuger von Stickstoffdünger nach dem niederländischen Leitpreis ausgerichtet habe, beträchtliche Verluste in diesem Marktsektor erlitten. Nur während des Zeitraums von Oktober 1984 bis Oktober 1986, während dessen die Gasunie der Distrigaz für einen als "defensiv" bezeichneten Teil von 20 % des Gesamtvolumens des bezogenen Erdgases einen Preisnachlaß gewährt habe, habe diese den belgischen Ammoniakherstellern das Erdgas ohne Verlust zu einem dem Tarif F entsprechenden Preis liefern können. Während des entscheidungserheblichen Zeitraums sei die Gesamtgewinnspanne der Distrigaz erheblich niedriger als diejenige der Gasunie gewesen.

57 Die Kommission und das Königreich der Niederlande machen geltend, bei dem Teil des Exportpreises, der dem Marktsektor der industriellen Kunden entspreche, seien alle Industriesektoren, darunter die Erzeuger von Stickstoffdünger, berücksichtigt worden. Der für die Distrigaz geltende Exportpreis habe es ihr daher ermöglicht, den belgischen Erzeugern von Stickstoffdünger einen mit dem Tarif F vergleichbaren Tarif zu gewähren. Es könne folglich gesagt werden, daß die Gasunie für die für die Stickstoffdüngerindustrie bestimmten Mengen einen Exportpreis angewendet habe, der weitgehend dem Tarif F entsprochen habe. Dies ergebe sich aus einer Aufstellung des niederländischen Wirtschaftsministeriums, in der der industrielle Sektor in verschiedene Subsektoren, u. a. Düngemittel, Papier, Maschinenbau und Chemie, aufgegliedert sei.

58 Im Hinblick auf den der Distrigaz gewährten Defensivanteil führt die Kommission aus, er habe ungefähr 7,5 % des belgischen Erdgasverbrauchs ausgemacht und entspreche damit den im entscheidungserheblichen Zeitraum von den belgischen Erzeugern von Stickstoffdünger verwendeten Erdgasmengen. Es bestehe eine zeitliche Übereinstimmung zwischen der Anwendung des Defensivanteils bei den Verkäufen an Distrigaz und dem den niederländischen Erzeugern von Stickstoffdünger gewährten Preisnachlaß. Der Nachlaß des Tarifs F, der in regelmässigen Abständen überprüft und auf der Grundlage des Ammoniakpreises neu berechnet worden sei, habe nämlich nur während der Anwendung des Defensivanteils sein höchstes Niveau von 5 Cent/m3 gehabt. Während der übrigen Zeit sei er niedriger gewesen.

59 Die Verluste der Distrigaz bei den Verkäufen an die Erzeuger von Stickstoffdünger schließlich seien fiktiv und auf die Buchungspraxis der Distrigaz zurückzuführen gewesen, aufgrund deren sie ihren Gewinn stets unter Bezugnahme auf den Globalexportpreis berechnet habe. Tatsächlich seien diese Verluste durch Verkäufe an andere Verbraucher, die einen höheren Preis als den Globalexportpreis gezahlt hätten, ausgeglichen worden. In der Tat habe die Distrigaz während des entscheidungserheblichen Zeitraums beträchtliche und ansteigende Gewinne gemacht.

60 Wie der Generalanwalt in Nummer 46 seiner Schlussanträge ausführt, steht die vom Königreich Belgien vorgelegte vereinfachte Aufstellung nicht in unmittelbarem Widerspruch zu der von der Kommission vorgelegten Aufstellung, mit der eine detailliertere Darstellung der Sektorpreisbildung gegeben werden soll. Das Königreich Belgien hat im übrigen nichts dafür vorgebracht, daß die Aufstellung der Kommission keine genaue Darstellung der formellen Grundlage der Verhandlungen zwischen der Gasunie und der Distrigaz darstellte.

61 Dagegen weist das Königreich Belgien zu Recht darauf hin, daß die zweite Spalte der von der Kommission vorgelegten Aufstellung, "Bestimmung des Ersatzbrennstoffs", für die meisten industriellen Sektoren, einschließlich der Düngemittelherstellung, die Angabe "grösstenteils Heizöl" enthalte.

62 Die Aufstellung hat jedoch noch eine dritte Spalte, "Marktwert für den einzelnen Sektor", aus der sich ergibt, daß der Marktwert von Erdgas gesondert für den Düngemittelsektor berechnet wird. Wie bereits in den Randnummern 49 bis 51 ausgeführt, wird der Marktwert des für den Stickstoffdüngemittelsektor bestimmten Erdgases nicht nur durch den Preis der konkurrierenden Erdölerzeugnisse, sondern auch durch den Preis für Ammoniak beeinflusst. Wie der Generalanwalt in Nummer 47 seiner Schlussanträge ausführt, kann unter diesen Umständen allein die Tatsache, daß in der Aufstellung der Einfluß des Ammoniakpreises auf den Preis des für den Stickstoffdüngemittelsektor bestimmten Erdgases nicht ausdrücklich erwähnt ist, nicht als Beweis dafür ausreichen, daß der Ammoniakpreis bei der Bestimmung des Exportpreises nicht berücksichtigt wurde.

63 Wie die Kommission ausführt, kann ferner der Umstand, daß die Distrigaz bei ihren Verkäufen an den Stickstoffdüngemittelsektor Verluste machte, nicht belegen, daß dieser Markt bei der Bestimmung des Exportpreises nicht berücksichtigt wurde, da diese Verluste unter Bezugnahme auf den Globalexportpreis berechnet und daher durch Gewinne auf anderen Marktsektoren, auf denen ein über dem Exportpreis liegender Verkaufspreis erzielt werden konnte, ausgeglichen wurden. Daß die Gesamtgewinnspanne der Distrigaz niedriger als diejenige der Gasunie war, könnte, wie der Generalanwalt in Nummer 37 seiner Schlussanträge ausführt, durch andere Faktoren zu erklären sein und reicht daher ebenfalls nicht als Beweis für die Auffassung des Königreichs Belgien aus.

64 Schließlich ist die Auffassung des Königreichs Belgien, daß der dem Stickstoffdüngemittelsektor entsprechende Teil des Exportpreises indexmässig an die Entwicklung des Preises der Erdölerzeugnisse, nicht des Ammoniakpreises, gebunden gewesen sei, zwar wohl zutreffend, aber nicht ausschlaggebend.

65 Wie der Generalanwalt in den Nummern 41, 42, 48 und 49 seiner Schlussanträge ausführt, ist auf der Grundlage der dem Gerichtshof zur Verfügung stehenden Informationen der Defensivanteil als eine Sonderregelung anzusehen, mit der der Preisnachlaß, der der Distrigaz mittels des Exportpreises gewährt wurde, während des Zeitraums, in dem der in den Niederlanden gemäß dem Tarif F gewährte Nachlaß sein höchstes Niveau von 5 Cent/m3 erreichte, für das Erdgas für die Stickstoffdüngemittelerzeuger ergänzt werden sollte. Diese Sonderregelung ersetzte also einen formellen Indexierungsmechanismus.

66 Das Königreich Belgien hat demnach nicht dargetan, daß die Feststellung der Kommission, der der Distrigaz gewährte Exportpreis habe es dieser ermöglicht, den belgischen Erzeugern von Stickstoffdünger einen dem Tarif F vergleichbaren Tarif zu gewähren, auf einer offensichtlich fehlerhaften Würdigung der wirtschaftlichen Daten beruhte.

67 Das Königreich Belgien macht in seiner Erwiderung geltend, es habe eine Wettbewerbsverzerrung zum Nachteil des belgischen Ammoniaksektors bestanden, da der Exportpreis die niederländische Umweltsteuer "Milieuheffing" eingeschlossen habe, während diese Steuer den niederländischen Ammoniakherstellern erstattet worden sei. Ferner hätten die belgischen Ammoniakhersteller einen Zuschlag von 5 BFR pro Gigajoule zahlen müssen.

68 Gemäß Artikel 42 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes können neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden, es sei denn, daß sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Da dies im vorliegenden Fall nicht zutrifft, ist diese Rüge zurückzuweisen.

69 Der zweite Teil des ersten Klagegrundes ist demnach ebenfalls nicht begründet. Dieser Klagegrund ist daher insgesamt zurückzuweisen.

Zum Klagegrund einer irrigen Auslegung von Artikel 92 EWG-Vertrag

70 Das Königreich Belgien macht erstens geltend, eine Rechtfertigung des Tarifs F durch niedrigere Erdgaspreise in anderen Staaten stehe im Widerspruch zum Urteil des Gerichtshofes vom 22. März 1977 in der Rechtssache 78/76 (Steinike & Weinlig, Slg. 1977, 595, Randnr. 24), wonach ein Mitgliedstaat einen Verstoß gegen Artikel 92 EWG-Vertrag nicht damit rechtfertigen könne, daß andere Mitgliedstaaten ebenfalls gegen Artikel 92 verstießen. Ferner habe die Kommission die besonderen Bedingungen der Erdgas- oder Ammoniakmärkte in den Mitgliedstaaten, in denen niedrigere Preise als in den Niederlanden gegolten hätten, nicht untersucht.

71 Das Königreich Belgien bezieht sich insoweit auf die Feststellung der Kommission, die Ammoniakhersteller in Italien, im Vereinigten Königreich und in Irland hätten ihren Erdgasbedarf zu Lieferpreisen decken können, die weit unter den niederländischen, belgischen und französischen Tarifen gelegen hätten (Absatz 8, dritter Gedankenstrich der Entscheidung).

72 Die Kommission führt in diesem Absatz jedoch nicht aus, daß die Preise in den genannten Mitgliedstaaten staatliche Beihilfen dargestellt hätten. Sie weist dort vielmehr ausdrücklich darauf hin, daß diese Preise unternehmerisch gerechtfertigt gewesen seien. Der erste Teil des zweiten Klagegrundes ist daher zurückzuweisen.

73 Das Königreich Belgien verweist zweitens auf die aus dem in Randnummer 51 angeführten Sachverständigengutachten übernommene Auffassung der Kommission, daß in Fällen, in denen Erdgas als Grundstoff Anwendung finde und sein Preis als solcher bei der Ermittlung der Gestehungskosten des Endproduktes eine wesentliche Rolle spiele, dessen Preis nicht nur von dem Ersatzerzeugnis, sondern auch von dem Endprodukt selbst abhängig sei (Absatz 18 der Entscheidung). Diese Ansicht stehe im Widerspruch zum Urteil des Gerichtshofes vom 14. Februar 1978 in der Rechtssache 27/76 (United Brands/Kommission, Slg. 1978, 207, Randnr. 229), wonach das Spiel von Angebot und Nachfrage im wesentlichen nur für die Stufe gelten sollte, auf der es sich tatsächlich äussere.

74 Dieser zweite Teil des Klagegrundes ist gleichfalls zurückzuweisen. Der Gerichtshof stellt in der Begründung des Urteils United Brands fest, daß die Marktmechanismen beeinträchtigt werden, wenn bei der Berechnung des Preises nicht das Gesetz von Angebot und Nachfrage zwischen Verkäufer und Käufer, damals: Vertriebshändler, sondern, eine Stufe des Marktes überspringend, das von Angebot und Nachfrage zwischen Verkäufer und Endverbraucher berücksichtigt wird (Randnr. 230 des Urteils). Diese Begründung steht nicht im Widerspruch zu den Ausführungen der Kommission, nach denen die Nachfrage der Stickstoffdüngemittelerzeuger nach Erdgas durch die Konkurrenz des eingeführten Ammoniaks beeinflusst wird.

75 Das Königreich Belgien macht drittens geltend, die Kommission habe entgegen dem Urteil Van der Kooy/Kommission (Randnr. 30) bei ihrer Entscheidung nicht berücksichtigt, welche Kosten den Erzeugern von Stickstoffdünger durch die Umstellung von der Herstellung von Ammoniak aus Erdgas auf den direkten Ammoniakkauf entstehen würden.

76 Wie die Kommission ausführt, ging es im vorliegenden Fall für die Stickstoffdüngemittelerzeuger nicht um eine Änderung ihrer Anlagen, sondern nur um die Aufgabe eines Produktionsschritts der Ammoniakherstellung. Nach Auffassung der Kommission hätten dadurch nur geringfügige Kosten entstehen können. Da das Königreich Belgien nichts vorgetragen hat, was diese Feststellung der Kommission widerlegen könnte, ist der dritte Teil des Klagegrundes zurückzuweisen.

77 Das Königreich Belgien macht viertens unter Berufung auf das Urteil Van der Kooy/Kommission (Randnr. 28) geltend, daß die Kommission hätte untersuchen müssen, ob die Gasunie auf einen Gewinn verzichtet habe, den sie hätte erzielen können. Ferner handele es sich bei dem Tarif F um eine staatliche Maßnahme, mit der für bestimmte Unternehmen ein finanzieller Vorteil begründet werden solle, auch wenn eine politische Entscheidung für die Erhaltung der Stickstoffdüngemittelproduktion in den Niederlanden möglicherweise auch im unternehmerischen Interesse der Gasunie liege, wie dies in dem für die Rechtssache CdF Chimie AZF/Kommission (a. a. O.) ausgearbeiteten Gutachten festgestellt worden sei.

78 Auch dieser vierte Teil des Klagegrundes ist zurückzuweisen. Zunächst ist nicht zu beanstanden, daß die Kommission in ihrer Entscheidung nicht ausdrücklich festgestellt hat, daß die Gasunie nicht auf einen Gewinn verzichtet habe, den sie üblicherweise habe erzielen können, da sie die Gründe im einzelnen aufführt, aus denen keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, daß sich die Gasunie mit ihren Gaslieferungen zum Tarif F an die niederländischen Stickstoffdüngemittelerzeuger unter den angegebenen Marktbedingungen anders verhalten habe als ein privatwirtschaftliches Unternehmen.

79 Nach ständiger Rechtsprechung unterscheidet ferner Artikel 92 EWG-Vertrag nicht nach den Gründen oder Zielen der jeweiligen Maßnahme, sondern beschreibt diese nach ihren Wirkungen (Urteile vom 2. Juli 1974 in der Rechtssache 173/73, Italien/Kommission, Slg. 1974, 709, und vom 24. Februar 1987 in der Rechtssache 310/85, Deufil/Kommission, Slg. 1987, 901, Randnr. 8). Ist eine Praxis durch unternehmerische Gründe objektiv gerechtfertigt, so wird sie dadurch, daß sie zugleich einem politischen Ziel dient, nicht zu einer staatlichen Beihilfe im Sinne von Artikel 92 EWG-Vertrag.

80 Das Königreich Belgien beanstandet fünftens, die Kommission habe den Widerspruch zwischen den offiziellen Voraussetzungen für die Anwendung des Tarifs F und der Praxis der Gasunie nicht erklärt; diese habe einerseits diesen Tarif auf Grossabnehmer, die die Voraussetzungen erfuellten, aber nicht zum Stickstoffdüngemittelsektor gehörten, nicht angewendet, ihn aber andererseits auf Stickstoffdüngemittelerzeuger, die die Voraussetzungen hinsichtlich des Volumens nicht erfuellten, angewendet.

81 Artikel 92 EWG-Vertrag gilt nur für staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen, die bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige begünstigen. In dem Urteil CdF Chimie AZF/Kommission (Randnr. 23) hat der Gerichtshof festgestellt, daß der Tarif F sektorbezogen ist, da er für bestimmte Unternehmen, nämlich die niederländischen Ammoniakhersteller, gilt.

82 Die Kommission hat in ihrer Entscheidung festgestellt, daß der Tarif F sektorbezogen gewesen sei. So hat sie ausgeführt, daß die Gasunie darüber hinaus eine Reihe anderer Kunden gehabt habe, deren Verbrauch dem Verbrauch einiger Düngemittelerzeuger mengenmässig in etwa entsprochen habe, deren Existenz jedoch nicht gefährdet gewesen sei. Es sei eine gängige Geschäftspraxis, daß ein Unternehmen einen ° vertretbaren ° Preisnachlaß gewähre, wenn eine wirtschaftliche Notwendigkeit dazu gegeben sei. Eine solche Notwendigkeit habe seitens dieser Kundschaft angesichts fehlender Substitutionsmöglichkeiten jedoch nicht vorgelegen (Absatz 15 der Entscheidung).

83 Es ist unter diesen Umständen nicht zu beanstanden, daß die Kommission nicht untersucht hat, aus welchen Gründen die Gasunie ein Interesse daran haben konnte, formelle und anscheinend neutrale Voraussetzungen festzulegen, statt ausdrücklich zu erklären, daß es sich um einen sektorbezogenen Tarif handele.

84 Da der letzte Teil des zweiten Klagegrundes ebenfalls zurückzuweisen ist, ist dieser Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

Zum Klagegrund einer unzureichenden Begründung

85 Das Königreich Belgien macht geltend, die Entscheidungsbegründung genüge den Erfordernissen des Artikels 190 EWG-Vertrag nicht, da sie unverständlich und nicht ausreichend sei und ferner das Ergebnis, zu dem die Kommission gelange, nicht auf der Begründung beruhe.

86 Nach ständiger Rechtsprechung muß die nach Artikel 190 EWG-Vertrag vorgeschriebene Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, daß die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und der Gerichtshof seine Kontrolle ausüben kann. In der Begründung eines Rechtsakts brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Artikels 190 EWG-Vertrag genügt, nicht nur im Hinblick auf ihren Wortlaut zu beurteilen ist, sondern auch anhand ihres Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (vgl. insbesondere Urteile vom 14. Februar 1990 in der Rechtssache C-350/88, Delacre u. a./Kommission, Slg. 1990, I-395, Randnrn. 15 und 16, und vom 9. November 1995 in der Rechtssache C-466/93, Atlanta Fruchthandelsgesellschaft, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 16).

87 Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, daß die Entscheidung der Kommission nach einer früheren Entscheidung der Kommission, einem Urteil des Gerichtshofes, mit dem diese Entscheidung aufgehoben wurde, und einer Mitteilung der Kommission erlassen wurde, mit der das nach Artikel 93 Absatz 2 EWG-Vertrag eingeleitete Verfahren wiedereröffnet und die Beteiligten zur Äusserung aufgefordert wurden (ABl. 1992, C 10, S. 3); auf alle diese Vorgänge wird in der Entscheidung Bezug genommen.

88 Das Königreich Belgien rügt, daß der Tarif F und die Voraussetzungen für seine Anwendung in der Entscheidung nicht erläutert würden und daß nicht darauf hingewiesen werde, daß der Nachlaß des Tarifs F variabel gewesen sei.

89 Diese Umstände sind sowohl in dem Urteil des Gerichtshofes, mit dem die frühere Entscheidung aufgehoben wurde, als auch in den damaligen Schlussanträgen von Generalanwalt Mischo, als auch in der Mitteilung der Kommission über die Wiedereröffnung des nach Artikel 93 Absatz 2 EWG-Vertrag eingeleiteten Verfahrens erwähnt. Die Beteiligten konnten daher von ihnen Kenntnis nehmen und sich vor dem Gerichtshof zu ihnen äussern.

90 Wie der Generalanwalt in den Nummern 110 und 111 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist das weitere Vorbringen der belgischen Regierung im Rahmen dieses Klagegrundes eine Wiederholung der Argumente, die sie zur Begründung des Klagegrundes einer irrigen Auslegung von Artikel 92 EWG-Vertrag angeführt hat. Sie sind daher auch im vorliegenden Zusammenhang zurückzuweisen.

91 Der dritte Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

92 Da keiner der vom Königreich Belgien angeführten Klagegründe durchgreift, ist die Klage als unbegründet abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

93 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission einen Kostenantrag gestellt hat und das Königreich Belgien mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen. Das Königreich der Niederlande, das dem Rechtsstreit beigetreten ist, hat gemäß Artikel 69 § 4 der Verfahrensordnung seine eigenen Kosten zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streithelfer trägt seine eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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