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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 05.02.1992
Aktenzeichen: C-59/91
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, VerfO Gerichtshof, Satzung Geichtshof
Vorschriften:
EWG-Vertrag Art. 173 Abs. 3 | |
VerfO Gerichtshof Art. 81 § 1 | |
VerfO Gerichtshof Art. 80 § 2 | |
Satzung Geichtshof Art. 42 Abs. 2 |
1. Eine Klagefrist, die in Kalendermonaten ausgedrückt ist, endet mit Ablauf des Tages, der in dem durch die Frist bezeichneten Monat dieselbe Zahl trägt wie der Tag, an dem die Frist in Gang gesetzt worden ist.
2. Von den Gemeinschaftsvorschriften über die Verfahrensfristen kann nur unter ganz aussergewöhnlichen Umständen, bei Vorliegen eines Zufalls oder eines Falles höherer Gewalt im Sinne von Artikel 42 Absatz 2 der Satzung des Gerichtshofes der EWG, abgewichen werden, da die strikte Anwendung dieser Vorschriften dem Erfordernis der Rechtssicherheit und der Notwendigkeit entspricht, jede Diskriminierung oder willkürliche Behandlung bei der Gewährung von Rechtsschutz zu vermeiden.
BESCHLUSS DES GERICHTSHOFES VOM 5. FEBRUAR 1992. - FRANZOESISCHE REPUBLIK GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - UNZULAESSIGKEIT. - RECHTSSACHE C-59/91.
Entscheidungsgründe:
1 Die französische Regierung hat mit Klageschrift, die am 12. Februar 1991 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 EWG-Vertrag die Nichtigerklärung der ihr am 3. Dezember 1990 bekanntgegebenen Entscheidung 90/644/EWG der Kommission vom 30. November 1990 über den Rechnungsabschluß der Mitgliedstaaten für die vom Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft, Abteilung Garantie (EAGFL), im Haushaltsjahr 1988 finanzierten Ausgaben beantragt, soweit diese Entscheidung ihr gegenüber finanzielle Berichtigungen betreffend Ausfuhrerstattungen sowie die zusätzliche Abgabe im Milchsektor vornimmt.
2 Mit am 26. März 1991 eingegangenem Antrag hat die Kommission gemäß Artikel 91 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes eine Einrede der Unzulässigkeit wegen verspäteter Klageerhebung erhoben.
3 Die Kommission macht geltend, daß die Klage nicht binnen der in Artikel 173 Absatz 3 EWG-Vertrag vorgesehenen Zweimonatsfrist erhoben worden sei. Da der Klägerin die angegriffene Entscheidung am 3. Dezember 1990 bekanntgegeben worden sei, wäre diese Frist von zwei Monaten am 3. Februar 1991 abgelaufen. Unter Berücksichtigung der in Artikel 81 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes vorgesehenen zusätzlichen Entfernungsfrist, die für französische Kläger sechs Tage betrage, sei die Klagefrist im vorliegenden Fall jedoch am 9. Februar 1991 abgelaufen. Die Klage sei aber erst am 12. Februar 1991 erhoben worden.
4 Die Klägerin ist der Auffassung, die Klagefrist sei nicht am Samstag, dem 9. Februar 1991, sondern am Montag, dem 11. Februar 1991, abgelaufen. Gemäß Artikel 81 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes habe diese Frist nämlich am Tag nach der Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung, also am 4. Dezember 1990, begonnen. Berücksichtige man die sechs Tage der Entfernungsfrist, so sei die Frist am 10. Februar 1991 abgelaufen. Da dieses Datum auf einen Sonntag gefallen sei, habe die Frist gemäß Artikel 80 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes am 11. Februar 1991 geendet. Die Klage sei demzufolge höchstens einen Tag nach Fristablauf erhoben worden.
5 Dazu trägt die Klägerin vor, daß ihr diese Fristüberschreitung nicht zugerechnet werden könne, da sie alles Erforderliche getan habe, damit die Klage rechtzeitig bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingehe. Die Klageschrift sei mit dem Vermerk "Eilzustellung" am 8. Februar 1991 aufgegeben worden und hätte spätestens am Tag danach dem Gerichtshof zugehen müssen, wenn man die normale Beförderungszeit der Post zugrunde lege. Nach Auffassung der Klägerin liegt bei der Fristüberschreitung ein Zufall oder ein Fall höherer Gewalt im Sinne von Artikel 42 Absatz 2 der Satzung des Gerichtshofes der EWG vor, der mit dem Karnevalswochenende, an dem zwischen Samstag, 9 Uhr abends, und Dienstag, 12 Uhr mittags, tatsächlich keine Post in der Kanzlei des Gerichtshofes habe verteilt werden können, oder mit den äusserst ungünstigen Witterungsbedingungen zusammengehangen habe, die an dem fraglichen Wochenende geherrscht hätten.
6 Wie der Gerichtshof bereits im Urteil vom 15. Januar 1987 in der Rechtssache 152/85 (Misset/Rat, Slg. 1987, 223) sowie im Beschluß vom 15. Mai 1991 in der Rechtssache C-122/90 (Emsland-Stärke/Kommission, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, ABl. C 194 vom 25.7.1991, S. 6) entschieden hat, endet die Klagefrist, wenn sie, wie im vorliegenden Fall, in Kalendermonaten ausgedrückt ist, mit Ablauf des Tages, der in dem durch die Frist bezeichneten Monat dieselbe Zahl trägt wie der Tag, an dem die Frist in Gang gesetzt worden ist, also der Tag der Bekanntgabe. Hinzu kommt die zusätzliche Entfernungsfrist.
7 Hieraus folgt, daß im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der der Klägerin eingeräumten zusätzlichen Entfernungsfrist von sechs Tagen die Frist für die Klageerhebung am 9. Februar 1991 abgelaufen war. Demzufolge ist die am 12. Februar 1991 eingereichte Klage verspätet.
8 Zu dem von der Klägerin vorgebrachten Argument, daß vorliegend die Verspätung der Klage nicht deren Unzulässigkeit nach sich ziehen könne, ist darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, daß von den Gemeinschaftsvorschriften über die Verfahrensfristen nur unter ganz aussergewöhnlichen Umständen, bei Vorliegen eines Zufalls oder eines Falles höherer Gewalt im Sinne von Artikel 42 Absatz 2 der Satzung des Gerichtshofes der EWG, abgewichen werden kann, da die strikte Anwendung dieser Vorschriften dem Erfordernis der Rechtssicherheit und der Notwendigkeit entspricht, jede Diskriminierung oder willkürliche Behandlung bei der Gewährung von Rechtsschutz zu vermeiden (vgl. insbesondere Urteil vom 26. November 1985 in der Rechtssache 42/85, Cockerill-Sambre/Kommission, Slg. 1985, 3749; Urteil vom 15. Januar 1987, Misset/Kommission, a. a. O.; Urteil vom 4. Februar 1987 in der Rechtssache 276/85, Cladakis/Kommission, Slg. 1987, 495).
9 Die von der Klägerin geltend gemachten Umstände können nicht als aussergewöhnliche Umstände angesehen werden, die das Vorliegen eines Zufalls oder eines Falles höherer Gewalt im Sinne der genannten Vorschrift begründen.
10 Erstens kann die Klägerin nicht mit Erfolg behaupten, sie habe mit der Versendung der Klageschrift per "Eilzustellung" am 8. Februar 1991 alles Erforderliche getan, um deren rechtzeitiges Eintreffen, d. h. im vorliegenden Fall am darauffolgenden Tag, zu gewährleisten, während sie über eine Entfernungsfrist von sechs Tagen verfügte, die auf der Grundlage der normalen Beförderungsdauer der Post unter Berücksichtigung möglicher Probleme innerhalb der Postdienststellen berechnet war. Unter diesen Umständen kann sie sich auch nicht auf aussergewöhnliche Funktionsstörungen dieser Dienststellen berufen, um einem Rechtsverlust aufgrund des Ablaufs von Verfahrensfristen zu entgehen.
11 Was zweitens die mit dem Karnevalswochenende verbundenen Umstände und die ungünstigen Witterungsbedingungen betrifft, so genügt der Hinweis darauf, daß diese nur die Zeit nach dem 9. Februar 1991 betreffen und deshalb die Einreichung der Klageschrift bei der Kanzlei des Gerichtshofes am Samstag, dem 9. Februar 1991, nicht verhindern konnten.
12 Nach allem ist die Klage also als unzulässig abzuweisen.
Kostenentscheidung:
Kosten
13 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
beschlossen:
1) Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.
2) Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Luxemburg, den 5. Februar 1992.
Ende der Entscheidung
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