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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 11.03.1994
Aktenzeichen: C-6/94 R
Rechtsgebiete: EG-Vertrag


Vorschriften:

EG-Vertrag Artikel 173 Absatz 4
EG-Vertrag Artikel 185
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Nach Artikel 83 § 2 der Verfahrensordnung kann die Aussetzung des Vollzugs nur angeordnet werden, wenn Umstände vorliegen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt, und wenn ferner die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht wird; eine solche Anordnung setzt ausserdem voraus, daß bei der Abwägung der betroffenen Belange mehr für als gegen eine solche Maßnahme spricht.

Die Dringlichkeit eines Aussetzungsantrags ist danach zu beurteilen, ob es des Erlasses einer einstweiligen Anordnung bedarf, um zu verhindern, daß der Partei, die die Aussetzung beantragt, ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht. Ist der Antrag auf die Aussetzung des Vollzugs einer Verordnung zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls gerichtet, so genügt nicht die Berufung auf die mit der Einführung eines Antidumpingzolls untrennbar verbundenen Folgen, d. h. auf die Erhöhung des Preises der mit diesem Zoll belasteten Ware und den entsprechenden Rückgang der Anteile am Gemeinschaftsmarkt. Es ist nämlich gerade Zweck eines Antidumpingzolls, zum Ausgleich der festgestellten Dumpingspanne eine Erhöhung des Preises der betreffenden Ware herbeizuführen. Die Notwendigkeit der beantragten Anordnung kann daher nur durch den Nachweis glaubhaft gemacht werden, daß dem Antragsteller durch die Einführung des Antidumpingzolls in besonderer Weise ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht.

Trägt ein Unternehmen lediglich vor, daß es von der Erhebung der vorläufigen Antidumpingzölle an nichts mehr exportiert habe, daß die Importeure sich anscheinend für Alternativbezugsquellen entschieden hätten und daß diese Situation zu seinem völligen Ausscheiden aus dem Markt der Gemeinschaft führen müsse, so erbringt es dadurch nicht den Nachweis eines solchen Schadens. Es erfuellt die ihm obliegende Beweispflicht nicht, wenn es lediglich Behauptungen oder Vermutungen aufgestellt und keinen Beleg für dieses tatsächliche Vorbringen beibringt sowie keine anderen Umstände vorträgt, die eventuell die Annahme rechtfertigen würden, daß der behauptete Schaden schwer und nicht wiedergutzumachen ist und ihm in besonderer Weise entsteht.


BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DES GERICHTSHOFES VOM 11. MAERZ 1994. - DESCOM SCALES MANUFACTURING CO. LTD GEGEN RAT DER EUROPAEISCHEN UNION. - EINSTWEILIGE ANORDNUNG - AUSSETZUNG DES VOLLZUGS - VORAUSSETZUNGEN - ENDGUELTIGE ANTIDUMPINGZOELLE. - RECHTSSACHE C-6/94 R.

Entscheidungsgründe:

1 Die Firma Descom Scales Manufacturing Co. Ltd hat mit Antragsschrift, die am 8. Januar 1994 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 4 EG-Vertrag beantragt, die Verordnung (EWG) Nr. 2887/93 des Rates vom 20. Oktober 1993 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren bestimmter elektronischer Waagen mit Ursprung in Singapur und der Republik Korea (ABl. L 263, S. 1) für nichtig zu erklären, soweit diese Verordnung sie betrifft.

2 Mit besonderem Schriftsatz, der am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat die Antragstellerin gemäß Artikel 185 EG-Vertrag und Artikel 83 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes beantragt, den Vollzug der genannten Verordnung ihr gegenüber durch einstweilige Anordnung auszusetzen, bis der Gerichtshof über die Klage in der Hauptsache entschieden hat.

3 Der Antragsgegner hat seine schriftliche Stellungnahme am 11. Februar 1994 vorgelegt.

4 Mit Artikel 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1103/93 der Kommission vom 30. April 1993 zur Einführung eines vorläufigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren bestimmter elektronischer Waagen mit Ursprung in Singapur und der Republik Korea in die Gemeinschaft (ABl. L 112, S. 20) wurde ein vorläufiger Antidumpingzoll auf die Einfuhren elektronischer Waagen für den Einzelhandel mit Digitalanzeige für Gewicht, Stückpreis und zu zahlenden Preis, mit oder ohne Vorrichtung zum Ausdrucken dieser Angaben, eingeführt. Hinsichtlich der von der Antragstellerin hergestellten Waren wurde der vorläufige Zoll auf 29 % festgesetzt.

5 Mit Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 2887/93 vom 20. Oktober 1993 wurde der Zollsatz des endgültigen Antidumpingzolls für die von der Antragstellerin hergestellten Waren auf 26,7 % festgesetzt. Artikel 2 bestimmt, daß die Sicherheitsleistungen für den vorläufigen Antidumpingzoll bis zur Höhe des endgültigen Zolls endgültig vereinnahmt und die den endgültigen Zoll übersteigenden Sicherheitsleistungen freigegeben werden.

6 Die Antragstellerin macht geltend, die Verordnung Nr. 2887/93 entbehre aus folgenden Gründen auch nur eines Anscheins der Rechtmässigkeit:

- Bei der Berechnung des Ausfuhrpreises sei unter Verstoß gegen Artikel 2 Absatz 8 Buchstabe b der Verordnung (EWG) Nr. 2423/88 des Rates vom 11. Juli 1988 über den Schutz gegen gedumpte oder subventionierte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gehörenden Ländern (ABl. L 209, S. 1) ein offensichtlicher Irrtum begangen worden.

- Ihr Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt worden, weil unter Verstoß gegen Artikel 7 Absatz 4 der Verordnung Nr. 2423/88 die Übermittlung der für die Verteidigung ihrer Interessen wesentlichen Angaben abgelehnt worden sei.

7 Die Antragstellerin trägt vor, die Dringlichkeit der Aussetzung des Vollzugs ergebe sich aus der Tatsache, daß seit dem Erlaß der vorläufigen Antidumpingmaßnahmen kein Gerät mehr in die Gemeinschaft ausgeführt worden sei. Da auf dem Markt für die betroffenen Erzeugnisse ein extremer Wettbewerb herrsche, könne sie einen Anstieg ihrer Preise um fast 30 % nicht verkraften. Ausserdem habe sich der Wettbewerb seit 1993 infolge von Einfuhren aus anderen Drittländern, insbesondere aus Taiwan, der Türkei und Thailand, beträchtlich verstärkt. Durch die Anwendung der streitigen Maßnahmen würde mit Sicherheit das definitive Ende ihrer Ausfuhren von Waagen für den Einzelhandel eingeläutet. Ihre drei in der Gemeinschaft ansässigen Importeure hätten sich schon für alternative Bezugsquellen entschieden. All dies dürfte dazu führen, daß sie selbst und die Unternehmensgruppe, der sie angehöre, nicht nur in der Gemeinschaft selbst, sondern - durch die Folgewirkung - auch in ganz Europa aus dem Sektor der Waagen für den Handel ausscheiden müsse.

8 Schließlich trägt die Antragstellerin zur Abwägung der betroffenen Interessen vor, der Anteil ihrer Muttergesellschaft und von ihr selbst am Gemeinschaftsmarkt betrage 1,25 %.

9 Der Rat beantragt, den Antrag auf einstweilige Anordnung zurückzuweisen.

10 Er vertritt die Ansicht, die angefochtene Verordnung stehe mit Artikel 2 Absatz 8 Buchstabe b der Verordnung Nr. 2423/88 sowie mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes im Einklang. Er widerspricht dem Vorbringen zur angeblichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.

11 Ferner trägt der Rat vor, die Antragstellerin habe keine Beweise dafür vorgebracht, daß ihr ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entstehe und sie nicht nur die normale, unmittelbare Folge der Erhebung endgültiger Zölle zu tragen habe.

12 Schließlich hält der Rat der Antragstellerin entgegen, sie habe nicht dargetan, daß den Gemeinschaftserzeugern kein erheblicher Schaden entstuende, wenn der Vollzug der Verordnung Nr. 2887/93 ausgesetzt würde; ausserdem würde es dann an einem System von Sicherheiten fehlen, das für die Wahrung des Gleichgewichts zwischen den Belangen der Antragstellerin und der Gemeinschaftserzeuger von wesentlicher Bedeutung sei.

13 Artikel 185 EG-Vertrag lautet:

"Klagen bei dem Gerichtshof haben keine aufschiebende Wirkung. Der Gerichtshof kann, wenn er dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen."

14 Nach Artikel 83 § 2 der Verfahrensordnung kann die Aussetzung nur angeordnet werden, wenn Umstände vorliegen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt, und wenn ferner die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht wird (fumus boni iuris). Nach ständiger Rechtsprechung setzt eine solche Anordnung ausserdem voraus, daß bei der Abwägung der betroffenen Belange mehr für als gegen eine solche Maßnahme spricht (siehe insbesondere Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofes vom 17. Dezember 1984 in der Rechtssache 258/84 R, Nippon Seiko/Rat, Slg. 1984, 4357, vom 18. Oktober 1985 in der Rechtssache 250/85 R, Brother Industries/Rat, Slg. 1985, 3459, und vom 9. April 1987 in der Rechtssache 77/87 R, Technointorg/Rat, Slg. 1987, 1793).

15 Diese drei Voraussetzungen müssen nebeneinander erfuellt sein.

16 Die Dringlichkeit eines Aussetzungsantrags ist danach zu beurteilen, ob es des Erlasses einer einstweiligen Anordnung bedarf, um zu verhindern, daß der Partei, die die Aussetzung beantragt, ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht. Zu ihrem Nachweis genügt nicht die Berufung auf die mit der Einführung eines Antidumpingzolls untrennbar verbundenen Folgen, d. h. auf die Erhöhung des Preises der mit diesem Zoll belasteten Ware und den entsprechenden Rückgang der Anteile am Gemeinschaftsmarkt. Es ist nämlich gerade Zweck eines Antidumpingzolls, zum Ausgleich der festgestellten Dumpingspanne eine Erhöhung des Preises der betreffenden Ware herbeizuführen (siehe insbesondere die oben angeführten Beschlüsse vom 17. Dezember 1984 in der Rechtssache 258/84 R, vom 18. Oktober 1985 in der Rechtssache 250/85 R und vom 9. April 1987 in der Rechtssache 77/87 R sowie die Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofes vom 8. Juni 1989 in der Rechtssache 69/89 R, Nakajima All Precision/Rat, Slg. 1989, 1689, und vom 14. Februar 1990 in der Rechtssache C-358/89 R, Extramet Industrie/Rat, Slg. 1990, I-431).

17 Nach der Rechtsprechung ist der Nachweis eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens erforderlich, der dem Antragsteller in besonderer Weise durch die Einführung des Antidumpingzolls entsteht.

18 Mit ihrem Vorbringen, daß sie von der Erhebung der vorläufigen Antidumpingzölle an kein einziges Gerät mehr exportiert habe, daß die drei Importeure sich anscheinend für alternative Bezugsquellen entschieden hätten und daß diese Situation zum völligen Ausscheiden aus dem Sektor der Waagen für den Handel in der Gemeinschaft und in Europa insgesamt führen müsse, hat die Klägerin lediglich Behauptungen oder Vermutungen aufgestellt. Sie hat keinen Beleg für dieses tatsächliche Vorbringen beigebracht und auch keine anderen Umstände vorgetragen, die eventuell die Annahme rechtfertigen würden, daß der behauptete Schaden schwer und nicht wiedergutzumachen ist und ihr in besonderer Weise entsteht. Sie hat somit die ihr obliegende Beweispflicht nicht erfuellt.

19 Darüber hinaus hat sie selbst Umstände vorgetragen, die Anlaß zu Zweifeln geben, ob der behauptete Schaden - unabhängig von seinem Umfang - überwiegend auf die Antidumpingzölle zurückzuführen ist. Sie hat nämlich vorgetragen, infolge der Importe aus mehreren anderen Drittländern sei es zu einer beträchtlichen Verschärfung des Wettbewerbs auf dem Gemeinschaftsmarkt gekommen und ihre Ausfuhren in die Gemeinschaft seien sowohl insgesamt als auch bei den einzelnen Modellen gleichbleibend mit einer rückläufigen Tendenz in den letzten fünf Jahren.

20 Da die Dringlichkeit nicht nachgewiesen ist, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung zurückzuweisen, ohne daß geprüft zu werden braucht, ob die beiden anderen Voraussetzungen, der fumus boni iuris und die Interessenabwägung, erfuellt sind.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTSHOFES

beschlossen:

1) Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird zurückgewiesen.

2) Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 11. März 1994.

Ende der Entscheidung

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