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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 12.04.2005
Aktenzeichen: C-61/03
Rechtsgebiete: EA
Vorschriften:
EA Art. 37 |
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg
Urteil des Gerichtshofes (Große) vom 12. April 2005. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Vereinigtes Königreich Grossbritannien und Nordirland. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - EAG-Vertrag - Geltungsbereich - Militärische Einrichtungen - Gesundheitsschutz - Stilllegung eines Atomreaktors - Ableitung radioaktiver Stoffe. - Rechtssache C-61/03.
Parteien:
In der Rechtssache C-61/03
betreffend eine Vertragsverletzungsklage gemäß Artikel 141 EA, eingereicht am 14. Februar 2003,
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch L. Ström und X. Lewis als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch P. Ormond und C. Jackson als Bevollmächtigte im Beistand von D. Wyatt, QC, sowie S. Tromans, Barrister, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagter,
unterstützt durch
Französische Republik, vertreten durch R. Abraham, G. de Bergues und E. Puisais als Bevollmächtigte,
Streithelferin,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans und A. Rosas (Berichterstatter), der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta und des Kammerpräsidenten A. Borg Barthet, der Richterin N. Colneric sowie der Richter S. von Bahr, J. N. Cunha Rodrigues, P. Kris, E. Juhász, G. Arestis und M. Ilei,
Generalanwalt: L. A. Geelhoed,
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Oktober 2004,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. Dezember 2004
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe:
1. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften beantragt mit ihrer Klage die Feststellung, dass das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 37 EA verstoßen hat, dass es keine allgemeinen Angaben in Verbindung mit einem Plan zur Ableitung radioaktiver Stoffe im Zusammenhang mit der Stilllegung des Reaktors Jason am Royal Naval College Greenwich übermittelt hat.
Rechtlicher Rahmen
2. Nach der Präambel des EAG-Vertrags handelten dessen Unterzeichner in dem Bewusstsein, dass die Kernenergie eine unentbehrliche Hilfsquelle für die Entwicklung ... der Wirtschaft und für den friedlichen Fortschritt darstellt, entschlossen, die Voraussetzungen für die Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie zu schaffen, welche die Energieerzeugung erweitert,... und auf zahlreichen anderen Gebieten zum Wohlstand ihrer Völker beiträgt, in dem Bestreben, die Sicherheiten zu schaffen, die erforderlich sind, um alle Gefahren für das Leben und die Gesundheit ihrer Völker auszuschließen, und in dem Wunsch, ... mit den zwischenstaatlichen Einrichtungen zusammenzuarbeiten, die sich mit der friedlichen Entwicklung der Kernenergie befassen.
3. Nach Artikel 1 EA hat die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) die Aufgabe, durch die Schaffung der für die schnelle Bildung und Entwicklung von Kernindustrien erforderlichen Voraussetzungen zur Hebung der Lebenshaltung in den Mitgliedstaaten und zur Entwicklung der Beziehungen mit den anderen Ländern beizutragen.
4. Artikel 2 EA lautet wie folgt:
Zur Erfüllung ihrer Aufgabe hat die Gemeinschaft nach Maßgabe des Vertrages:
a) die Forschung zu entwickeln und die Verbreitung der technischen Kenntnisse sicherzustellen;
b) einheitliche Sicherheitsnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte aufzustellen und für ihre Anwendung zu sorgen;
c) die Investitionen zu erleichtern und, insbesondere durch Förderung der Initiative der Unternehmen, die Schaffung der wesentlichen Anlagen sicherzustellen, die für die Entwicklung der Kernenergie in der Gemeinschaft notwendig sind;
d) für regelmäßige und gerechte Versorgung aller Benutzer der Gemeinschaft mit Erzen und Kernbrennstoffen Sorge zu tragen;
e) durch geeignete Überwachung zu gewährleisten, dass die Kernstoffe nicht anderen als den vorgesehenen Zwecken zugeführt werden;
f) das ihr zuerkannte Eigentumsrecht an besonderen spaltbaren Stoffen auszuüben;
g) ausgedehnte Absatzmärkte und den Zugang zu den besten technischen Mitteln sicherzustellen, und zwar durch die Schaffung eines gemeinsamen Marktes für die besonderen auf dem Kerngebiet verwendeten Stoffe und Ausrüstungen, durch den freien Kapitalverkehr für Investitionen auf dem Kerngebiet und durch die Freiheit der Beschäftigung für die Fachkräfte innerhalb der Gemeinschaft;
h) zu den anderen Ländern und den zwischenstaatlichen Einrichtungen alle Verbindungen herzustellen, die geeignet sind, den Fortschritt bei der friedlichen Verwendung der Kernenergie zu fördern.
5. Titel II des Vertrages (Die Förderung des Fortschritts auf dem Gebiet der Kernenergie) umfasst u. a. ein Kapitel 3 (Der Gesundheitsschutz), das aus den Artikeln 30 EA bis 39 EA besteht.
6. Die Artikel 30 EA und 31 EA sehen die Festsetzung von Grundnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen die Gefahren ionisierender Strahlungen vor. Artikel 30 EA bestimmt, was unter Grundnormen zu verstehen ist. Artikel 31 EA beschreibt das Verfahren für deren Ausarbeitung und Erlass.
7. Artikel 34 EA lautet:
Jeder Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebieten besonders gefährliche Versuche stattfinden sollen, ist verpflichtet, zusätzliche Vorkehrungen für den Gesundheitsschutz zu treffen; er hat hierzu vorher die Stellungnahme der Kommission einzuholen.
Besteht die Möglichkeit, dass sich die Auswirkungen der Versuche auf die Hoheitsgebiete anderer Mitgliedstaaten erstrecken, so ist die Zustimmung der Kommission erforderlich.
8. Artikel 37 EA bestimmt:
Jeder Mitgliedstaat ist verpflichtet, der Kommission über jeden Plan zur Ableitung radioaktiver Stoffe aller Art die allgemeinen Angaben zu übermitteln, aufgrund deren festgestellt werden kann, ob die Durchführung dieses Plans eine radioaktive Verseuchung des Wassers, des Bodens oder des Luftraums eines anderen Mitgliedstaats verursachen kann.
Die Kommission gibt nach Anhörung der in Artikel 31 genannten Sachverständigengruppe innerhalb einer Frist von sechs Monaten ihre Stellungnahme ab.
9. Artikel 124 zweiter Gedankenstrich EA lautet:
Um die Entwicklung der Kernenergie innerhalb der Gemeinschaft zu gewährleisten, erfüllt die Kommission folgende Aufgaben:
...
- Empfehlungen oder Stellungnahmen auf den in diesem Vertrag bezeichneten Gebieten abzugeben, soweit der Vertrag dies ausdrücklich vorsieht oder soweit sie es für notwendig erachtet.
10. Zur kohärenten Beurteilung der Pläne zur Ableitung radioaktiver Stoffe im Sinne von Artikel 37 EA hielt es die Kommission für erforderlich, klarzustellen, welche Tätigkeiten zu Ableitungen führen könnten und welche Informationen für die verschiedenen Arten von Tätigkeiten als allgemeine Angaben zu übermitteln seien. Zu diesem Zweck erließ sie die Empfehlung 91/4/Euratom der Kommission vom 7. Dezember 1990 betreffend die Anwendung von Artikel 37 des Euratom-Vertrags (ABl. 1991, L 6, S. 16), die vom 7. Dezember 1990 bis 5. Dezember 1999 in Kraft war. Mit Wirkung vom 6. Dezember 1999 wurde sie durch die Empfehlung 1999/829/Euratom der Kommission vom 6. Dezember 1999 zur Anwendung des Artikels 37 des Euratom-Vertrags (ABl. L 324, S. 23) ersetzt.
Sachverhalt
11. Der Reaktor Jason, dessen höchste Wärmeleistung 10 kW betrug, wurde von 1962 bis 1996 vom Verteidigungsministerium des Vereinigten Königreichs am Royal Naval College Greenwich betrieben. Er diente zur Ausbildung von Personal und für Forschungstätigkeiten zur Unterstützung des Programms für Nuklearantrieb, das von der Regierung des Vereinigten Königreichs für die Atomunterseeboote der Royal Navy durchgeführt wurde.
12. In den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ist der Zeitpunkt, zu dem die Stilllegung des Reaktors Jason abgeschlossen war, nicht genau angegeben. Allerdings geht aus den Akten hervor, dass die Stilllegung stattfand, nachdem bei der Environment Agency for England & Wales (Umweltagentur für England und Wales) ein entsprechender Antrag gestellt worden war und diese antragsgemäß entschieden hatte.
13. 1998 wurde der Kommission mitgeteilt, dass der Reaktor Jason stillgelegt und abgebrochen werden sollte. In den Akten ist die Quelle dieser Information nicht angegeben, und sie erlauben auch nicht die Feststellung, ob die Stilllegung zu dem Zeitpunkt, zu dem sie der Kommission zur Kenntnis gebracht wurde, bereits stattgefunden hatte.
14. Die Kommission ersuchte das Vereinigte Königreich mit Schreiben vom 8. Januar 1999 um ausführliche Informationen über die Stilllegung des Reaktors Jason. Aus der Antwort der zuständigen Behörden dieses Mitgliedstaats vom 5. März 1999 geht hervor, dass die Environment Agency for England & Wales bereits vor dem letztgenannten Zeitpunkt eine geänderte Genehmigung für die Ableitung radioaktiver Stoffe aufgrund der Stilllegung dieses Reaktors ausgestellt hatte.
Das Vorverfahren
15. Am 30. Januar 2001 übersandte die Kommission dem Vereinigten Königreich ein Mahnschreiben, in dem sie die Gründe für ihre Auffassung darlegte, dass dieser Mitgliedstaat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 37 EA verstoßen habe, dass er es unterlassen habe, ihr die allgemeinen Angaben über einen Plan zur Ableitung radioaktiver Stoffe aufgrund der Stilllegung des Reaktors Jason zu übermitteln.
16. Die Behörden des Vereinigten Königreichs antworteten auf dieses Mahnschreiben mit Schreiben vom 30. März 2001, in dem sie ausführten, dass Artikel 37 EA keine Anwendung auf militärische Einrichtungen finde, und geltend machten, dass dieser Mitgliedstaat nicht verpflichtet sei, der Kommission Angaben in Bezug auf die Stilllegung des Reaktors Jason zu übermitteln.
17. Die Kommission bestätigte in der mit Gründen versehenen Stellungnahme, die am 21. Dezember 2001 an das Vereinigte Königreich gerichtet wurde, zum einen ihre in dem Mahnschreiben geäußerte Auffassung und ersuchte diesen Mitgliedstaat zum anderen, sich binnen zwei Monaten ab Zustellung dieser Stellungnahme zu äußern. Die Behörden des Vereinigten Königreichs wiederholten in ihrer Antwort auf diese mit Gründen versehene Stellungnahme vom 20. Februar 2002 ebenfalls ihre Auffassung.
18. Daher hat die Kommission beschlossen, die vorliegende Klage einzureichen.
Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Beteiligten
19. Die Französische Republik ist mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 28. August 2003 als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge des Vereinigten Königreichs zugelassen worden.
20. Die Kommission beantragt,
- festzustellen, dass das Vereinigte Königreich dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 37 EA verstoßen hat, dass es keine allgemeinen Angaben über den Plan zur Ableitung radioaktiver Stoffe im Zusammenhang mit der Stilllegung des Reaktors Jason übermittelt hat, und
- dem Vereinigten Königreich die Kosten aufzuerlegen.
21. Das Vereinigte Königreich und die Französische Republik beantragen, die Klage der Kommission abzuweisen und dieser die Kosten aufzuerlegen.
Zur Klage
22. Die Kommission macht geltend, Artikel 37 EA finde Anwendung auf die Ableitung radioaktiver Stoffe sowohl aus zivilen als auch aus militärischen Anlagen. Mit dieser Bestimmung solle im Wesentlichen jedem Risiko einer radioaktiven Kontaminierung eines anderen Mitgliedstaats vorgebeugt werden, und da der Schutz der Bevölkerung gegen die Gefahren ionisierender Strahlungen ein unteilbares Ziel sei, müsse er sich auf alle Gefahrenquellen einschließlich derjenigen erstrecken, die aus der Stilllegung militärischer Einrichtungen wie des Reaktors Jason entstünden.
23. Das Vereinigte Königreich, unterstützt durch die Französische Republik, entgegnet, dass Artikel 37 EA keine Anwendung auf die Ableitung radioaktiver Stoffe aus militärischen Einrichtungen finden könne, da der Vertrag selbst nur die zivile Nutzung der Atomenergie erfasse und da die Bestimmungen dieses Vertrages über den Gesundheitsschutz keinen weiteren Anwendungsbereich als die Bestimmungen anderer Kapitel dieses Vertrages haben könnten.
24. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission zur Stützung ihrer Klage zwar Argumente anführt, die sich auf die mit Artikel 37 EA und den anderen Bestimmungen des Titels II Kapitel 3 EA-Vertrag (Gesundheitsschutz) verfolgten speziellen Ziele gründen, jedoch nicht dargetan hat, dass den Bestimmungen dieses Kapitels ein anderer Anwendungsbereich als der des Vertrages insgesamt beigemessen werden könnte. Die Kommission macht im Gegenteil geltend, dass ihre Auslegung des Artikels 37 EA, der einzigen Bestimmung, deren Verletzung mit der vorliegenden Klage gerügt wird, insbesondere durch den Umstand gestützt werde, dass dieser Vertrag keine ausdrückliche Bestimmung enthalte, die allgemein militärische Tätigkeiten von seinem Geltungsbereich ausschließe.
25. Daher muss der Gerichtshof vorab prüfen, ob die der Klage der Kommission zugrunde liegende Auslegung zutrifft, dass die militärischen Verwendungen der Atomenergie vorbehaltlich einiger ausdrücklicher Bestimmungen, die Ausnahmen begrenzten Charakters vorsähen, vom Anwendungsbereich des Vertrages erfasst werden könnten.
26. In dieser Hinsicht wollten die Unterzeichner des Vertrages dadurch, dass sie in dessen Präambel auf den friedlichen Fortschritt, die Gebiete, auf denen die Kernindustrie zum Wohlstand der Völker beiträgt, sowie die friedliche Entwicklung der Kernenergie verwiesen, den nichtmilitärischen Charakter dieses Vertrages und den Vorrang des Zieles der Förderung und der Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke unterstreichen.
27. Die Artikel 1 EA und 2 EA, die die Aufgaben der Gemeinschaft definieren, bestätigen, dass die mit dem Vertrag verfolgten Ziele im Wesentlichen ziviler und kommerzieller Art sind.
28. Allerdings ist es in Ermangelung einer ausdrücklichen Bestimmung, die die Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Verteidigung vom Geltungsbereich des Vertrages ausnimmt, notwendig, zur Beantwortung der Frage, ob der Vertrag auch, zumindest in bestimmten Bereichen, die Verwendung der Atomenergie für militärische Zwecke regeln soll, auf andere Elemente zurückzugreifen.
29. Die zu berücksichtigenden Elemente der Auslegung dürfen sich weder auf den historischen Kontext der Ausarbeitung des Vertrages beschränken noch auf den Inhalt der einseitigen Erklärungen der Vertreter einiger Mitgliedstaaten, die an den mit der Unterzeichnung dieses Vertrages abgeschlossenen Verhandlungen beteiligt waren. Zwar ergibt sich, wie der Generalanwalt in den Nummern 80 und 81 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, aus diesem Kontext wie auch aus bestimmten Erklärungen, die in den Travaux préparatoires zum EAG-Vertrag hinterlegt sind, dass dessen Anwendung auf die militärischen Verwendungen der Atomenergie von den Vertretern der an diesen Verhandlungen beteiligten Staaten beabsichtigt war und erörtert wurde. Daraus geht jedoch auch hervor, dass diese Ve rtreter unterschiedliche Standpunkte zu dieser Frage vertraten und dass sie beschlossen, sie offen zu lassen. Infolgedessen liefern diese Elemente keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Autoren des Vertrages beabsichtigten, dessen Bestimmungen auf die militärischen Einrichtungen und Verwendungen der Atomenergie anwendbar zu machen.
30. Nach Ansicht des Vereinigten Königreichs und der Französischen Republik spricht gegen die These, dass der EAG-Vertrag auch auf die militärischen Verwendungen der Atomenergie Anwendung finden könne, vor allem, dass der EAG-Vertrag im Unterschied zum EG-Vertrag, der am selben Tag und von denselben Staaten wie Ersterer unterzeichnet worden sei, keine Ausnahmebestimmungen enthalte, die besonders die Interessen der Landesverteidigung der Mitgliedstaaten schützen sollten. In Anbetracht der lebenswichtigen Bedeutung, die die Mitgliedstaaten wie alle anderen Staaten dem Schutz dieser Interessen beimäßen, könne nicht angenommen werden, dass sie stillschweigend darauf verzichtet hätten, in einem so sensiblen Bereich wie demjenigen der militärischen Verwendungen der Atomenergie die angemessenen Garantien einzuführen. Nur mit dem vollständigen Ausschluss der militärischen Tätigkeiten vom Geltungsbereich des EAG-Vertrags lasse sich das Fehlen von Bestimmungen in diesem Vertrag erklären, die den Artikeln 48 Absatz 4 EWG-Vertrag (später Artikel 48 Absatz 4 EG-Vertrag, nach Änderung jetzt Artikel 39 Absatz 4 EG) und 223 EWG-Vertrag (später Artikel 223 EG-Vertrag, nach Änderung jetzt Artikel 296 EG) entsprächen.
31. Diesem Vorbringen hält die Kommission entgegen, die Artikel 24 EA bis 28 EA und 84 Absatz 3 EA belegten vielmehr, dass die Verteidigungsinteressen der Mitgliedstaaten berücksichtigt worden und Gegenstand geeigneter Bestimmungen seien. Die Artikel 24 EA bis 27 EA beträfen die Geheimhaltung, der die Kenntnisse unterlägen, deren Preisgabe den Verteidigungsinteressen eines oder mehrerer Mitgliedstaaten schaden könne. Artikel 28 EA sehe die Pflicht der Gemeinschaft zum Ersatz des Schadens vor, der u. a. daraus entstehe, dass Patente oder Gebrauchsmuster, die aus Verteidigungsgründen geheim gehalten würden, infolge ihrer Mitteilung an die Kommission unbefugt genutzt oder einem Unbefugten bekannt würden. Artikel 84 Absatz 3 EA in Titel II Kapitel 7 des Vertrages, das die Überwachung der Sicherheit betreffe, nehme von dieser Überwachung Stoffe aus, die für die Zwecke der Verteidigung bestimmt seien, soweit sie sich im Vorgang der Einfügung in Sondergeräte für diese Zwecke befänden oder soweit sie nach Abschluss dieser Einfügung gemäß einem Operationsplan in eine militärische Anlage eingesetzt oder dort gelagert würden.
32. Allerdings ergibt sich, wie das Vereinigte Königreich in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, aus der Existenz der erwähnten Bestimmungen des EAG-Vertrags nicht zwingend, dass dessen Bestimmungen mangels einer ausdrücklichen Ausnahme auf die militärischen Verwendungen der Atomenergie anwendbar sind. Die Existenz dieser Bestimmungen kann auch damit erklärt werden, dass die Anwendung einiger Bestimmungen dieses Vertrages, selbst wenn dieser nur die zivilen Tätigkeiten betrifft, gleichwohl einen Einfluss auf die Tätigkeiten und Interessen haben kann, die dem Bereich der Landesverteidigung der Mitgliedstaaten angehören. Ebendies gilt für die Bestimmungen des Titels II Kapitel 2 EAG-Vertrag, die die Verbreitung der Kenntnisse betreffen, und für die Bestimmungen des Titels II Kapitel 7, die die Überwachung der Sicherheit regeln.
33. Ferner ist die Tragweite der angeblichen Ausnahmebestimmungen, auf die sich die Kommission beruft, begrenzt. Denn abgesehen von den beiden Kapiteln, zu denen diese Bestimmungen gehören, enthält der Vertrag keine weiteren Bestimmungen, die die besonderen Interessen und Bedürfnisse im Zusammenhang mit den militärischen Tätigkeiten betreffen.
34. Nach Ansicht des Vereinigten Königreichs wäre es, wenn der EAG-Vertrag auch auf die militärischen Verwendungen der Atomenergie anwendbar sein sollte, unerlässlich gewesen, in diesen eine allgemeine Bestimmung mit gleichem Inhalt wie Artikel 296 EG einzufügen. Nach Absatz 1 dieses Artikels stehen die Bestimmungen des EG-Vertrags nicht dem Recht eines Mitgliedstaats entgegen, zum einen keine Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seines Erachtens seinen wesentlichen Sicherheitsinteressen widerspricht, und zum anderen die Maßnahmen zu ergreifen, die seines Erachtens für die Wahrung dieser Interessen erforderlich sind, soweit sie die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit betreffen.
35. In dieser Hinsicht ist festzustellen, dass mehrere Bestimmungen des EAG-Vertrags der Kommission erhebliche Befugnisse verleihen, die es ihr erlauben, aktiv durch Erlass von Regelungen oder in Form von Stellungnahmen, die Einzelfallentscheidungen enthalten, in verschiedene Tätigkeitsbereiche einzugreifen, die in der Gemeinschaft im Zusammenhang mit der Nutzung der Atomenergie stehen. Als Beispiel seien nur die Bestimmungen des Titels II Kapitel 3 des Vertrages betreffend den Gesundheitsschutz, insbesondere die Artikel 34 EA, 35 EA und 37 EA, und die Bestimmungen des Titels II Kapitel 1 betreffend die Förderung der Forschung genannt. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmungen geht in keiner Weise hervor, ob es sich bei den auf diese Weise geregelten Tätigkeiten um ausschließlich zivile handelt.
36. Allerdings ist offenkundig, dass die Anwendung solcher Bestimmungen auf militärische Einrichtungen, Forschungsprogramme und andere Tätigkeiten geeignet sein kann, wesentliche Interessen der Landesverteidigung der Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Daher lässt sich, wie das Vereinigte Königreich und die Französische Republik zu Recht geltend gemacht haben, daraus, dass der EAG-Vertrag keinerlei Ausnahme enthält, mit der die Einzelheiten einer Befugnis der Mitgliedstaaten festgelegt würden, sich auf diese wesentlichen Interessen zu berufen und sie zu schützen, der Schluss ziehen, dass die Tätigkeiten des militärischen Bereichs nicht in den Anwendungsbereich dieses Vertrages fallen.
37. Die Kommission hat jedoch in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass nach ihrer Auslegung des Artikels 37 EA die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet seien, ihr Angaben in Bezug auf ihre militärischen Tätigkeiten zu übermitteln. Die in dieser Bestimmung erwähnten allgemeinen Angaben, deren Übermittlung von der Kommission verlangt werde, beträfen nur die Ausrüstungen oder Anlagen, die nicht mehr militärisch genutzt würden und die der betreffende Mitgliedstaat aus diesem Grund als Abfälle eingestuft habe. Im Übrigen sei es nach dieser Auslegung Sache jedes Mitgliedstaats, sowohl über den Zeitpunkt, zu dem eine militärische Quelle der Ableitung radioaktiver Abfälle als Abfall zu betrachten sei, als auch über den konkreten Inhalt der allgemeinen Angaben zu entscheiden, die ohne Beeinträchtigung der Interessen seiner Landesverteidigung der Kommission übermittelt werden müssten, damit diese die ihr nach Artikel 37 EA übertragene Aufgabe erfüllen könne.
38. Nach Ansicht des Vereinigten Königreichs ist die Klage auch dann unbegründet, wenn die Kommission nach ihrer nuancierteren Auslegung des Artikels 37 EA, die sie in der mündlichen Verhandlung vorgetragen habe, jetzt bereit sein sollte, von den Mitgliedstaaten weniger umfangreiche Informationen als aufgrund ihrer Empfehlung 1999/829 zu verlangen. Denn mit ihrer neuen Auslegung des Artikels 37 EA versuche die Kommission, in diese Bestimmung Schutzklauseln hineinzulesen, die dort nicht vorgesehen seien, eben weil die militärischen Tätigkeiten stets vom Anwendungsbereich des Vertrages ausgenommen gewesen seien. Ferner stehe diese Auslegung von Artikel 37 EA im Widerspruch zur Auslegung der übrigen Bestimmungen des Vertragskapitels über den Gesundheitsschutz durch die Kommission. Das Vereinigte Königreich weist darauf hin, dass die Kommission Artikel 34 EA, der besonders gefährliche Versuche betreffe, für auf Kernwaffenversuche anwendbar halte.
39. Wie der Gerichtshof bereits in seinem Urteil vom 22. September 1988 in der Rechtssache 187/87 (Saarland u. a., Slg. 1988, 5013) entschieden hat, ist Artikel 37 EA dahin auszulegen, dass die allgemeinen Angaben über einen Plan zur Ableitung radioaktiver Stoffe der Kommission zu übermitteln sind, bevor diese Ableitungen von den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats genehmigt worden sind. Nach diesem Urteil war es zur Wahrung der praktischen Wirksamkeit dieser Bestimmung, deren Ziel die Verhütung einer radioaktiven Verseuchung ist, und im Hinblick auf die sehr große Bedeutung der Orientierungen, die die Kommission dem betreffenden Mitgliedstaat zu geben vermag, unerlässlich, dass diese rechtzeitig Kenntnis von den allgemeinen Angaben über einen Plan zur Ableitung radioaktiver Stoffe hatte, damit sie nach Anhörung der Sachverständigengruppe eine Stellungnahme abgeben konnte, die von diesem Mitgliedstaat eingehend und so geprüft werden konnte, dass die Anregungen der Kommission vor Erteilung der Genehmigung berücksichtigt werden konnten.
40. Eine Auslegung von Artikel 37 EA, wonach der betreffende Mitgliedstaat sowohl über den Zeitpunkt, von dem an eine militärische Quelle radioaktiver Stoffe als ziviler Abfall zu betrachten ist, wie auch über den konkreten Inhalt der Angaben, die der Kommission übermittelt werden müssen, entscheiden kann, würde im Widerspruch zur Zielsetzung dieser Bestimmung stehen. Zum einen würde eine etwaige verspätete Übermittlung der Angaben das Ziel der Vorbeugung vereiteln. Zum anderen würde eine etwaige teilweise Übermittlung der einschlägigen Angaben die Erteilung einer sachkundigen Stellungnahme unmöglich machen.
41. Im Übrigen wäre eine Auslegung von Artikel 37 EA, die den Mitgliedstaaten einen solchen Ermessensspielraum in Bezug auf den Zeitpunkt der Mitteilung der Angaben und ihren Inhalt ließe, eine Quelle von Streitigkeiten und der sachgerechten Anwendung dieser Bestimmung abträglich.
42. Nach allem kann der von der Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgeschlagenen Auslegung von Artikel 37 EA nicht gefolgt werden.
43. Somit hat die Kommission die Begründetheit der Anwendung von Artikel 37 EA auf die Stilllegung der in Rede stehenden militärischen Einrichtung nicht dargetan.
44. Es ist jedoch hervorzuheben, dass der Umstand, dass der Vertrag auf die Verwendungen der Atomenergie für militärische Zwecke nicht anwendbar ist und dass die Kommission daher nicht unter Berufung auf Artikel 37 EA von den Mitgliedstaaten verlangen kann, dass sie ihr Angaben über die Ableitung radioaktiver Stoffe aus militärischen Einrichtungen übermitteln, nicht die grundlegende Bedeutung mindert, die dem Ziel des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt gegen die Gefahren im Zusammenhang mit der Nutzung der Atomenergie, einschließlich der Nutzung zu militärischen Zwecken, zukommt. Soweit dieser Vertrag der Kommission kein spezifisches Instrument für die Verfolgung dieses Zieles liefert, kann nicht ausgeschlossen werden, dass auf der Grundlage der einschlägigen Bestimmungen des EG-Vertrags geeignete Maßnahmen ergriffen werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. März 1990 in der Rechtssache C62/88, Griechenland/Rat, Slg. 1990, I1527).
45. Nach allem ist festzustellen, dass Artikel 37 EA das Vereinigte Königreich nicht verpflichtet, der Kommission allgemeine Angaben über den Plan zur Ableitung radioaktiver Stoffe im Zusammenhang mit der Stilllegung des Reaktors Jason zu übermitteln; daher ist die Klage der Kommission abzuweisen.
Kosten
46. Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Vereinigte Königreich die Verurteilung der Kommission beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen. Nach Artikel 69 § 4 Unterabsatz 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.
Tenor:
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Französische Republik trägt ihre eigenen Kosten.
Ende der Entscheidung
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