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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 02.06.1994
Aktenzeichen: C-69/93
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, italienisches Gesetz Nr. 558


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 30
italienisches Gesetz Nr. 558 Art. 1 Abs. 2 Buchst. a
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Anwendung nationaler Vorschriften, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten ist nicht geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, sofern diese Vorschriften für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren. Sind diese Voraussetzungen nämlich erfuellt, so ist die Anwendung derartiger Regelungen auf den Verkauf von Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedstaat, die den von diesem Staat aufgestellten Bestimmungen entsprechen, nicht geeignet, den Marktzugang für diese Erzeugnisse zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tut. Diese Regelungen fallen daher nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 30.

Daraus folgt, daß Artikel 30 EWG-Vertrag dahin auszulegen ist, daß er keine Anwendung auf eine nationale Ladenschlußregelung findet, die für alle im Inland tätigen Wirtschaftsteilnehmer gilt und den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berührt.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 2. JUNI 1994. - PUNTO CASA SPA GEGEN SINDACO DEL COMUNE DI CAPENA UND COMUNE DI CAPENA UND PROMOZIONI POLIVALENTI VENETE SOC. COOP. ARL (PPV) GEGEN SINDACO DEL COMUNE DI TORRI DI QUARTESOLO UND COMUNE DI TORRI DI QUARTESOLO. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: PRETURA CIRCONDARIALE DI ROMA - ITALIEN. - AUSLEGUNG DER ARTIKEL 30 UND 36 EWG-VERTRAG - VERBOT, BESTIMMTE GEWERBLICHE TAETIGKEITEN AM SONNTAG ZU BETREIBEN. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN C-69/93 UND C-258/93.

Entscheidungsgründe:

1 Die Pretura circondariale Rom, Auswärtige Kammer Castelnuovo di Porto, hat mit Beschlüssen vom 16. Dezember 1992 und vom 22. März 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 15. März 1993 bzw. am 27. April 1993, gemäß Artikel 177 EWG -Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt, um im Lichte dieser Bestimmungen die italienischen Rechtsvorschriften über den Geschäftsschluß der Einzelhandelsgeschäfte an Sonntagen beurteilen zu können.

2 Diese Fragen stellen sich im Rahmen von Maßnahmen, die die öffentliche Verwaltung gegen die Betreiber von zwei Supermärkten wegen Verstosses gegen die genannten Rechtsvorschriften getroffen hatte.

3 Das italienische Gesetz Nr. 558 vom 28. Juli 1971 regelt die Öffnungszeiten der Geschäfte und den Verkauf im Einzelhandel. Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe a dieses Gesetzes sieht vorbehaltlich der im Gesetz geregelten Ausnahmefälle die völlige Schließung der Geschäfte an Sonn- und Feiertagen vor.

4 Artikel 10 des Gesetzes sieht für den Fall der Zuwiderhandlung Verwaltungssanktionen vor. Die Durchführungsbestimmungen hinsichtlich der Öffnungszeiten werden von den Regionen erlassen. Mit der Überwachung der Einhaltung der geltenden Vorschriften sind die Bürgermeister der betroffenen Gemeinden betraut, die Sanktionen erlassen können.

5 Die Klägerinnen der Ausgangsverfahren betreiben einen im Gebiet der Gemeinde Capena belegenen Supermarkt bzw. ein im Gebiet der Gemeinde Torri di Quartesolo belegenes Einkaufszentrum. Da diese Geschäfte an mehreren Sonn- und Feiertagen geöffnet geblieben waren, hatten die Bürgermeister dieser beiden Gemeinden ihre Betreiber mit Verwaltungssanktionen belegt.

6 Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens riefen daraufhin das zuständige Gericht an. Sie machten geltend, ein wesentlicher Teil des Umsatzes in den in Rede stehenden Geschäften werde mit Waren getätigt, die aus anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft stammten. Die betreffenden nationalen Bestimmungen verstießen daher gegen Artikel 30 EWG-Vertrag.

7 Die Pretura circondariale Rom, Auswärtige Kammer Castelnuovo di Porto, hat demgemäß das Verfahren ausgesetzt, und dem Gerichtshof in der Rechtssache C-69/93 folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Ist eine nationale Rechtsvorschrift, die (ausser für einige Erzeugnisse) den Einzelhändlern den Geschäftsschluß an Sonntagen vorschreibt, jedoch nicht verbietet, an diesem Tag zu arbeiten, und die den Einzelhändlern, die gegen diese Verpflichtung verstossen haben, die Sanktion der Zwangsschließung auferlegt und damit einen fühlbaren Rückgang der Verkäufe in diesen Geschäften einschließlich der Verkäufe von Waren, die in anderen Staaten der Gemeinschaft hergestellt werden, mit der hieraus folgenden Verringerung der Einfuhren aus diesen Staaten, bewirkt,

a) eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine Einfuhrbeschränkung im Sinne des Artikels 30 EWG-Vertrag und der später in Anwendung der in diesem Artikel niedergelegten Grundsätze erlassenen Gemeinschaftsvorschriften

b) oder ein Mittel willkürlicher Diskriminierung oder eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen Mitgliedstaaten

c) oder eine unverhältnismässige und zur Erreichung des in der nationalen Rechtsvorschrift gesetzten Zieles nicht angemessene Maßnahme,

wenn man davon ausgeht, daß

- die Supermärkte durchschnittlich eine grössere Menge von aus anderen Mitgliedstaaten eingeführten Erzeugnissen verkaufen als die kleinen und mittleren Betriebe,

- der Umsatz, den die Supermärkte an Sonntagen erzielen, nicht durch Ersatzkäufe kompensiert werden kann, die die Kundschaft an anderen Wochentagen tätigen kann, daß die Nachfrage vielmehr auf ein Handelsnetz gelenkt wird, das sich grösstenteils bei nationalen Herstellern eindeckt?

2) Bei Bejahung der ersten Frage: Fällt die durch die betreffende nationale Rechtsvorschrift getroffene Maßnahme unter die in Artikel 36 EWG-Vertrag vorgesehenen Ausnahmen von Artikel 30 oder unter andere in den Gemeinschaftsvorschriften vorgesehene Ausnahmen?

8 Im wesentlichen identische Fragen wurden dem Gerichtshof in der Rechtssache C-258/93 vorgelegt.

Zur ersten Frage

9 Die erste Frage geht dahin, ob eine nationale Regelung wie die des Ausgangsverfahrens in den Anwendungsbereich des Artikels 30 EWG-Vertrag fällt.

10 Nach Artikel 30 EWG-Vertrag sind alle mengenmässigen Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten.

11 Nach ständiger Rechtsprechung ist jede Regelung, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung anzusehen (Urteil vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74, Dassonville, Slg. 1974, 837, Randnr. 5).

12 Hingegen ist die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne des Urteils Dassonville unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren. Sind diese Voraussetzungen nämlich erfuellt, so ist die Anwendung derartiger Regelungen auf den Verkauf von Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedstaat, die den von diesem Staat aufgestellten Bestimmungen entsprechen, nicht geeignet, den Marktzugang für diese Erzeugnisse zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tut. Diese Regelungen fallen daher nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 30 EWG-Vertrag (vgl. Urteil vom 24. November 1993 in den verbundenen Rechtssachen C-267/91 und C-268/91, Keck und Mithouard, Slg. 1993, I-6097, Randnrn. 16 und 17).

13 Eine Regelung der vorliegenden Art betrifft die Umstände, unter denen die Waren an die Verbraucher verkauft werden können; somit sind die in dem letztgenannten Urteil aufgestellten Voraussetzungen erfuellt.

14 Diese Regelung gilt nämlich ungeachtet des Ursprungs der betreffenden Erzeugnisse für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer und berührt den Absatz der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht in anderer Weise als denjenigen inländischer Erzeugnisse.

15 Dem vorlegenden Gericht ist daher zu antworten, daß Artikel 30 EWG-Vertrag keine Anwendung auf eine nationale Ladenschlußregelung findet, die für alle im Inland tätigen Wirtschaftsteilnehmer gilt und den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berührt.

Zur zweiten Frage

16 Im Hinblick auf die Beantwortung der ersten Frage ist die zweite Frage gegenstandslos.

Kostenentscheidung:

Kosten

17 Die Auslagen der griechischen Regierung, des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm von der Pretura circondariale Rom, Auswärtige Kammer Castelnuovo di Porto, mit Beschlüssen vom 16. Dezember 1992 und vom 22. März 1993 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Artikel 30 EWG-Vertrag findet keine Anwendung auf eine nationale Ladenschlußregelung, die für alle im Inland tätigen Wirtschaftsteilnehmer gilt und den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berührt.

Ende der Entscheidung

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