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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 28.09.1994
Aktenzeichen: C-7/93
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 119
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Ein Versorgungssystem für den öffentlichen Dienst wie das der Algemene Burgerlijke Pensiönwet in den Niederlanden, das im wesentlichen von der Beschäftigung abhängt, die der Betroffene ausübte, in dem Sinne, daß es, obwohl es durch Gesetz geregelt ist, dem Beamten einen Schutz für den Fall des Alters gewährleistet und eine Vergütung darstellt, die der öffentliche Arbeitgeber dem Arbeitnehmer aufgrund des Dienstverhältnisses zahlt, vergleichbar mit derjenigen, die ein privater Arbeitgeber aufgrund eines betrieblichen Systems zahlt, fällt in den Anwendungsbereich des Artikels 119 des Vertrages, mit der Folge, daß es dem in diesem Artikel niedergelegten Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts unterworfen ist.

Für die Frage, ob ein Versorgungssystem in den Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7 oder in den des Artikels 119 des Vertrages fällt, kann nämlich nur das Kriterium entscheidend sein, daß die Rente dem Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses mit seinem früheren Arbeitgeber gezahlt wird.

2. Artikel 119 des Vertrages verbietet jede das Entgelt betreffende Ungleichbehandlung von Männern und Frauen ohne Rücksicht darauf, woraus sich diese Ungleichbehandlung ergibt; er steht einer nationalen Regelung eines Versorgungssystems für den öffentlichen Dienst, das mit einem betrieblichen System vergleichbar ist, entgegen, das eine unterschiedliche Regelung für die Berechnung der Höhe der Beamtenversorgung verheirateter ehemaliger Beamter und verheirateter ehemaliger Beamtinnen vorsieht, die zu einer Diskriminierung der erstgenannten führt.

Diese können den Grundsatz des gleichen Entgelts gemäß Artikel 119 vor den nationalen Gerichten unmittelbar geltend machen und haben Anspruch auf die gleiche Behandlung und auf Anwendung der gleichen Regelung wie verheiratete Frauen, wobei diese Regelung, solange Artikel 119 nicht ordnungsgemäß in das innerstaatliche Recht umgesetzt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt.

3. Gemäß dem dem Vertrag über die Europäische Union beigefügten Protokoll Nr. 2 zu Artikel 119 des Vertrages kann die unmittelbare Wirkung des Artikels 119 für den Anspruch auf Gleichbehandlung bei der Zahlung von Leistungen aufgrund eines Versorgungssystems für den öffentlichen Dienst, die als Leistungen aufgrund eines betrieblichen Systems im Sinne dieses Protokolls anzusehen sind und auf Beschäftigungszeiten zwischen dem 8. April 1976, dem Tag des Erlasses des Urteils Defrenne in der Rechtssache 43/75, in dem die unmittelbare Wirkung des Artikels 119 ohne Rückwirkung anerkannt wurde, und dem 17. Mai 1990 zurückgehen, nur von Beamten oder ihren anspruchsberechtigten Angehörigen geltend gemacht werden, die vor dem letztgenannten Zeitpunkt eine Klage erhoben oder einen Rechtsbehelf eingelegt haben.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 28. SEPTEMBER 1994. - BESTUUR VAN HET ALGEMEEN BURGERLIJK PENSIOENFONDS GEGEN G. A. BEUNE. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: CENTRALE RAAD VAN BEROEP - NIEDERLANDE. - GLEICHBEHANDLUNG VON MAENNERN UND FRAUEN - RICHTLINIE 79/7/EWG - RICHTLINIE 86/378/EWG - ARTIKEL 119 EWG-VERTRAG. - RECHTSSACHE C-7/93.

Entscheidungsgründe:

1 Der Centrale Raad van Beroep hat mit nichtdatiertem Beschluß, der am 12. Januar 1993 beim Gerichtshof eingegangen ist, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag sieben Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24) und der Auslegung des Artikels 119 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen G. A. Beune (nachstehend: Kläger) und dem Bestuur van het Algemeen burgerlijk pensiönfonds (nachstehend: ABP) über die Feststellung des Betrages der Beamtenversorgung des Betroffenen durch den ABP.

3 Gemäß den Akten des Ausgangsverfahrens ist auf die niederländischen Beamten das in der Algemene Ouderdomswet (AOW, Gesetz über die allgemeine Altersversicherung) niedergelegte allgemeine Rentensystem und das in der Algemene Burgerlijke Pensiönwet (ABPW, Gesetz über die allgemeinen bürgerlichen Renten) niedergelegte Rentensystem für Beamte anwendbar.

4 Die AOW regelt die allgemeine Altersversicherung für in den Niederlanden Ansässige sowie Personen, die dort lohnsteuerpflichtig sind. Die seit 1965 an dem in den Niederlanden geltenden Mindestlohn ausgerichtete Rente (nachstehend: allgemeine Rente) wird anhand der zurückgelegten Versicherungsjahre berechnet und nach fünfzig Versicherungsjahren zum vollen Satz gezahlt.

5 Die ABPW gewährleistet dem Beamten, der mindestens vierzig Dienstjahre geleistet hat, eine Versorgung (nachstehend: Beamtenversorgung) in Höhe von 70 % des letzten Gehalts. Die Versorgungsansprüche sind für Männer und Frauen gleich. Die Versorgungen werden von der ABP gezahlt, die eine durch Gesetz errichtete juristische Person des öffentlichen Rechts ist.

6 Bis 1. April 1985 hatte ein verheirateter Mann nach der AOW Anspruch auf die allgemeine Rente für ein Ehepaar, die 100 % des in den Niederlanden geltenden Mindestlohns entsprach. Unverheiratete Männer oder Frauen hatten Anspruch auf eine Rente in Höhe von 70 % des Mindestlohns. Eine verheiratete Frau hatte keinen eigenen Anspruch; sie erwarb einen solchen nur im Fall des Todes ihres Mannes.

7 Zur Verhinderung der Kumulierung der allgemeinen Rente und der Beamtenversorgung sah die ABPW vor, daß der Teil der allgemeinen Rente, auf die der Beamte wie jeder in den Niederlanden Ansässige nach der AOW Anspruch hatte, der sich auf Zeiten bezog, in denen der Betroffene Ansprüche als Beamter erworben hatte, als Teil seiner Beamtenversorgung angesehen, d. h. in letztere integriert wurde. In der Praxis zieht der ABP den Betrag der allgemeinen Rente von der dem Betroffenen zu zahlenden Beamtenversorgung ab. Da die Beamtenversorgung auf der Grundlage einer Versicherungszeit von vierzig Jahren berechnet wird, konnten höchstens 80 % der allgemeinen Rente berücksichtigt, d. h. abgezogen werden.

8 Für eine versorgungsberechtigte verheiratete Beamtin, die keinen selbständigen Anspruch auf eine allgemeine Rente hatte, sah die ABPW bis zum 1. April 1985 vor, daß der in ihre Beamtenversorgung integrierte Betrag der allgemeinen Rente unter Zugrundelegung des Betrages der allgemeinen Rente für eine unverheiratete Frau berechnet wurde, sich also höchstens auf 80 % der 70 % des Mindestlohns belief.

9 Mit Wirkung vom 1. April 1985 erhielten verheiratete Frauen einen eigenen Anspruch auf eine allgemeine Rente nach der AOW. Aufgrund dieser Änderung wurde das System der ABPW geändert. Vom 1. April 1985 bis zum 1. Januar 1986 galt eine Übergangsregelung. Seit dem letztgenannten Zeitpunkt gilt die folgende endgültige Regelung:

° Die Ansprüche auf Beamtenversorgung für Zeiten nach dem 1. Januar 1986 werden nach einer sogenannten Freistellungsregelung berechnet, die unstreitig in gleicher Weise auf Beamte und Beamtinnen anwendbar ist: Bei verheirateten Männern und verheirateten Frauen mit der gleichen Zahl von Dienstjahren im öffentlichen Dienst wird der gleiche Betrag der allgemeinen Rente von der Beamtenversorgung abgezogen.

° Für die Versorgungsansprüche, die auf Dienstzeiten vor dem 1. Januar 1986 beruhen, wurde das bis zum 1. April 1985 geltende System beibehalten, und zwar auch für verheiratete Frauen. Der in die Beamtenversorgung für Ansprüche, die auf Dienstzeiten vor dem 1. Januar 1986 beruhen, zu integrierende Betrag der allgemeinen Rente ist also für eine verheiratete Beamtin weiter auf der Grundlage des Betrages der Rente für eine unverheiratete Frau festgesetzt, also auf höchstens 80 % der 70 % des Mindestlohns, und für einen verheirateten Beamten auf höchstens 80 % der 100 % des Mindestlohns, da im letztgenannten Fall die Ansprüche des Ehegatten nach der AOW ebenfalls integriert werden.

10 Aus den auf die niederländischen Beamten anwendbaren nationalen Rentenvorschriften ergibt sich aufgrund der Gleichstellung verheirateter und unverheirateter Frauen bei der Berechnung der in die Beamtenversorgung zu integrierenden allgemeinen Rente, daß die Beamtenversorgung eines verheirateten Mannes systematisch niedriger ist als diejenige einer verheirateten Frau, die dieselbe dienstliche Stellung im öffentlichen Dienst erreicht hat, soweit die Ansprüche auf Dienstzeiten vor dem 1. Januar 1986 beruhen.

11 Am 3. Februar 1988 vollendete der Kläger das 65. Lebensjahr. Er erhielt zu diesem Zeitpunkt eine Invaliditätsrente, die gemäß den Bestimmungen der ABPW neu berechnet wurde. Diese Besonderheit ist für die Vorlagefragen jedoch unstreitig, da die Invaliditätsrente wie eine Altersrente neu berechnet wurde. Die Ehefrau des Klägers, die im Jahre 1922 geboren wurde, hatte ebenfalls Anspruch auf eine allgemeine Rente.

12 Wegen der Berücksichtigung der Ansprüche aufgrund der Dienstzeiten vor dem 1. Januar 1986 beläuft sich der Betrag der allgemeinen Rente, der in die Beamtenversorgung des Klägers integriert wird, auf 16 286,59 HFL jährlich, gemäß den Ausführungen des Centrale Raad van Beroep also auf 40mal 2 % der doppelten Verheiratetenrente nach der AOW. Bei einer verheirateten Beamtin mit der gleichen Zahl von Dienstjahren wie der Kläger wären jedoch nur 11 300 HFL jährlich, nämlich 80 % der allgemeinen Rente für Unverheiratete in die Beamtenversorgung der Betroffenen integriert worden.

13 Der Kläger legte beim ABP Widerspruch mit der Begründung ein, die ABPW enthalte eine günstigere Regelung für verheiratete Frauen als für verheiratete Männer für Dienstzeiten vor dem 1. Januar 1986. Diese Diskriminierung verstosse gegen die Richtlinie 79/7.

14 Das mit der Sache befasste erstinstanzliche Gericht folgte den Bedenken des Klägers. Der ABP legte Berufung beim Centrale Raad van Beroep ein; dieser hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Ist unter einem gesetzlichen System, das Schutz gegen des Risiko Alter bietet, im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 79/7/EWG auch eine gesetzliche Versorgungsregelung (hauptsächlich) für Beamte zu verstehen, wie sie in der ABPW (Algemene Burgerlijke Pensiönwet) niedergelegt ist?

2) Falls ja, verstösst eine unterschiedliche Regelung für die Kumulierung der allgemeinen Rente nach der AOW (Algemene Ouderdomswet) und der Beamtenversorgung für verheiratete (ehemalige) Beamte einerseits und verheiratete (ehemalige) Beamtinnen andererseits gegen den in Artikel 4 Absatz 1 der genannten Richtlinie niedergelegten Grundsatz der Gleichbehandlung?

3) Kann ein verheirateter ehemaliger Beamter ° bei Bejahung der Fragen 1 und 2 und bei Fehlen einer nationalen Regelung, die die dargelegte Ungleichbehandlung beseitigt ° unter Berufung auf die Richtlinie 79/7/EWG verlangen, daß er hinsichtlich seines Anspruchs auf Beamtenversorgung ebenso behandelt wird wie eine verheiratete Beamtin, die sich im übrigen in derselben Situation befindet?

4) Hat der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der Frage 3 zur Folge, daß die Ungleichheit bei Versorgungsansprüchen zwischen verheirateten Beamten und verheirateten Beamtinnen, wie sie im vorliegenden Fall in Frage steht, ab dem 23. Dezember 1984 unwirksam ist, und zwar auch insoweit, als der Versorgungsanspruch auf Zeiten (also Dienstzeiten als Beamter) beruht, die vor diesem Zeitpunkt liegen?

Kommt es in diesem Zusammenhang auf den ° in den Urteilen vom 11. Juli 1991 in den verbundenen Rechtssachen C-87/90, C-88/90 und C-89/90 (Verholen u. a.), vom 8. März 1988 in der Rechtssache C-80/87 (Dik u. a.) und vom 24. Juni 1987 in der Rechtssache 384/85 (Borrie Clarke) nicht behandelten ° Gesichtspunkt an, daß in dem Rentensystem der ABPW die Finanzierung mittels Kapitaldeckung erfolgt?

Für den Fall der Verneinung der Frage 1 ersucht der Raad den Gerichtshof, unter Nichtbeachtung der Fragen 2 bis 4 folgende Fragen zu beantworten:

5) Ist unter dem Begriff Entgelt in Artikel 119 EWG-Vertrag auch eine Altersversorgung (hauptsächlich) für Beamte zu verstehen, wie sie in der niederländischen ABPW vorgesehen ist?

6) Wenn die Frage 5 zu bejahen und davon auszugehen ist, daß die unterschiedliche Regelung für verheiratete (ehemalige) Beamte und verheiratete (ehemalige) Beamtinnen hinsichtlich der Kumulierung der allgemeinen Rente (AOW) und der Beamtenversorgung gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts für männliche und weibliche Arbeitnehmer, der in der genannten Bestimmung niedergelegt ist, verstösst, kann dann der verheiratete Beamte unter Berufung auf diesen Grundsatz erreichen, daß er hinsichtlich seines Versorgungsanspruchs ebenso behandelt wird wie eine verheiratete Beamtin?

7) Bestehen im Gemeinschaftsrecht Anknüpfungspunkte, um bei Bejahung der Fragen 5 und 6 die Folgen des Verstosses gegen das Gemeinschaftsrecht zu beschränken, sowohl hinsichtlich des Zeitpunkts, von dem an die Gleichbehandlung verlangt werden kann, als auch hinsichtlich der Zeiträume, für die ein Anspruch auf die Versorgung erworben wurde?

Ist es für die Beantwortung dieser Frage von Bedeutung, daß die Finanzierung in dem vorliegenden Rentensystem mittels Kapitaldeckung erfolgt?

15 Diese Fragen gehen dahin, festzustellen,

° ob eine Versorgungsregelung, wie sie in der ABPW niedergelegt ist, in den Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7 oder in den des Artikels 119 des Vertrages fällt;

° ob es die anwendbaren Gemeinschaftsbestimmungen verbieten, daß eine nationale Regelung wie die ABPW hinsichtlich der Berechnung der Höhe der Beamtenversorgung für verheiratete Beamte und verheiratete Beamtinnen unterschiedliche Vorschriften enthält, und ob sich ehemalige Beamte auf diese Gemeinschaftsbestimmungen berufen können, um zu verlangen, daß sie ebenso behandelt werden wie ehemalige Beamtinnen;

° bei Bejahung der letzten Frage, ob es möglich ist, die Wirkungen des vorliegenden Urteils zeitlich zu beschränken.

Zur ersten und zur fünften Frage

16 Der Kläger macht geltend, das durch die ABPW errichtete Rentensystem falle in den Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7. Die ehemaligen Beamten würden unter Verstoß gegen den in Artikel 4 der Richtlinie niedergelegten Gleichheitsgrundsatz diskriminiert. Dieser Artikel sei unmittelbar anwendbar, und verheiratete Männer müssten ebenso behandelt werden wie verheiratete Frauen. Nach dem 23. Dezember 1984, dem Zeitpunkt, zu dem die Richtlinie 79/7 habe umgesetzt sein müssen, könne ein Mitgliedstaat keine Ungleichbehandlungen aufrechterhalten, die sich daraus ergäben, daß die für die Entstehung des Anspruchs auf die Leistung aufgestellten Voraussetzungen vor diesem Zeitpunkt lägen. Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 11. Juli 1991 in den verbundenen Rechtssachen C-87/90, C-88/90 und C-89/90 (Verholen u. a., Slg. 1991, I-3757) festgestellt habe, könne der Umstand, daß das streitige System ° was er im vorliegenden Fall bestreite ° durch Kapitaldeckung finanziert werde, nicht zu einem anderen Ergebnis führen.

17 Der ABP und die niederländische Regierung machen in ihren schriftlichen Erklärungen geltend, das durch die ABPW eingeführte Rentensystem falle nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7, sondern in den der Richtlinie 86/378/EWG des Rates vom 24. Juli 1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit (ABl. L 225, S. 40). Dieses System sei auf eine besondere Gruppe von Arbeitnehmern anwendbar, es könne nur in Absprache mit der Personalvertretung geändert werden, und es gewährleiste eine ergänzende Leistung im Verhältnis zu der allgemeinen Rente.

18 Das Vereinigte Königreich und die Kommission führen aus, die den Beamten aufgrund der ABPW gewährten Leistungen seien als Entgelt im Sinne des Artikels 119 des Vertrages anzusehen. Gemäß dem Urteil des Gerichtshofes vom 17. Mai 1990 in der Rechtssache C-262/88 (Barber, Slg. 1990, I-1889) könne der Umstand, daß es sich um ein gesetzliches Rentensystem handele, einer solchen Einordnung nicht entgegenstehen.

19 Gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 79/7 findet diese Richtlinie Anwendung auf die gesetzlichen Systeme, die Schutz gegen das Risiko des Alters bieten.

20 Gemäß Artikel 119 Absatz 2 des Vertrages sind unter "Entgelt" im Sinne dieses Artikels "die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar oder unmittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt".

21 Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat (vgl. Urteil vom 13. Mai 1986 in der Rechtssache 170/84, Bilka, Slg. 1986, 1607; Urteil Barber, a. a. O., Randnr. 12; Urteil vom 6. Oktober 1993 in der Rechtssache C-109/91, Ten Över, Slg. 1993, I-4879, Randnr. 8) schließt der Umstand, daß bestimmte Leistungen nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gewährt werden, nicht aus, daß sie den Charakter eines Entgelts im Sinne von Artikel 119 haben.

22 Für die Entscheidung, ob ein Rentensystem der durch die ABPW errichteten Art unter die Richtlinie 79/7 oder unter Artikel 119 fällt, ist, wie es auch der Generalanwalt in den Nrn. 22 ff. seiner Schlussanträge tut, die jeweilige Bedeutung der Kriterien zu analysieren, die der Gerichtshof in seiner früheren Rechtsprechung herangezogen hat.

23 Nach Maßgabe der ihm vorgelegten Sachverhalte hat der Gerichtshof insbesondere folgende Kriterien aufgestellt: Tätigwerden des Gesetzgebers bei der Festlegung eines Rentensystems, Absprache zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitnehmervertretern, komplementärer Charakter der den Arbeitnehmern gewährten Vorteile im Verhältnis zu den Leistungen der sozialen Sicherheit, Modalitäten der Finanzierung des Rentensystems, seine Anwendbarkeit auf allgemein umschriebene Gruppen von Arbeitnehmern, schließlich Zusammenhang zwischen der Leistung und dem Beschäftigungsverhältnis des Arbeitnehmers.

24 Die Feststellung, daß das Rentensystem unmittelbar durch Gesetz geregelt ist, stellt zweifellos einen wichtigen Anhaltspunkt dafür dar, daß die von diesem System gewährten Leistungen solche der sozialen Sicherheit sind. Nach ständiger Rechtsprechung (Urteile vom 25. Mai 1971 in der Rechtssache 80/70, Defrenne, Slg. 1971, 445, Randnrn. 7 und 8, und zuletzt Ten Över, a. a. O., Randnr. 9) sind zwar Vergütungen, die ihrer Natur nach Leistungen der sozialen Sicherheit sind, grundsätzlich nicht vom Entgeltbegriff auszuschließen, doch können unmittelbar durch Gesetz geregelte, keinerlei vertragliche Vereinbarungen innerhalb des Unternehmens oder in dem betroffenen Gewerbezweig zulassende Systeme oder Leistungen der sozialen Sicherheit, insbesondere Altersrenten, die zwingend für allgemein umschriebene Gruppen von Arbeitnehmern gelten, nicht in den Entgeltbegriff einbezogen werden, wie er in Artikel 119 abgegrenzt ist. Denn diese Regelungen sichern den Arbeitnehmern Ansprüche aus gesetzlichen Systemen, an deren Finanzierung Arbeitnehmer, Arbeitgeber und gegebenenfalls die öffentliche Hand in einem Masse beteiligt sind, das weniger vom Beschäftigungsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als von sozialpolitischen Erwägungen abhängt.

25 Unter diesem Gesichtspunkt fällt ein System wie das durch die AOW errichtete in den Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7 (vgl. insbesondere Urteil Verholen u. a., a. a. O.).

26 Die Tatsache, daß ein System wie das der ABPW unmittelbar durch Gesetz geregelt ist, genügt jedoch nicht, um es dem Anwendungsbereich des Artikels 119 zu entziehen. Schon in seinem Urteil vom 8. April 1976 in der Rechtssache 43/75 (Defrenne II, Slg. 1976, 455, Randnr. 21) hat der Gerichtshof nämlich festgestellt, daß zu den unmittelbaren Diskriminierungen, die sich anhand der in Artikel 119 verwendeten Merkmale allein feststellen lassen, namentlich diejenigen zu rechnen sind, die sich aus Rechtsvorschriften ergeben.

27 Diese Auslegung wurde durch das Urteil Barber, a. a. O., bestätigt. Der Gerichtshof hat dort insbesondere (Randnr. 16) festgestellt, daß eine vom Arbeitgeber gewährte Entlassungsentschädigung nicht bereits deswegen ihren Charakter als eine Form von Entgelt verliert, weil sie nicht aufgrund des Arbeitsvertrags geleistet wird, sondern gesetzlich vorgeschrieben ist oder freiwillig gezahlt wird.

28 Wie der Gerichtshof im Urteil Defrenne II (a. a. O., Randnr. 12) festgestellt hat, gehört nämlich der Grundsatz des gleichen Entgelts zu den Grundlagen der Gemeinschaft. Inhalt und Tragweite dieses Grundsatzes können also nicht anhand eines formalen Kriteriums bestimmt werden, das selbst von den Vorschriften oder Praktiken der Mitgliedstaaten abhängig ist. Das Erfordernis, eine einheitliche Anwendung des Vertrages in der gesamten Gemeinschaft zu gewährleisten, verlangt, daß Artikel 119 im Verhältnis zu diesen Vorschriften oder Praktiken autonom ausgelegt wird.

29 Insbesondere kann die Möglichkeit, sich vor den nationalen Gerichten auf Artikel 119 zu berufen, nicht davon abhängen, ob die von einem Arbeitnehmer beanstandete Ungleichbehandlung im Bereich des Entgelts in einer Rechtsvorschrift oder gegebenenfalls in einem Tarifvertrag ihre Grundlage findet.

30 So hat sich auch der Gerichtshof bei der Charakterisierung eines Rentensystems nicht auf die formale Feststellung des Vorliegens eines Gesetzes beschränkt. In bestimmten Fällen hat er dem Kriterium der Regelung durch Vereinbarung Vorrang vor dem Kriterium der Regelung durch Rechtsvorschriften eingeräumt. So hat der Gerichtshof im Urteil Bilka (a. a. O., Randnrn. 20 bis 22) festgestellt, daß ein Rentensystem, das seinen Ursprung in einer Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat findet und das die Sozialleistungen, die nach den allgemein geltenden Rechtsvorschriften gewährt werden, durch Leistungen ergänzt, die allein vom Arbeitgeber finanziert werden, selbst wenn es in Übereinstimmung mit Gesetzesbestimmungen ausgestaltet wurde, kein System der sozialen Sicherheit ist, und daß die aufgrund dieses Systems gewährten Leistungen eine Vergütung darstellen, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gemäß Artikel 119 Absatz 2 aufgrund des Dienstverhältnisses zahlt. Im Urteil Barber (a. a. O., Randnrn. 25 und 27) hat er weiter festgestellt, daß an die Stelle des gesetzlichen Systems getretene betriebliche Systeme, die entweder auf einer Vereinbarung zwischen den Sozialpartnern oder auf einseitiger Entscheidung des Arbeitgebers beruhen und ohne jede Beteiligung der öffentlichen Hand in vollem Umfang vom Arbeitgeber oder von diesem und den Arbeitnehmern gemeinsam finanziert werden, zu den Vergütungen gehören, die der Arbeitgeber den Arbeitnehmern gewährt. Die Anwendung von Artikel 119 wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß die im Rahmen dieser Systeme entrichteten Beiträge und gewährten Leistungen teilweise an die Stelle der Beiträge und Leistungen des allgemeinen gesetzlichen Systems treten.

31 Diese Auslegung wurde durch das Urteil Ten Över (a. a. O., Randnrn. 10 und 11) bestätigt. Ein System, das das Ergebnis einer Abstimmung zwischen den Sozialpartnern ist und das ausschließlich von den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern des betroffenen Sektors ohne jede finanzielle Beteiligung der öffentlichen Hand finanziert wird, fällt in den Anwendungsbereich des Artikels 119, und zwar auch dann, wenn die staatlichen Stellen das System auf Antrag der als repräsentativ angesehenen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen für obligatorisch für den gesamten beruflichen Sektor erklärt haben.

32 Eine Abstimmung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern im Sinne dieser Rechtsprechung ist jedoch nur eine solche, die zu einer förmlichen Vereinbarung führt. Die meisten Mitgliedstaaten kennen nämlich, selbst im öffentlichen Dienst, verschiedene Arten der Konsultation zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die in unterschiedlicher Form erfolgen und die Parteien mehr oder weniger binden, ohne deshalb notwendig zu echten Vereinbarungen zu führen.

33 So gibt der von der niederländischen Regierung angeführte Umstand, daß die Arbeitnehmerorganisationen des öffentlichen Dienstes an der Verwaltung des Systems beteiligt sind und daß in der Praxis vor der Änderung dieses Systems eine Abstimmung mit ihnen erfolgt, dem im Urteil Ten Över für ausschlaggebend gehaltenen Kriterium im vorliegenden Fall nicht das entscheidende Gewicht. Diese Abstimmung führt nämlich nicht zum Abschluß einer förmlichen Vereinbarung über die Einzelheiten des Systems, die dann für den öffentlichen Dienst und den Gesetzgeber bindend wäre. Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ist im übrigen nicht ersichtlich, daß der Gesetzgeber bei der Änderung der ABPW im Jahre 1985 und anschließend im Jahre 1986 förmlich durch eine zuvor von den Sozialpartnern des öffentlichen Dienstes abgeschlossene Vereinbarung gebunden gewesen oder auch nur tätig geworden wäre, um diese Vereinbarung für den gesamten öffentlichen Dienst für verbindlich zu erklären.

34 Unter Bezugnahme auf ein anderes vom Gerichtshof angewandtes Kriterium macht die niederländische Regierung geltend, die vom ABP gewährte Beamtenversorgung stelle im Verhältnis zu der allgemeinen Rente eine ergänzende Versorgung dar.

35 Der Kläger tritt dem entgegen, zumindest was den Charakter der Beamtenversorgung vor der Änderung der ABPW im Jahre 1986 angeht.

36 Das System der ABPW war ursprünglich ein nur für Beamte geltendes grundlegendes System der Altersversorgung. Bei Einführung der allgemeinen AOW-Rente, dem allgemeinen grundlegenden Altersrentensystem, wurde eine Bestimmung eingeführt, mit der jede Kumulierung der Beamtenversorgung, deren Höhe als ausreichend angesehen wurde, mit der allgemeinen Rente verhindert werden sollte. Der Teil der allgemeinen Rente, der sich auf die Dienstzeiten im öffentlichen Dienst bezieht, wird folglich auf die Beamtenversorgung angerechnet, während die Ansprüche auf die allgemeine Rente, die der Beamte für Versicherungszeiten ausserhalb des öffentlichen Dienstes erworben hat, nicht angerechnet werden und dem ehemaligen Beamten im vollen Umfang zustehen.

37 Jedenfalls ist hervorzuheben, daß die Anwendung des Artikels 119, wie sich aus dem Urteil Barber (Randnr. 27) ergibt, nicht von der Voraussetzung abhängt, daß eine Rente eine ergänzende Versorgungsleistung im Hinblick auf eine durch ein gesetzliches System der sozialen Sicherheit gewährte Rente ist. Von einem betrieblichen System gewährte Leistungen, die teilweise oder ganz an die Stelle der von einem gesetzlichen System der sozialen Sicherheit gewährten Leistungen treten, können unter Artikel 119 fallen.

38 Auch anhand des Kriteriums der Modalitäten der Finanzierung und Verwaltung eines Rentensystems wie desjenigen der ABPW lässt sich nicht entscheiden, ob das System in den Anwendungsbereich des Artikels 119 fällt.

39 Zweifellos wird ein Versorgungsfonds wie der niederländische fast ausschließlich durch die von den verschiedenen Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes gezahlten Beiträge und die von den Bezuegen der Beamten einbehaltenen Beträge finanziert, und er wird nach ähnlichen Regeln wie den für die betrieblichen Rentenfonds geltenden autonom verwaltet. Diese Merkmale unterscheiden ihn jedoch nicht wesentlich von bestimmten Systemen der sozialen Sicherheit, die unter die Richtlinie 79/7 fallen und die im Rahmen von Rechtsvorschriften, in denen das System der Beiträge und Leistungen festgelegt ist, auch durch Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer finanziert sein und paritätisch von den Sozialpartnern verwaltet werden können.

40 Zudem ist, wie sich aus den Antworten der niederländischen Regierung und des ABP auf eine Frage des Gerichtshofes ergibt, anders als bei dem System, um das es im Urteil Ten Över (vgl. Randnr. 31 des vorliegenden Urteils) ging, in aussergewöhnlichen Fällen ein Rückgriff des ABP auf den niederländischen Staatshaushalt möglich, wenn der Versorgungsfonds den ihm aufgrund der ABPW obliegenden Verpflichtungen nicht nachkommen kann. Ausserdem erstattet der Staat dem ABP die durch die Abschaffung von Diskriminierungen zwischen Witwern und Witwen entstehenden zusätzlichen Kosten. Die Finanzierung des Systems wird also nicht ausschließlich durch die öffentlichen Arbeitgeber und die Arbeitnehmer gewährleistet.

41 Die niederländische Regierung weist in ihren schriftlichen Erklärungen noch darauf hin, daß das Versorgungssystem der ABPW ebenso wie die anderen in den Anwendungsbereich der Richtlinie 86/378 fallenden Systeme als ein für eine besondere Berufsgruppe bestimmtes System anzusehen sei; damit bestreitet sie, daß die niederländischen Beamten im Hinblick auf die gemeinschaftsrechtliche Einordnung eines Versorgungssystems wie desjenigen der ABPW als eine "allgemein umschriebene Gruppe von Arbeitnehmern" im Sinne des Urteils Defrenne I (vgl. Randnr. 24 des vorliegenden Urteils) angesehen werden könnten.

42 Der Begriff "allgemein umschriebene Gruppen von Arbeitnehmern" ist zwar vom Gerichtshof nach Erlaß seines Urteils Defrenne I (a. a. O.) nicht näher definiert worden, doch trifft es zu, daß sich dieser Begriff schwerlich auf eine besondere Gruppe von Arbeitnehmern wie die der Beamten anwenden lässt, die sich von den in einem Unternehmen oder in einer Gruppe von Unternehmen, in einem Wirtschaftszweig oder einem Berufs- oder Berufsgruppensektor zusammengefassten Arbeitnehmern nur aufgrund der besonderen Merkmale unterscheiden, die für ihr Beschäftigungsverhältnis mit dem Staat oder mit anderen öffentlichen Körperschaften oder Arbeitgebern gelten.

43 Aus dem Vorstehenden ergibt sich somit, daß nur das Kriterium, daß die Rente dem Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses mit seinem früheren Arbeitgeber gezahlt wird, d. h. das aus dem Wortlaut des Artikels 119 selbst abgeleitete Kriterium der Beschäftigung, entscheidend sein kann.

44 Zwar kann, wie der Gerichtshof schon im Urteil Defrenne I eingeräumt hat, auf das Kriterium des Beschäftigungsverhältnisses nicht ausschließlich abgestellt werden. So können die von den gesetzlichen Systemen der sozialen Sicherheit gewährten Renten bei der Entstehung und der Festsetzung der Ansprüche der Betroffenen ganz oder teilweise dem Beschäftigungsentgelt Rechnung tragen. Gleichwohl fallen sie nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 119.

45 Die Erwägungen der Sozialpolitik, der Staatsorganisation und der Ethik oder selbst die den Haushalt betreffenden Überlegungen, die bei der Festlegung eines Systems wie des hier streitigen durch den Gesetzgeber tatsächlich oder vielleicht eine Rolle gespielt haben, können jedoch nicht entscheidend sein, wenn die Rente nur für eine besondere Gruppe von Arbeitnehmern gilt, unmittelbar von der abgeleisteten Dienstzeit abhängig ist und ihre Höhe aufgrund der letzten Bezuege des Beamten berechnet wird. Die vom öffentlichen Arbeitgeber gezahlte Versorgung steht somit völlig einer Rente gleich, die ein privater Arbeitgeber seinen ehemaligen Arbeitnehmern zahlen würde.

46 Aus den vorstehenden Überlegungen folgt, daß ein Versorgungssystem des öffentlichen Dienstes wie das im Ausgangsverfahren streitige, das im wesentlichen von der Beschäftigung abhängt, die der Betroffene ausübte, zu dem diesem gezahlten Entgelt gehört und unter Artikel 119 fällt.

47 Die erste und die fünfte Frage sind somit dahin zu beantworten, daß eine Versorgung wie die aufgrund der ABPW gezahlte Versorgung in den Anwendungsbereich des Artikels 119 fällt.

Zu der zweiten, der dritten und der vierten Frage

48 Angesichts der Beantwortung der ersten und der fünften Frage sind diese drei Fragen gegenstandslos.

Zur sechsten Frage

49 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Anwendung einer Regelung wie der ABPW, was die Bestimmungen über die Berechnung der Höhe der Beamtenversorgung verheirateter Männer betrifft, gegen Artikel 119 verstösst.

50 Zu diesem Punkt genügt die Feststellung, daß Artikel 119 jede das Entgelt betreffende Ungleichbehandlung von Männern und Frauen ohne Rücksicht darauf verbietet, woraus sich diese Ungleichbehandlung ergibt (Urteil Barber, a. a. O., Randnr. 32).

51 Aus dem in Randnummer 10 zusammengefassten Inhalt der Akten des Ausgangsverfahrens ergibt sich, daß die streitige Regelung Männer unmittelbar diskriminiert. Wie die Kommission anmerkt, ändert der Umstand, daß nur die verheirateten, nicht aber die unverheirateten Männer durch dieses System benachteiligt werden, an dieser Schlußfolgerung nichts.

52 Ausserdem können sich nach ständiger Rechtsprechung seit dem Urteil Defrenne II (a. a. O.) die Betroffenen vor den innerstaatlichen Gerichten unmittelbar auf den in Artikel 119 aufgestellten Grundsatz der Gleichheit des Arbeitsentgelts berufen. Der Gerichtshof hat im übrigen darauf hingewiesen, daß das Verbot der diskriminierenden Ungleichbehandlung von männlichen und weiblichen Arbeitnehmern allgemeine Tragweite hat und für die Behörden sowie für alle Tarifverträge, die die abhängige Erwerbstätigkeit kollektiv regeln, verbindlich ist (Urteil vom 27. Juni 1990 in der Rechtssache C-33/89, Kowalska, Slg. 1990, I-2591, Randnr. 12).

53 Hieraus folgt, daß im vorliegenden Fall die von der Diskriminierung betroffenen verheirateten Männer Anspruch auf die gleiche Behandlung und auf Anwendung der gleichen Regelung wie die verheirateten Frauen haben, wobei diese Regelung, solange Artikel 119 nicht ordnungsgemäß in das innerstaatliche Recht umgesetzt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt (vgl. insbesondere die Urteile Barber, a. a. O., Randnr. 39, Kowalska, a. a. O., Randnr. 19, und das Urteil vom 7. Februar 1991 in der Rechtssache C-184/89, Nimz, Slg. 1991, I-297, Randnr. 18, und, hinsichtlich einer Diskriminierung von Männern bei der Berechnung einer Altersrente der sozialen Sicherheit, das Urteil vom 1. Juli 1993 in der Rechtssache C-154/92, Van Cant, Slg. 1993, I-3811, Randnrn. 20 und 21).

54 Die sechste Frage ist also dahin zu beantworten, daß Artikel 119 einer Regelung wie der ABPW, die hinsichtlich der Ansprüche, die auf Beschäftigungszeiten vor dem 1. Januar 1986 zurückgehen, eine unterschiedliche Regelung für die Berechnung der Höhe der Beamtenversorgung verheirateter ehemaliger Beamter und verheirateter ehemaliger Beamtinnen vorsieht, entgegensteht und daß diese Vorschrift vor den nationalen Gerichten unmittelbar geltend gemacht werden kann. Von der Diskriminierung betroffene verheiratete Männer haben Anspruch auf die gleiche Behandlung und auf Anwendung der gleichen Regelung wie verheiratete Frauen.

Zur siebten Frage

55 Das nationale Gericht möchte noch wissen, ob es möglich ist, die zeitlichen Wirkungen des vorliegenden Urteils zu beschränken.

56 Das dem Vertrag über die Europäische Union beigefügte Protokoll Nr. 2 zu Artikel 119 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft sieht folgendes vor: "Im Sinne des Artikels 119 gelten Leistungen aufgrund eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit nicht als Entgelt, sofern und soweit sie auf Beschäftigungszeiten vor dem 17. Mai 1990 zurückgeführt werden können, ausser im Fall von Arbeitnehmern oder deren anspruchsberechtigten Angehörigen, die vor diesem Zeitpunkt eine Klage bei Gericht oder ein gleichwertiges Verfahren nach geltendem innerstaatlichen Recht anhängig gemacht haben." Gemäß Artikel 239 des Vertrages ist das Protokoll Bestandteil dieses Vertrages.

57 Aus der Antwort auf die erste und die fünfte Frage und insbesondere aus Randnummer 42 des vorliegenden Urteils ergibt sich, daß die aufgrund der ABPW gewährte Versorgung als eine Leistung aufgrund eines betrieblichen Systems im Sinne des zitierten Protokolls anzusehen ist. Obwohl diese Leistung durch Gesetz geregelt ist, gewährleistet sie dem Beamten nämlich einen Schutz gegen das Risiko des Alters und stellt eine Vergütung dar, die der öffentliche Arbeitgeber dem Arbeitnehmer aufgrund des Dienstverhältnisses zahlt, vergleichbar mit derjenigen, die ein privater Arbeitgeber aufgrund eines betrieblichen Systems zahlt.

58 Ausserdem beziehen sich die im Ausgangsverfahren streitigen Leistungen auf Beschäftigungszeiten, die vor dem 17. Mai 1990 liegen. Bei den diskriminierenden Bestimmungen handelt es sich nämlich um diejenigen, die die Versorgungsansprüche für die Zeiten vor dem 1. Januar 1986 betreffen.

59 Nach seinem allgemein gehaltenen Wortlaut gilt das genannte Protokoll also für die von einem System wie dem hier streitigen gewährten Leistungen.

60 Diese Feststellung enthält jedoch zugleich eine Einschränkung. Betroffen sind Leistungen ° nur diese werden im übrigen im Protokoll Nr. 2 erwähnt ° und nicht der Anspruch auf Anschluß an ein betriebliches System der sozialen Sicherheit.

61 Das Protokoll steht nämlich offenkundig im Zusammenhang mit dem Urteil Barber, da es ebenfalls auf den 17. Mai 1990 Bezug nimmt. Dieses Urteil untersagt eine Ungleichbehandlung von Mann und Frau, die sich aus einer je nach Geschlecht unterschiedlichen Regelung des Anspruchs auf Altersrente nach einer betriebsbedingten Entlassung ergibt. Das Urteil Barber, mit dem die Wirkung der in ihm vorgenommenen Auslegung des Artikels 119 des Vertrages auf die Zeit nach seinem Erlaß am 17. Mai 1990 beschränkt wurde, ist unterschiedlich verstanden worden. Diese Meinungsverschiedenheiten wurden durch das Urteil Ten Över beseitigt, das vor dem Inkrafttreten des Vertrages über die Europäische Union erging. Das Protokoll Nr. 2 enthält im wesentlichen dieselbe Auslegung des Urteils Barber wie das Urteil Ten Över und erstreckt diese auf sämtliche Leistungen aufgrund eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit und macht sie zum Bestandteil des Vertrages, geht aber ebensowenig wie das Urteil Barber auf die Voraussetzungen für den Anschluß an diese betrieblichen Systeme ein und regelt diese folglich auch nicht.

62 Die Frage des Anschlusses richtet sich somit weiterhin nach dem Urteil Bilka, mit dem die Verletzung von Artikel 119 des Vertrages durch ein Unternehmen festgestellt wird, das ohne objektive Rechtfertigung, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hat, Männer und Frauen dadurch ungleich behandelt, daß es eine Gruppe von Beschäftigten von einer betrieblichen Altersversorgung ausschließt. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß im Urteil Bilka die Wirkungen der mit diesem Urteil vorgenommenen Auslegung des Artikels 119 des Vertrages nicht zeitlich beschränkt wurden.

63 Gegen die Anwendung dieses Artikels auf die aufgrund der ABPW gewährten Leistungen, die auf Beschäftigungszeiten vor dem 17. Mai 1990 zurückgeführt werden können, macht die niederländische Regierung jedoch geltend, ein Versorgungssystem wie das der ABPW falle unter die Richtlinie 86/378. Sie beruft sich auf den in Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie niedergelegten Grundsatz der Rechtssicherheit; diese Bestimmung habe insbesondere die Aufrechterhaltung von Bestimmungen eines früher geltenden Rentensystems bis zum 1. Januar 1993 erlauben sollen.

64 Auch für den Fall der Anwendbarkeit der Richtlinie 86/378 genügt der Hinweis, daß es, wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 14. Dezember 1993 in der Rechtssache C-110/91 (Moroni, Slg. 1993, I-6591, Randnr. 24) zu Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie festgestellt hat, auf die Wirkungen dieser Richtlinie nicht ankommt, wenn sich anhand der Bestandteile des in Rede stehenden Entgelts und der in Artikel 119 aufgestellten Kriterien unmittelbar feststellen lässt, daß sich aus der Festsetzung eines je nach Geschlecht unterschiedlichen Rentenalters für Betriebsrenten eine Diskriminierung ergibt.

65 Diese Auslegung muß auch für Artikel 8 Absatz 2 gelten, der die Tragweite des Artikels 119 hinsichtlich der Rentenansprüche für Zeiträume vor der Änderung des betreffenden Systems nicht einschränken kann.

66 Da also das Protokoll zu Artikel 119 für ein System wie das der ABPW gilt und eine Beamtenversorgung wie die im Ausgangsverfahren streitige im Hinblick auf Ansprüche, die auf Beschäftigungszeiten nach dem 1. Januar 1986 zurückgehen, in nichtdiskriminierender Art und Weise festgesetzt wird, kann Artikel 119 nach dem Wortlaut des Protokolls selbst nur von denjenigen nach der ABPW rentenberechtigten Beamten oder deren anspruchsberechtigten Angehörigen für ihre Forderung nach Gleichbehandlung im Rahmen dieses Systems geltend gemacht werden, die vor dem 17. Mai 1990 hinsichtlich der Ansprüche, die auf Beschäftigungszeiten vor dem 1. Januar 1986 zurückgehen, eine Klage erhoben oder einen Rechtsbehelf eingelegt haben.

67 Diese letztgenannte Gruppe von Betroffenen kann sich jedoch für Ansprüche, die auf Beschäftigungszeiten vor dem 8. April 1976 zurückgehen, nicht auf Artikel 119 berufen, da der Gerichtshof erst zu diesem Zeitpunkt im Urteil Defrenne II, a. a. O., anerkannt hat, daß eine unmittelbare Berufung auf Artikel 119, jedoch mit Wirkung für zukünftige Lohn- oder Gehaltsperioden, möglich ist.

68 Die siebte Frage ist somit dahin zu beantworten, daß gemäß dem Protokoll Nr. 2 zu Artikel 119 die unmittelbare Wirkung des Artikels 119 für den Anspruch auf Gleichbehandlung bei der Zahlung von Leistungen aufgrund eines Versorgungssystems wie desjenigen der ABPW, die auf Beschäftigungszeiten zwischen dem 8. April 1976 und dem 17. Mai 1990 zurückgehen, nur von Beamten oder ihren anspruchsberechtigten Angehörigen geltend gemacht werden kann, die vor dem letztgenannten Zeitpunkt eine Klage erhoben oder einen Rechtsbehelf eingelegt haben.

Kostenentscheidung:

Kosten

69 Die Auslagen der niederländischen Regierung, des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren vor dem Gerichtshof ein Zwischenstreit in dem vor dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Centrale Raad van Beroep mit nicht datiertem, beim Gerichtshof am 12. Januar 1993 eingegangenen Beschluß vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Eine Versorgung wie die aufgrund der Algemene Burgerlijke Pensiönwet (ABPW) gezahlte Versorgung fällt in den Anwendungsbereich des Artikels 119 des Vertrages.

2) Artikel 119 steht einer Regelung wie der ABPW entgegen, die hinsichtlich der Ansprüche, die auf Beschäftigungszeiten vor dem 1. Januar 1986 zurückgehen, eine unterschiedliche Regelung für die Berechnung der Höhe der Beamtenversorgung verheirateter ehemaliger Beamter und verheirateter ehemaliger Beamtinnen vorsieht; diese Vorschrift kann vor den nationalen Gerichten unmittelbar geltend gemacht werden. Von der Diskriminierung betroffene verheiratete Männer haben Anspruch auf die gleiche Behandlung und auf Anwendung der gleichen Regelung wie verheiratete Frauen.

3) Gemäß dem Protokoll Nr. 2 zu Artikel 119 kann die unmittelbare Wirkung des Artikels 119 für den Anspruch auf Gleichbehandlung bei der Zahlung von Leistungen aufgrund eines Versorgungssystems wie desjenigen der ABPW, die auf Beschäftigungszeiten zwischen dem 8. April 1976 und dem 17. Mai 1990 zurückgehen, nur von Beamten oder ihren anspruchsberechtigten Angehörigen geltend gemacht werden, die vor dem letztgenannten Zeitpunkt eine Klage erhoben oder einen Rechtsbehelf eingelegt haben.

Ende der Entscheidung

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