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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.07.2006
Aktenzeichen: C-74/04 P
Rechtsgebiete: EG


Vorschriften:

EG Art. 81 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFES (Dritte Kammer)

13. Juli 2006

"Rechtsmittel - Wettbewerb - Artikel 81 Absatz 1 EG - Vertrieb von Kraftfahrzeugen - Begriff der Vereinbarungen zwischen Unternehmen - Nachweis für das Vorliegen einer Vereinbarung"

Parteien:

In der Rechtssache C-74/04 P

betreffend ein Rechtsmittel gemäß Artikel 56 der Satzung des Gerichtshofes, eingereicht am 16. Februar 2004,

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch W. Mölls als Bevollmächtigten im Beistand von Rechtsanwalt H.-J. Freund, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Rechtsmittelführerin,

anderer Verfahrensbeteiligter:

Volkswagen AG mit Sitz in Wolfsburg (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte R. Bechtold und S. Hirsbrunner, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richter J. Malenovský, J.-P. Puissochet, S. von Bahr (Berichterstatter) und U. Lõhmus,

Generalanwalt: A. Tizzano,

Kanzler: K. Sztranc, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. September 2005,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. November 2005

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften die Aufhebung des Urteils des Gerichts erster Instanz vom 3. Dezember 2003 in der Rechtssache T-208/01 (Volkswagen/Kommission, Slg. 2003, II-5141, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht die Entscheidung 2001/711/EG der Kommission vom 29. Juni 2001 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG (Sache COMP/F-2/36.693 - Volkswagen) (ABl. L 262, S. 14, im Folgenden: streitige Entscheidung) für nichtig erklärt hat.

Sachverhalt und rechtlicher Rahmen

2 Der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt und sein rechtlicher Rahmen, wie sie sich aus dem angefochtenen Urteil ergeben, können wie folgt zusammengefasst werden.

3 Die Volkswagen AG (im Folgenden: Volkswagen) ist die Dachgesellschaft und das größte Einzelunternehmen des in der Automobilherstellung tätigen Volkswagen-Konzerns. Die von Volkswagen hergestellten Kraftfahrzeuge werden in der Europäischen Gemeinschaft im Rahmen eines selektiven und exklusiven Vertriebssystems über Händler vertrieben, mit denen Volkswagen einen Standard-Händlervertrag (im Folgenden: Händlervertrag) geschlossen hat.

4 Gemäß § 4 Absatz 1 des Händlervertrags in den Fassungen von September 1995 und Januar 1998 überträgt Volkswagen dem Händler für das Lieferprogramm und den Kundendienst ein Vertragsgebiet. Im Gegenzug übernimmt der Händler für sein Marktverantwortungsgebiet die Verpflichtung, den Absatz und Kundendienst intensiv zu fördern und das Marktpotential optimal auszuschöpfen. Nach § 2 Ziffer 6 (Fassung von Januar 1989) bzw. Ziffer 1 (Fassungen von September 1995 und Januar 1998) des Händlervertrags sind die Händler verpflichtet, "die Interessen [von Vokswagen], der Volkswagen Vertriebsorganisation sowie der Marke Volkswagen zu vertreten und in jeder Weise zu fördern". Ferner ist dort geregelt, dass der Händler "[d]abei ... allen dem Vertragszweck dienenden Anforderungen hinsichtlich des Vertriebs fabrikneuer Volkswagen-Automobile, der Ersatzteilebevorratung, des Kundendienstes, der Absatzförderung, Werbung und Schulung sowie der Sicherung des Leistungsstands für die jeweiligen Bereiche des Volkswagen-Geschäfts nachkommen" wird. Nach § 8 Ziffer 1 des Händlervertrags schließlich gibt Volkswagen "für die Endabnehmerpreise und Preisnachlässe unverbindliche Preisempfehlungen heraus".

5 Am 17. Juli 1997 und 8. Oktober 1998 richtete die Kommission auf die Beschwerde eines Käufers an Volkswagen mehrere Auskunftsersuchen nach Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962 - Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. Nr. 13, S. 204) über die Preispolitik von Volkswagen und insbesondere die Festlegung des Verkaufspreises des Volkswagen-Fahrzeugmodells Passat in Deutschland. Volkswagen beantwortete diese Ersuchen am 22. August 1997 bzw. 9. November 1998.

6 Am 22. Juni 1999 übersandte die Kommission auf der Grundlage der erhaltenen Informationen Volkswagen eine Mitteilung der Beschwerdepunkte, in der sie dem Unternehmen einen Verstoß gegen Artikel 81 Absatz 1 EG vorwarf, da es mit den deutschen Händlern seines Vertriebsnetzes eine konsequente Preisdisziplin beim Verkauf des Modells Volkswagen Passat vereinbart habe.

7 Die Kommission erwähnte in dieser Mitteilung u. a. drei Rundschreiben, die Volkswagen am 26. September 1996 und am 17. April und 26. Juni 1997 an seine deutschen Händler gerichtet hatte, sowie fünf an einige dieser Händler versandte Schreiben vom 24. September sowie vom 2. und 16. Oktober 1996, vom 18. April 1997 und vom 13. Oktober 1998 (im Folgenden zusammen: streitige Aufforderungen).

8 Volkswagen antwortete auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte mit Schreiben vom 10. September 1999 und bemerkte, dass der dort beschriebene Sachverhalt im Wesentlichen richtig sei. Volkswagen beantragte keine mündliche Anhörung.

9 Am 15. Januar und 7. Februar 2001 richtete die Kommission zwei neue Auskunftsersuchen an Volkswagen, die das Unternehmen am 30. Januar bzw. 21. Februar 2001 beantwortete.

10 Am 6. Juli 2001 stellte die Kommission Volkswagen die streitige Entscheidung zu. Diese lautet:

"Artikel 1

[Volkswagen] hat einen Verstoß gegen Artikel 81 Absatz 1 des EG-Vertrag begangen, indem [das Unternehmen] die Verkaufspreise für das Modell VW Passat dadurch festgesetzt hat, dass [es seine] deutschen Vertragshändler aufgefordert hat, beim Verkauf dieses Modells keine oder nur beschränkte Preisnachlässe an Kunden zu gewähren.

Artikel 2

Wegen des in Artikel 1 genannten Verstoßes wird gegen [Volkswagen] eine Geldbuße in Höhe von 30,96 Mio. EUR verhängt.

...

Artikel 4

Diese Entscheidung ist an die Volkswagen AG, D-38436 Wolfsburg, gerichtet. ..."

Das angefochtene Urteil

11 Volkswagen erhob mit Klageschrift, die am 10. September 2001 bei der Kanzlei des Gerichts einging, Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung, hilfsweise, Herabsetzung der mit der Entscheidung verhängten Geldbuße.

12 In Randnummer 32 des angefochtenen Urteils stellte das Gericht unter Verweis auf Randnummer 69 seines Urteils vom 26. Oktober 2000 in der Rechtssache T-41/96 (Bayer/Kommission, Slg. 2000, II-3383) fest, dass der Begriff der Vereinbarung im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG, wie er in der Rechtsprechung ausgelegt worden sei, durch das Vorliegen einer Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei Parteien gekennzeichnet sei, deren Ausdrucksform unerheblich sei, sofern sie den Willen der Parteien getreu wiedergebe.

13 Das Gericht führte in Randnummer 33 des angefochtenen Urteils aus, dass nach der Rechtsprechung eine Entscheidung eines Herstellers, die ein einseitiges Verhalten des Unternehmens darstelle, nicht unter das Verbot in Artikel 81 Absatz 1 EG falle (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofes vom 25. Oktober 1983 in der Rechtssache 107/82, AEG/Kommission, Slg. 1983, 3151, Randnr. 38, und vom 17. September 1985 in den Rechtssachen 25/84 und 26/84, Ford/Kommission, Slg. 1985, 2725, Randnr. 21, sowie Urteil des Gerichts in der Rechtssache Bayer, Randnr. 66)

14 Das Gericht erläuterte in Randnummer 35 des angefochtenen Urteils, dass die Fälle, in denen ein Unternehmen eine wirklich einseitige Maßnahme treffe, d. h. ohne ausdrückliche oder stillschweigende Mitwirkung eines anderen Unternehmens tätig werde, von denen zu unterscheiden seien, in denen nur scheinbar Einseitigkeit vorliege. Während Erstere nicht unter Artikel 81 Absatz 1 EG fielen, seien Letztere als Vereinbarung zwischen Unternehmen anzusehen und könnten daher in den Anwendungsbereich dieses Artikels fallen. Dies sei u. a. bei wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen und Maßnahmen der Fall, die vom Hersteller scheinbar einseitig im Rahmen seiner vertraglichen Beziehungen zu Wiederverkäufern getroffen würden, jedoch deren zumindest stillschweigende Zustimmung fänden (Urteil Bayer, Randnr. 71).

15 In Randnummer 38 des angefochtenen Urteils bemerkte das Gericht zunächst, es stehe nicht fest, dass die streitigen Aufforderungen umgesetzt worden seien.

16 Das Gericht führte in Randnummer 39 des angefochtenen Urteils aus, die Kommission habe das Vorliegen einer Vereinbarung im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG in erster Linie darauf gestützt, dass die Vertragshändler die Vertriebspolitik von Volkswagen bei Abschluss des Händlervertrags stillschweigend akzeptiert hätten.

17 In Randnummer 43 des angefochtenen Urteils stellte das Gericht fest, die Ansicht der Kommission laufe darauf hinaus, dass von einem Händler, der einen wettbewerbsrechtskonformen Händlervertrag abgeschlossen habe, anzunehmen sei, dass er bei diesem und durch diesen Vertragsabschluss im Voraus einer späteren rechtswidrigen Entwicklung dieses Vertrages zustimme, selbst wenn es dem Händler gerade wegen der Wettbewerbsrechtskonformität des Vertrages nicht möglich sei, eine solche Entwicklung vorzusehen.

18 Das Gericht erklärte in Randnummer 45 des angefochtenen Urteils, dass eine vorherige Zustimmung zu einer Vertragsentwicklung bei dem und durch den Abschluss eines rechtmäßigen Händlervertrags in Betracht komme, wenn es sich um eine rechtmäßige Vertragsentwicklung handele, die entweder im Vertrag vorgesehen sei oder die der Händler im Hinblick auf die Handelsbräuche oder die Rechtslage nicht verweigern könne. Die Annahme, dass bei dem und durch den Abschluss eines rechtmäßigen Vertriebsvertrags die Zustimmung zu einer rechtswidrigen Vertragsentwicklung im Voraus erteilt worden sei, sei jedoch unzulässig.

19 Das Gericht folgerte daraus in Randnummer 46 des angefochtenen Urteils, die Kommission sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Abschluss des Händlervertrags durch die Händler von Volkswagen deren Zustimmung zu den streitigen Aufforderungen umfasse.

20 In Randnummer 47 des angefochtenen Urteils erläuterte das Gericht, die Kommission habe die von ihr zur Stützung ihrer Ansicht angeführte Rechtsprechung missverstanden, wenn sie ausführe, dass nach den Urteilen des Gerichtshofes in den Rechtssachen AEG und Ford sowie vom 24. Oktober 1995 in der Rechtssache C-70/93 (Bayerische Motorenwerke, Slg 1995, I-3439) und dem Urteil des Gerichts vom 6. Juli 2000 in der Rechtssache T-62/98 (Volkswagen/Kommission, Slg. 2000, II-2707) jedenfalls im Fall selektiver Vertriebssysteme, wie im vorliegenden Fall, die Zustimmung des Händlers zu einer Aufforderung des Herstellers nicht in einem Verhalten gesucht zu werden brauche, das er im Zusammenhang mit der Aufforderung des Herstellers, z. B. im Anschluss an diese, an den Tag lege, und dass diese Zustimmung grundsätzlich schon in seinem Beitritt zu dem Vertriebsnetz des Herstellers zu sehen sei und also als im Voraus erteilt gelte.

21 In Randnummer 56 des angefochtenen Urteils stellte das Gericht fest, dass der von der Kommission vertretenen Ansicht eindeutig die von Volkswagen angeführten Urteile des Gerichtshofes vom 12. Juli 1979 in den Rechtssachen 32/78 und 36/78 bis 82/78 (BMW Belgium u. a./Kommission, Slg. 1979, 2435) und vom 11. Januar 1990 in der Rechtssache C-277/87 (Sandoz prodotti farmaceutici/Kommission, Slg. 1990, I-45) sowie das Urteil des Gerichts in der Rechtssache Bayer/Kommission entgegenstünden. Alle diese Urteile forderten nämlich für die Feststellung des Vorliegens einer Vereinbarung im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG den Nachweis einer Willensübereinstimmung. Zudem müsse sich diese Willensübereinstimmung auf ein bestimmtes Verhalten beziehen, das den Beteiligten daher bei der Zustimmung bekannt sein müsse.

22 In Randnummer 61 des angefochtenen Urteils erwähnte das Gericht, dass die Kommission hilfsweise geltend gemacht habe, wenn die Feststellung, dass sich die streitigen Aufforderungen in den Vertrag einfügten, einen Vorbehalt im Händlervertrag voraussetze, müsse § 2 Ziffer 1 oder 6 dieses Vertrages als derartiger Vorbehalt angesehen werden.

23 Das Gericht wies dieses Hilfsvorbringen zurück, indem es in Randnummer 63 des angefochtenen Urteils ausführte, dass § 2 Ziffer 1 oder 6 des Händlervertrags nur so ausgelegt werden könne, dass er sich nur auf gesetzmäßige Mittel beziehe. Das Gegenteil zu behaupten, hieße nach Ansicht des Gerichts, aus einer derartigen neutral formulierten Vertragsklausel zu schließen, dass sich die Händler durch einen rechtswidrigen Vertrag gebunden hätten. Das Gericht ergänzte in Randnummer 64 des angefochtenen Urteils, dass auch § 8 Ziffer 1 des Händlervertrags neutral formuliert sei und sogar die Befugnis von Volkswagen ausschließe, verbindliche Preisempfehlungen auszusprechen.

24 Das Gericht erklärte die streitige Entscheidung deshalb für nichtig.

Anträge der Verfahrensbeteiligten und Rechtsmittelgrund

25 Die Kommission beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, den Rechtsstreit an das Gericht zurückzuverweisen und Volkswagen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

26 Zur Begründung ihres Rechtsmittels führt sie als einzigen Grund einen Verstoß des Gerichts gegen Artikel 81 Absatz 1 EG an.

27 Volkswagen beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

28 Mit ihrem Rechtsmittelgrund macht die Kommission geltend, das Gericht habe mit seiner Feststellung, dass die streitigen Aufforderungen keine Vereinbarungen zwischen Unternehmen im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes seien, gegen Artikel 81 Absatz 1 EG verstoßen.

29 Die Kommission trägt vor, dass sich nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes die Aufnahme eines Händlers in ein selektives Vertriebssystem darauf gründe, dass er die Vertriebspolitik des Herstellers ausdrücklich oder stillschweigend akzeptiere (Urteile AEG/Kommission, Randnr. 38, Ford/Kommission, Randnr. 21, und vom 6. Januar 2004 in den Rechtssachen C-2/01 P und C-3/01 P, BAI und Kommission/Bayer, Slg. 2004, I-23, Randnr. 144).

30 Zudem stelle ebenfalls nach ständiger Rechtsprechung eine Aufforderung eines Kraftfahrzeugherstellers an seine Vertragshändler keine einseitige Handlung dar, die sich dem Anwendungsbereich des Artikels 81 Absatz 1 EG entziehe, sondern eine Vereinbarung im Sinne dieser Bestimmung, wenn sie im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen erfolge, die einer im Voraus getroffenen allgemeinen Vereinbarung unterlägen (vgl. Urteile Ford/Kommission, Randnr. 21, Bayerische Motorenwerke, Randnrn. 15 und 16, sowie vom 18. September 2003 in der Rechtssache C-338/00 P, Volkswagen/Kommission, Slg. 2003, I-9189, Randnr. 60).

31 Das angefochtene Urteil sei unter Missachtung dieser Rechtsprechung ergangen und mit dem Wesen selektiver Vertriebssysteme nicht vereinbar.

32 Der Händler habe mit Abschluss des Händervertrags künftigen Maßnahmen zugestimmt, die sich in den durch diesen Vertrag abgesteckten Rahmen einfügten. Entgegen den Feststellungen des Gerichts in den Randnummern 45 und 56 des angefochtenen Urteils müssten solche Maßnahmen im Händlervertrag weder zwingend vorgesehen noch rechtmäßig sein, um als Vereinbarung im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG angesehen werden zu können.

33 Volkswagen macht geltend, dass die Auslegung des Begriffes der Vereinbarung durch das Gericht völlig mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes und Artikel 81 Absatz 1 EG vereinbar sei.

Würdigung durch den Gerichtshof

34 Die Kommission macht im Wesentlichen geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es verkannt habe, dass der Händler mit Abschluss eines Händlervertrags im Voraus allen Maßnahmen zustimme, die der Kraftfahrzeughersteller im Rahmen dieser vertraglichen Beziehung ergreife.

35 Die Kommission stützt ihre Auffassung auf die ständige Rechtsprechung, nach der eine Aufforderung eines Kraftfahrzeugherstellers an seine Vertragshändler keine einseitige Handlung, sondern eine Vereinbarung im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG darstellt, wenn sie im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen erfolgt, die einer im Voraus getroffenen allgemeinen Vereinbarung unterliegen.

36 Aus der Rechtsprechung, auf die die Kommission verweist, folgt jedoch nicht, dass jede Aufforderung eines Kraftfahrzeugherstellers an seine Vertragshändler eine Vereinbarung im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG darstellt, und sie entbindet die Kommission nicht davon, in jedem Einzelfall nachzuweisen, dass eine Willensübereinstimmung zwischen den Parteien des Händlervertrags vorliegt.

37 Das Gericht hat in den Randnummern 30 bis 34 des angefochtenen Urteils zu Recht festgestellt, dass eine Vereinbarung im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG schon dann vorliegt, wenn ein scheinbar einseitiger Akt oder ein entsprechendes Verhalten Ausdruck des übereinstimmenden Willens von mindestens zwei Parteien ist, und dass die Form, in der diese Übereinstimmung zum Ausdruck kommt, als solche nicht entscheidend ist.

38 Wie Volkswagen in Randnummer 29 seiner Rechtsmittelbeantwortung ausführt, hätte die entgegengesetzte Lösung zur Folge, dass die Beweislast für das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln umgekehrt und die Unschuldsvermutung verletzt würde.

39 Der Wille der Parteien kann sich sowohl aus den Klauseln des fraglichen Händlervertrags als auch aus dem Verhalten der Parteien und insbesondere der gegebenenfalls stillschweigend erteilten Zustimmung der Händler zur Aufforderung des Herstellers ergeben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. September 2003, Volkswagen/Kommission, Randnrn. 61 bis 68).

40 Was die erste Möglichkeit angeht, hat die Kommission im vorliegenden Fall das Vorliegen einer Willensübereinstimmung allein aus den fraglichen Klauseln des Händlervertrags hergeleitet. Das Gericht musste daraufhin, wie geschehen, prüfen, ob die streitigen Aufforderungen ausdrücklich im Händlervertrag enthalten sind oder ob zumindest dessen Klauseln dem Kraftfahrzeughersteller das Recht einräumen, von solchen Aufforderungen Gebrauch zu machen.

41 Hierzu ist festzustellen, dass der Gerichtshof in Randnummer 20 des Urteils Ford/Kommission das Vorbringen, einige Maßnahmen in Bezug auf den selektiven Vertrieb von Kraftfahrzeugen seien einseitiger Art, mit der Begründung zurückgewiesen hat, dass Vereinbarungen mit den Händlern bestimmte Gesichtspunkte notwendigerweise späteren Entscheidungen des Herstellers überlassen müssten und dass derartige Entscheidungen gerade in Anlage 1 des betreffenden Händlervertrags vorgesehen seien.

42 Desgleichen hat der Gerichtshof in Randnummer 64 des Urteils vom 18. September 2003 in der Rechtssache Volkswagen/Kommission festgestellt, dass das Gericht zu Recht entschieden hat, dass Maßnahmen, die Volkswagen getroffen hatte, um die Belieferung der italienischen Vertragshändler mit Kraftfahrzeugen einzuschränken, und die mit dem ausdrücklichen Ziel durchgeführt worden waren, die Reexporte aus Italien zu behindern, im Rahmen der laufenden Geschäftsbeziehungen zwischen den Parteien des Händervertrags erfolgt waren, wobei sich das Gericht u. a. darauf gestützt hat, dass der fragliche Händlervertrag die Möglichkeit vorsah, die Belieferung einzuschränken.

43 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht ergibt, dass die Frage, ob die Klauseln des fraglichen Vertrages mit den Wettbewerbsregeln vereinbar sind oder nicht, im Rahmen der betreffenden Prüfung notwendigerweise entscheidend wäre. Folglich ist das Urteil insofern mit einem Fehler behaftet, als das Gericht in den Randnummern 45 und 46 des angefochtenen Urteils entschieden hat, dass mit den Wettbewerbsregeln vereinbare Klauseln nicht als Zulassung wettbewerbswidriger Aufforderungen angesehen werden könnten.

44 Es lässt sich nämlich nicht von vornherein ausschließen, dass eine gegen die Wettbewerbsregeln verstoßende Aufforderung als durch scheinbar neutrale Klauseln eines Händlervertrages zugelassen angesehen werden kann.

45 Folglich konnte das Gericht nicht rechtsfehlerfrei davon absehen, von Fall zu Fall die Klauseln des Händlervertrags zu prüfen und dabei gegebenenfalls alle anderen relevanten Faktoren zu berücksichtigen, wie z. B. die mit diesem Vertrag angesichts des wirtschaftlichen und rechtlichen Kontextes des Vertragsschlusses verfolgten Ziele.

46 Was die zweite Möglichkeit angeht, nämlich das Fehlen einschlägiger Vertragsbestimmungen, setzt das Vorliegen einer Vereinbarung im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG die ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung der Händler zu der Maßnahme des Kraftfahrzeugherstellers voraus (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil BMW Belgium u. a./Kommission, Randnrn. 28 bis 30).

47 Da die Kommission nicht das Vorliegen einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Zustimmung der Händler geltend gemacht hat, ist diese zweite Möglichkeit im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits jedoch ohne Bedeutung.

48 Um festzustellen, ob die streitigen Aufforderungen im Rahmen der laufenden Geschäftsbeziehungen zwischen Volkswagen und seinen Händlern erfolgten, hätte das Gericht nach alledem prüfen müssen, ob sie in den Klauseln des Händlervertrags vorgesehen oder durch sie zugelassen waren, und zwar unter Berücksichtigung der mit diesem Vertrag als solchem angesichts des wirtschaftlichen und rechtlichen Kontextes des Vertragsschlusses verfolgten Ziele.

49 Was die Auslegung der Klauseln des Händlervertrags durch das Gericht im vorliegenden Fall angeht, so ist darauf hinzuweisen, dass sich aus Artikel 225 EG und Artikel 58 Absatz 1 der Satzung des Gerichtshofes ergibt, dass für die Feststellung der Tatsachen - sofern sich nicht aus den Prozessakten ergibt, dass die Feststellungen tatsächlich falsch sind - und für ihre Würdigung ausschließlich das Gericht zuständig ist. Wenn das Gericht die Tatsachen festgestellt oder gewürdigt hat, ist der Gerichtshof gemäß Artikel 225 EG zu einer Kontrolle der rechtlichen Qualifizierung und der rechtlichen Folgen befugt, die das Gericht aus ihnen abgeleitet hat (vgl. u. a. Urteil vom 17. Dezember 1998 in der Rechtssache C-185/95 P, Baustahlgewebe/Kommission, Slg. 1998, I-8417, Randnr. 23).

50 Zu den Klauseln des Händlervertrags hat das Gericht in Randnummer 2 des angefochtenen Urteils bindend festgestellt, dass nach § 2 Ziffern 1 oder 6 dieser Vertrages der Händler verpflichtet ist, die Interessen der Volkswagen Vetriebsorganisation und der Marke Volkswagen zu vertreten und dazu allen dem Vertragszweck dienenden Anforderungen hinsichtlich des Vertriebs fabrikneuer Kraftfahrzeuge und der Absatzförderung nachzukommen.

51 Randnummer 2 des angefochtenen Urteils ist außerdem zu entnehmen, dass Volkswagen gemäß § 8 Ziffer 1 des Händlervertrags für Endabnehmerpreise und Preisnachlässe unverbindliche Preisempfehlungen herausgibt.

52 In den Randnummern 62 bis 68 des angefochtenen Urteils hat das Gericht im Rahmen der konkreten Beurteilung des Händlervertrags festgestellt, dass zum einen die betreffenden Klauseln nicht dahin ausgelegt werden können, dass sie es Volkswagen gestatten, verbindliche Empfehlungen in Bezug auf den Preis fabrikneuer Kraftfahrzeuge an die Händler zu richten, und dass zum anderen die streitigen Aufforderungen keine Vereinbarung im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG darstellen.

53 Das Gericht hat sich für die Beurteilung des Inhalts der Klauseln des Händlervertrags zu Recht auf deren Wortlaut gestützt. Der Gerichtshof ist aber grundsätzlich nicht befugt, im Rahmen eines Rechtsmittels die vom Gericht vorgenommene Würdigung zu überprüfen, nach der diese Klauseln neutral oder sogar so formuliert sind, dass sie es Volkswagen verbieten, verbindliche Preisempfehlungen herauszugeben. Allerdings sind die Ausführungen des Gerichts insofern mit einem Rechtsfehler behaftet, als es entschieden hat, dass die mit den Wettbewerbsregeln vereinbaren Klauseln nicht dahin ausgelegt werden können, dass sie gegen diese Regeln verstoßende Aufforderungen zulassen.

54 Dieser Fehler ändert jedoch nichts an der Begründetheit der Schlussfolgerung des Gerichts, dass die streitigen Aufforderungen hier nicht als "Vereinbarung" im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG angesehen werden können.

55 Nach alledem ist das Gericht in Randnummer 68 des angefochtenen Urteils zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären ist.

56 Das Rechtsmittel ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

57 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung, der gemäß Artikel 118 auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem entsprechenden Antrag von Volkswagen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt die Kosten des Verfahrens.



Ende der Entscheidung

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