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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 27.10.1992
Aktenzeichen: C-74/91
Rechtsgebiete: EG, EWG, RL 77/388


Vorschriften:

EG Art. 226
EWG Art. 169
RL 77/388 Art. 26
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Das Klagesystem des EWG-Vertrags unterscheidet zwischen den in den Artikeln 169 und 170 vorgesehenen Klagen, die auf die Feststellung gerichtet sind, daß ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen verstossen hat, und den in den Artikeln 173 und 175 vorgesehenen Klagen, mit denen die Rechtmässigkeit von Handlungen oder Unterlassungen der Gemeinschaftsorgane überprüft werden soll. Diese Klagemöglichkeiten verfolgen verschiedene Ziele und unterliegen unterschiedlichen Voraussetzungen. Ein Mitgliedstaat kann sich daher mangels einer Vorschrift des EWG-Vertrags, die ihn dazu ausdrücklich ermächtigte, zur Verteidigung gegenüber einer auf die Verletzung der Verpflichtungen, die ihm durch eine Richtlinie auferlegt werden, gestützten Vertragsverletzungsklage nicht mit Erfolg auf die Rechtswidrigkeit dieser Richtlinie berufen.

Etwas anderes könnte nur gelten, wenn die fragliche Richtlinie mit besonders schweren und offensichtlichen Fehlern behaftet wäre, so daß sie als inexistenter Rechtsakt qualifiziert werden könnte.

2. Ein Mitgliedstaat, der auf die Marge der Reisebüros eine Mehrwertsteuerregelung anwendet, die für bestimmte Umsätze, die von Dritten für Rechnung des Reisebüros ausgeführt werden, entgegen Artikel 26 der Richtlinie 77/388 Steuerbefreiungen vorsieht, die sich nicht auf Umsätze beschränken, die ausserhalb der Gemeinschaft erbracht werden, sondern auch für alle grenzueberschreitenden Beförderungen mit Luftfahrzeugen oder Seeschiffen sowie für solche Beförderungen mit Luftfahrzeugen oder Seeschiffen gelten, die ausschließlich ausserhalb des nationalen Steuergebiets erfolgen, verstösst gegen seine Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag.

Ein Mitgliedstaat kann zwar Steuerbefreiungen als Übergangsmaßnahmen im Sinne von Artikel 28 der Richtlinie beibehalten, sofern die dort aufgestellten Voraussetzungen erfuellt sind; dies gilt jedoch nicht für einen Mitgliedstaat, der für die verschiedenen von den Reisebüros erbrachten Umsätze die allgemeine Mehrwertsteuerregelung nicht beibehalten, sondern eine auf Artikel 26 gestützte Sonderregelung erlassen hat.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 27. OKTOBER 1992. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND. - SECHSTE RICHTLINIE 77/388/CEE - SONDERREGELUNG FUER DIE ERHEBUNG DER MEHRWERTSTEUER BEI REISEBUEROS. - RECHTSSACHE C-74/91.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 22. Februar 1991 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, daß sie eine Mehrwertsteuerregelung auf die Marge der Reisebüros angewandt hat, die mit Artikel 26 der Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; im folgenden: Sechste Richtlinie) unvereinbar ist.

2 Die Sechste Richtlinie enthält in Artikel 26 eine Sonderregelung für die Mehrwertsteuer, die für die Umsätze der Reisebüros gilt, wenn diese gegenüber den Reisenden im eigenen Namen auftreten und für die Durchführung der Reise Lieferungen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nehmen. Nach dieser Regelung gelten die bei Durchführung der Reise vom Reisebüro erbrachten Umsätze als einheitliche Dienstleistung des Reisebüros an den Reisenden. Als Besteuerungsgrundlage gilt die Marge des Reisebüros, das heisst die Differenz zwischen dem vom Reisenden zu zahlenden Gesamtbetrag ohne Mehrwertsteuer und den tatsächlichen Kosten, die dem Reisebüro durch die Inanspruchnahme von Lieferungen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger entstehen, soweit diese Umsätze dem Reisenden unmittelbar zugute kommen. Werden die Umsätze, für die das Reisebüro andere Steuerpflichtige in Anspruch nimmt, von diesen ausserhalb der Gemeinschaft bewirkt, so wird die Dienstleistung des Reisebüros einer nach Artikel 15 Nr. 14 befreiten Vermittlungstätigkeit gleichgestellt. Werden diese Umsätze sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Gemeinschaft bewirkt, so ist nur der Teil der Dienstleistung des Reisebüros als steuerfrei anzusehen, der auf die Umsätze ausserhalb der Gemeinschaft entfällt.

3 Artikel 28 der Richtlinie enthält Übergangsbestimmungen, von denen einige unmittelbar die Sonderregelung für Reisebüros betreffen. Gemäß Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b können die Mitgliedstaaten "die in Anhang F aufgeführten Umsätze unter den in den Mitgliedstaaten bestehenden Bedingungen weiterhin befreien". Die Liste der in Anhang F aufgeführten Umsätze umfasst unter Nr. 27 "in Artikel 26 genannte Dienstleistungen der Reisebüros... für Reisen innerhalb der Gemeinschaft". Da der Rat, dessen Eingreifen in Artikel 28 Absatz 4 vorgesehen ist, nicht über die Abschaffung der Übergangsbestimmungen für Leistungen der Reisebüros entschieden hat, sind diese weiterhin anwendbar.

4 Im deutschen Recht ist die Mehrwertsteuer für Reiseleistungen in § 25 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) vom 29. November 1979 geregelt. Diese Vorschrift enthält hinsichtlich der Definition der Leistungen des Reisebüros und ihrer Besteuerungsgrundlagen eine der Sechsten Richtlinie vergleichbare Regelung. Die dort vorgesehenen Steuerbefreiungen für bestimmte Umsätze, die von Dritten für Rechnung des Reisebüros ausgeführt werden und die das Umsatzsteuergesetz als Reisevorleistungen bezeichnet, sind jedoch nicht auf Umsätze beschränkt, die ausserhalb der Gemeinschaft bewirkt werden, da sie auch für alle grenzueberschreitenden Beförderungen mit Luftfahrzeugen oder Seeschiffen sowie für solche Beförderungen mit Luftfahrzeugen oder Seeschiffen gelten, die ausschließlich ausserhalb des deutschen Steuergebiets erfolgen.

5 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, der einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen und nationalen Bestimmungen, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

6 Die Kommission macht zur Begründung ihrer Klage geltend, soweit die Bestimmungen des UStG 1980 über die Erhebung der Mehrwertsteuer bei Reisebüros die Steuerbefreiung von Leistungen zuließen, bei denen die Umsätze ganz oder teilweise innerhalb des Gebiets der Gemeinschaft bewirkt würden, verstießen sie gegen Artikel 26 der Sechsten Richtlinie, der eine solche Befreiung nur für die Leistungen oder Teilleistungen vorsehe, die auf die Umsätze ausserhalb der Gemeinschaft entfielen. Durch die Herausnahme von Umsätzen, deren Steuerbefreiung in den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen nicht vorgesehen sei, aus der Berechnung der Steuer werde die Besteuerungsgrundlage der Reisebüros in ungerechtfertigter Weise herabgesetzt, was zu Wettbewerbsverzerrungen gegenüber den Reisebüros anderer Mitgliedstaaten führen und sich nachteilig auf die aus der Mehrwertsteuer stammenden Eigenmittel der Gemeinschaft auswirken könne.

7 Die beklagte Regierung führt gegen die Rügen der Kommission mehrere Argumente an. Sie beruft sich auf die Nichtigkeit von Artikel 26 der Sechsten Richtlinie beziehungsweise die Unmöglichkeit seiner Anwendung, die Anwendung der Übergangsbestimmungen in Artikel 28 dieser Richtlinie, die besonderen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Veranstaltung von Seereisen und schließlich auf die Wettbewerbsverzerrungen, die sich aus den aus mehreren Gründen zugelassenen Steuerbefreiungen ergäben.

Zur Nichtigkeit von Artikel 26 der Sechsten Richtlinie beziehungsweise der Unmöglichkeit seiner Anwendung

8 Nach Ansicht der Bundesrepublik wird die Umsetzung von Artikel 26 der Sechsten Richtlinie durch unüberwindliche Schwierigkeiten unmöglich gemacht, die sich insbesondere bei der Festlegung der Steuer im Fall von Umsätzen ergäben, zu denen Flugreisen gehörten, deren Strecken sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Gemeinschaft lägen. Wie die Diskussion in dem aufgrund von Artikel 29 der Sechsten Richtlinie eingesetzten Beratenden Ausschuß für die Mehrwertsteuer zeige, der sich in seiner 25. Sitzung am 10. und 11. April 1989 mit einem vereinfachten Besteuerungssystem beschäftigt habe, sei die Feststellung der verschiedenen Teilstrecken überflogener Gebiete in der Praxis wegen des häufigen Wechsels der Luftstrassen äusserst schwierig. Die deutsche Regierung schließt daraus, daß Artikel 26 nichtig sei oder zumindest nicht angewendet werden könne.

9 Die Kommission trägt vor, weder sei es zulässig, daß die Bundesrepublik die Einrede der Rechtswidrigkeit der fraglichen Bestimmungen der Sechsten Richtlinie erhebe, noch sei die Berufung auf die Unmöglichkeit ihrer Anwendung begründet.

10 Das Klagesystem des EWG-Vertrags unterscheidet zwischen den in den Artikeln 169 und 170 vorgesehenen Klagen, die auf die Feststellung gerichtet sind, daß ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen verstossen hat, und den in den Artikeln 173 und 175 vorgesehenen Klagen, mit denen die Rechtmässigkeit von Handlungen oder Unterlassungen der Gemeinschaftsorgane überprüft werden soll. Diese Klagemöglichkeiten verfolgen verschiedene Ziele und unterliegen unterschiedlichen Voraussetzungen. Ein Mitgliedstaat kann sich daher mangels einer Vorschrift des EWG-Vertrags, die ihn dazu ausdrücklich ermächtigte, zur Verteidigung gegenüber einer auf die Nichtdurchführung einer an ihn gerichteten Entscheidung gestützten Vertragsverletzungsklage nicht mit Erfolg auf die Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung berufen (Urteil vom 30. Juni 1988 in der Rechtssache 226/87, Kommission/Griechenland, Slg. 1988, 3611, Randnr. 14). Ebensowenig kann er sich auf die Rechtswidrigkeit einer Richtlinie berufen, deren Verletzung die Kommission ihm vorwirft.

11 Etwas anderes könnte nur gelten, wenn der fragliche Rechtsakt mit besonders schweren und offensichtlichen Fehlern behaftet wäre, so daß er als inexistenter Rechtsakt qualifiziert werden könnte (Urteil vom 30. Juni 1988, Kommission/Griechenland, a. a. O., Randnr. 16), was im vorliegenden Fall von der deutschen Regierung nicht einmal vorgetragen wird.

12 Im übrigen hat der Gerichtshof zwar entschieden, daß ein Mitgliedstaat gegen eine Vertragsverletzungsklage geltend machen könne, daß es ihm völlig unmöglich gewesen sei, eine Entscheidung der Gemeinschaft richtig durchzuführen (Urteil vom 2. Februar 1988 in der Rechtssache 213/85, Kommission/Niederlande, Slg. 1988, 281, Randnr. 22). Das Vorbringen zur Stützung dieses Einwands lässt jedoch nicht den Schluß zu, daß es völlig unmöglich ist, Artikel 26 der Sechsten Richtlinie richtig durchzuführen. Selbst wenn die von der Beklagten geltend gemachten technischen Schwierigkeiten bei der Aufteilung der Beförderungsleistungen mit Luftfahrzeugen in die inner- und aussergemeinschaftlichen Teile wirklich bestehen, so haben sie doch die Umsetzung der streitigen Bestimmung in das nationale Recht mehrerer Mitgliedstaaten nicht verhindert. Im übrigen hat der Beratende Ausschuß für die Mehrwertsteuer, auf dessen Vereinfachungsvorschläge die Bundesrepublik Deutschland hinweist, ausdrücklich festgestellt, daß die von ihm befürworteten Maßnahmen die Vornahme der in Artikel 26 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Aufteilung durch die Reisebüros nicht ausschlössen.

Zur Anwendung der Übergangsbestimmungen der Sechsten Richtlinie

13 Die deutsche Regierung beruft sich ausserdem auf die Übergangsbestimmungen in Artikel 28 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie, die es den Mitgliedstaaten erlaubten, bestimmte Umsätze unter den bestehenden Bedingungen weiterhin zu befreien, und zu deren nur teilweiser Anwendung hinsichtlich der in den Nummern 27 und 17 von Anhang F der Sechsten Richtlinie genannten Umsätze sie sich berechtigt glaubt. Besonders in ihrer Antwort auf die Fragen des Gerichtshofes macht sie geltend, zwar sei durch das UStG 1980 das frühere, im UStG 1973 geregelte System geändert worden, das keine besondere Besteuerungsregelung für Reiseveranstalter enthalten habe, so daß die Besteuerung sich für jede der verschiedenen Reisedienstleistungen nach den allgemeinen Vorschriften gerichtet habe und mit der Möglichkeit verbunden gewesen sei, bestimmte Umsätze von der Steuer zu befreien oder diese zu erlassen. Das neue System habe jedoch keine Auswirkungen auf den Umfang der streitigen Steuerbefreiungen. Ebenso wie vor dieser Änderung seien nämlich auch danach sowohl die Vorleistungen als auch die dem Reisenden vom Reisebüro erbrachte Gesamtleistung bei allen grenzueberschreitenden Beförderungen mit Luftfahrzeugen oder Seeschiffen in vollem Umfang steuerfrei.

14 Die Kommission ist dagegen der Auffassung, daß die beklagte Regierung sich auf die Übergangsbestimmungen in Artikel 28 der Richtlinie nicht berufen könne, nachdem sie sich für die Anwendung der endgültigen Regelung des Artikels 26 entschieden habe. Sie macht insbesondere geltend, diese endgültige Regelung sehe die Besteuerung einer einheitlichen Dienstleistung des Reisebüros vor, so daß die Aufrechterhaltung der Steuerbefreiung bestimmter Umsätze, die Bestandteil dieser Leistung seien, mit der Anwendung dieser Regelung unvereinbar sei.

15 Die Übergangsbestimmung des Artikels 28 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie, nach der die Mitgliedstaaten "die in Anhang F aufgeführten Umsätze unter den in den Mitgliedstaaten bestehenden Bedingungen weiterhin befreien" können, steht schon ihrem Wortlaut nach der Einführung neuer Befreiungstatbestände oder der Ausweitung bereits bestehender Befreiungen entgegen (Urteil vom 8. Juli 1986 in der Rechtssache 73/85, Kerrutt, Slg. 1986, 2219, Randnr. 17). Gleiches gilt für die Wiedereinführung von Befreiungen, die bestanden, bevor die fraglichen Leistungen gemäß der Sechsten Richtlinie der Mehrwertsteuer unterworfen wurden (Urteil vom 17. Oktober 1991 in der Rechtssache C-35/90, Kommission/Spanien, Slg. 1991, I-5073, Randnrn. 6 bis 9).

16 Nach der durch Artikel 26 der Sechsten Richtlinie eingeführten Sonderregelung gelten die bei Durchführung der Reise vom Reisebüro erbrachten Umsätze als eine einheitliche Dienstleistung des Reisebüros an den Reisenden. Diese einheitliche Leistung wird der Mehrwertsteuer unterworfen, wobei die einzige ausdrücklich vorgesehene Ausnahme die ausserhalb der Gemeinschaft erbrachten Umsätze betrifft. Die Dienstleistung oder der Teil der Dienstleistung des Reisebüros, die auf diese Umsätze entfallen, sind steuerfrei. Anhang F Nr. 27 der Sechsten Richtlinie, wo "in Artikel 26 genannte Dienstleistungen der Reisebüros" zu den Umsätzen gezählt werden, die in Anwendung von Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b weiterhin befreit werden können, kann sich daher nur auf die normalerweise der Besteuerung unterliegende einheitliche Leistung des Reisebüros beziehen und nicht auf den einen oder anderen der Umsätze, die Bestandteil dieser einheitlichen Leistung sind und früher einer anderen Besteuerungsregelung unterlagen.

17 Da die Bundesrepublik Deutschland unstreitig für die verschiedenen von den Reisebüros erbrachten Umsätze die allgemeine Mehrwertsteuerregelung nicht beibehalten, sondern eine auf Artikel 26 der Sechsten Richtlinie gestützte Sonderregelung erlassen hat, kann sie nicht geltend machen, sie könne bestimmte Umsätze, deren Befreiung in dieser Vorschrift nicht vorgesehen ist, weiterhin befreien. Wie die Kommission festgestellt hat, würde die Zulassung der Aufrechterhaltung teilweiser, in den für Reisebüros geltenden Übergangsbestimmungen der Sechsten Richtlinie nicht ausdrücklich vorgesehener Steuerbefreiungen überdies gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstossen, der zu einer eindeutigen und genauen Anwendung der in den Richtlinien der Gemeinschaft geregelten Vorschriften zwingt.

18 Auf Anhang F Nr. 17 der Sechsten Richtlinie, die sich auf bestimmte Beförderungsleistungen bezieht, die die Mitgliedstaaten in Anwendung von Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b weiterhin befreien können, kann sich die deutsche Regierung ° wie die Kommission zu Recht ausführt ° nicht berufen, um die Aufrechterhaltung von Steuerbefreiungen im Zusammenhang mit Dienstleistungen von Reisebüros zu rechtfertigen, die der von der Regelung für Beförderungsleistungen zu trennenden Sonderregelung in Artikel 26 unterworfen sind.

Zur Veranstaltung von Seereisen

19 Die beklagte Regierung beruft sich speziell hinsichtlich der Veranstaltung von Seereisen auf Artikel 27 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie, wonach die Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen von der Richtlinie abweichende Sondermaßnahmen, die der Erleichterung der Steuererhebung dienen, aufrechterhalten können. Sie macht geltend, da die Beförderungsleistungen mit Seeschiffen sich in der Regel fast ausschließlich auf internationale Gewässer erstreckten, die nicht zum Gebiet der Gemeinschaft gehörten, müssten Kreuzfahrten aus dem Bestreben um Vereinfachung von der Besteuerung befreit werden, selbst wenn sie zwischen zwei Häfen in den Mitgliedstaaten stattfänden.

20 Die Kommission wendet sich gegen diesen Standpunkt und stellt insbesondere fest, daß die Vorschläge des Beratenden Ausschusses für die Mehrwertsteuer zur Besteuerung der Leistungen von Reisebüros bei Kreuzfahrten zeigten, daß die nach den Kriterien des Artikels 26 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie vorzunehmende Aufteilung in vollem Umfang praktikabel sei.

21 Zum einen ist die in Artikel 27 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie den Mitgliedstaaten, die am 1. Januar 1977 von der Richtlinie abweichende Sondermaßnahmen zur Erleichterung der Steuererhebung angewandt haben, eingeräumte Möglichkeit zu deren Aufrechterhaltung von bestimmten Voraussetzungen abhängig. Unter anderem mussten diese Maßnahmen der Kommission vor dem 1. Januar 1978 mitgeteilt werden. Wie die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, hat sie zwar solche Maßnahmen gemäß dieser Bestimmung vor dem Ende des Jahres 1977 mitgeteilt. Diese Mitteilung betraf jedoch nicht die Tätigkeit von Reisebüros, sondern den Betrieb von Beförderungsdiensten mit Seeschiffen.

22 Soweit die Bundesrepublik Deutschland sich zum anderen durch die Geltendmachung dieses Bestrebens um Vereinfachung erneut auf die Schwierigkeiten bei der Aufteilung der Leistungen in die inner- und aussergemeinschaftlichen Teile berufen will, auf die sie bereits für die Beförderung mit Luftfahrzeugen hingewiesen hat, genügt die Feststellung, daß diese Schwierigkeiten nicht unüberwindlich sind. Dem ist hinzuzufügen, daß der Beratende Ausschuß für die Mehrwertsteuer zwar eine Vereinfachungsregelung zur Besteuerung der Leistungen von Reisebüros bei Kreuzfahrten in Betracht gezogen hat, "sofern die Kreuzfahrt ausschließlich zwischen Häfen der Gemeinschaft stattfindet" oder "sofern die Kreuzfahrt in der Gemeinschaft beginnt und als Bestimmung ein Drittland hat". Er hat jedoch auch eine Regelung zur Aufteilung der Umsätze vorgesehen, "sofern die Kreuzfahrt sowohl zwischen Häfen innerhalb und ausserhalb der Gemeinschaft durchgeführt wird". Wie der Gerichtshof oben in Randnummer 12 für Flugreisen ausgeführt hat, stellte der Beratende Ausschuß in seiner Stellungnahme im übrigen ausdrücklich fest, daß die von ihm in Betracht gezogenen Möglichkeiten es nicht ausschlössen, daß Reisebüros weiterhin entsprechend dem zur Zeit geltenden Wortlaut des Artikels 26 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie verfahren könnten.

Zu den von der beklagten Regierung geltend gemachten Wettbewerbsverzerrungen

23 Zur Rechtfertigung der streitigen Steuerbefreiungen beruft sich die deutsche Regierung ausserdem auf das Erfordernis der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen sowohl gegenüber Reiseveranstaltern anderer Mitgliedstaaten, die noch von der Übergangsregelung in Artikel 28 der Sechsten Richtlinie Gebrauch machten, als auch gegenüber Reiseveranstaltern mit eigenen Luftfahrzeugen, deren Beförderungsleistungen auf der Grundlage dieser Übergangsregelung als grenzueberschreitende Beförderungen mit Luftfahrzeugen in allen Mitgliedstaaten steuerfrei seien, als auch gegenüber Individualreisenden.

24 Diesem Vorbringen, gegen das sich die Kommission zu Recht wendet, kann nicht gefolgt werden.

25 Zum einen ist die Bundesrepublik Deutschland, wenn sie von der Übergangsregelung nicht entsprechend den Vorschriften Gebrauch macht, nicht berechtigt, von einer korrekten Durchführung des Artikels 26 der Sechsten Richtlinie abzusehen und dadurch ihrerseits Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil der Staaten zu schaffen, die diese Bestimmung umgesetzt haben, selbst wenn es zutrifft, daß es zu Wettbewerbsverzerrungen führen kann, wenn einige Mitgliedstaaten diese Übergangsregelung aufrechterhalten.

26 Zum anderen enthält die Sechste Richtlinie, wie oben in Randnummer 2 ausgeführt, eine Sonderregelung für die Mehrwertsteuer, die für die Umsätze der Reisebüros gilt, wenn diese gegenüber den Reisenden im eigenen Namen auftreten und für die Durchführung der Reise Lieferungen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nehmen. Diese Regelung gilt nicht für die ohne Einschaltung Dritter erbrachten Beförderungsleistungen, die den allgemeinen Bestimmungen für Beförderungsunternehmen unterfallen. Die steuerliche Behandlung beider Umsatzarten ist somit nicht vergleichbar. Zwar kann die Aufrechterhaltung einer Übergangsregelung für die Steuerbefreiung bestimmter Beförderungsleistungen geeignet sein, die Unterschiede in der Situation zum einen von solchen Reiseveranstaltern, die selbst Beförderungsunternehmer sind, und solchen, die dies nicht sind, zum anderen von Reisenden, die die Dienste eines Reisebüros in Anspruch nehmen, und solchen, die dies nicht tun, zu verstärken. Jedoch kann auch dieser Umstand nicht dazu berechtigen, von einer korrekten Durchführung der in der Richtlinie vorgesehenen Sonderregelung abzusehen.

27 Somit ist festzustellen, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, daß sie eine Mehrwertsteuerregelung auf die Marge der Reisebüros angewandt hat, die mit Artikel 26 der Sechsten Richtlinie unvereinbar ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

28 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen, daß sie eine Mehrwertsteuerregelung auf die Marge der Reisebüros angewandt hat, die mit Artikel 26 der Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage unvereinbar ist.

2) Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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