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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 25.07.1991
Aktenzeichen: C-75/90
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Verordnung Nr. 337/79 vom 05.02.1979, Verordnung Nr. 822/87 des Rates vom 16.03.1987


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
Verordnung Nr. 337/79 vom 05.02.1979 Anhang II Nr. 8
Verordnung Nr. 822/87 des Rates vom 16.03.1987 Anhang I Nr. 10
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Aus der Definition in Anhang II Nr. 8 der Verordnung Nr. 337/79, die in Anhang I Nr. 10 der Verordnung Nr. 822/87 über die gemeinsame Marktorganisation für Wein übernommen wurde und auf die Artikel 45 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 355/79 zur Aufstellung allgemeiner Regeln für die Bezeichnung und Aufmachung der Weine verweist, geht hervor, daß Wein das Erzeugnis aus einer vollständigen oder teilweisen alkoholischen Gärung sein muß, daß die Gärung das einzige Verfahren zu seiner Gewinnung sein muß und daß jedes Erzeugnis, das aus Trauben nach einem anderen Verfahren als dem der alkoholischen Gärung gewonnen wurde, kein Wein ist. Daraus ergibt sich, daß nach diesen Vorschriften Wein zum Zeitpunkt des Vertriebs einen Mindestalkoholgehalt aufweisen muß.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ERSTE KAMMER) VOM 25. JULI 1991. - STRAFVERFAHREN GEGEN ROGER GUITARD. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TRIBUNAL CORRECTIONNEL DE CARCASSONNE - FRANKREICH. - GEMEINSAME MARKTORGANISATION FUER WEIN - MINDESTALKOHOLGEHALT VON WEIN - VERTRIEB VON ALKOHOLFREIEM WEIN. - RECHTSSACHE C-75/90.

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunal correctionnel Carcassonne (Frankreich) hat mit Urteil vom 7. Februar 1990, eingegangen bei der Kanzlei des Gerichtshofes am 21. März 1990, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung von Anhang II Nr. 8 der Verordnung (EWG) Nr. 337/79 des Rates vom 5. Februar 1979 (ABl. L 54, S. 1) und von Anhang I Nr. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 822/87 des Rates vom 16. März 1987 über die gemeinsame Marktorganisation für Wein (ABl. L 84, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Nach Nr. 8 des Anhangs II der Verordnung Nr. 337/79, die als Nr. 10 in den Anhang I der Verordnung Nr. 822/87 übernommen worden ist, ist Wein "das Erzeugnis, das ausschließlich durch vollständige oder teilweise alkoholische Gärung der frischen, auch eingemaischten Weintrauben oder des Traubenmostes gewonnen wird".

3 Die Vorlagefrage stellt sich in einem Strafverfahren gegen Roger Guitard in seiner Eigenschaft als Präsident der Union des caves coóperatives de l' oüst audois et du Razès (im folgenden: Uccoar) wegen Täuschung über die Beschaffenheit der Ware und wegen irreführender Werbung; ihm wird vorgeworfen, von 1988 an unter der Bezeichnung "alkoholfreier Wein" ein Getränk auf der Basis von entalkoholisiertem Wein vertrieben zu haben.

4 Aus dem Vorlageurteil geht hervor, daß die Direction départementale de la concurrence, de la consommation et des fraudes, die die Strafverfolgung in Gang brachte, der Ansicht ist, daß die Entalkoholisierung von Wein kein durch die gemeinschaftsrechtliche Regelung festgelegtes und erlaubtes önologisches Verfahren darstelle, zumal bei der Herstellung des fraglichen Erzeugnisses konzentrierter Most zugesetzt werde. Zu ihrer Verteidigung trägt die Uccoar vor, daß sie Wein vertreibe, der der verordnungsrechtlichen Definition entspreche und dem der Alkohol nachträglich nach einer Methode entzogen worden sei, die eine Herstellung erlaube, die den Laborkontrollen und dem Geschmack des Verbrauchers gerecht werde.

5 Da das Tribunal correctionnel Carcassonne deswegen der Auffassung ist, daß seine Entscheidung von der Auslegung der genannten Definition von Wein abhänge, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Muß nach den EWG-Verordnungen Wein im Sinne des Anhangs II Nr. 8 der Verordnung Nr. 337/79 und des Anhangs I Nr. 10 der Verordnung Nr. 822/87 zum Zeitpunkt des Vertriebs einen Mindestalkoholgehalt aufweisen?

6 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Ausgangsverfahrens sowie des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

7 Aus den Akten ergibt sich, daß das fragliche Erzeugnis durch Vakuumdestillation von Wein bei niedriger Temperatur unter Verbesserung der organoleptischen Eigenschaften durch Zugabe von konzentriertem Most entsteht.

8 Die gestellte Frage ist daher so zu verstehen, daß das vorlegende Gericht Auskunft darüber begehrt, ob es mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, ein nach einem solchen Verfahren hergestelltes Erzeugnis unter der Bezeichnung "alkoholfreier Wein" zu verkaufen.

9 Die genannten Verordnungen Nr. 337/79 und Nr. 822/87 enthalten einerseits Regeln für die Erzeugung und die Kontrolle der Entwicklung des Weinbaupotentials sowie die önologischen Verfahren und Behandlungen, andererseits Regeln für den Verkehr und das Inverkehrbringen von Wein. Anhang II der Verordnung Nr. 337/79 und Anhang I der Verordnung Nr. 822/87, die festlegen, welche Erzeugnisse von der gemeinsamen Marktorganisation erfasst werden, enthalten die genannte Definition von Wein.

10 Nach Artikel 45 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 355/79 des Rates vom 5. Februar 1979 zur Aufstellung allgemeiner Regeln für die Bezeichnung und Aufmachung der Weine und Traubenmoste (ABl. L 54, S. 99) darf die Bezeichnung "Wein" nur für Erzeugnisse verwendet werden, die der Definition in Anhang II Nr. 8 der Verordnung Nr. 337/79 entsprechen. Diese Vorschrift, die auf den dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalt anwendbar ist, ist als Artikel 43 in die Verordnung (EWG) Nr. 2392/89 vom 24. Juli 1989 (ABl. L 232, S. 13) übernommen worden, mit der die Verordnung Nr. 355/79 aufgehoben und der Verweis auf Anhang II Nr. 8 der Verordnung Nr. 337/79 durch den Verweis auf Anhang I Nr. 10 der Verordnung Nr. 822/87 ersetzt worden ist.

11 Aus der in Nr. 8 enthaltenen Definition geht klar hervor, daß eine vollständige oder teilweise alkoholische Gärung Voraussetzung dafür ist, daß ein Erzeugnis als Wein angesehen werden kann. Ausserdem muß die alkoholische Gärung das einzige Verfahren zur Gewinnung des Weines sein. Jedes Erzeugnis, das aus Trauben nach einem anderen Verfahren als dem der alkoholischen Gärung gewonnen wurde, ist kein Wein. Aus dieser Definition ergibt sich deutlich, daß das Erzeugnis nach der Gärung Alkohol enthalten muß, um zulässigerweise als "Wein" bezeichnet zu werden.

12 Obwohl diese Definition von Wein ausdrücklich keinen Mindestalkoholgehalt vorschreibt und ein solcher Alkoholgehalt nach der gemeinschaftsrechtlichen Regelung nur für einige Weinsorten wie Tafelwein oder Qualitätsweine verlangt wird (Anhang I Nr. 13 der Verordnung Nr. 822/87, Artikel 7 der Verordnung (EWG) Nr. 823/87 des Rates vom 16. März 1987 zur Festlegung besonderer Vorschriften für Qualitätsweine bestimmter Anbaugebiete, ABl. L 84, S. 59), ist festzustellen, daß das wesentliche Merkmal eines jeden Weines darin besteht, daß er einen gewissen Alkoholgehalt aufweist.

13 Es ist vorgetragen worden, daß das Erzeugnis, aus dem der "alkoholfreie Wein" hergestellt werde, selbst Wein sei. Dieser Umstand ist jedoch im Hinblick auf das aus der gemeinschaftsrechtlichen Regelung folgende Erfordernis, daß das so bezeichnete Enderzeugnis Alkohol enthalten muß, um zulässigerweise als Wein bezeichnet werden zu können, ohne Bedeutung. Diese Auslegung wird dadurch bestätigt, daß der Prozeß der Entalkoholisierung von Wein kein nach Titel II der Verordnung Nr. 822/87 zulässiges önologisches Verfahren darstellt.

14 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß Artikel 45 Absatz 2 der Verordnung Nr. 355/79, als Artikel 43 in die Verordnung Nr. 2392/89 des Rates übernommen, und Artikel 20 der Verordnung (EWG) Nr. 997/81 der Kommission vom 26. März 1981 über Durchführungsbestimmungen für die Bezeichnung und Aufmachung der Weine und der Traubenmoste (ABl. L 106, S. 1) den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumen, für Getränke die Verwendung des Wortes "Wein", wenn es mit dem Namen einer Frucht verbunden ist, sofern dieses Getränk durch alkoholische Gärung dieser Frucht gewonnen worden ist, oder die Verwendung anderer zusammengesetzter Ausdrücke, die das Wort "Wein" enthalten, zuzulassen.

15 Daher ist es Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob die Bezeichnung "alkoholfreier Wein" ein zusammengesetzter Ausdruck ist, der von der einschlägigen nationalen Regelung zur Bezeichnung eines anderen Erzeugnisses als Wein im Sinne der gemeinschaftsrechtlichen Regelung zugelassen wird.

16 Die vom nationalen Gericht vorgelegte Frage ist somit dahin zu beantworten, daß nach Anhang II Nr. 8 der Verordnung Nr. 337/79, übernommen in Anhang I Nr. 10 der Verordnung Nr. 822/87, Wein zum Zeitpunkt des Vertriebs einen Mindestalkoholgehalt aufweisen muß.

Kostenentscheidung:

Kosten

17 Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gerichts anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

auf die ihm vom Tribunal correctionnel Carcassonne durch Urteil vom 7. Februar 1990 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Nach Anhang II Nr. 8 der Verordnung Nr. 337/79 des Rates vom 5. Februar 1979, übernommen in Anhang I Nr. 10 der Verordnung Nr. 822/87 des Rates vom 16. März 1987 über die gemeinsame Marktorganisation für Wein, muß Wein zum Zeitpunkt des Vertriebs einen Mindestalkoholgehalt aufweisen.

Ende der Entscheidung

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