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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 11.05.1989
Aktenzeichen: C-76/89 R
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag
Vorschriften:
EWG-Vertrag Art. 86 | |
EWG-Vertrag Art. 173 Abs. 2 | |
EWG-Vertrag Art. 185 |
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg
BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DES GERICHTSHOFES VOM 11. MAI 1989. - RADIO TELEFIS EIREANN UND ANDERE GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WETTBEWERB - MISSBRAUCH EINER BEHERRSCHENDEN STELLUNG - PRAKTIKEN, DIE DIE HERAUSGABE UND DEN VERKAUF VON ALLGEMEINEN WOECHENTLICHEN FERNSEHPROGRAMMFUEHREN BEHINDERN. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN C-76, 77 UND 91/89 R.
Entscheidungsgründe:
1 Die Radio Telefis Eireann ( nachstehend : RTE ), die British Broadcasting Corporation und BBC Enterprises Limited ( nachstehend : BBC ) sowie die Independent Television Publications Limited ( nachstehend : ITP ) haben mit Schriftsätzen, die in den Rechtssachen 76/89 R und 77/89 R am 10. März 1989 und in der Rechtssache 91/89 R am 17. März 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen sind, die Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung der Kommission vom 21. Dezember 1988 über ein Verfahren nach Artikel 86 EWG-Vertrag ( IV/31.851, Magill TV Guide/ITP, BBC und RTE ) beantragt. An denselben Tagen haben die Antragstellerinnen gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag eine Klage auf Aufhebung dieser Entscheidung erhoben, die im Amtsblatt vom 21. März 1989 ( ABl. L 89, S. 43 ) veröffentlicht wurde.
2 Die drei Rechtssachen betreffen denselben Gegenstand und stehen soweit miteinander im Zusammenhang, daß sie zu gemeinsamer Entscheidung im Verfahren der einstweiligen Anordnung zu verbinden sind.
3 Mit Schriftsätzen, die am 24. und 28. April 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen sind, hat die Magill TV Guide Limited ( nachstehend : Magill Ltd ) beantragt, im Verfahren der einstweiligen Anordnung in den drei Rechtssachen als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden. Da die Magill Ltd bei der Kommission die Einleitung des Verfahrens gegen die RTE, die BBC und die ITP beantragt hatte, das zu der streitigen Entscheidung führte, hat sie ein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits. Folglich ist dem Antrag für die Zwecke des Verfahrens der einstweiligen Anordnung stattzugeben.
4 Die Antragsgegnerin hat am 12. April 1989 schriftlich Stellung genommen. Die Antragstellerinnen und die Kommission haben am 28. April 1989 mündlich verhandelt.
5 Vor einer Prüfung der Begründetheit des Antrags auf einstweilige Anordnung ist eine kurze Darstellung der Vorgeschichte des Rechtsstreits zu geben.
6 Die Mehrzahl der Fernsehzuschauer in Irland und Nordirland empfängt mindestens sechs Fernsehprogramme : RTE1 und RTE2, die von der RTE gesendet werden, die ein gesetzliches Monopol für die Veranstaltung eines nationalen Rundfunks in Irland besitzt, BBC1 und BBC2, die von der BBC gesendet werden, sowie ITV und Channel 4, die von Fernsehgesellschaften gesendet werden, die von der Independent Broadcasting Authority ( nachstehend : IBA ) eine Lizenz für die Ausstrahlung unabhängiger Fernsehprogramme erhalten haben. Im Vereinigten Königreich besteht ein Dyopol der BBC und der IBA für die Veranstaltung des nationalen Fernsehfunks. Ausserdem empfangen viele Fernsehzuschauer in Irland mehrere Satellitenfernsehprogramme, die von den verschiedenen Kabelgesellschaften vertrieben werden.
7 Im Rahmen ihrer Tätigkeit als Fernsehfunkveranstalter erstellen die RTE, die BBC und - im Falle der IBA - die ITP, deren Aktionäre von der IBA lizenzierte Fernsehgesellschaften sind, Programmlisten, die den Kanal, die Daten, die Titel und die Uhrzeiten der Sendungen angeben. Das Urheberrecht an den Programmlisten steht für BBC1 und BBC2 der BBC, für ITV und Channel 4 der ITP und für RTE1 und RTE2 der RTE zu.
8 Jede der Antragstellerinnen veröffentlicht einen wöchentlichen Fernsehprogrammführer, der ihre jeweiligen Programmlisten für die fragliche Woche enthält. Die Programmlisten der IPT werden veröffentlicht in der "TV Times", diejenigen der BBC in der "Radio Times" und diejenigen der RTE im "RTE Guide ". Ausserdem erhalten die Tages - und Wochenzeitungen auf Anfrage von den Antragstellerinnen kostenlos die vorausschauenden Wochenprogrammlisten. Die Veröffentlichung der Programme durch die Zeitungen unterliegt jedoch bestimmten Bedingungen. Grundsätzlich dürfen die Tageszeitungen Programmlisten für einen Zeitraum von 24 Stunden oder an Wochenenden von 48 Stunden veröffentlichen. Die Wochenzeitschriften dürfen nur die "Höhepunkte" der Programme der folgenden Woche veröffentlichen. Die Veröffentlichung eines umfassenden wöchentlichen Fernsehprogrammführers, der alle Programmlisten für einen Zeitraum von sieben Tagen enthält, erwies sich in Irland und offenbar auch im Vereinigten Königreich wegen der Weigerung der Antragstellerinnen, die entsprechenden Lizenzen zu vergeben, als unmöglich.
9 Im Mai und Juni 1986 veröffentlichte die Streithelferin, ein Verlagshaus mit Sitz in Dublin, einen Fernsehprogrammführer mit Angaben über alle Programme, die von ITV, Channel 4, der BBC und der RTE gesendet werden sollten. Infolge gerichtlicher Verfügungen, die die Antragstellerinnen in Verfahren vor irischen Gerichten erwirkten, stellte die Streithelferin die Veröffentlichung dieses Führers ein. Am 4. April 1986 beantragte sie bei der Kommission die Feststellung einer Zuwiderhandlung, indem sie insbesondere geltend machte, daß die Antragstellerinnen ihre marktbeherrschende Stellung durch die Weigerung, Lizenzen für die Veröffentlichung von wöchentlichen Programmlisten zu erteilen, mißbrauchten.
10 In Artikel 1 der streitigen Entscheidung der Kommission wird festgestellt, daß die Praxis und Politik der Antragstellerinnen hinsichtlich ihrer eigenen wöchentlichen Programmlisten bezueglich der in Irland und Nordirland empfangenen Sendungen Zuwiderhandlungen gegen Artikel 86 EWG-Vertrag darstellen, insoweit sie die Veröffentlichung und den Verkauf von umfassenden wöchentlichen Fernsehprogrammführern in Irland und Nordirland behindern. Artikel 2 lautet wie folgt :
"ITP, BBC und RTE stellen die in Artikel 1 genannte Zuwiderhandlung unverzueglich ab, indem sie sich gegenseitig und Dritten auf Anfrage und auf einer nichtdiskriminierenden Basis ihre jeweiligen vorausschauenden wöchentlichen Programmlisten zur Verfügung stellen und die Veröffentlichung durch diese gestatten. Diese Forderung erstreckt sich nicht auf Zusatzinformationen zu den Listen, wie sie in der vorliegenden Entscheidung definiert werden. Wenn sie dies im Wege von Lizenzen tun, müssen die von ITP, BBC und RTE geforderten Lizenzgebühren angemessen sein. Ausserdem können ITP, BBC und RTE in ihre Lizenzen, die sie Dritten erteilen, Bestimmungen aufnehmen, die sie für erforderlich halten, um eine umfassende und hochwertige Wiedergabe aller ihrer Programme sicherzustellen, einschließlich der Minderheiten - und Regionalprogramme und der Programme von kultureller oder erzieherischer Bedeutung. Die Parteien werden deshalb aufgefordert, der Kommission innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntgabe dieser Entscheidung Vorschläge zur Zustimmung zu unterbreiten über die Bedingungen, zu denen Dritten die Veröffentlichung der vorausschauenden wöchentlichen Programmlisten, die Gegenstand dieser Entscheidung sind, gestattet werden soll."
11 Die ITP beantragt die Aussetzung des Vollzugs von Artikel 2 wenigstens insoweit, als sie dadurch verpflichtet wird, Dritten auf Anfrage und auf einer nichtdiskriminierenden Basis ihre jeweiligen vorausschauenden wöchentlichen Programmlisten zur Verfügung zu stellen und deren Veröffentlichung durch die BBC, die RTE und Dritte zu gestatten. Die BBC beantragt die Aussetzung der Anwendung von Artikel 1 und 2 der Entscheidung. Die RTE beantragt die Aussetzung des Vollzugs von Artikel 2, soweit diese Bestimmung sie verpflichtet, der BBC, der ITP und Dritten die Veröffentlichung ihrer wöchentlichen Programmlisten zu gestatten und die Zustimmung der Kommission zu den Bedingungen zu beantragen, die für die Gestattung der Veröffentlichung der fraglichen Programme durch Dritte gelten sollen.
12 Gemäß Artikel 185 EWG-Vertrag haben Klagen bei dem Gerichtshof keine aufschiebende Wirkung. Der Gerichtshof kann aber, wie sich aus dieser Vorschrift in Verbindung mit Artikel 83 § 2 der Verfahrensordnung ergibt, den Vollzug der angefochtenen Handlungen aussetzen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes kommt eine derartige Maßnahme nur in Betracht, wenn ihre Notwendigkeit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht wird. Darüber hinaus muß sie in dem Sinne dringlich sein, daß ihr Wirksamwerden schon vor der Entscheidung zur Hauptsache erforderlich ist, damit dem Anstragsteller kein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht. Schließlich muß die Maßnahme vorläufig sein, darf also der Entscheidung zur Hauptsache nicht vorgreifen.
13 Im Stadium des Verfahrens der einstweiligen Anordnung muß davon ausgegangen werden, daß die Antragstellerinnen Inhaberinnen des Urheberrechts an den Listen ihrer jeweiligen wöchentlichen Programme sind, daß dieses Urheberrecht nach den einschlägigen Rechtsvorschriften das ausschließliche Recht der Veröffentlichung derartiger Listen umfasst und daß die Antragstellerinnen nach diesen Rechtsvorschriften nicht verpflichtet waren, Dritten Lizenzen zu erteilen oder ihnen die Veröffentlichung dieser Daten zu gestatten.
14 Mit der Feststellung, die drei Unternehmen hätten ihre marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für Fernsehprogrammführer mit wöchentlichen Programmen benutzt, um die Einführung eines neuen Produkts auf diesem Markt, und zwar eines umfassenden oder eine Vielzahl von Programmen erfassenden wöchentlichen Fernsehprogrammführers, zu verhindern und somit das Urheberrecht als ein Mittel des Mißbrauchs einzusetzen, hat die Kommission eine Entscheidung getroffen, die schwierige Fragen bezueglich des Anwendungsbereichs von Artikel 86 EWG-Vertrag und des Umfangs der Befugnisse aufwirft, die die Kommission nach der Verordnung Nr. 17 ( ABl. vom 21. 2. 1962, S. 204 ) besitzt. Die Prüfung dieser Fragen ist Sache des Gerichtshofes im Rahmen der Entscheidung zur Hauptsache.
15 Unter diesen Umständen muß der Richter im Verfahren der einstweiligen Anordnung zunächst prüfen, ob die etwaige Aufhebung der streitigen Entscheidung durch den Gerichtshof die Umkehrung der Lage erlaubt, die durch den sofortigen Vollzug dieser Entscheidung entstehen würde, und - umgekehrt - ob die Aussetzung des Vollzugs dieser Entscheidung ein Hindernis für deren volle Wirksamkeit sein kann, falls die Klagen abgewiesen werden. In der vorliegenden Rechtssache scheint der zweite Fall nicht so schwerwiegende Probleme aufzuwerfen wie der erste, da die Aussetzung des Vollzugs auf eine Aufrechterhaltung des langjährigen Status quo für einen begrenzten Zeitraum hinausliefe. Daher ist besonders zu untersuchen, welche Wirkungen ein sofortiger Vollzug der Entscheidung hätte.
16 Insoweit machen die Antragstellerinnen geltend, die Verpflichtung, die ihnen Artikel 2 der streitigen Entscheidung auferlege, Dritten "sofort" ihre wöchentlichen Programmlisten zu überlassen, werde, falls ihr Vollzug nicht ausgesetzt werde, bewirken, daß eine neue Situation auf dem Markt entstehe, die im Fall der Aufhebung der Entscheidung durch den Gerichtshof nicht rückgängig gemacht werden könne. Verleger, Zeitungen und Verbraucher hätten sich an die Verfügbarkeit von umfassenden Programmlisten gewöhnt, und Angebot und Nachfrage wären davon dauerhaft beeinflusst.
17 Die Kommission betont den zweiten Teil von Artikel 2 : Wenn die betroffenen Unternehmen die Veröffentlichung der Daten durch die Erteilung von Lizenzen gestatteten, brauchten sie nur ihre Vorschläge der Kommission zur Zustimmung zu den Bedingungen, die interessierten Dritten gegebenenfalls auferlegt würden, zu unterbreiten. Tatsächlich hätten die drei Antragstellerinnen ihre Vorschläge der Kommission unterbreitet, und diese würden zur Zeit geprüft. Nach einer ersten Reaktion der Kommission werde sie den Antragstellerinnen die Möglichkeit geben, Stellung zu nehmen; diese Stellungnahmen werde die Kommission vor der endgültigen Entscheidung über die Vorschläge prüfen. Daher könne aus dem Vollzug von Artikel 2 kein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entstehen, solange die Kommission nicht endgültig über die Vorschläge der Antragstellerinnen entschieden habe.
18 Zu dieser Auseinandersetzung ist festzustellen, daß der vollständige Vollzug von Artikel 2, der für die Antragstellerinnen die Verpflichtung enthält, Dritten urheberrechtlich geschützte Daten "unverzueglich" zugänglich zu machen, eine Entwicklung auf dem Markt hervorrufen könnte, die nachträglich, wenn überhaupt, nur sehr schwer rückgängig zu machen wäre. Insofern könnten die Antragstellerinnen, falls der Gerichtshof die Entscheidung aufhebt, einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden erleiden.
19 Diese Erwägungen führen jedoch nicht zu einer vollständigen Aussetzung des Vollzugs von Artikel 2. Zwischen den Antragstellerinnen und der Kommission ist ein Meinungsaustausch über die Bedingungen für die Vergabe von Lizenzen an Dritte im Gange. Die Fortführung dieser Gespräche verletzt im Hinblick auf eine etwaige Abweisung ihrer Klagen kein Interesse der Antragstellerinnen.
20 Es ist folglich die Aussetzung des Vollzugs von Artikel 2 der streitigen Entscheidung anzuordnen, soweit diese Bestimmung die Antragstellerinnen verpflichtet, unverzueglich die von der Kommission festgestellte Zuwiderhandlung abzustellen, indem sie sich gegenseitig und Dritten auf Anfrage und auf einer nichtdiskriminierenden Basis ihre jeweiligen vorausschauenden wöchentlichen Programmlisten zur Verfügung stellen und die Veröffentlichung durch diese gestatten. Im übrigen sind die Anträge auf einstweilige Anordnung zurückzuweisen.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER KAMMERPRÄSIDENT T. KOOPMANS
in Vertretung des Präsidenten des Gerichtshofes gemäß den Artikeln 85 Absatz 2 und 11 der Verfahrensordnung
im Verfahren der einstweiligen Anordnung
beschlossen :
1 ) Die Rechtssachen 76/89 R, 77/89 R und 91/89 R werden für die Zwecke des Beschlusses verbunden.
2 ) Die Magill TV Guide Limited wird als Streithelferin in den verbundenen Rechtssachen 76, 77 und 91/89 R zur Unterstützung der Anträge der Antragsgegnerin zugelassen.
3 ) Der Vollzug von Artikel 2 der Entscheidung der Kommission vom 21. Dezember 1988 über ein Verfahren nach Artikel 86 EWG-Vertrag ( IV/31.851, Magill TV Guide/ITP, BBC und RTE ) wird ausgesetzt, soweit diese Bestimmung die Antragstellerinen verpflichtet, unverzueglich die von der Kommission festgestellte Zuwiderhandlung abzustellen, indem sie sich gegenseitig und Dritten auf Anfrage und auf einer nichtdiskriminierenden Basis ihre jeweiligen vorausschauenden wöchentlichen Programmlisten zur Verfügung stellen und die Veröffentlichung durch diese gestatten.
4 ) Im übrigen werden die Anträge auf einstweilige Anordnung zurückgewiesen.
5 ) Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.
Luxemburg, den 11. Mai 1989.
Ende der Entscheidung
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